042 ** guter Start ** Mo. 23.9.2019

Ein bisschen muss ich ja schmunzeln über Jenny. Genau so durchgedreht vor Aufregung habe ich vor einem Jahr hier am Frühstückstisch gesessen, weil ich am liebsten sooooofort wissen wollte, wie dieses neue Projekt ankommt. Jetzt ist es Jenny, die nicht still sitzen kann, weil sie sich auf die Woche freut, weil sie gespannt auf die Gruppe ist, weil Antoine sie nervös macht. Und ein bisschen sicher auch, weil sie eine ganze Woche mit Lennart verbringen wird – aber das sage ich lieber nicht laut.

„Ach, Jenny?"
„Hm?"
WOW, ist DIE weit weg.
„Ich wollte dich noch bitten, niemandem zu verraten, dass ich am Freitag Geburtstag habe. Das sollten die Schüler möglichst nicht mitkriegen."
„Geht klar. Ich bin ja sooo aufgeregt. Dabei weiß ich gar nicht, warum."
„Hätt ich jetzt nicht gemerkt, wenn du's nicht gesagt hättest."
Jennys Kopf fliegt hoch, sie schaut mich mit großen Augen an.
„Bin ich sooo auffällig?"
„Nur'n bisschen ..."
„Mist!"
Jetzt muss ich aber doch laut lachen.
„Glaubst du allen Ernstes, du könntest das vor mir verbergen? Ich hab letztes Jahr vorher auch so gehibbelt. Lennart wird das also völlig normal finden. Und den Kids ist es eh egal."

Wir fahren ausnahmsweise mit dem Auto zur Schule und schieben unseren Mini in eine winzige Lücke auf dem Lehrerparkplatz.
„Darf ich dich einfach hier abstellen, bis der Bus kommt? Ich muss nochmal rein."
Jenny nickt, und ich flitze zu Frau Zimmermann.
„Hallo, Steinchen."
„Hallo, Süße. Na, wieder auf dem Damm?"
„Jepp, heftig, aber kurz."
„Was kann ich für Sie tun?"
„Hm. Ich möchte nur sicher gehen, dass während unserer Abwesenheit aus der Klausurengeschichte zwischen Max und Frau Hartmann nichts entsteht, was ich hinterher nicht mehr ändern kann. Es tat mir echt Leid, dass ich ausgerechnet an dem Tag krank war."
„Keine Sorge. Seine Akte ist bei mir. Dr. Miegel ist endlich aufgewacht, der Elternbeirat steht schon vor der Tür vom RP und es gibt für alles Zeugen, dass Max überhaupt nichts dafür konnte. Null Vorfälle heißt: Max ist sicher."
„Gut. Danke!"

Keine Ahnung, warum. Ich weiß das ja alles. Aber der seltsame Knubbel in meinem Bauch kommt NICHT von der Magen-Darm-Infektion. Da ist eine Unruhe, die mit Max zu tun hat. Ich kann das nicht greifen, aber so richtig beruhigt bin ich immer noch nicht. Ich trolle mich trotzdem wieder nach draußen. Dort ist inzwischen der Bus für unsre Fahrt eingetroffen, und auch die meisten Schüler sind schon versammelt und haben ihr Gepäck beim Fahrer abgegeben. Jenny kontrolliert die Teilnehmerliste, und Lennart beantwortet die Fragen besorgter Eltern. Alles normal also.
Das wird sich glaube ich nie ändern. Eltern müssen hart lernen loszulassen.

Als alle da sind, bauen wir Drei uns kurz vor der Bustür auf und stellen uns den Eltern vor, die uns zum Teil noch nie gesehen haben. Dann winken wir unsere zwölf Kandidaten in den Bus und steigen selbst ein. Als wir auf der A52 nach Düsseldorf sind, greife ich zum Mikro und begrüße alle.
„Sooo. Herzlich willkommen im verrücktesten Abenteuer Ihres bisherigen Lebens. Mal sehen, wer alles lebend wieder nach Hause kommt. Vielleicht sollten Sie Ihre Postkarten nach Hause gleich am Anfang der Woche schreiben."

Alle lachen, Antoine hat Kopfhörer auf und starrt aus dem Fenster.
Hat ... Kopfhörer auf???
Ich schubse Lennart an und deute auf Antoine. Der kapiert sofort, geht zu ihm und fluppt ihm die Kopfhörer vom Kopf. Antoine schreckt heftig auf und knallt mit der Schulter gegen das Fenster, will protestieren, stoppt sich aber sofort selbst, als er sieht, dass es ein Lehrer ist, der ihn „angegriffen" hat. Lennart schiebt sich einfach neben Antoine in die Bank, wickelt wortlos das Kabel um den Kopfhörer und hält ihn dem jungen Mann hin. Der ist nun vollends verwirrt und rückt so nah wie möglich ans Fenster. Aber er nimmt sein Teil und steckt es in die Tasche.

Jenny übernimmt das Mikro.
„Die Zimmereinteilung wird heute sicher einfacher sein als bei Ihrer letzten Konfirmandenfahrt. Wir gehen einfach davon aus, dass Sie alle halbwegs erwachsen sind ..."
Wilder Protest, begleitet von breitem Grinsen. Max Augen blitzen auf.
„Alle? Auch Sie?"
„Ja, auch wir. So grade eben. Deshalb gibt es auch keine abgeschlossenen Türen, streng bewachte Flure und akribische Kontrollen. Es stehen genug Zimmer zur Verfügung, und wir bitten einfach darum, dass Sie sich klassisch sortieren."
„Wie sortieren Sie sich denn?"
Max!!!

Aber Jenny ist nicht um eine Antwort verlegen.
„2 zu 1. Den Rest überlasse ich Ihrer Phantasie."
Breites Grinsen beiderseits.
„Wir werden gegen 12.00 Uhr dort eintreffen und haben dann Zeit, die Zimmer zu beziehen. Um 13.00 Uhr bekommen wir unser erstes Mittagessen dort. Bei jeder Mahlzeit werden drei oder vier Teilnehmer gebraucht, die vorher die Tische decken und hinterher sauber machen und beim Spülen helfen. Möchten Sie dafür einen festen Plan machen? Oder ..."
„Ich werde ganz bestimmt nicht spülen!"
Antoine.

Super. Nicht.
„Das macht nichts, Antoine. Ansonsten wäre da noch die Aufgabe, täglich alle Toiletten zu putzen. Das können Sie dann gerne übernehmen. Danke, dass Sie sich angeboten haben."

Danke, Jenny!
Unser Franzose zieht ein angewidertes Gesicht, der Rest des Busses bricht in schallendes Gelächter aus.

Swantje meldet sich.
„Ich finde die Idee mit einem festen Plan gut. Das hat ja nichts mit Kontrolle zu tun. Aber so kann sich jeder drauf einstellen, wann er oder sie dran ist und vielleicht früher aufstehen muss dafür. Können wir nicht einfach einen Zettel mit leeren Zeilen aufhängen, und alle tragen sich ein?"
Can murmelt etwas in seinen nicht vorhandenen Bart.
„Kinderkram."
Aber es war doch zu laut.
„Das ist kein Kinderkram, das ist einfach Entstressen."
„Gut, dann hängen wir eine Liste an der Tür zum Speisesaal auf, und alle, die sich bis heute Abend nicht eingetragen haben, werden von uns eingeteilt, damit sicher gestellt ist, dass wir auch ein Frühstück bekommen. Dann wünsche ich eine gute Fahrt."

Wir setzen uns in die erste Bank, und kurz darauf kommt Lennart und setzt sich hinter uns.
„Soso. Zwei zu eins. Also ich hab immer Alpträume, wenn ich allein schlafen muss. Wer von euch opfert sich?"
Jenny läuft dunkelrot an und schießt panische Blicke um sich.
„Zu spät, mein Lieber. Jenny ist meine persönliche Einschlafhilfe. ICH kann nämlich nicht schlafen, wenn ich nichts zu umarmen habe."
Irre ich mich, oder kuckt Lennart jetzt etwas enttäuscht?
„Aber um der Wahrung unserer Berufsehre willen sollten wir da sowieso als gute Beispiele vorangehen."
Beide nicken. Lennart lächelt, Jenny nimmt allmählich wieder ihre natürliche Farbe an.
Zu süß!

Als wir in der Eifel ankommen, empfängt uns Freddy, der Hausherr, bei herrlichem Spätsommerwetter schon vor der Tür und sagt ein paar nette Worte zu allen. Er hilft dem Busfahrer, das Gepäck auszuladen und zeigt dann allen die Wege zu den Zimmern, den Toiletten, dem Speisesaal. Schnell hat sich die Meute verlaufen. Dann begrüßen wir Freddy in Ruhe und bekommen von ihm die Schlüssel für unser Lieblingsmädelszimmer und für ein Einzelzimmer, das Lennart beziehen wird.

„Was habt ihr diesmal für eine Truppe dabei? Womit muss ich rechnen?"
„Eigentlich ein unkomplizierter Haufen. Sieben Leute aus meinem Sport-LK, die gut aufeinander eingeschwungen sind, dazu vier weitere Leute, die sich gut integrieren. Und Antoine."
„Klingt gefährlich."
Wir müssen grinsen.
„Gefährlich zunächst mal nicht. Aber wenn er so weiter macht, ist er nicht integrierbar, und das kann dann im Gelände schon ungemütlich werden."
„Erkenn ich den?"
„Ganz schwacher französischer Akzent, Kreuz wie ein Preisboxer, immer etwas abseits."
„Ah ich weiß. Das wird der sein, der mich eben gefragt hat, ob es auch Einzelzimmer mit eigenem Bad gibt."
Passt. Oh Junge ...

Das Haus ist ein altes, verwinkeltes und urgemütliches Forstamt, das schon vor ettlichen Jahren der Zentralisierung zum Opfer gefallen ist. Das Zimmer, das Jenny und ich immer beziehen, ist ebenerdig und hat durch das große Fenster einen weiten Blick auf die schöne Eifellandschaft. Außerdem ist es eines der Teamerzimmer, die tatsächlich ein eigenes Bad haben. Alle Teilnehmer müssen in die Gemeinschaftswaschräume. Manche ziehen am Anfang der Woche darüber die Nase kraus. Aber nach der Nacht im Gelände meckert niemand mehr. Dann freuen sich alle nur noch auf die heiße Dusche und ein richtiges Bett.

Nachdem sich alle ein Bett gebunkert haben, ziehen einige von Tür zu Tür, um sich zu orientieren. Wir lassen einfach unsere Tür offenstehen, damit uns alle orten können. Hier unten sind noch zwei weitere Zimmer. Das größte Zimmer haben sich die drei Tänzer geschnappt. Und in einem Zweierzimmer haben es sich Lore und Annika gemütlich gemacht. Im oberen Stock hat Lennart sein Einzelzimmer mit Bad. Milly und Swantje haben sich zusammengefunden. Antoine hat Alex zu sich geholt, weil sie in einem LK sind und sich schon kennen. Kolja und Can bouldern in ihrer Freizeit gemeinsam und haben sich nun auch hier zusammengetan. Bernd stößt dazu und macht das obere Dreierzimmer komplett.

Kurz darauf ziehen die vier Mädchen an unserer Tür vorbei in Richtung Speisesaal. Swantje steckt den Kopf bei uns rein.
„Wir gehen mal zur Küche und sehen, was wir helfen können. Machen Sie die Liste fertig?"
„Das ist eine tolle Idee. Danke, dass Sie von alleine bereit sind. Die Liste bringe ich nachher zum Mittagessen mit."
Jenny lächelt hinter ihnen her.
„Leute, die selbst denken. Angenehm!"

„Du warst vorhin im Bus sehr souverän. Das war gut."
Jenny grinst schief.
„Aber Max hat mich schon herausgefordert."
„Ach was! Das macht ihm einfach Spaß. Und ihr kennt euch ja schon ein bisschen durch die Nachhilfe, darum konnte er wohl auch einschätzen, dass du damit klar kommst. Und wenn, dann steht es zwei zu null für dich."
In dem Moment steckt Lennart den Kopf zur Tür rein.
„Mindestens. Das war klasse. Aber was ganz anderes. Wer hilft jetzt gleich beim Mittagessen? Die Liste gibt es ja noch nicht."
„Kein Problem. Die Mädels sind eben ganz von alleine zu viert losgezogen."
Ich setze mich gleich hin, überlege kurz, welche Mahlzeiten bis Freitag Mittag eigentlich abzudecken sind, und male aus der Hand eine entsprechende Tabelle auf ein Blatt Papier.

Kurz darauf hallt ein freundliches Klingeln durchs ganze Haus, das Zeichen für alle, sich innerhalb der nächsten Minuten zum Essen einzufinden. Das Glockenzeichen hatte Freddy bei der Begrüßung erwähnt, und so kommen bald die acht Jungs aus ihren Löchern gekrochen. Ich schnappe mir die Liste und einen Stift, und wir ziehen auch los. Dann können sich gleich alle eintragen.

„Nochmal herzlich willkommen im Haus Prüm. Ich möchte zunächst eine Frage stellen. Wir sind hier zwar als Lehrer und Schüler, aber wir werden in den nächsten Tagen sehr dichte Erfahrungen miteinander machen. Wenn Frau Tucher und ich mit anderen Leuten tatsächlich draußen unterwegs sind, dann ist es selbstverständlich, dass sich alle per Vorname und Du verständigen. Dies ist eine Sondersituation, und so gerne ich das täte, ich darf Ihnen das Du nicht anbieten, weil ich Ihnen in einem guten halben Jahr noch Prüfungen abnehmen werde. Bitte denken Sie doch bis heute Abend darüber nach, wie Sie es gerne handhaben würden."

Max fängt schallend an zu lachen, alle anderen aus dem Sport-LK grinsen breit, der Rest schaut irritiert.
„Na los, Max. Erklären Sie den anderen, was daran so erheiternd war. Schnell erzählt er der Gruppe von meiner Challenge, dass ich dieselben Leute in dem einen Kurs siezen und im anderen duzen muss. Und dass ich mich nicht verplappern darf. Nun lachen alle. Und bald haben sie sich geeinigt, dass es sich für sie am natürlichsten anfühlt, wenn wir zu ihnen wie in der Schule Du sagen, während sie zu uns Sie sagen.

Nach dem Mittagessen bleiben wir einfach alle sitzen, nachdem abgedeckt wurde.
„So Leute. Jetzt wird's ernst. Von Mittwoch auf Donnerstag stürzen wir mit einem Flieger über dem Dschungel ab und kämpfen uns zurück in die Zivilisation. Heute und morgen werden wir noch einige Techniken lernen, die wir dann direkt anwenden müssen. Eure Gruppe ist echt spannend zusammengesetzt. Wenn ihr gut aufeinander hört, alle eure unterschiedlichen Kompetenzen abruft und euch koordiniert, werden das zwei tolle Tage. An den beiden Vorbereitungstagen konntet ihr schon erkennen, wer von euch was besonders gut kann. Nutzt das! Es wird euch weiterbringen.
Wir werden heute Nachmittag die Grundlagen des gesicherten Kletterns üben, denn unwegsames Gelände kann jederzeit auftauchen. Krankentransport hatten wir im Erste-Hilfe-Kurs. Feuer machen, Fallen stellen und Ernährung aus der Natur wird Freddy morgen Vormittag mit euch üben. Und morgen Nachmittag werden wir uns noch mit weiteren Hindernissen wie Wasserfall, Geröllhalde, Sumpf und anderen Geländeformen beschäftigen. Hier am Haus gibt es entsprechende Möglichkeiten zu üben. Und es ist uns wichtig, dass ihr dann jede und jeder das einbringt, was ihr selbst besonders gut könnt."

Lennart übernimmt jetzt.
„Da die vier Mädels schon beim Vorbereiten des Essens geholfen haben, bin ich dafür, dass jetzt andere das Spülen übernehmen. Hier ist die Liste. Wir haben für jede Mahlzeit so viele Punkte ins Kästchen gemacht, wie Leute dafür gebraucht werden. Tragt euch am besten jetzt gleich ein, dann habt ihrs hinter euch und könnt eure Freizeit besser planen. Ich lasse den Zettel und den Stift einfach hier liegen. Wenn irgendwo nicht genug Leute drinstehen, werden wir entscheiden, wer mitmacht."

„Und wir sehen uns um ... Moment ... 14.30 Uhr vor der Tür in klettertauglicher Kleidung und Schuhwerk. Bis nachher."
Wir drei Lehrer beantworten noch ein paar spezielle Fragen einzelner zu den Zimmern, dem Essen und Co. Dann trollen wir uns, während sich die Liste erfreulich schnell füllt.

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26.10.2020    -    21.4.2021

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