Todsünden bei Metrik und Rhythmus

Ich bin bereits zumindest fast ihrer aller schuldig, aber ich will euch wenigstens warnen. Denn vielleicht ist nicht der Gedichtkörper tot, aber auch tote Zellen schaden dem Ganzen.

0) Ignorieren. Auch in normalen Texten sollte der Lesefluss nicht unkontrolliert entschleunigt werden.

1) Daktylische Wörter als männliche Kadenz: "Stachelig" auf "er schlich" zu reimen, ist falsch. Denn "ig", auch als "ich" ausgesprochen, ist völlig unbetont. "lächerlich" ist aber harmloser, geht eigentlich. "Stachelige" ist aber wieder Trochäus. Gemein, aber einfach wahr.

2) Einsilbige Prädikate, schlimmer noch wenn sie konsonantenreich sind, nicht als betonte Silben: Bleibt Paul zu Hause? Nein, einfach nein. Es lässt sich zu schlecht schnell sprechen, um unbetont zu sein.

3a) Gleiche Silben immer gleich verwenden: "ein hässlicher Vogel" ist ganz anders als "ein lächerlicher Vogel"; nur im Letzteren ist "lich" betont.

3b) Verkennung der Wirkung von Vorsilben, die einiges ändern können

4) Das gleiche Wort unterschiedlich betonen. Besonders schlimm ist das, wenn kurz hintereinander: "Es ist am Mittag meistens hell,/ die Sonn ist ziemlich grell" ist auch nicht so schön.

5) Drei unbetonte Silben hintereinander in einer Stelle, die beruhigen und harmonisieren soll:

"Ein beruhigenderes Lied,/ als eines von dem Krieg" ist grausam. Wobei aber für viele Apostrophe und Inversionen(1) Ähnliches gilt. (Ellipsen(2) können sogar hilfreich sein.)

6) Der Glaube, jedes Wort passe in jedes Metrum: "aufbauen" ist in dieser ungebeugten Form in Jambus oder Trochäus schlicht unbrauchbar, ebenso wie "Lebertran" in den anderen Metren grenzwertig ist. Da darf man sich aber, finde ich, etwas mehr erlauben.

7): Diese Sünde ist so schrecklich, dass "Suchen" meiner Meinung nach ordentlich Qualität ihretwegen verliert: "es" ist wirklich nicht für eine Betonung geeignet. (Von der Positionsbetonung bei drei unbetonten Silben mal abgesehen.)

Sicher hab ich welche vergessen; das war jetzt eher spontan und um geringfügig aufzulockern.

1) Inversion: Veränderung der eigentlich korrekten Wortstellung, z. B. "Kinder wir sind"
2) Ellipse: ein Wort oder Satzteil wird ausgelassen: "Er geht den kurzen Weg, sie den schönen"


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