15. Steg

(Ignorieren wir einfach mal, dass Manu am Ende des letzten Kapitels gesprochen hat - das ist nie passiert!)

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Die Woche war quälend langsam vergangen und so wunderte es Manu schon fast, dass es erst Samstag war.

Manu saß auf dem Steg neben dem kleinen Stelzenhäuschen, das zum Internat gehörte. Der See war nur wenige hundert Meter vom Internat entfernt und im Sommer wurden hier in der Freizeit von einem der Erzieher manchmal sogar Kanustunden angeboten. Jetzt im Herbst jedoch war es ein beliebter Rückzugsort für die Raucher, verborgen durch ein paar Büsche, mit einer kleinen Bank, auf die man sich setzen konnte - oder für einsame Seelen wie ihn, die einfach nur ihre Ruhe wollten.

Manu hatte mal wieder das Mittagessen ausfallen lassen - er war sich zwar sicher, dass das bereits aufgefallen war, besonders jetzt, wenn sie nur so wenige Schüler waren - aber sagen würde eh niemand etwas. Und wenn doch, dann nur wegen Dado und weil man Angst hatte, dass gerade er als sein bester Freund ähnlich enden würde und man dann endgültig die Schule dafür verantwortlich machen würde.

Manu hatte Kopfhörer in den Ohren und musterte bloß abwesend seine zum Schneidersitz verknoteten Beine und das Wasser, das man durch die Ritzen des Stegs hindurch sich bewegen sah. Er hatte Kopfhörer in den Ohren, deswegen hörte er nicht, als sich eine Gruppe von Schülern näherte, bemerkte sie erst, als sie schon auf dem Steg standen - und ihm damit seine einzige Fluchtmöglichkeit abschnitten.

Patrick und die Anderen waren mit Sicherheit gekommen, um eine zu rauchen, doch nun, da sie ihn hier so unverhofft gefunden hatten, schienen sie ihren Plan zu ändern.

»Na, wen haben wir denn hier. Die kleine Misset.«

Sebastian lachte auf und die Anderen stimmten mit ein. Patrick hatte ein so breites Grinsen im Gesicht, dass Mau böses ahnte.

Er zog sich seine Kopfhörer aus den Ohren und rappelte sich vorsichtig vom Boden auf, versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Die Anderen blieben etwas zurück, Tim steckte sogar tatsächlich gerade Stegi und sich selbst eine Zigarette an, bloß Patrick und ein wenig hinter ihm Sebastian waren näher auf Manu zugekommen. Der Größere lachte leise auf, als er auf den Kleineren direkt vor sich heruntersah. Manu musste sich beherrschen, nicht zurückzuweichen - das würde ihn nur noch achwächer aussehen lassen, als eh schon und helfen würde es nichts - schließlich war er auf einem Steg. Sackgasse.

Patricks Gesichtsausdruck wurde auf ein Mal härter und ohne ein bisschen Gefühl in der Stimme hielt er seine Hand auf: »Handy her.«

Erschrocken hielt Manu die Luft an, trat nun doch einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf. Das Handy in seinee Hosentasche umklammerte er fest mit seiner Hand.

Patrick jedoch blieb ruhig.

»Handy her.«

Als Manu immernoch nicht reagierte, stand er auf ein Mal dicht vor ihm, Manu mit einer Hand am Pulli dicht an sich gezogen, sodass er nun bedrohlich viel größer wirkte. Sofort war Manu extrem unwohl - er hasste menschliche Nähe einfach so verdammt sehr.

»Ich sag es nicht noch ein Mal: Handy her.«

Manu musste sich zwingen, langsam sein Handy aus der Hosentasche zu ziehen, das Handy darin, und es vorsichtig Patrick hinzuhalten.

Er wollte das nicht, er brauchte sein Handy! Sie konnten es ihm doch nicht einfach abziehen! Aber seine Angst war zu groß, um jetzt nicht nachzugeben. Zu gut kannte er den Schmerz, den Patrick fähig war, ihm anzutun. Wäre Dado noch in der Klinik gewesen, hätte er wahrscheinlich nicht so leicht nachgegeben - sein Handy war seine einzige Möglichkeit, mit ihm zu kommunizieren - aber der war Freitag Früh entlassen worden und würde am Montag zurück im Internat sein.

Patrick riss ihm das Handy mehr aus der Hand, als er es nahm und steckte es ohne zu zögern in seine eigene Hosentasche.

»Hast du sonst was da? Geldbeutel?«

Wie hypnotisiert schüttelte Manu den Kopf. Das konnte Patrick doch nicht wirklich durchziehen?

»Kopfhörer her.«

Dieses Mal zögerte Manu nicht lange - ohne Handy konnte er mit denen eh nicht viel anfangen und sonderlich teuer waren sie auch nicht gewesen. Wie sollte er seinen Eltern das mit seinem Handy erklären?

Erschrocken wimmerte Manu auf, als er spürte, wie Patrick grob an seine Hüfte griff und seine Hosentaschen absuchte. Täuschte er sich, oder wurden dessen Berührungen wirklich ein wenig sanfter, nachdem er bemerkte, wie sehr er den Jüngeren damit zum Zittern brachte?

Wortlos zog Patrick auch Manus Schlüssel aus seiner Jackentasche und steckte sie selbst ein, schien dann kurz inne zu halten und zu zögern.

Noch ehe Manu aber irgendwie reagieren konnte, hatte Patrick ihn endlich wieder losgelassen und ein Stück von sich gestoßen. Manu dachte eigentlich, es wöre vorbei, doch Manu trat ihm nach, gab ihm erneut einen Stoß, wieder stolperte Manu zurück - und trat auf ein Mal ins Leere. Erschrocken schrie er auf und konnte nur noch hören, wie Patrick und die Anderen lachten - bevor er im eiskalten Wasser landete.

Für einen Moment war Manu wie erstarrt, das Wasser ließ seine Glieder sofort kalt und träge werden und so dauerte es einige Sekunden, bis er schließlich schwer strampelnd wieder durch die Wasseroberfläche brach.

Prustend und keuchend schwamm er zurück zum Steg, wo er es erst auf den zweiten Versuch schaffte, sich an der Leiter festzuhalten und hochzuhiefen - und schließlich regungslos und innerlich wie gelähmt auf dem Steg zu stehen kam.

Während die Luft seine kalten Klamotten nur noch eisiger machte und das Wasser schwer dran zog, stand er schlotternd da, begriff immer noch nicht ganz, was eigentlich geschehen war - und sah gerade noch, wie die Jungs überübezwischen den Weg zwischen den Büschen in Richtung des Schulgeländes verschwanden.

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An Palle:

Kannst du dich noch daran erinnern, was passiert ist, als du betrunken warst? Wenn ja, wieso bist du noch so zu Manu?

»Ja. Ich kann mich noch relativ gut daran erinnern. Aber ich kann ihn nicht (nur) wegen seiner Homophobie nicht leiden. Also werden wir trotzdem mit Sicherheit keine besten Freunde auf ein Mal sein!«

An Manu:

Glaubst du, es könnte sich ein wenig mit Palle verbessern?

»Nein. Hat man ja gesehen.«

Wie stehst du zu deinen Eltern oder allgemein zu dem Rest deiner Familie? (Abgesehen von deinen Brüdern)

»Ganz gut. Ich bin froh, dass meine Eltern mich aufs Internat gelassen haben, auch wenn sie erst dagegen gewesen sind. Ich glaube, ich habe ein besseres Verhältnis zu ihnen, als meine Brüder - fünf Kinder ist eben schwierig. und als Jüngster ...«

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Autsch. Palle ist ein Arsch.

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