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Immer wieder dachte Yamada über die Worte nach, die der Undergroundhero von sich gegeben hatte. Hatte er wirklich diesen Eindruck? Dass Hizashi in Wahrheit der Gefühlskalte der beiden war? Dieser Gedanke beschäftigte ihn so sehr, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass er zurück zum Schulgebäude gestapft war. Erst als er unbeabsichtigt in Midnight lief, tauchte er aus seinem Gedankensumpf auf.

Obwohl Kayama vor hatte, mit dem Blondschopf, der nicht auf seinen Weg geachtet hatte, zu schimpfen, wich ihre wütende Miene doch relativ rasch einer besorgten. So abwesend hatte sie Yamada eigentlich erst sehr selten erlebt und es hatte nie etwas Gutes zu bedeuten. Da sie das Gefühl hatte, dass vielleicht etwas dahinter stecken könnte, dass man nicht auf offenen Fluren besprechen sollte, packte sie den Abwesendwirkenden am Arm und zog ihn hinter sich her, um einen leeren Raum zu finden.

Erst nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen und sich mit verschränkten Armen vor dem Voicehero aufgebaut hatte, schien er sie wahrzunehmen. „Bitte sag mir, dass du nur tief in deinen Gedanken bist und nicht von irgendetwas high, was dir einer deiner Studioangestellten mal wieder zugesteckt hat", wollte Nemuri in Erfahrung bringen und sah den anderen weiterhin streng an.

Grummelnd legte Hizashi den Kopf schief. „Das ist genau einmal passiert!" Seither aß er auch keine mitgebrachten Backwerke mehr im Studio. Man konnte ja nie wissen. Außerdem war es unfair, ihm etwas vorzuhalten, was Jahre her war. „Ich habe nur über einiges nachgedacht", erklärte er ihr.

„Ouwh, hat jemand seine blonden Zellen zu sehr angestrengt, weswegen es zum Kurzschluss kam?", scherzte Kayama, während sie näher herantrat und Yamada in beide Wangen kniff und ein Gesicht dabei zog, als würde sie mit einem Baby sprechen.

Sofort hoch Hizashi beide Arme, um ihre Hände wegzuschlagen. „Lass das!" Er hatte gerade keinen Nerv dafür.

„Ach, wieso so empfindlich?" Für gewöhnlich war es dem Blonden doch vollkommen egal, wenn man solche Dinge sagte, weil sie beide wussten, dass Yamada schlauer war als andere annahmen. Nun war er jedoch ungewöhnlich empfindlich.

Wütend blähten sich Hizashis Nasenflügel, während er Nemuri einen vernichtenden Blick zuwarf. „Wenn du mich nur ärgern willst, dann ...", grummelnd brach er ab, und vergrub sein Gesicht in seinen Handflächen. War das nicht gerade eben haargenau dieselbe Situation, wie er sie zuvor mit Shota hatte? Nur eben umgekehrt? Kein Wunder, dass der Dunkelhaarige so ausfällig geworden war, dieses Verhalten war wirklich nervig. Allerdings erklärte es nicht die Worte, die er ihm an den Kopf geworfen hatte.

Abwartend, ob noch mehr Worte von dem verzweifelt wirkenden Blondschopf kommen würden, sah Kayama ihn an und versuchte nicht weiter auf ihm herumzuhacken. Im Gegensatz zu dem anderen wusste sie schließlich wann es besser war, einfach die Klappe zu halten.

Immer wieder tief Luftholend und langgezogen Ausatmend versuchte Yamada sich zu beruhigen und wieder zu sammeln. „Was hast du von gestern mitbekommen?", wollte er zuerst in Erfahrung bringen. Langsam ließ er seine Arme wieder sinken, während er Nemuri musterte, die nur den Kopf schüttelte und mit den Schultern zuckte. Da sie gestern Abend nicht im Wohnheim gewesen war, wusste sie natürlich nichts. Also musste Hizashi die Geschichte von vorne erzählen. „Ein paar Schülerinnen aus Erasers Klasse haben gestern mit Eri Valentinskram gebastelt und ihr die Traditionen erklärt. Irgendwie ist sie dann auf die Idee gekommen, dass Aizawa wohl in mich verknallt sein könnte. Du weißt ja. Was sich liebt das neckt sich, und so Kram", erklärte er und gestikulierte dabei sehr viel mit seinen Händen, „als unsre Kleine ihm also Schokolade und ne Karte überreicht hat, damit er die mir schenken kann – weil sie meinte er braucht nen Schubs und so – hab ich nen Lachflash bekommen. Ich meine ... es klang so absurd und lächerlich!"

„Fand Shota das auch absurd und lächerlich?", hackte Nemuri nach, als Hizashi kurz verstummt war.

Kopfschüttelnd verzog er seine Miene. „Nope ... er ist einfach abgerauscht und ist die gesamte Nacht nicht heimgekommen. Eri dachte, er wäre sauer auf sie. Als ich dann nach seiner Klassenlehrerstunde vorhin mit ihm reden wollte, ist er einfach durchs Fenster abgehauen, obwohl seine Schülerinnen von gestern bei ihm gestanden und mit ihm geredet hatten." Es war eine vollkommen unlogische Reaktion gewesen, einfach durchs Fenster zu flüchten. Vollkommen untypisch für Shota. „Ashido hat mir vorgeworfen, sein Herz gebrochen zu haben. Und Asui meint ich bräuchte ne dickere Brille!", fuhr er fort und berichtete von dieser Unverschämtheit. Noch immer ärgerte er sich ein wenig über diese Aussagen.

Auch wenn Nemuri bisher aufmerksam zugehört hatte, spitzte sie nun so richtig die Ohren. „Hast du jetzt schon mit Shota gesprochen?", wollte sie neugierig wissen. Falls er es noch nicht getan hatte, würde sie es wohl oder übel übernehmen. Schließlich wollte sie nun unbedingt wissen, wie es weiterging. Diese Story klang zwar anfangs nach einer amüsanten Sache, doch nun wurde es doch sehr spannend. Vor allem interessierte sie Aizawas Sicht der Dinge. Einfach abzuhauen, und das gleich zweimal, passte nicht zu ihm. Normalerweise schwieg er einfach nur und saß solche dummen Bemerkungen einfach aus, wenn er nicht sogar selbst noch einen draufsetzte.

„Habe ich ...", seufzte Hizashi, ehe er sich auf dem nächstgelegenen Tisch niederließ und damit begann seinen Nasenrücken zu massieren, „er meinte es wäre witzig, dass ihm alle vorwerfen der Gefühlskalte zu sein, wo doch scheinbar eindeutig ich es bin, weil ich niemals weine. Und das meine Reaktion gestern ihm zeigt, dass er damals die richtige Entscheidung getroffen hatte. Was auch immer das bedeuten mag!" Genervt warf Yamada beide Arme kurz in die Luft und gab einen genervten Laut von sich. So kryptisch drückte Aizawa sich sonst niemals aus, wieso musste er gerade heute damit anfangen?

Nachdenklich hatte Nemuri eine Hand an ihr Kinn gelegt, während sie zugehört hatte. Nun lag allerdings ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen. „Das bedeutet, dass du verkackt hast, mein Lieber!" Und zwar so richtig. Wenn Kayama das alles richtig verstand und sich zusammenreimte, dann war ihr kleiner Sho seit ihrer Teenie-Tage in Hizashi verknallt, aber sein unreifer Umgang mit Gefühlen hatte Aizawa dazu veranlasst, sein Herz gegenüber Yamada niemals zu öffnen. Da der Blondschopf sie nun verständnislos ansah, seufzte sie. „Er ist, oder war zumindest, in dich verliebt, du Idiot! Du brauchst echt ne dickere Brille!", schimpfte sie mit, „du hast mir doch selbst damals erzählt, dass du nicht verstehst, wieso Shota nichts mehr mit dir zu tun haben wollte, als wir noch jünger waren. Jetzt hast du die Antwort: Deine dämliche Art, alles ständig ins Lächerliche zu ziehen, hat ihn abgeschreckt!" So einfach war das. Vermutlich war Shota deswegen auch so schnell nach seinem Abschluss abgehauen. Damit er es sich nicht noch einmal anders überlegen konnte. Dieses Rätsel war also gelöst.

„Oh fuck", murmelte Yamada leise und schlang seine Arme um seinen Oberkörper. Irgendwie hatte er doch noch gehofft, dass sich Shota nur einen Scherz mit ihm erlaubte. Doch das klang mittlerweile alles viel zu ernst dafür. „Und jetzt?"

Sofort stemmte Nemuri die Arme in die Hüfte. War diese Frage sein ernst? „Du musst dich entschuldigen und dir was verdammt Gutes einfallen lassen, um das wieder hin zu biegen!" Wie er das machen könnte, wusste Kayama selbst nicht, aber er musste sich auf jeden Fall ins Zeug legen. „Du liegst mir immer nach ein paar Gläsern in den Ohren, dass du glaubst, dass du was für Shota empfindest! Ich verstehe auch überhaupt nicht, wieso du dann so reagieren konntest gestern! Das ist echt unglaublich", machte sie ihrem Ärger Luft.

Schuldbewusst zuckte Hizashi zusammen und wandte sich leicht verlegen ab. Diese Abende, an denen er viel zu viel trank und der Alkohol seine Zunge löste, versuchte er nur zu gerne zu verdrängen. Kein Wunder, dass er nicht daran gedacht hatte. Aber er war gestern zu nervös gewesen, als er Eris Worte gehört hatte, dass er sofort mit einem Lachen reagiert hatte. Schließlich wollte er auch nicht gleich von Aizawa selbst hören, wie dämlich diese Vorstellung war, dass er in Yamada verliebt sein könnte. Es war reiner Selbstschutz gewesen. Er wusste jedoch, dass diese Ausrede keine Gültigkeit hatte, weil er dadurch nur jemanden verletzt hatte.

„Es ist immer noch Valentinstag, Zashi. Leg deine Maske ab und versuch endlich zu deinen Gefühlen zu stehen. Ohne Alkohol", bat Kayama den Blonden. Sie war näher herangetreten und hatte ihre Hände auf seine Schultern gelegt. „Ich weiß, dass du immer versuchst der Starke zu sein, weil du es als Kind mit deiner Macke nicht leicht hattest, aber Shota ist es wert, Schwäche zu zeigen!" Immerhin passten die beiden doch, trotz ihrer Gegensätze, ziemlich gut zusammen, da sie sich gut ergänzen konnten.

Es war noch nicht zu spät. Hizashi musste nur über seinen Schatten springen.

Doch wie?

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