Wahrscheinlich zu persönlich für Wattpad
Es ist wieder einmal kurz vor vier Uhr morgens. Und ich liege wach, obwohl ich müde bin. Ich könnte schlafen, wenn ich wollte, doch ich tu es nicht. Mir spuken Dinge im Kopf herum. Einige Geister sind gute Geister. Einige von ihnen jagen Angst ein. Doch ich versuche mich auf die guten Geister zu konzentrieren. Trotzdem liege ich wach. Dabei war ich vorhin noch fast eingeschlafen.
Ich bin müde. Zu müde um zu schlafen, zu müde, um wach zu sein. Ich bin müde und schreibe hier einen mittelmäßig schlechten Text über mich und meine Störung. Die Störung, die es noch zu erkunden gilt.
So viele verschiedene Dinge. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schwirren mir durch den Kopf. Ich wünschte, ich könnte alles loslassen. Ich wünschte, ich könnte alles in Worte verpacken, sie mit Schleifen umbinden und verbrennen. Ich wünschte, ich wäre weiter als jetzt.
Und doch rede ich mir ein, dass ich so weit gekommen bin - und es stimmt! - denn heute oder eher gesagt: gestern bin ich aufgestanden. Ich habe mich umgezogen und bin hinausgelaufen in die Welt.
Ich hatte meine regenbogenfarbene Tasche dabei, samt Zeichenheft und DIN A5 Collegeblock. Samt Federtasche und Portemonnaie. Und Kram, den ich dort einfach gelassen hatte. Ich zog damit los. Ich machte mich auf alles gefasst. Was ich genau wollte - keine Ahnung. Ich ging in die Arztpraxis und fragte nach Hilfe.
Ich ging in die Arztpraxis und fragte nach Hilfe.
Es ist einige Zeit her, seit ich das in der Form getan hatte. Damals war ich noch planloser gewesen als jetzt. Unentschieden. Unsicher. Ich hatte in diesen Wartezimmer gesessen, war irgendwann aufgerufen worden und hatte dann in dem Raum gesessen. Mir gegenüber eine freundliche Ärztin. Ich hatte viel erzählt und doch nichts gesagt. Sie hatte gehört, und doch nicht zugehört. Sie ließ mich reden und ich erzählte von Menschen, die gestorben waren. Von Dingen, die ich zurückließ. Und sie erzählte mir von der heilsamen Wirkung von Bewegung und Spaziergängen. Ich hätte nichts gesagt, ich war unsicher und vor allem hatte es mir gut getan zu reden - während ich so redete hatte ich fast vergessen, warum ich dort war. Doch kaum war ich wieder draußen gesessen, so hatte es mir gedämmert, weshalb. Die Sonne hatte im klaren Himmel geschienen und verhöhnte mich. Keine Wolke weit und breit und keine, die meine ewiggraue Wolke im Kopf verdecken möge. Ich sollte spazieren? Okay. Es war okay. Ich machte mich daran. Ich ging spazieren. Ich kam an die Kreuzung und dann... Und dann? Welchen Weg sollte ich nur einschlagen? Welche Richtung? Ich blieb dort stehen. Versteinert. Überwältigt. Eine Stunde lang. Ich setzte mich auf die Bank und wartete. Wartete darauf, bis ich wissen würde wohin mit mir. Doch ich hatte es nie erfahren. Ich war wieder heim gegangen.
Das ist fünf Jahre her. Fünf Jahre her und nun stand ich wieder an dem genau gleichen Fleck und fragte nach meiner Ärztin. Der Ärztin, der ich nie alles erzählen konnte, wie es in mir ausgesehen hatte. Und ich stand da und die Arzthelferin sagte mir, dass sie in Ruhestand war. Ich wusste nicht ganz, wie mir dann geschah, doch sie leitete mich weiter zu ihrer Nachfolgerin, die vor einiger Zeit auch eine andere Praxis schräg gegenüber übernommen hatte. Unsicherheit machte sich breit, doch ich hatte nichts zu verlieren. Ich wurde also weiter vermittelt. Ich fand mich in einer anderen Praxis wieder, in der ich vor noch längerer Zeit bereits gewesen war.
Wir gehen nun sieben Jahre zurück in die Zeit. Ich brauchte eine Krankschreibung, um Prüfungen aufgrund des Todes eines nahestehenden Menschen aufzuschieben. Damals war da diese andere nette Ärztin. Die ziemlich überlaufen war mit Patient*innen. Doch sie zeigte Verständnis. Warum war ich dort nicht geblieben? Einige Monate später war ich wieder dort. Der Warteraum war proppenvoll. Ein Mann mittleren Alters in Arbeitskleidung schnaufte ungeduldig, tappelte mit den Füßen. Patient*innen wurden aufgerufen. Mit jeder Patient*in wurde der Mann immer unruhiger. Die nächste Patientin wurde aufgerufen. Die Schiebetür des Behandlungsraums wurde geöffnet. Eine Patientin verließ den Raum. Die aufgerufene Patientin stand auf. Der Mann sprang auf, drängte sich vor der Aufgerufenen, schob sich an der anderen Patientin vorbei und stürmte in den Behandlungsraum. Er knallte der Aufgerufenen die Schiebetür vor der Nase zu. Fing an herumzubrüllen, er würde doch nur sein Rezept haben wollen und müssen doch zur Arbeit. Die Ärztin, erbost und deutlich, wies ihn zurecht. Sie verwies ihn aus der Praxis und der Mann verließ unverrichteter Dinge das Haus. Wenige Minuten später war ich dran. Ich merkte, wie gestresst und seltsam diese Lage noch war. Meine Ärztin fragte mich, wie es mir ging. Und ich war etwas überrumpelt, ebenfalls noch gleichsam belustigt und aufgewühlt von dem Drama mit dem Mann ohne Rezept. Ich fühlte mich gut, sagte ich, ich käme klar. Ich wollte nicht stören, keine Bürde sein und es ging mir doch gut, so glaubte ich. Und doch glaubte ich mir eigentlich nicht ganz. Doch ich verschwieg es. Aus Gründen, die ich nicht mehr kenne. Gründen, die mich dahin führten, wo ich jetzt bin.
Und jetzt zurück zum heutigen/gestrigen Tag. Ich war also wieder in dieser Arztpraxis, in der sich das Drama abgespielt hatte. Der Wartebereich hatte sich kaum verändert. Es war bizarr, wie gut ich mich noch daran erinnerte. Ich hatte es beinahe selbst wieder vergessen, doch sowohl diese Praxis, als auch die andere, in der ich zuerst war (ich weiß, es wird ein wenig verwirrend mit diesen unterschiedlichen Praxen) lösten in mir Erinnerungen und Gefühle aus, die ich längst vergessen hatte.
Ich wurde aufgerufen und kam in einen Raum, in dem ich noch nie war. Er war hell und groß und... nichts besonderes. Ich wurde von einer Arzthelferin (?) zu meinem Anliegen befragt. Ich hatte nicht erwartet, direkt etwas erzählen zu müssen, war ich doch mit der Prämisse aufgestanden, um einfach nur einen Arzttermin auszumachen. Doch nun war ich dort. Und versuchte deutlich zu machen, was ich vor fünf oder sieben Jahren nicht deutlich genug gemacht hatte. Ich hatte gedacht, dass ich es ohne Notizen nie klar genug erklären könne, doch sei es vielleicht wegen dem Schal, der die Hälfte meines Gesichts bedeckte, oder dass alles furchtbar schnell ging: einige größere Symptome konnte ich sagen und auch mein Anliegen eine Überweisung zu bekommen. Die Arzthelferin (?) nahm dann die Eckdaten auf und dann übernahm auch schon die neue Ärztin. Sie war freundlich, professionell und nahm mich ernst.
Sie nahm mich ernst. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mich nicht ernst nehmen würde und doch war ich darauf gefasst, nicht ernst (genug) genommen zu werden.
Sie empfahl mir eine ambulante Klinik und machte sogar für mich einen Termin aus. Sie gab mir weitere Informationen und die Überweisung samt Verdachtsdiagnose. Psychische Anpassungsstörung und Angstneurose. Telefonisch mit dem Hinweis latenter Suizidalität, wobei jedoch noch keine stationäre Aufnahme notwendig wäre.
Danke. Das habe ich in der Praxis oft gesagt und auch genau so gemeint. Was genau mit mir los ist? Keine Ahnung, ich habe viele Symptome. Ich habe und hatte Ansprechpartner, doch vor allem in einer Zeit von Social Distancing war es für mich nur einfach, wieder in eine emotionale Selbstisolation zu gehen. Und in der Zeit sind mir so viele Dinge noch zusätzlich schwerer gefallen als Dinge, die schon vorher schwierig waren:
normal arbeiten, Spannungen in Freundeskreisen aushalten, allgemein zwischenmenschliche Beziehungen aufrecht erhalten, weinen, Konzentration (für sämtliche Aktivitäten), schlafen.
Vor 19 Stunden hatte mein Tag damit angefangen, dass ich einen Termin beim Arzt wollte und führte dahin, dass ich einen Termin bei einer Therapeutin habe. Es ist zwar noch einen Monat hin, doch ich habe... Keine Ahnung... Ich habe die letzten sieben und noch mehr Jahre überlebt. Also überlebe ich noch einen Monat mehr.
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