Kapitel 39: Farley
Noch nie habe ich solche Kopfschmerzen verspürt. Ein stetiges, nicht zu stoppendes Pochen an meiner Schläfe lässt mich paralysiert an der kalten Wand lehnen.
Ich weiß nicht, warum ich hier bin, ich weiß nicht, warum sich all meine Glieder wie Stein anfühlen. Das einzige, was ich weiß, ist, dass es für den Moment besser ist, in der Dunkelheit zu verbleiben, die mich umhüllt. Und mich, anstatt mich auf die zermürbenden Kopfschmerzen zu konzentrieren, dem stetigem Klopfen, welches durch die Dunkelheit dringt, zu widmen. Was ist das Klopfen überhaupt? Regen?
Mir ist kalt. Und obwohl etwas tief in mir sagt, dass ich mich nicht bewegen sollte, fange ich an, unfreiwillig zu zittern. Mit jedem Zucken meiner Muskeln intensiviert sich der Schmerz meines Kopfes, doch so sehr ich mich zurückhalten will, durchdringt die eisige Kälte meinen Körper.
Plötzlich höre ich neben dem monotonen Klopfen einen dumpfen Aufprall und spüre etwas schweres auf mir. Ich überlege kurz, was es sein könnte, bis ich kratzigen Stoff an meinem Arm spüre und realisiere, dass es eine Decke sein muss. Eigentlich hätte mir wärmer werden sollen, doch die eisige Kälte verlässt mich nicht und ich zittere noch stärker.
"Es ist noch zu früh um abzukratzen. Jetzt reiß dich mal endlich zusammmen", durchdringt eine tiefe, bedrohliche Stimme die Dunkelheit um mich herum und übertönt alles andere in mir.
"Mach die Augen auf", befiehlt die Stimme.
Gerade als ich meine Lider heben will, sagt mir meine Intuition, dass ich noch nicht bereit bin, das zu akzeptieren, was ich sehen werde. Deswegen kneife ich meine Augen fest zusammen und schüttele meinen Kopf, obwohl mein Körper schon bei dieser kleinen Bewegung stark protestiert.
"Ich hab gesagt, du sollst die Augen aufmachen!", brüllt die Stimme und ohne Vorwarnung schlägt mir eine große, offene Hand mitten ins Gesicht. Mit einem lauten Aufprall schlägt mein Kopf gegen die kalte Wand und ich schreie vor Schmerz auf. Mein ganzer Körper scheint zu explodieren vor Schmerz und ich reiße meine Augen ruckartig auf. Die plötzliche Helligkeit zusammen mit dem allumfassenden Schmerz lässt meinen Magen rebellieren. Verzweifelt versuche ich, eine Hand gegen meinen Mund zu drücken, doch ich muss feststellen, dass meine Hände an irgendetwas festgebunden sind. Verzweifelt huschen meine Augen umher, was meine Übelkeit nur noch verstärkt. Trotz jeglicher Bemühungen meinerseits, das Unausweichliche zu verhindern, schaffe ich es gerade noch, mich zur Seite zu drehen, bevor ein starker, saurer Geschmack meinen Mund erfüllt und ich mich auf den Boden übergebe.
Sofort fangen meine Augen an zu brennen und eine Träne löst sich von meinem Augenwinkel, während ich immer noch gegen den kalten Boden huste.
Ich höre ein verächtliches Auflachen und schaue nach oben, wo mir ein Paar grimmiger, dunkelblauer, fast schwarzer Augen entgegenstarrt.
"Erbärmlich", ist Bradleys einziger Kommentar.
Die Erinnerungen an das, was passiert ist, strömen auf mich ein.
Ich möchte es nicht wahrhaben, dass die Stimme zu Bradley gehört. Ich will alles nicht wahrhaben. Bradleys Verrat, die Gefahr, die von ihm ausgeht, und der Gedanke, dass dies einer meiner letzten Momente sein könnte. Ich will die Situation, in der ich mich gerade befinde, nicht akzeptieren. Ich will so laut wie ich nur kann nach Hilfe schreien, doch ich bin zu schwach, um einen Ton herauszubringen. Ich bin hilflos, schwach und meinem Schicksal ausgeliefert. Die Realisation meiner Machtlosigkeit lässt mich noch stärker zittern und ich kann die Tränen in meinen Augen nicht mehr zurückhalten und fange an, laut zu weinen.
"Hör sofort auf zu heulen. Dein Bild ist so schon erbärmlich genug", ruft mir Bradley von oben zu, "Sonst war es ja völlig umsonst, dich noch am Leben zu lassen."
Ich presse meine Lippen fest aufeinander, trotzdem schaffe ich es nicht, meine Tränen zurückzuhalten. Ich kann nur verzweifelt zu Bradley nach oben schauen, der mir ein selbstgefälliges Grinsen zuwirft.
Ich sammle meine ganze Kraft und frage mit piepsiger, leiser Stimme: "Am Leben lassen? Bradley, was soll das alles? Kannst du bitte aufhören? Dieser Witz ist echt nicht komisch."
Ich klammere mich an die letzte Hoffnung, dass dies nur ein abgekartetes Spiel ist, doch Bradley zerstört diese gnadenlos, indem er süffisant antwortet: "Ja, fast wärst du unter meiner Hand zu früh krepiert. Ich hatte echt nicht gedacht, dass du nur so wenig davon brauchst. Weißt du, was das ist?"
Während er mich das frägt, holt er eine Flasche, die in Aluminiumfolie gewickelt ist, hinter seinem Rücken hervor und hält sie hoch.
Mein Kopf schmerzt viel zu sehr und versucht immer noch zu verarbeiten, was passiert, als dass ich auf die Frage antworten könnte, weswegen ich ihn einfach nur anstarre.
"Weißt du, was das ist?", fragt Bradley nochmals mit bedrohlichem Ton und einer Hand erhoben, um mir zu signalisieren, dass, wenn ich nicht antworte, er mich nochmal dazu zwingen wird zu antworten.
Schnell schüttele ich meinen Kopf, entgegen des schmerzenden Protests meines Körpers.
"Also", fängt Bradley mit einem selbstgefälligen Lächeln an, "Hier drin ist Chloroform. Leider musste ich zu meinem Baby hier greifen, weil ich nicht denke, dass du sonst hättest ruhig gestellt werden können. Aber ich habe es leider etwas übertrieben und entweder hat dein Körpergewicht stark abgenommen oder mein Baby hier ist etwas zu stark geworden. Auf jeden Fall hat es schneller gewirkt, als ich gedacht habe. Was mich sehr gefreut hat, bis ich deinen Puls überprüft habe und merken musste, dass es ein bisschen zu viel war und dein Herz ein bisschen verrückt gespielt hat. Ich dachte echt, dass du gleich einen Herzinfarkt bekommst."
Plötzlich hält er inne und geht vor mir in die Hocke. Langsam greift er unter mein Kinn und hebt mein Gesicht an, damit ich ihm in die dunklen, leblosen Augen schauen kann.
Ich hätte am liebsten meinen Kopf weggedreht, wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte.
"Du hast mir echt Sorgen gemacht, dass ich nicht derjenige sein kann, den du als letztes siehst, bevor du in den ewigen Schlaf verfällst", fährt Bradley fort, "Und gerade, als ich erleichtert sein konnte, dass dein Herzschlag sich wieder normalisiert hat, fingst du an zu schnell abzukühlen. Das wäre echt eine Tragödie gewesen, wenn ich dir nicht, bevor du von dieser Welt gehst, meine Liebe hätte beweisen können."
Gerade als er das Wort Liebe in den Mund nimmt, fangen seine leblosen Augen an zu leuchten und ein gefährliches Grinsen zieht sich über sein Gesicht, während seine kalte Hand an meiner Wange ruht.
Instinktiv zucke ich bei diesen Worten von ihm zurück und presse meine Beine fest zusammen, nur an das schlimmste denken könnend.
"Ich bitte dich! Denkst du wirklich, dass ich an solchen irdischen Gelüsten irgendein Interesse hätte?", entgegnet er.
Währenddessen schaut er mich angewidert an und lässt seine Finger nur an meiner Wange entlang bis zu meinen Hals gleiten. Ruckartig legen sich seine Finger um diesen und drücken zu, als er verächtlich meint: "Dieser Nathaniel hat dich echt verweichlicht. Schon erbärmlich, wie schwach dein Geist ist. Schon erbärmlich, wie schwach dein Körper ist. Er konnte nicht einmal einfachem Chloroform standhalten. Wenn ich dich jetzt umbringe, ist es ja nicht mal ein Mord, sondern einfach natürliche Selektion."
Mein Kopf versucht, alles auf einmal zu verarbeiten. Das verzweifelte Japsen nach frischer, mir verwehrter Luft, die Frage, ob mein Tod, sei es duch das Chloroform oder nun durch Bradleys Hand, vorbestimmt war. Das kurze Aufflammen der Wut, dass er Nate mit reingezogen hat. Doch die ist schnell wieder erloschen, als die Dringlichkeit zunimmt, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Ist es wirklich so, dass es keinen Ausweg gibt?
Ich glaubte zwar nie an Fatalismus, aber vielleicht ist das, was passiert, nicht unter meiner Kontrolle. Vielleicht ist es einfacher loszulassen. Ich habe das Unmögliche geschafft: Das Rätsel hinter den Morden gelöst. Und ich will einfach noch nicht die Wahrheit akzeptieren, das Bradley, mein Bradley, von dem ich eine Zeit lang dachte, ich wüsste alles, hinter solchen grässlichen Taten steckt. Loslassen würde das Problem lösen. Ich muss einfach von dem letzten Faden, der mich an dieser Welt hält, loslassen und viele Probleme würden einfach verschwinden.
"Nein!", echot es laut in mir, "Nein, das ist keine Lösung."
In diesem Moment klickt etwas in mir und mein basischster, animalistischer Überlebensinstinkt setzt ein. Das Adrenalin schärft meine Sinne und lässt die Schmerzen verschwinden.
Ich schaue Bradley direkt in die Augen und mit einem wütenden Blick ziele ich mit meinem Fuß genau zwischen seine Beine. Gerade noch schafft Bradley es, sein Bein zur Seite zu drehen, sodass ich nur seinen Oberschenkel treffe. Doch der Aufprall hatte genug Kraft, um ihn ins Wanken zu bringen, sodass seine Hände meinen Hals loslassen. Gierig nach Luft nehme ich einen tiefen Atemzug.
Bradley schaut mich nur erstaunt an und steht langsam aus seiner Hocke auf.
Ich beobachte, wie ganz langsam seine Augen mich taktieren, bis er auf einmal plötzlich mit dem Bein ausholt und mir direkt in die Magengrube schlägt. Der Aufprall ist so heftig, dass ich wieder kurz nach Luft ringen muss und mich wieder zur Seite drehe, da mein Magen wieder rebelliert. Doch dieses Mal habe ich mich im Griff.
"Weißt du was, so gefällst du mir viel besser", meint Bradley von oben herab zu mir, "Es ist doch echt süß, dass du dich gegen mich wehren willst. So kannst du die Erkenntnis, dass du mir unterlegen bist, noch mehr genießen."
Ich zittere wieder. Dieses Mal vor Wut, nicht vor Kälte oder Schmerz.
Sei es das Adrenalin, sei es die Angst in mir, die gepaart mit meinem Überlebensinstinkt zu etwas viel gewaltigerem mutiert ist - mein Schmerz ist wie betäubt und ich bin bereit, um mein Leben zu kämpfen, koste es, was es wolle.
Während Bradley mich noch taktierend anstarrt, versuche ich so schnell wie möglich die Lage zu erfassen.
Ich sitze auf dem Boden des Gartenhauses, welches ich so zu lieben gelernt habe, welches so abgelegen liegt, dass, wenn ich nun nach Hilfe rufe, es nur eine Verschwendung von Zeit wäre. Mein Rücken ist an die hölzerne Wand gelehnt und genau gegenüber ist die Tür nach draußen. Die Tür in die Freiheit. Doch nicht nur Bradley versperrt mir den Weg, sondern, jetzt wo mein Kopf klarer denken kann, erkenne ich auch, womit meine Hände zusammengebunden wurden. Leider kann ich aufgrund der Decke, die Bradley über mich geworfen hat, nicht hinsehen, aber nachdem ich ein paar mal das Handgelenk gedreht habe, bin ich mir relativ sicher, dass es ein Kabelbinder ist.
Dunkel erinnere ich mich daran, dass mir mal irgendwo gezeigt wurde, wie man sich mithilfe von Schnürsenkeln davon befreien kann: Indem man einen der Schnürsenkel durch den Kabelbinder fädelt, diesen dann mit seinem anderen Schnürsenkel fest zusammenknotet und daraufhin beide Füße von sich wegstößt, damit mit einer Mischung aus Reibung und Kraft Druck auf den Kabelbinder ausgeübt wird, sodass dieser reißt. Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals brauchen würde.
Ich muss Bradley ablenken und genug Zeit gewinnen, um meine Hände frei zu bekommen. Wie ich dann zur Tür komme, kann ich mir schließlich noch überlegen, wenn es soweit ist.
Bis dahin muss ich an mich glauben. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, ich weiß nicht, ob irgendjemand mich hier finden wird. Sucht man überhaupt nach mir? Ich weiß es nicht und deswegen muss ich in mich vertrauen.
Ich habe schon einmal das Unmögliche geschafft: Den Schuldigen hinter den Morden zu finden. Vielleicht ist das Glück auf meiner Seite und ich schaffe nochmal das Unmögliche und kann den Fängen genau dieser Person entkommen. Ich muss es versuchen. Um jeden Preis.
"Bradley, warum tust du das alles? Was soll das?", frage ich, während ich ganz vorsichtig anfange, einen meiner Schnürsenkel zu lösen.
Von oben herab schaut mich Bradley musternd an, bevor er meint: "Ich glaube nicht, dass dich das was angeht."
Er scheint kurz nachzudenken, bevor er wieder zu mir hintritt.
Verdammt. Ich muss mehr Zeit gewinnen. Verzweifelt suche ich nach irgendetwas, was ich fragen kann. Plötzlich erblicke ich die in Aluminiumfolie gewickelte Flasche und fast verzweifelt frage ich: "Wie bist du überhaupt an Chloroform gekommen?"
Gleichgültig gegenüber dem, was ich sage, geht er weiter auf mich zu. Panisch suche ich nach noch etwas, wie ich mir Zeit verschaffen kann, bis er abrupt stehenbleibt. Plötzlich zieht sich ein breites, fast fratzenartiges Lächeln durch sein Gesicht, als er zu mir herunter schaut, bevor er mir antwortet: "Also, das ist eigentlich ganz einfach. Wusstest du, dass man Chloroform ganz einfach aus Haushaltsprodukten herstellen kann?"
Ich schüttele schnell meinen Kopf, in der Hoffnung, dass er fortfährt, und zu meinem Glück tut er genau das.
"Ja, du kannst es ganz einfach aus Bleach und Aceton herstellen. Du fängst an, indem du die Konzentration des Natriumhypochlorid feststellst...", erklärt mir Bradley mit einem gruseligen Glänzen in seinen Augen.
Unauffällig, so als ob es eine schutzsuchende Reaktion wäre, ziehe ich meine Beine noch näher an mich, um während Bradley spricht, zu versuchen, meinen Schnürsenkel duch den Kabelbinder zu ziehen. Immer wieder rutscht mir der Schnürsenkel runter und ich werde immer angespannter. Ich versuche, mir aber nichts anmerken zu lassen und tue so, als ob ich schwach, aber interessiert Bradley zuhören würde.
"... aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass, nachdem was heute passiert ist, ich mir vielleicht etwas anderes überlegen sollte. Aber wenn ich die Luft abdrücke, ist die Person viel zu kurz bewusstlos. Da muss ich mir echt was überlegen."
Gerade als er seinen letzten Satz beendet hat, hätte ich fast laut erleichtert aufgeseufzt, weil ich es geschafft habe, mithilfe meiner Knie endlich den Schnürsenkel durch den Kabelbinder zu ziehen. Jetzt muss ich die Schleife meines zweiten Schuhbandes lösen und ein Ende dann fest mit dem Ende des Schnürsenkels, welches ich durch den Kabelbinder gefädelt habe, zusammenknoten. Bis dahin muss ich ihn weiter ablenken.
"Denkst du wirklich, dass du damit durchkommst, mit noch einem Mord? Du wirst nicht nochmal die Chance bekommen, weil du bis dahin hinter Gittern steckst", erwidere ich so fest, wie meine zittrige Stimme es zulässt.
Zu spät stelle ich fest, dass ich das besser nicht gesagt hätte. Ich sollte Bradley nicht reizen! Wie kann ich nur so dämlich sein?
Schnell drehe ich meinen Kopf zur Seite und kneife meine Augen zu. Ich rechne mit dem allumfassenden Schmerz, den der Aufprall von Bradleys Hand verursachen wird, doch der bleibt aus.
Vorsichtig öffne ich meine Augen und zu meinen Erstaunen lacht er nur.
"Du bist ja echt süß. Denkst du wirklich, dass ich nicht wüsste, was ich mache?", fragt Bradley.
Doch dieses Mal ist es anscheinend eine rhetorische Frage, denn er dreht sich plötzlich um und geht auf eine Schublade zu.
Ich achte nicht darauf, was er macht, sondern nutzte die Chance, als er nicht zu mir schaut, um so schnell wie möglich die Schleife an meinem Schuh zu öffnen und die beiden Schuhbäder einmal zu verknoten.
Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig, bevor Bradley wieder mich anschaut. Mein Herz rutscht mir in die Hose, als ich sehe, dass er ein scharfes Messer in der Hand hält.
Langsam kommt er auf mich zu, seine Augen, die vorher noch so leblos waren, jetzt aber vor Energie spüren, durchbohren mich.
Ahnungslos, was er vorhat, schaue ich ihn ängstlich an, als er wieder vor mir in die Hocke geht. Fast liebkosend nimmt er mein Gesicht in seine Hand. Ich wäre am liebsten ausgewichen, doch er legt das Messer bereits an meine andere Wange. Das kalte Metall ruht an meinem Gesicht und ich fange wieder an zu zittern.
"Was für ein schöner Anblick", haucht Bradley, bevor er langsam, fast lasziv, das Messer an meinen Wangenkochen entlang zieht und mir tief ins Fleisch schneidet.
Leise wimmere ich vor ziehendem Schmerz. Ich versuche, den Schmerz zu ignorieren, doch bevor ich auch nur eine Chance habe, irgendetwas zu machen, zieht Bradley seine Hände abrupt weg, springt auf und schlägt mir mit seinem Fuß mitten ins Gesicht. Mein Kopf kracht genau mit der verletzten Seite gegen die Wand.
Ich schreie laut auf. Kurz habe ich das Gefühl, dass ich wegen all den angesammelten Schmerzen wieder ohnmächtig werde. Doch ich klammere mich an die Hoffnung, dass, sobald ich aus der Tür draußen bin, alles wieder normal wird, dass der allumgreifende, zermürbende Schmerz verschwindet und dass Gerechtigkeit siegt.
Wortlos schiebt mich Bradley weg von dort, wo ich sitze. Mit aller Kraft halte ich meine Schnürsenkel und die Decke fest, damit diese nicht verrutschen. Zu mehr ist mein vor Schmerz gelähmter Körper nicht im Stande.
"Ich glaube, von hier hast du einen guten Blick", meint Bradley amüsiert von der ganzen Situation.
Ich folge mit meinem Blick dem seinen und erblicke den Ort, wo ich gerade eben noch lag. Mir wird schlecht bei dem, was ich sehe. Das einzige Fenster, welches immer noch das graue, regnerische Wetter zeigt ist mit Blut beschmiert. Und dies ist nichts im Vergleich zu der Wand daneben. Man kann genau sehen, wo mein Kopf gegen die Wand geprallt ist. Wie Blütenblätter um den Stempel verteilen sich die Blutspritzer um diese Stelle. Und auf dem Boden hat sich eine Pfütze mit einer widerlichen Mischung aus vereinzelten Blutstropfen und Erbrochenem gebildet.
Bei diesem Anblick muss ich an mich halten, um mich nicht nochmal zu übergeben. Doch ich habe ich keine Zeit, mich damit zu beschäftigen, denn ich muss es endlich schaffen, meine beiden Schnürsenkel aneinander zu binden.
"Hey!", schallt Bradleys Stimme plötzlich laut duch das Gartenhaus.
Erschrocken zucke ich zusammen. Hat er durchschaut, was ich mache?
"Oh, verdammt, du bist ja nicht mal dazu zu gebrauchen", meint er dann eher zu sich selbst als zu mir, während er einen Lappen aus einer Schublade zieht. Verärgert schnalzt Bradley mit der Zunge und murmelt zu sich: "Jetzt muss ich auch noch selbst putzen, während die da am Leben ist. Ich sollte mir echt überlegen, ob ich es das nächste mal nicht irgendwie hinkommen kann, dass die Person danach noch zu etwas zu gebrauchen ist."
Ich kann mir gerade noch auf die Zunge beißen, um keinen voreiligen Kommentar abzugeben, dass es kein nächstes Mal für ihn geben wird.
Mit zwei schnellen Zügen befreit Bradley eine Stelle der Wand von dem Blut.
"Denkst du, das ist sauber?", fragt er mich.
Langsam nicke ich mit dem Kopf.
"Falsch!", erwidert er laut und zieht mit einem plötzlichen Knall den Rollladen des einzigen Fensters runter. Es ist plötzlich stockfinster und ich kauere mich unter der Decke zusammen, nicht wissend, was nun kommt. Habe ich es zu weit getrieben?
Ich höre nur, wie er nach irgendetwas sucht. Langsam versuche ich, meine Hände zu bewegen, doch die Angst, in der plötzlichen Dunkelheit zu sitzen, paralysiert mich.
Plötzlich geht ein blaues Licht an und der Teil, wo vorher Blut herablief, schimmert klar erkennbar.
"Schau mal, wenn man Luminol auf die Stelle tropfen lässt und es mit Schwarzlicht beleuchted, dann leuchtet die Stelle", er greift zu einer zweiten Flasche und fährt fort: "Wenn man allerdings Wasserstoffperoxid dazu gibt, ist das ganze Blut verschwunden, nichts leuchtet und alles ist sauber. Ist das nicht einfach genial?"
Während er mir das, was er mir erzählt, zeigt, lächelt er mich durch die Dunkelheit hinweg an. Es ist ein so grimmiges, ergötzendes Lächeln, dass ich mich wieder sträube. Er genießt es offensichtlich, sich mir gegenüber als erhabener zu geben. Er genießt es, mir erklären zu können, was seine Pläne sind. Pläne, die ich durchkreuzen werde.
"Da bist du wohl erstaunt, was?", meint Bradley zu mir, mein grimmiges Gesicht, welches meine Miene verzieht, falsch deutend, während er die beiden Flaschen zur Seite stellt und den Rollladen wieder hochzieht.
"Und dieses Mal mal bin ich sogar noch schlauer und weiß, dass, wenn ich dir mehrmals in die Lunge steche, deine Überreste auf das Flussbett sinken werden und nicht allzu schnell gefunden werden, wie die von Macey. Echt dumm, dass mir da mein Onkel bei den Bullen helfen musste. Aber jetzt ist das anders!", erzählt mir Bradley.
Sein Blick nimmt apathische Züge an und er ist so sehr in seiner Euphorie gefangen, offensichtlich von seinen neuen Erkennisse kommend, da schaffe ich es endlich, einen festen Knoten in die Schuhbänder zu ziehen, welcher fest genug ist, um das Kabel zu zerreißen, aber auch wieder ganz leicht aufgeht, indem ich an einem Ende ziehe, damit ich sofort losrennen kann. Jetzt muss ich nur noch hoffen, den richtigen Moment zu erwischen, um mich loszureißen.
"Warum? Warum machst du das?", frage ich nochmals, in der Hoffnung, dass er mir nun eine Antwort gibt und es als Ablenkung dient.
Zu meinem Erstaunen verweist sich Bradleys Gesicht zu einem ganz weiten Lächeln und er meint: "Weil ich es kann. Weil ich es darf! Und weil es einfach mein Ausdruck von Liebe ist. Ich konnte bei Macey einfach nicht widerstehen. Mr. Winters, der hätte wirklich seine Nase nicht in alles stecken sollen. Hätte er doch nur erkannt, dass er mir unterlegen ist. Und du, du Farley. Ich will, dass du endlich voll und ganz mein, mein wirst. Du, die du dich an meiner angeblichen Liebe so ergötzt hast, wirst nun wirklich erfahren, was es bedeutet, geliebt zu werden. Endlich wirst du deinen Horizont für ein letztes Mal erweitern können, während du in meiner innigen Umarmung einschläfst. Sieh es als Ehre, diese Gnade von mir zu erhalten. Du wirst deine letzten Momente mit mir erleben dürfen und sie nicht mit diesem Nathaniel ausharren müssen."
Vielleicht ist es, weil er so von oben herab auf dieses ganze Geschehen sieht, weil es für ihn nur ein Spiel ist, vielleicht ist es die Sicherheit, dass ich nun freikommen kann, vielleicht ist es, weil er Nate mit reingezogen hat, vielleicht kann ich einfach dem psychischen Druck nicht mehr standhalten, aber irgendetwas platzt in mir und selbst mein Überlebensinstinkt wird von meiner Wut übertüncht.
Deswegen sprudeln die Worte nur so aus mir heraus: "Nein, nein und nein! Wage es nicht nochmal, das Wort 'Liebe' mit deinem verdrehten Verstand in den Mund zu nehmen. Denn du hast das nicht aus Liebe getan, sondern aus Eifersucht. Eifersucht gegenüber Nate. Was soll das hier alles? Dein gestelltes Getue. Das, was du gerade machst, ist nichts anderes als ein perverser, abartiger Vergleich mit Nate, um zu zeigen, dass du angeblich besser bist. Etwas, wozu nur du das Bedürfnis hast, was dich, in genau dieser Situation, in genau dem jetzigen Moment, zu dem Erbärmlichen macht."
Die Zeit scheint in Zeitlupe zu vergehen, als Bradley nach dem Messer auf der Schublade neben den Flaschen greift und auf mich zurennt. Sein Gesicht ist nur noch eine wütende Fratze, die nichts mehr mit dem Bradley, den ich zu kennen glaubte, zu tun hat.
Mein Körper wusste wohl bereits, dass mein Gesagtes die Situation zuspitzen würde. Deswegen habe ich intuitiv bereits die Decke weggeschmissen und angefangen, Druck auf das Kabelband auszuüben. Vergessen ist mein Schmerz, vergessen ist die Müdigkeit. Ich konzentriere mich nur darauf, so viel Druck wie möglich auszuüben.
Und endlich. Endlich habe ich es geschafft. Mit dem lauten Aufreißen des Kabelbinders bin ich endlich frei. In der selben Bewegung greife ich zu dem Schuhband und und öffne es sofort wieder. Endlich kann ich all meine Energie sammeln und entkommen.
Ich hechte zur Seite und nur Zentimeter neben meiner Kehle bohrt sich Bradleys Messer in die Wand.
Ich habe keine Zeit, mich von dem Schock zu erholen und rappele mich auf. So schnell wie ich kann renne ich zur Tür und umschließe die Türklinke mit meiner Hand. In diesem Moment höre ich Bradley lachen, doch ich lasse mich nicht davon ablenken und versuche, die Tür aufzumachen. Sie ist abgeschlossen. Ich rüttele so stark wie ich kann, doch nichts tut sich und kein Schlüssel ist in Sicht.
Bradleys Schritte sind gemächlich geworden und mit einem breiten Grinsen meint er: "Dachtest du wirklich, dass du so einfach wegkommen wirst? Wie süß!"
Seine Art lässt mich schaudern. Ich habe es so weit geschafft, da werde ich nicht aufgeben! Panisch schaue ich nach irgendetwas, das mir helfen könnte.
Gerade als Bradley wieder ausholt kommt mir die Idee. Ich schaffe es gerade noch, auszuweichen und unter seinem Arm an ihm vorbeizukommen. Ich stolpere so schnell wie ich kann zum Fenster und halte ganz kurz inne. Mein Körper sträubt sich, noch mehr Schmerzen zugefügt zu bekommen, aber wenn ich hier weg will, muss ich da durch.
Mit aller Kraft, die ich aufbringen kann, ramme ich meinen Ellbogen gegen das Fenster. Ich werde panisch, als ich feststelle, dass das Fester nur angebrochen ist. Mit einem eiligen Blick zu Bradley, dessen Lachen mir verrät, das er das alles höchst amüsant findet, versuche ich nochmal, mit meinem Ellbogen die Fensterscheibe zu zerbrechen. Ich lehne mein ganzes Körpergewicht rein und mit einem lauten Zerbrechen von Glas habe ich es geschafft. Schützend halte ich meine andere Hand vor meinen Gesicht, doch alles andere ist dem Glas schutzlos ausgeliefert. Ich zucke zusammen als mein Körper wegen dem zusätzlichen Schmerz rebelliert. Doch dafür habe ich keine Zeit!
Bradley hat an Tempo zugenommen und, obwohl es immer noch Schritttempo ist, hat er mich in dem kleinen Gartenhaus fast erreicht.
Panisch greife ich nach einem großen, spitzen Glasstück, welches auf dem Fensterbrett liegt, und werfe es in seine Richtung. Ich weiß nicht, ob ich getroffen habe, denn ich drehe mich sofort wieder um und fange an, aus dem Fenster zu klettern. Mein Körper will bei jeder Bewegung nachgeben, doch ich zwinge mich dazu, weiter zu machen.
Und endlich, endlich kann ich meinen Kopf nach draußen strecken. Der kalte Regen prasselt mir sofort gegen die Stirn, als ich erleichtert nach oben in den grauen, fast schwarzen Himmel blicke. Trotz des Regens ist das der schönste Anblick, den ich seit langem gesehen habe. Die unterschiedlichen Graustufen, die zusammen ein Kunstwerk bilden, welches Wasser und damit Leben auf die Erde bringt. Ein Regen, der ein Kaleidoskop an Blumenfarben erzeugt. Ein Regen, der neue Hoffnungen bedeutet. Der Geruch nach nassem Gras erfüllt meine Nase, die von dem allumfassenden metallischen und chemischen Geruch in der Hütte fast wie betäubt war.
Ich schwinge mein Bein aus dem Fenster. Während ich laut durch den Mund atme, fallen mir einige Regentropfen in diesen und waschen den sauren Geschmack weg. Es ist so, als ob mir alles zurufen würde, dass nun alles besser wird, dass ich es überstanden haben.
Ich will gerade mein zweites Bein aus dem Fenster schwingen, als sich plötzlich eine eisige Hand um mein Fußgelenk legt. Ich winde mich um zu entkommen, doch die Hand drückt nur noch fester zu und fängt an zu ziehen.
Stück für Stück werde ich weggezogen. Weg von dem erfrischenden Regen, weg von meiner Freiheit.
Ich spüre, wie Glas sich überall tief in meine Haut schneidet. Verzweifelt klammere ich mich am Fensterrahmen fest, doch ich habe keine Kraft mehr. Ich versuche zu kämpfen, doch das Ziehen ist viel zu kraftvoll. Verzweifelt halte ich meinen Kopf draußen, verzweifelt klammere ich mich an meine letzten Kräfte, doch langsam lockern meine Finger den Griff, der mich in meiner Freiheit hält. Ich kann dem Druck nicht mehr standhalten!
Mit einem lauten, frustrierten Schrei lasse ich los und werde zurück in das Gartenhaus gezogen.
Ich möchte weiter schreien, ich möchte weinen, doch ich kann nicht. Mein Körper gibt nach und der Schmerz verschlingt mich. Ich war nicht fähig, irgendetwas auszurichten. Ich war einfach nur ein Spielzeug, das nach Bradleys Wunsch und Spielregeln gehandelt hat. Zu denken, irgendeine Kontrolle, irgendeine Hoffnung zu haben, war dumm von mir. Vielleicht ist es besser, wenn die Reise hier für mich endet.
"Erbärmlich", sind die letzten Worte, die ich von Bradly höre, bevor ich mich der Dunkelheit hingebe.
Ja, meine Existenz ist wahrlich erbärmlich. Mein Leben war nutzlos. Nie konnte ich tatsächliche Handlungen vollziehen, nie konnte ich zu irgendetwas gut sein. Vielleicht ist es besser, wenn die Welt von einer selbstsüchtigen, egozentrischen Person gereinigt wird. Selbst wenn es aus Angst war, verachtet zu werden, lassen sich meine Taten nicht entschuldigen.
Ich wünschte, ich könnte mich noch einmal bei Nate entschuldigen, mich noch einmal mit ihm unterhalten, ihm sagen, dass ich wirklich um mein Leben gekämpft habe.
In mir hallt wieder die Stimme, die mir vorher bereits zitiert hat, dass ich kämpfen soll: "Ich bin stolz auf dich. Du hast dein Bestes gegeben."
Nun, wo ich diese nochmal höre, erkenne ich, dass diese denselben Klang wie Nates Stimme hat. Ich wünschte, ich könnte mich nochmal bei ihm bedanken, ich wünschte, ich könnte ihm sagen, was mir am meisten auf der Zunge brennt. Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, dass ich ihn liebe. Doch das einzige, was ich kann, ist hoffen. Hoffen, dass, wenn ich nun sterbe, meine nächste Reise eine bessere sein wird.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top