Einfach zu dichten...
Angenommen, ihr wolltet eine Süßspeise zubereiten. Ich habe davon nicht die geringste Ahnung, aber von Gedichten - und ich rate einfach mal, dass dies doch vielleicht irgendwie analog funktionieren könnte. Wenn nicht, dann lacht, leise oder laut - idealerweise nur über den Vergleich, und den Inhalt nehmt ihr trotzdem noch für voll. Nun wollt ihr, dass es gut schmecke. Ihr habt die Möglichkeit, beliebig viel Zucker hinzuzufügen, das ist einfach und schmeckt erprobtermaßen süß. Und ihr wollt ja einen guten, einen besonderen Pudding, Kuchen oder was weiß ich machen. Aber: Ist es ein besonderer Pudding, wenn man extrem einfache Zutaten schmeckt, und dieser ohne authentisches Merkmal nur nach Zucker schmeckt? Ich glaube, nicht. Ist es ein guter Pudding, wenn man keinen Zucker verwendet, möglichst noch ein guter Kuchen ohne Zucker? (Man ignoriere die gesundheitlichen Aspekte.) Aber was ist Zucker im Gedicht? Das muss ich erst einmal versuchen zu umreißen. Was ich nämlich meine, sind schlichte Stellen. Die zu schreiben definitiv keine Kunst ist. Was einem sehr schnell zu den Ohren oder Augen herauskommt: Reime von nicht, Licht, bricht, an, Bann, Seele, Kehle... Oder einfach alles, was schlicht und wenig innovativ ist:
Da bist du, mein Licht,
Die Sonne im Gesicht.
Ich steh in deinem Bann,
fang dich zu küssen an.
Vielleicht merkt ihr selbst, dass das gerade einfach nur generisch von mir als Beispiel erzeugt war. Schlagertexte sind auch klassisch zuckrig.
Ein zweiter Impuls: Johan Cruyff, der große Fußball-Papst, hat mal gesagt: "Einfach zu spielen, ist immer am schwierigsten." Im Fußball hat er Recht. Wäre er Dichter, hätte ich dem so nicht zugestimmt - nicht ohne Relativierung. Ein paar (unrühmliche) Beispiele - ich hoffe, ich darf zitieren:
In meiner Hand ein Bild von dir
Entfacht das Feuer tief in mir
Volle Kraft voraus, die Zeit zerbricht
Volle Kraft voraus, im letzten Licht
Durch jede Mauer, die uns trennt
Solang noch Feuer in uns brennt
Volle Kraft voraus
"Wir beide schaun uns an
Ein Herz und eine Seele
Ziehst mich in deinen Bann
Wir schreiens aus einer Kehle
Vor uns liegt ein weiter Weg
Ist nur einer von so vielen
Egal ob früh ob spät
Lass uns mit dem Feuer spielen"
"Ich seh dich an und mir ist schlecht
Überall das dralle Fleisch
Ich schau dir tiefer ins Geschlecht
Und meine Knie werden weich"
"Es ist ein Ort der Trauer
und sorgt für manchen Schauer.
[...]Wir bleiben hier auf Dauer.
Dann sind wir alle tot,
erlagen einer Not.
Es gilt des Tods Gebot,
dass Nichts wird unser Brot."
(Eisbrecher - Volle Kraft voraus; In Extremo - Feuertaufe; Rammstein - S*x; truber27 - Friedhof)
Das waren allesamt eher unrühmliche Beispiele, weil diese größtenteils nicht gerade innovativ waren in der Wortwahl. Metaphorisch gibt es auch nicht so viel her. Da hat man den Zucker (oder, wenn man so will, das Salz) des Einfachen einfach überdosiert. Man kann etwas Vernünftiges aufbauen nur asu schweren Metaphern (schwer und schwierig), die dicht vernetzt, verschachtelt und verarbeitet sind. Ist wunderbar. Aber mal abgesehen davon, dass Zucker schon lecker schmecken kann, kann er auch rein, kann er dies auch insbesondere etwa als, sagen wir, Hagelzucker. Und kein Kuchen der Welt hat so eine schön krümelige ("fluffig" laut MaiLab, da merkt ihr, wie viel Ahnung ich habe xD) Konistenz ohne Zucker.
Aber oft braucht man auch Zucker. Dabei gibt es drei Möglichkeiten, die sich nicht nur ausschließen: Man kann alles verrühren, von mir aus auch Marmorkuchen-like, man kann entwickeln und einem Kuchenstück nur Mandarinen geben, dem zweiten schon ein paar Kirschen, dem dritten noch mehr, oder mit noch fließenderen Grenzen. Beispiele für das Verrührte erübrigen sich dabei ein bisschen, da man ja wirklich alles verrühren kann. Wenn in einem Gedicht der Stil konstant bleibt, ist das verrührt - in den dem Gedichte eigenen Verhältnissen.
Und noch einmal ein Beispiel von eben:
"Es ist ein Ort der Trauer
und sorgt für manchen Schauer.
Zerfleischt vom Todeshauer,
wir bleiben hier auf Dauer.
Dann sind wir alle tot,
erlagen einer Not.
Es gilt des Tods Gebot,
dass Nichts wird unser Brot."
Hier habe ich einen weichen Rahmen gesetzt. Mein Gedicht über den Friedhof sollte ruhig und fast verzagt beginnen, nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Unabhängig davon, ob die konkrete Idee und/oder Umsetzung gut waren, ist das ein brauchbares Prinzip.
Man kann aber auch kontrastieren, eine mehrstöckige Torte machen, oder in eine Hälfte nur Mandarinen, und die zweite nur Kirschen. Kontraste sind sowieso interessant, da man diese auf unterschiedlichste Art herstellen kann, metrisch, klangfarblich, von Dichte, Niveau, Verslänge, etc her... Vielleicht gibt das auch noch mal ein eigenes Kapitel. Besonders coole Kontraste sind bekanntlich die aus etwa Mürbegebäck oder Terrassengebäck zu Weihnachten (man führe die Liste beliebig fort), und Hagelzucker oder buntem Zucker, oder auch Zitronenguss. So ganz klar muss ja auch nicht immer sein, ob das nicht auch Entwicklungen sind. Beispiele gefällig? Ich werde vor allem eigene nehmen, weil diese einfacher zu finden sind im Gedächtnis.
"White - a bright light"... (Sabaton - To hell and back; Kontrast zum harten Krieg, ich habe gerade nicht ganz drauf, wofür das Licht steht)
"Die Seel und Herz wolln fliehen,
doch Geistes Flucht dem Leib ist Halt.
Von allem nichts gediehen,
ich leide Hunger und Gewalt.
Die Sonnmusik am Himmelszelt,
von jenem Sonnenboten.
Damit auf mich nicht Sonne fällt,
ist Leibs Flucht nun gebo[ten]
Feuer! Feuer!
Hass!
Rot! Blut!
Beiß
in Leid.
In das neu entbrannte Leid." (truber27 - Tagebuch; Kontrast von nachdenklicher Stille und dramatischen Bombenangriffen)
"Nicht einer wollte je mehr noch
ihn wieder integrieren.
So sprang aus seiner Seele Loch
der Trieb, zu marodieren.
Im Hasses- statt im Liebeswahn
geht er auf allen Steinen.
Sein Fingerkuppe Sägezahn,
sein Zwiebelwund lässt weinen.[...]
Ich frage ihn: "Was tust du dann,
du effektiver Mördermann?
'Könn all nicht lebend bleiben?'
Er konnte nur mehr schweigen. (truber27, "Der Tod", Pointe. Pointen gehen oft auch sehr scgön zweiversig, siehe "Formalia im Gedicht")
Man kann natürlich auch beliebig kombinieren, falls ich das noch nicht hinreichend betont haben sollte.
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