44. Katastrophe
»Hey.« Manus Stimme war ungewohnt dünn, als er Patrick eine nervöse Begrüßung zukommen ließ. Warum war das hier so verdammt sehr anders als die anderen Male, wenn sie sich getroffen hatten?
Zum Glück schien Patrick weniger Probleme mit der Nervosität zu haben, denn er zog Manu kurzerhand in eine schnelle Umarmung.
»Hast du alles? Wir müssen los, wenn wir den Bus kriegen wollen.«
So langsam schaffte auch Manu es wieder, ein Stück geradeaus zu denken – zumindest so weit, dass er es hinbekam, zu nicken, sich seine Tasche zu schnappen und mit einem kurzen Abschied an Dado und einem ermutigenden Lächeln von diesem mit Patrick durch die Tür bis in den Flur und durch das Treppenhaus vors Internat zu verschwinden. Die ersten Meter legten sie noch relativ schweigend zurück – Manu konnte immer noch nicht ganz glauben, dass er hier gerade ein Date hatte. Ein echtes Date. Mit abgeholt werden und Essen gehen und ... allem was er beschlossen hatte, einfach auf sich zukommen zu lassen. Bei dem Gedanken daran schlug sein Herz sofort schneller.
An der Bushaltestelle mussten sie noch ein bisschen warten und Manu konnte gar nicht sagen, wie viel es ihm bedeutete, dass Patrick sich einfach wortlos lächelnd neben ihn auf die Bank des Bushäuschens setzte, sein Handrücken leicht Manus Oberschenkel berührend. Und dabei schien es ihm auch egal zu sein, dass hier noch andere Schüler rumlungerten. Zwar waren die allesamt zwei oder drei Stufen unter ihnen – aber trotzdem Grund genug für Manu, nervös zu sein.
Zwar glaubte Manu, dass Palle bemerkte, wie groß seine Angst doch war, für das, was er war – schwul – verurteilt zu werden und doch sprach er ihn noch eine ganze Weile nicht darauf an. Erst als sie im Restaurant saßen – wie versprochen ein relativ großer, aber gemütlicher Italiener - Patrick Manu gegenüber und ihn immer wieder intensiv musternd, kam er erneut darauf zu sprechen:
»Manuel? Hast du ... Angst davor, dich zu outen?«
Nervös betrachtete Manu bloß seine Hände, die einander nervös kneteten und versuchte, sich seine Gefühlslage nicht anmerken zu lassen. Natürlich aber bemerkte Palle es trotzdem und ehe er sich versehen hatte war da auf ein Mal Patricks Hand, die fast schon zaghaft nach seiner Griff und ihre Finger miteinander verschränkte. Patrick wartete geduldig, bis Manu endlich eine Formulierung fand, die ihm nicht ganz komisch erschien:
»Ja, schon ... gewissermaßen. Ich hab einfach ... ich will mir nicht andauernd irgendwelche homophoben Sprüche anhören müssen. Darüber dass ich ...«, er kniff kurz die Augen zusammen, atmete tief durch. Er hasste es, an diesen Teil der Zeit vor den Sommerferien zurückdenken zu müssen. All die Beleidigungen und anzüglichen Kommentare – er hatte es gehasst. Und trotzdem: Er wollte, dass Patrick verstand. »... dass ich ein Sch- Schwanzlutscher wäre und ihnen ja ruhig mal ...«, er brach ab, wollte es einfach nicht aussprechen. Den Rest konnte Palle sich ja wohl denken. »Oder dass ich ... eine Hure wäre, die ...«, er musste sich wirklich bemühen, seine alten Tränen zurückzuhalten. Auf ein Mal war da Patrick neben ihm, der ihn in den Arm nahm und da war. »Pscht. Du musst das nicht, Manuel.«
Doch Manu wollte. Er wollte, dass Patrick es erfuhr und verstehen konnte, warum er war, wie er war und reagierte, wie er reagierte. Und gerade war es ihm egal, dass sie mitten in der Öffentlichkeit waren und er hiermit wahrscheinlich gerade ihr Date ruinierte. Und selbst wenn Patrick ihn danach einfach hier hätte sitzen lassen und gegangen wäre – gerade war er hier, für Manu da.
»Eine Hure, die sich von jedem in den Arsch ...«, seine Stimme war immer leiser geworden und jetzt konnte er wirklich beim besten Willen nicht mehr weitersprechen. Stattdessen schluchzte er bloß leise auf und fand Zuflucht in Patricks Armen. Gerade merkte er so stark wie nie zuvor, dass über ein Jahr Beleidigungen und Ausgrenzungen eben doch nicht spurlos an ihm vorbeigegangen waren.
Sie blieben einfach nur so sitzen und selbst als die Bedienung kam und ihre Bestellungen aufnahm, orderte Palle einfach für Manu mit, sodass dieser sich wirklich einfach fallen lassen konnte – und so mit jeder Sekunde ruhiger wurde. Als er sich wieder von Palle löste wusste er, dass er wahrscheinlich schecklich aussah, verheult und knallrot im Gesicht. Palle jedoch lächelte ihn bloß lieb an.
»Tut mir leid. Ich hab das ... das Date versaut.«
Palle jedoch winkte bloß ab.
»Nein. Quatsch. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn ... keine Ahnung, du mich brauchst oder so.«
Manu nickte dankbar und war fast schon ein wenig zu enttäuscht, als Patrick wieder aufstand und sich erneut ihm gegenüber an den Tisch setzte, gerade rechtzeitig, bevor ihre Getränke kamen. Palle hatte ihm eine Spezi bestellt und nachdem sie angestoßen und jeder ein paar Schlucke getrunken hatte, nahm Palle vorsichtig Manus Hand. Dieser ließ es geschehen.
»Ich werde alles tun, damit das nicht mehr passiert. Versprochen. Und ich glaube auch nicht, dass die Anderen heute noch so etwas zu dir sagen würden. Damit beleidigen sie nicht nur dich, sondern auch Stegi, Tim und mich. Sie haben etwas gesucht, um dich zu verletzen und deine Sexualität – oder zumindest die, die sie dir angedichtet haben, schließlich wissen sie es ja gar nicht – war ein geeignetes Ziel. Nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen. Nichts von dem, was du eben gesagt hast entspricht der Wahrheit. Wenn sie dich ›Hure‹ genannt haben, dann nur, um dich zu verletzen und nicht, weil irgendetwas davon der Wahrheit entspricht.«
Manu atmete tief durch – wischte sich ein letztes Mal mit dem Ärmel über die hoffentlich nicht allzu verheulten Augen – und nickte. Er würde sich von den schon so lange vergangenen Kommentaren der Anderen nicht den heutigen Abend versauen lassen. Er wollte das hier genießen.
Und zurück blieb bloß die leise, stechende Ungewissheit, wie es die nächsten Wochen weiter gehen würde. Ob Manu das, was er wollte, wirklich schaffen würde - Patrick vertrauen, sich darauf einlassen und zu seiner Sexualität stehen. Diese ewig kreisenden Gedanken - verdrängt in den hintersten Winkel seines Bewusstseins.
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Ein Kapitel von irgendwo auf der Autobahn, hochgeladen über Hotspot von meinem Handy, in einer Minute wo ich ausnahmsweise mal Internet habe!
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