9. Stumm
Inzwischen waren zwei ganze Tage vergangen und Manu hatte es immernoch nicht geschafft, mit irgendwem auch nur ein Wort zu sprechen.
Dados Chat hatte er gemieden aus Angst davor, ihm erzählen zu müssen, was passiert war und weder seine Familie, noch die Erzieher im Internat hatten es geschafft, ihm einen Satz zu entlocken.
Seine Lehrer schienen ziemlich ratlos, er hatte den ganzen Tag lang mit keinem von ihnen geredet und auch, ihn zum Direktor zu schicken, hatte nichts gebracht. Manu sprach nicht, nicht nur, weil er nicht wollte – er konnte auch schlichtweg einfach nicht. Jedes Mal, wenn er versuchte, einen Ton herauszubringen, fühlte sich seine Kehle wie zugeschnürrt an und er brachte nichts hervor als ein ersticktes Husten.
Seine Eltern waren informiert und zu seinem Gespräch mit dem Direktor gebeten worden. Kurz nachdem die Schule sie informiert hatte, hatten sie Manu angerufen – der auch ans Telefon gegangen war, jedoch auch dort kein Wort hervorgebracht hatte. Es war fast, als würde irgendetwas in ihm drin jedes Mal, wenn er versuchte, zu sprechen, das wissen, wie er das anstellen sollte, aus seinem Kopf löschen. Rational gab es dafür keinen Grund – er wusste, dass er nicht plötzlich wieder in dieser Gasse in Karlsruhe sein würde, sobald er den Mund aufmachte. Und trotzdem ging es nicht.
Gerade ließ Manu die schier endlosen Reden seiner Mutter über sich ergehen, die Ermahnungen, mit dem Mist aufzuhören. Er hatte jetzt zwei Tage lang nicht gesprochen – hätte er einfach so damit aufhören können, hätte er es getan. So aber blieb ihm nichts anderes übrig, als zu nicken. Er traute sich nicht, nach Hilfe zu fragen, er wusste ja selbst nicht, ob irgendjemand ihm überhaupt helfen konnte, wieder zu sprechen.
Das Gespräch mit dem Direktor war zu keinen weiteren neuen Schlüssen gelangt – Manu würde vorerst keinen Verweis bekommen, wenn er den Lehrern nicht antwortete, dafür würde er aber, wenn seine – in ihren Augen freiwillige und unbegründete - Stummheit länger andauerte, extra Aufgaben als Ersatz für seine mündlichen Mitarbeitsnoten erbringen müssen.
Manus Mutter seufzte, wollte ihrem Sohn fast schon automatisch durch die Haare stubbeln, der jedoch zuckte sofort vor ihrer Hand zurück.
»Na gut. Was hältst du davon: Wenn du bis Ende der Woche immernoch nciht sprichst, machen wir dir einen Termin mit einem Psychologen aus.«
Manu nickte. Zwar wusste er, dass er eh keine Wahl gehabt hätte, aber dieser Vorschlag seiner Eltern kam ihm nur recht. Vielleicht würde ein Psychologe ihm ja wirlich helfen können.
Seine Eltern verabschiedeten sich kurz darauf - sein Mutter hatte noch einen Geschäftstermin, für den sie pünktlich zurück in Essen sein musste - und ließen Manu vor der Tür des Sekreteriats, wo sie eben noch das Gespräch mit dem Direktor gehabt hatten, zurück.
Manu lächelte nur schwach, kein echtes Lächeln und machte sich auf den Weg in zu seinem Zimmer. Weit kam er jedoch nicht, als Freddie und Basti ihm in den Weg traten, sich vor ihm aufbauten und breit grinsend aus ihn herabsahen.
Zwar waren sie nicht sehr viel größer als Manu, nur ein kleines Stück, dafür aber umso breiter und allein dadurch ihm körperlich um einiges überlegen.
Instinktiv wich Manu einen Schritt zurück und drückte sich an die Wand, während Basti bedrohlich grinsend auf ihn zu kam.
»Na, mussten Mami und Papi vom kleinen Manulein zum Direktor kommen?«
Eine feste Hand drückte Manus Brust gegen die Wand hinter ihm und auch, dass er seine Arme schützend zwischen sich und den fremden Körper brachte, ihn von sich wegzudrücken versuchte, brachte nichts. Stattdessen holte Basti bloß aus und schlug unter Freddies bejubelnden Worten mit seiner Faust in Manus Bauchgegend.
Erstickt japste Manu nach Luft, während Basti ihn nun endlich los ließ und er, zu sehr mit Atmen beschäftigt, um noch irgendetwas anderes tun zu können, zu Boden sank.
Er hörte die beiden Jungs lachen und miteinander einklatschen, während sie ihn einfach liegen ließen und die Treppe hoch in Richtung der Internatszimmer verschwanden.
Während Manu sich mühsam wieder aufrappelte und schließlich zu seinem eigenen Zimmer zurückschleppte, stieg seine Wut auf Patrick und glcihzeitig auch seine Angst vor ihm.
Zwar war er jetzt gerade nocht einmal dabei gewesen, und trotzdem wusste Manu, dass es sein Verdienst gewesen war. Bevor Patrick auf die Schule gekommen war, war er zwar auch schon der unbeliebte, manchmal gehänselte Außenseiter gewesen, aber noch nie hatte ihn jemand körperliche Gewalt angetan gehabt. Das hatte erst mit Patricks Auftauchen hier begonnen und das war es auch, was Manu solche Angst machte – dass Patrick es schaffte, sein Leben mehr oder weniger zu zerstören, ohne den Anschein zu machen, sich dafür auch nur annähernd anzustrengen. Was würde erst passieren, wenn Patrick irgendwann wirklich wollen würde, dass es ihm schlecht ging?
Als Manu das Zimmer betrat sah sein Mitbewohner nur kurz auf. Manu versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er Schmerzen hatte – zumal es heute wirklich eigentlich noch erträglich war. Er wollte nicht, dass Patrick erfuhr, wie nah ihm diese Hänseleien wirklich gingen.
Automatisch hoclte Manu sein Handy heraus, sobald er sich in seinem Bett verkrochen hatte und öffnete Dados Chat – zögerte aber dann. Er hatte seit seinem Besuch fast alle Gesprächsversuche von Dado abgeblockt, um ihm nicht erzählen zu müssen, was passiert war. Es wäre unfair, jetzt wieder angekrochen zu kommen, da er ihn wieder einmal brauchte. An Dados Stelle wäre er sich wahrscheinlich ziemlich ausgenutzt vorgekommen.
Also schloss Manu die App wieder, steckte stattdessen seine Kopfhörer an und drehte die Musik auf.
Wahrscheinlich war Dado eh gerade noch in einem Termin oder so oder hatte zumindest gerade keine Handy-Zeit. Zumal er echt nicht gewusst hätte, was er ihm hätte sagen sollen:
»Hey, Dado, tut mir leid, aber ich kann nicht mehr mit dir sprechen, eigentlich kann ich mit gar niemandem mehr sprechen und achja, als ich von dir nach Hause gefahren bin, wurde ich auf der Straße vergewaltigt, aber ich will nicht zur Polizeit.«
Manu schüttelte den Kopf, selbst wissend, dass das so keinen Sinn machte. Er würde Dado erzählen und das auch ziemlich bald, dessen war er sich sicher. Und Dado würde ihm, so gut er konnte, helfen, auch daran hegte Manu keine Zweifel.
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Vergewaltiger:
Du warst gestern besoffen. Weißt du was du gemacht hast? Einen Jungen vergewaltigt. Wie war es?
»Was willst du von mir?«
Warum ausgerechnet Manu? Und wer bist du?
»Wer bist DU?«
Maurice:
Wie kam es dazu das du weniger gegessen hast?
»Ich kann es nicht ein Mal mehr so genau sagen im Nachhinein. Ich hatte einfach immer mehr das Gefühl, zu viel zu wiegen und das hat sich immer mehr gesteigert und wurde zur Esstörung.«
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Gerne wieder neue Fragen oder Feedback an mich :)
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