74. Mögen
»Patrick, Manu, ihr kommt – woah. Nein. Igitt. Manu! Zieh dir was an, verdammt!«
Verschreckt setzten Beide sich im Bett auf und starrten leicht verwirrt zu dem Jungen, der ohne Vorwarnung auf ein Mal Manus Zimmertür aufgerissen hatte und nun, halb fasziniert, halb angeekelt, seinen kleinen Bruder anstarrte.
»Tobi!«
Manu funkelte seinen älteren Bruder wütend an, der jedoch schien den Schuldigen ganz wo anders zu sehen.
»Was kann ich denn dafür, wenn du hier halbnackt bist? Ey, wehe, ich höre heute Nacht irgendetwas von euch. Dann muss ich dich leider eigenhändig zwingen, draußen im Garten zu schlafen.«
Manu verdrehte die Augen über das übertriebene Entsetzen in Tobis Stimme und zog die Decke über seine nackte Brust, während Patrick zwar leise über das Szenario lachte, gleichzeitig aber Manu, der leicht an dessen, natürlich bekleidete, Brust gelehnt dasaß, einen Kuss auf den Nacken drückte.
»Du bist übrigens ein noch größerer Lauch, als ich dachte.«
»Danke, sehr charmant.«
»Pfff. Nur die Wahrheit. Du bist halt ein untrainiertes Stück Kartoffel.«
Manu griff kurzerhand nach seinem Handyladekabel, das neben dem Bett lag, und warf damit nach seinem Bruder, der kurz empört aufschrie.
»Ich spiele im Gegensatz zu dir vier Mal die Woche Basketball. Das ist echter Sport, nicht nur hirnloses Gewichteschleppen.«
Tobi lachte leise, während Manu sich nun doch tatsächlich aufrappelte und sein T-Shirt vom Boden aufklaubte, um es sich wieder überzuziehen.
»Das glaube ich ja auch erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe.«
»Frag ihn!«
Manu nickte in Patricks Richtung. Der Verräter zuckte jedoch bloß mit den Schultern und begann kackdreist, zu lügen.
»Also, wenn ich ihn mal beim Training sehe, steht er bloß in der Ecke oder rennt vor den Bällen weg.«
»Ey! Du bist so ein Arsch!« Beleidigt boxte Manu seinem Freund gegen den Arm, während der und Tobi bloß lachten.
»Das klingt doch eher nach unserer Heulsuse. Dir glaub ich im Gegensatz zu ihm auch, dass du da hin gehst.«
»Sag Mal, gehts noch?« Manu schnaubte, setzte sich demonstrativ auf das Bettgestell, so dass er das Sichtfeld zwischen Tobi und Palle versperrte.
»Hör auf, mit meinem Freund zu flirten.«
Manu grinste, zugegebenermaßen ein wenig gehässig, während Tobi sofort abwehrend die Hände hob und Palle immer noch nur lachte. Erschrocken schnappte Manu nach Luft, als der ihn auf ein Mal nach hinten zog, so dass er vom Fußteil auf die Matratze fiel. Ohne sich zu wehren kroch Manu wieder weiter nach hinten, wo er sich schließlich wieder im Sitzen gegen Palle lehnen konnte. Der drückte ihm gleich mehrere Küsse auf Hals und Schulter.
Auch ohne diese hätte Manu jedoch gewusst, dass Patrick natürlich trotzdem auf seiner Seite stand, es sich bloß eben nicht nehmen ließ, ihn auch ab und zu ein Mal aufzuziehen. Und eigentlich, auch wenn er manchmal auf beleidigt tat, machte ihm das auch nicht wirklich etwas aus und das wusste Palle auch. Ohne wäre es eben auch nicht das Gleiche gewesen.
»Nee, das wird mir jetzt zu schwul hier.« Tobi stieß scheinbar verächtlich Luft aus, während Manu bloß die Augen verdrehte. Hätte sein Bruder wirklich etwas gegen ihre Beziehung gehabt, hätte er es ihm schon längst gezeigt.
»Du bist hier rein geplatzt!«
»Ja. Und eigentlich wollte ich auch bloß, dass ihr euch fertig macht. Wir gehen heute Abend in die Stadt.«
Manu zog die Augenbrauen hoch.
»Wer ist ›wir‹?«
»Ihr, Sebi und ich. Wir gehen was trinken.«
Jetzt war Manu wirklich verwundert.
»Seit wann wollt ihr denn bitte, dass ich mitkomme, wenn ihr weg geht?«
Tobi lachte bloß.
»Du bleibst eine Pfeife, Kleiner. Aber dein Freund scheint ein vernünftiger Kerl zu sein.«
*
»Du bist dran. Palle.«
Der Braunhaarige sah irritiert auf, schien im ersten Moment wirklich nicht damit gerechnet zu haben, schon wieder an der Reihe zu sein.
Sie waren zu viert in eine Bar in der Stadt gegangen, wo sie ordentlich getrunken hatten. Laut Tobi hatten ihre Eltern dafür sogar noch eine ordentliche Summe gesponsort, schienen den Gedanken, dass ihre Älteren endlich auch ein Mal freiwillig etwas mit ihrem jüngsten Bruder unternahmen, anscheinend wirklich zu mögen. Zwar hatte der am Anfang wirklich das Gefühl gehabt, dass die beiden Älteren eigentlich nur für Patrick da waren, aber das konnte auch einfach am Reiz des Neuen liegen – Palle kannten sie nicht, er war einfach interessanter als ihr kleiner Bruder, den sie seit siebzehn Jahren sehen konnten. So oder so – an Palle kamen sie nicht ohne Manu dran und sobald der gemerkt hatte, dass der Ältere ihn keinesfalls vergaß, sobald er die Aufmerksamkeit der Anderen hatte (natürlich tat er das nicht – und trotzdem war da diese Restunsicherheit), sondern ihn sogar bewusst immer wieder ins Gespräch mit einbezog, bis irgendwann sogar seine Brüder es taten, hatte er sich immer mehr entspannt.
Inzwischen saßen sie bei ihnen Zuhause auf dem Sofa, ihre Eltern schliefen schon lange, und hatten einige mehr oder weniger leere Flaschen Alkohol vor sich auf dem Tisch stehen. Durch einige Trinkspiele, die sie inzwischen schon hinter sich hatten, waren sie alle gut angeheitert und Manu saß inzwischen sogar zwischen Patricks Beinen und mit dem Rücken an ihn gelehnt – so richtig klischeehaft, aber auch verdammt gemütlich.
»Pflicht.«
»Okay, ähm ... Tu so, als würdest du mit Manu Schluss machen, weil du wen anders kennen gelernt hast.«
Überrascht hob Manu die Augenbrauen an. Zu mehr war er irgendwie gerade zu erschöpft-unmotiviert. Vielleicht war es auch doch ein bisschen zu viel Alkohol gewesen. Er merkte gar nicht, wie er sich automatisch näher an seinem Freund festklammerte. Patrick jedoch bemerkte es.
»Ihr seid so mies.« Manu versuchte wirklich, seine Brüder möglichst böse anzustarren. Er spürte, wie Patricks Umarmung irgendwie noch ein bisschen schöner wurde. Vielleicht wurde er ein bisschen mehr an ihn gezogen. Wurde er das?
»Das ist echt scheiße. Ich mache etwas anderes.«
»Drücken geht nicht.«
Patrick seufzte, versuchte irgendwie, die beiden Älteren davon abzubringen und ihnen halbwegs zu verdeutlichen, wie durch Manu gerade zu sein schien.
»Nein. Das ist ihm gegenüber kacke, nicht mir. Es ist ja meine Aufgabe.«
Zumindest Sebastian schien verstanden zu haben, denn er ging darauf ein.
»Okay. Dann etwas anderes.«
Erleichtert nickte Patrick, stimmte zu. Er wollte Manu das wirklich nicht antun, erst recht nicht jetzt, wo er wirklich schon mehr als genug getrunken zu haben schien und nicht in bester Verfassung war.
»Du gibst uns beim nächsten Mal eine Runde aus.«
Palle lachte leise.
»Geht klar.«
»Okay, such wen aus.«
»Ähm ... Sebi.«
Der mittlere der anwesenden Brüder zuckte mit den Schultern.
»Wahrheit.«
Patrick brauchte eine Weile zum Überlegen.
»Hast du ... schon ein Mal einen deiner Geschwister stöhnen hören?«
Ohne lange zu Überlegen nickten gleich beide Brüder. Patrick zog die Augenbrauen hoch, doch Sebastian lachte bloß.
»Ich habe vier Geschwister. Glaubst du wirklich, da schafft man es irgendwie, verschont zu bleiben von so etwas?«
»Was nicht heißen muss, dass wir das gerne wiederholen würden!«, fügte sofort Tobi hinzu. Sebastian bestätigte das nickend.
Ein Blick zu Manu bestätigte Palle, dass dessen ruhige Atemzüge daher rührten, dass er eingeschlafen war. Automatisch musste er lächeln. Er mochte das Gefühl, seinen Freund beim Schlafen im Arm halten zu können. Irgendwie fühlte sich das nach wahnsinnig viel Vertrauen an, das ihm geschenkt wurde. Er beschloss, die Situation zu nutzen, um das Gespräch in eine etwas ernstere Richtung zu lenken. Die Überleitung war passend.
»Ihr findet es nicht schlimm, dass Manuel ... naja, nicht mit einem Mädchen zusammen ist.«
Es war eine Feststellung, keine Frage. Hätten sie etwas dagegen gehabt, würden sie wohl jetzt kaum mit ihm hier sitzen.
»Natürlich nicht. Egal, wie behindert er ist – er ist unser kleiner Bruder.«
»Außerdem hab ich es ihm eh schon immer gesagt. Dass er sich definitiv einen Typen suchen sollte, der ihn ins Bett nimmt, weil er es ja nicht schafft, sich ein Mädchen aufzureißen.«
Palle verdrehte die Augen.
»Vielleicht könnte das der Grund gewesen sein, hm?«
Sebastian lachte leise auf.
»Macht im Nachhinein gesehen Sinn, ja.«
Tobi schien etwas ernster zu sein, als auch er antwortete:
»Ich sag das jetzt nur, weil ich betrunken und gerade sehr emotional bin. Außerdem mag ich dich und freu mich für Manu. Wehe, du erzählst ihm davon. Aber: Egal, was wir machen oder über den Kleinen sagen. Wir haben ihn trotzdem lieb, mehr, als wir jemals zugeben würden.«
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Die Gesichte wurde heute Morgen um 09:00 Uhr nach einer weiteren durchgemachten Nacht zu Ende geschrieben. Freut euch auf Daily Updates bis Samstag.
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