78. Abschied

»Hast du Patrick gesehen?«

Manu musste über die vielen Stimmen hinweg relativ laut reden, damit Stegi ihn verstand und ohne zu wissen, warum, überkamen ihn auf ein Mal riesige Glücksgefühle, dass so etwas banales, wie mit einem seiner Freunde in etwas lauterer Zimmerlautstärke zu sprechen, auf ein Mal wieder ging.

Stegi saß bei Tim auf dem Schoß – ein Bild, das man sonst nicht sehr häufig sah. Die beiden wirkten trotz dem, dass ihre Beziehung inzwischen öffentlich war, unter anderen Leuten meistens immer noch nur wie besonders gute Freunde, nicht jeder, der sie sah hätte normal unbedingt vermutet, dass sie zusammen waren. Umso mehr freute Manu sich irgendwie, die Beiden ein Mal wirklich zusammen zusehen. Wobei er eh schon zu den Privilegierten gehörte, in deren Anwesenheit sich vor allem Stegi ein bisschen mehr entspannen konnte. Je mehr Manu darüber nachdachte, desto bewusster wurde Manu sich eigentlich, wie wenig er eigentlich über Stegi wusste. Er hatte keine Ahnung, warum Stegi was das öffentliche Ausleben seiner Sexualität anging so vorsichtig war – hatte er wie Palle konservative Eltern und verarbeitete das einfach nicht so gut wie Manus Freund? Oder lag es an etwas ganz anderem? War es vielleicht einfach nicht seine Art? Er nahm sich vor, Stegi unbedingt irgendwann ein Mal besser kennen lernen zu wollen. Nächstes Jahr, nach den Sommerferien dann.

Für dieses Jahr war die Schule erst ein Mal vorbei – vor ein paar Wochen hatten sie die Basketballliga gewonnen und seitdem war es ind er Schule eigentlich nur noch entspannt und ruhig gewesen – im Unterricht wurden Filme geschaut, immer öfters gab es Hitzefrei und am Ende standen nur noch die Projekttage an. Nun waren die auch überstanden und ihre Stufe feierte zum letzten Mal in diesem Schuljahr eine Party – dieses Mal unten am See, unweit der Stelle, an der das alles mit Manu und Patrick begonnen hatte. Morgen würde es dann Zeugnisse geben und dann ging es in die wohlverdienten Ferien – was für Patrick hieß, erst ein Mal für vier Wochen mit zu Manu zu dürfen – er konnte ihr Glück immer noch kaum fassen. Manus Mutter hatte aber wie erwartet reagiert, als er ihr von Palles Eltern erzählt hatte und darauf bestanden, dass er seinen Freund – den sie insgeheim schon lange ins Herz geschlossen hatte – unbedingt gleich für mehrere Wochen zu ihnen einladen sollte. Wie sie selbst gesagt hatte: Jetzt wo Peter wieder Zuhause war und in den Semesterferien auch ihre älteste und einzige Tochter zu Besuch kommen würde – da käme es auf ein Kind mehr oder weniger im Haus auch nicht mehr an. Und zum ersten Mal freute Manu sich irgendwie darauf.

»Manu? Setz dich zu uns. Er wird schon auftauchen.«

Stegi klopfte einladend neben sich auf das alte Sofa, das sie am Vormittag aus dem Parykeller an den See getragen hatten – schließlich sollte es nicht regnen heute – und rutschte selbst von Tims Schoß. Manu kam der Einladung nach und ließ sich neben seine Freunde auf die nicht mehr ganz weichen Federn des Polsters fallen.

»Und? Habt ihr Pläne für die Ferien?«

Stegi schmunzelte, grinste Tim an und rempelte ihm den Ellenbogen in die Seite. Er sah wirklich glücklich aus.

»Ich wurde von dem Talentcoach angesprochen, der bei ein paar der Spielen war. Er wil extra Förderung für mich. Ich müsste dafür nicht von der Schule, könnte die vier Trainings hier weiter mitmachen, aber noch zwei weitere Einheiten bei einer anderen Mannschaft dazu bekommen, plus zweckmäßigen Ausdauereinheiten und so. Und das gerade ein Mal dreißig Kilometer von hier – mit dem Auto kein Problem und ich werde in den Ferien achzehn.«

Stegi grinste breit und ziemlich stolz, während Manu bloß begeistert Tims Erzählungen lauschte.

»Echt? Wow, das klingt ja super!«

»Ist es auch.«

Tim war bescheiden und ruhig wie immer, machte nach außen hin fast den Eindurck, sich am wenigsten von allen darüber zu freuen. Manu aber wusste es besser. Er selbst freute sich dafür gleich so für seinen Freund, dass er ihn kurzerhand zum Grautlieren umarmte – und Stegi gleich hinterher. Der fuhr auch mit seiner Erklärung fort, was das mit den Sommerferien zu tun hatte:

»Und dafür muss Tim eben die ganzen Ferien in so ein Bootcamp – und das ist ein offenes Ding, da kann also jeder hin. Also haben meine Eltern mich mit angemeldet.«

»Echt? Cool!«

Stegis Begeisterung war wirklich ansteckend und so unterhielt Manu sich noch eine ganze Weile lang wirklich euphorisch mit den beiden Freunden – bis Stegis Prophezeihung sich erfüllte und er tatsächlich Palle entdeckte.

»Da ist Patt. Ich geh mal zu ihm!«

»Mach das – bis nachher.«

Manu lächelte ihnen im Gehen noch ein Mal zu und musste gleich seinem Freund von dieser guten Nachricht erzählen, sobald er bei ihm angekommen war. Natürlich freute auch Palle sich für die Beiden und besonders natürlich Tim, weshalb sie gleich noch ein Mal zu ihnen zurückkehrten, damit auch er gratulieren konnte, bevor sie sich endgültig von ihnen absplitterten und selbstständig machten.

»Wo warst du die ganze Zeit?«

Manus Blick war vorwurfsvoll, doch Patrick lachte bloß und küsste seinen Freund auf den Hinterkopf.

»Ich habe mit Basti Lichter besorgt. Die Sonne geht auch irgendwann unter und dann wollen wir nicht im Dunklen hier sitzen.«

»Du bist ein Genie!«

Patrick grinste.

»Weiß ich doch. Außerdem hab ich mit Sebi geschrieben – er holt uns morgen hier ab.«

Manu nickte und griff nach Patricks Hand. Er wusste nicht so recht, ob es ihn stören sollte, dass sein Freund mehr Kontakt mit seinen Brüdern zu haben schien, als er selbst – zumindest mit den Beiden, die er bereits kannte. Andererseits war er halt in den letzte Monaten schon irgendwie zu einem Teil seiner Familie geworden – und hatte so auch Manu seiner Familie wieder mehr angenähert. Seit sie zusammen waren verbrachte Manu viel mehr Wochenenden mit Palle Zuhause und auch seine Brüder akzeptierten ihn mehr. Sie zogen ihn zwar immer noch am laufenden Band auf, aber auch das war mit Patrick an seiner Seite besser zu ertragen – er schaffte es immer entweder, die Situation zu entschärfen, oder Manu zu beruhigen. Und dadurch, dass seine Brüder sich mit Patrick angefreundet hatten und gerne etwas mit ihm unternahmen, wenn er mit zu Besuch war, machte auch Manu selbst natürlich viel mehr mit seinen Brüdern als je zuvor – und langsam hatte er das Gefühl, dass sie durch den regelmäßigen Umgang miteinander sogar ein besseres Gefühl dafür bekamen, mit was sie Manu aufziehen konnten und womit sie ihn wirklich verletzten. Manus Mutter liebte Patrick eh wie einen eigenen Sohn und sogar sein Vater sprach inzwischen mit seinem Freund und schien es zu tolerieren, dass Manu nun mal nicht der sein würde, der ihm Enkelkinder schenkte. Dafür hatten Manu und Palle heimlich Wetten abgeschlossen, wer es dann sein würde, der als erstes Nachwuchs mit nach Hause brachte.

Jetzt in den Sommerferien würde es das erste Mal seit langem sein, dass alle fünf Kinder wieder unter einem Dach waren und auch, wenn der Gedanke Manu ein wenig Respekt machte, freute er sich doch wirklich darauf. Er hatte seine Schwester schon viel zu lange nicht mehr gesehen – und wenn er ganz ehrlich war, hatte er sogar Peter in dessen Auslandsjahr vermisst. Aber das würde er niemals zugeben.

»Warum bist du eigentlich nicht bei Maurice?«

Überrascht sah Manu zu Patrick, zuckte mit den Schultern.

»Was weiß ich? Ihr wart ja auf ein Mal alle verschwunden! Hätte ich ihn gefunden, wäre ich schon bei ihm gewesen.«

Palle lachte leise auf.

»Er ist mit Micha direkt am Ufer unten.«

Manu seufzte theatralisch.

»Okay, ich hab schon verstanden. Ich bin einfach blind und hab euch deswegen nicht gefunden. Alles meine Schuld.«

»Du hast es erfasst.«

Palle grinste und gab Manu kurzerhand einen schnellen Kuss auf die gespielt beleidigte Schnute, die er zog.

»Wir können ja mal zu ihnen schauen.«

Manu nickte und während sie sich auf den Weg machten, fiel ihm auch wieder ein, was er Palle hatte erzählen wollen.

»Dado und ich haben Therapeut gewechselt! Seine Eltern waren jetzt endlich doch einverstanden. Wir hatten beide heute Vormittag die erste Sitzung. Ich wollte es die erst erzählen, wenn ich sicher weiß, dass wir da bleiben. Aber der ist so viel sympathischer als die olle Trulla davor. Und ... ich habe ihm davon erzählt. Er weiß Bescheid, warum ich bei ihm bin und nicht gesprochen habe und immer noch bisschen Schwierigkeiten damit habe und so.«

Stolz sah Manu zu Patrick auf, der kurzerhand stehen blieb und ihn umarmte.

»Wow! Das ist doch toll! Fängst du dann nach den Sommerferien regelmäßig an da?«

»Ja, ein Mal die Woche. Dado auch. Wir haben immer direkt hintereinander und es ist sogar möglich, dass wir beim jeweils anderen dabei sein können, wenn der das will. Die Praxis liegt halt ein bisschen weiter weg, aber das ist es wert.«

Patrick lächelte breit, man konnte ihm förmlich ansehen, wie er sich für seine beiden Freunde freute.

»Und vielleicht würde Dado in den Ferien auch eine Woche zu Besuch kommen, wenn das für dich passt. Aber es gab bisher noch keine Ferien, in denen wir uns gar nicht gesehen haben und ich will nicht, dass er sechs Wochen am Stück bei seinen Eltern bleiben muss. Zwar ist er inzwischen halbwegs stabil, was die Krankheit angeht, hat das recht gut im Griff – aber sechs Wochen können lang sein.«

»Natürlich. Wird halt ziemlich eng bei dir im Zimmer dann. Aber damit kann ich leben.«

Manu lächelte. Zum Glück verstanden sein Partner und sein bester Freund sich so gut – anders wäre auch gar nicht mehr auszudenken. Er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Palle neben ihm auf ein Mal langsamer wurde.

»Wer ist das da, bei Dado und Micha?«

Verwundert sah Manu in Richtung Ufer – um tatsächlich zwei Mädchen bei den Beiden sitzen zu sehen. Es dauerte eine Weile, bis es »klick« machte in seinem Kopf und sofort begann er, auf der Stelle zu hibbeln.

»Die Blonde da ist Stegis Schwester. Die ist ein Jahr unter uns. Dado steht schon seit Anfang des Jahres auf sie.«

»Echt? Überrascht sah Palle zu Manu – der eifrig nickte.

»Sieht gut aus, oder? Sie schaut ihn andauernd an. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?«

Palle grinste bloß.

»Ich weiß es nicht. An sich schon. Wir können ja hin gehen, dann erfahren wir es.«

»Okay.«

Manu versuchte, sich möglichst nichts anmerken zu lassen, als sich zu ihren Freunden gesellten, stellte sich ganz höflich den Mädchen vor, die er nur vom Sehen kannte – doch als Dados und sein Blick sich trafen konnten sie beide nicht anders, als zu grisnen und für einen kurzen Moment hatten sie wieder dieses Dado-und-Manu-gegen-den-Rest-der-Welt-Gefühl. Manu ließ sich neben seinen besten Freund auf die Kiesel fallen. Er was ich sicher, dass dieses Gefühl, diese Verbundenheit, die sie als beste Freunde hatten, ihnen nicht verloren gehen würde. Aber nachdem er Patrick getroffen und nach ewigem Auf und Ab sein Glück mit ihm gefunden hatte – gönnte er es seinem besten Freund wirklich, dass er jetzt die Chance hatte, dieses Mädchen anzusprechen, von dem er schon so lange schwärmte. Zumal Julia, wie Manu aus unzähligen Erzählungen wusste, dass sie hieß, wirklich hübsch war und nach dem, was er jetzt mitbekommen konnte, auch ein nettes, fröhliches Mädchen war. Er lächelte leicht in sich hinein. Vielleicht würde das Dados Glück ja noch abrunden können und das, was nicht so gut lief, zum Guten wandeln – so wie Patrick es für ihn geschafft hatte.


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Ja. Das wars. 

Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ihr zum Abschluss alle noch ein Mal einen fetten Kommentar hinterlassen würdet!

Die Geschichte hat final 84.707 Wörter (ohne Nachwörter etc.) und das war tatsächlich eine gewollte Zahl. Der Grund dafür ist, dass »Daunted and Broken« als meine bisher längste Geschichte genau gleich viele Wörter hat - damit sind die Beiden jetzt gleichauf. Ich hätte niemals gedacht, dass das hier mal so lang werden würde.

Folgt mir als Autor gerne, wenn ihr in Zukunft mehr von meinen Geschichten lesen wollt.

Vielen Dank.


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