Kapitel 29: Farley
Dienstag
Warum musste der Kerl nur so beharrlich sein?
Ich hatte meinen Plan bereits bis ins kleinste Detail in meinem Kopf ausgearbeitet. Ich würde zu ihm hingehen, ihm sagen, dass mir alles genug ist, und dann mit einem geraden, eindeutigen Bruch unseres Zusammenseins gehen.
Ich habe mich dazu entschieden, dass es besser ist, sich das restliche Schuljahr unauffällig zu verhalten. Nach meiner Begegnung mit Officer Colby am Wochenende habe ich Ewigkeiten über diese Sache nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass, wenn die Polizei so weiter macht, niemals der Täter gefunden werden kann. Wenn man bereits jeden, der etwas dazu sagen möchte, einfach so widerwärtig behandelt, kann es schließlich zu nichts führen. Und wenn dies so ist, sollte ich mich nicht in Angelegenheiten stürzen, bei denen niemand da ist, der mir solide Rückendeckung geben kann, bei der mir niemand im schlimmsten Fall eine gewisse Sicherheit bieten kann.
Es sind nicht mehr viele Monate, bis ich fertig mit der High School bin, und dann kann ich in ein College auf der anderen Seite des Landes gehen.
Das ist noch ein Punkt, der mir nicht aus dem Kopf gehen wollte, als ich am Wochenende den Briefkasten aufgemacht habe.
Wieder haben ich drei Rückmeldungen
von verschiedenen Colleges erhalten. Wie meine Eltern vorgeschlagen haben, habe ich Bewerbungen an Verschiedenste geschickt, und seit einiger Zeit kommen nun die Zulassungen oder Absagen. Die zwei Zusagen haben mich selbstverständlich übermäßig gefreut, und die eine Absage war mir sowieso relativ egal, da meines Erachtens die Studiengebühr für das Colorado College viel zu überteuert ist und ich mich nur wegen meinen Eltern dort beworben habe.
Trotzdem blieb in mir ein gewisses Gefühl der Wehmut und Trauer. Es war dasselbe Gefühl, wie das, welches ich einmal hatte, als Bradley mich gefragt hat, ob sich unsere Wege nach der High School trennen würden. Und ich wollte es eine Weile nicht wahr haben, bis ich akzeptieren musste, dass ich so empfinde, weil ich vermutlich, sobald ich ins College gehe, Nate nie wieder sehen werde. Und dieses Gefühl macht mir Angst. Deswegen will ich eigentlich so schnell wie möglich die Verbindung mit ihm trennen.
Aus guten Gründen sollte ich unsere Detektivspielchen vergessen und trotzdem kann ich mich nicht voll und ganz von ihm trennen.
So oft ich mich an die Inkompetenz der Polizei erinnere, so oft ich mich an dieses beunruhigende Gefühl erinnere, so bleibt mir doch sein bittendes Gesicht. So oft ich mich daran erinnere, dass ich ihn doch unter normalen Umständen hassen sollte, so oft sehe ich diese Andeutung von einem Lächeln in seinem Gesicht, was mich jedes Mal auf's Neue freut.
Aus diesen Gründen habe ich heute in der Früh Maßnahmen vollzogen, um Nate nicht über den Weg zu laufen. Es fühlte sich seltsam an, nicht zu meinem oder Nate's Spind zu gehen. In der Regel treffen wir uns nämlich dort immer kurz am Morgen. Manchmal gehe ich zu ihm, manchmal kommt er zu mir, und manchmal treffen wir uns auf dem Weg zum Anderen. Doch heute mied ich jeden möglichen Ort, wo wir uns treffen könnten. Denn ich brauche noch Zeit. Zeit zum Nachdenken. Zeit, um mich davon zu überzeugen, dass ich die richtige Entscheidung treffe. Zeit, die ich eigentlich nicht habe.
Doch ich muss mich endlich entscheiden, ich kann ihn nicht von heute auf morgen einfach ghosten.
Aus diesem Grund gehe ich zielstrebig auf die Mensa zu. So unliebsam das Gespräch sein wird, ich muss mehr wissen. Diese ganze Sache ist zutiefst persönlich geworden. Und wenn ich meinen Kopf nicht gesenkt lassen will, muss ich wenigstens wissen für wen ich es mache.
Ich will Nate's Seite der Geschichte hören, seine Art, wie er Macey wahrgenommen hat. Mir wird nicht gefallen, was er zu sagen hat, aber ich muss es trotzdem wissen.
Mit geradem Rücken und rausgestreckter Brust lasse ich mich von der gedämpften Stimmung und den lauernden Blicken nicht ablenken.
Ich habe in meinem Kopf bereits die Worte zurechtgelegt, als ich Nate sehe und zielstrebig auf ihn zugehe.
Mit einer gespielten Selbstsicherheit, die mich dafür schützen soll, wie sehr ich das kommende Gespräch verabscheuen werde, setze ich mich schwungvoll vor ihm hin. Ich lasse ihm nicht mal Zeit, um hochzuschauen, bevor ich anfange zu reden:
"Warum?"
Verdammt. Ich hatte mir die perfekte Wortwahl zurechtelegt. Egal, ich muss wohl nun mit diesem Missgeschick möglichst souverän umgehen. Nur weil es ein sehr plötzlicher Einstieg ist, sollte es die Quintessenz des nun Kommenden nicht verändern.
Überrascht schaut er schnell auf und fragt:
"Ähm, was?"
Als ich die Verwirrung in seinem Gesicht sehe, fällt mir wieder ein, dass er keine Ahnung haben kann, worüber ich reden möchte. Warum sind meine Gedanken gerade jetzt so verwirrt und zusammenhanglos?
Ich seufze leise, bevor ich weiterspreche:
"Entschuldigung, dass ich dich so überfalle. Soll ich erst einmal fragen, wie es dir bisher ergangenen ist?"
"Also ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn du mir sofort sagen würdest, wie du dich entschieden hast", antwortet er sehr direkt und mit dringender Stimme.
Ob er einfach wissen will, wie ich mich entschieden habe, oder ob er nun genervt von mir ist, kann ich nicht genau bestimmen. Ich könnte mich am liebsten selber ohrfeigen, schließlich sollte ich sensibel sein und nicht so.
"Hey, könntest du mir vielleicht zuvor etwas über Macey erzählen? Irgendetwas", frage ich ganz vorsichtig.
Sichtlich verwirrt, warum ich plötzlich frage, schaut er mich an.
"Wieso?"
Ich erwidere sein skeptisch fragendes Gesicht mit einem angedeuteten sanften Lächeln, bevor ich wage antworte:
"Braucht es immer ein 'Warum'?"
Er schaut mich wieder vorsichtig an, bevor er langsam erwidert:
"In diesem Fall schon, denke ich."
Ich seufze kurz.
"Bitte, erzähl mir das erste, was dir in den Sinn kommt."
Mich immer noch misstrauisch anstarrend lehnt er sich langsam zurück, bevor er nach kurzem Überlegen anfängt zu erzählen:
"Ich hab zwar keine Ahnung, warum du dass jetzt auf einmal wissen willst, aber von mir aus. Also, das erste, das mir gerade einfällt, wäre wohl, wie sie immer angefangen hat, richtig seltsam zu tanzen, wenn sie Violine gespielt hat. Es gibt ja Leute, bei denen sieht das irgendwie cool aus, wenn sie sich dabei bewegen, aber Macey hatte in dieser Hinsicht absolut kein Talent. Das wusste sie auch, aber es war ihr egal, es hat sie auch einfach nicht interessiert, wenn andere sie deswegen irgendwie seltsam angestarrt haben. Sie hat einfach ihr Ding durchgezogen, weil es ihr Spaß gemacht hat."
Gespannt höre ich zu und beobachte jede seiner Bewegungen haargenau. Deswegen merke ich auch, dass er, als er kurz drauf kurz mit den Schultern zuckt, es nur macht, weil er sich emotional davon abschirmen muss. Und es tut mir so leid, dass ich ihn in diese schwierige Situation bringe, aber es ist wichtig. Außerdem hilft es manchmal, sich dazu zu zwingen, über emotionale Konflikte mit einer Person zu reden. Das sagt zumindest meine Mum immer.
"Bitte, da hast du deine random Information. Wozu auch immer", fügt er betont gelassen hinzu.
Ich lege meinen Kopf schief, nachdem er das gesagt hat, und versuche zu verstehen, was mir mein Gefühl über das alles sagen will. Doch das einzige, was ich verspüre, ist ein kleiner Stich, dass Nate an Macey bewundert hat, dass sie sich nicht darum kümmert, was andere über sie denken, und ich in seinen Augen genau das Gegenteil davon bin.
Wütend über diese Reaktion presse ich einen Fingernagel unauffällig in meine Handfläche, bis er einen tiefen Abdruck hinterlassen hat, damit der kurze Schmerz mich wieder von dieser Reaktion ablenkt.
Doch trotz allem kann ich mir die Frage nicht verkneifen:
"Wie hast du dich gefühlt, als sie mit Bradley zusammengekommen ist?"
Ich muss erstmal heftig schlucken.
Kaum zu glauben, dass ich das gerade eben einfach so gefragt habe.
"Was sollen diese ganzen Fragen? Und du hast mir immer noch nicht gesagt, wie du dich letztlich entschieden hast", fragt er zum wiederholtem Mal.
Ich seufze, bevor ich nachdenklich meine Hände falte. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Es ist eh schon alles verloren, also sollte ich vielleicht doch mit offenen Karten spielen. Oder eher so offen wie möglich.
"Ich werde ehrlich sein", fange ich an, "Du musst wissen, dass ich sie unter ganz anderen Umständen kennengelernt habe als du."
Ich halte kurz inne, um mich für diese gekonnte Umschreibung selbst zu loben, bevor ich weiterrede:
"Mich interessiert es, wie du sie wahrgenommen hast. Nein, es interessiert mich nicht nur, es ist essentiell wichtig, dass ich mehr erfahre. Ich gebe entweder alles oder nichts, und wenn ich dir nur helfe, weil ich nicht 'Nein' sagen kann, dann bringe ich mich für nichts in Gefahr."
Langsam lehne ich mich wieder zurück, da mir auffällt, dass ich immer emotionaler geworden bin und mich deswegen immer angespannter vorgebeugt habe.
Nate schaut mich erleichtert an, vielleicht weil ich endlich seine wiederholte Frage beantwortet habe, dann nickt er langsam und meint:
"Okay, das kann ich nachvollziehen."
Ich sollte das wirklich nicht fragen, aber trotzdem wiederhole ich es nochmal: "Also, wie hast du duch dabei gefühlt?"
Er schaut mich musternd an, bevor er anfängt zu antworten:
"Naja, wie soll ich mich gefühlt haben? Ich war halt einfach extrem besorgt um sie, weil sie nicht erkannt hat, was für ein Arschloch Bradley ist. Ich wollte nicht, dass er sie genauso scheiße behandelt, wie all seine Freundinnen davor. Ich hatte die Befürchtung, dass er sie verletzen würde. Das habe ich ihr auch gesagt."
Ich verziehe mein Gesicht, nicht besonders begeistert über die Aussage, dass Bradley ein Arschloch sei. Doch dieses Gefühl wird von einem anderem langsam überdeckt. Eine Ungeduld, dass er auf das, was ich eigentlich wissen will, nicht geantwortet hat.
"Warst du eifersüchtig auf ihn?", frage ich, wahrend ich mein Gesicht senke, um die Röte in meinem Gesicht zu verstecken.
Er verdreht die Augen, bevor er antwortet:
"Nicht das Thema schon wieder. Ich hab dir doch bereits erklärt, dass ich nicht mehr von Macey wollte. Wir waren platonisch befreundet, und das war auch gut so, denn ich hatte ihr gegenüber nie in irgendeiner Weise romantische oder sexuelle Gefühle. Also nein, ich war nicht eifersüchtig. Ist das so schwer zu glauben?"
Ja, es ist schwer zu glauben und ich glaube es auch nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich einfach vor seinen Gefühlen verschließt. Und dies sollte mich nicht stören. Genau, es stört mich nicht.
Ich schaue wieder hoch und nachdenklich an ihm vorbei. Ich nicke kurz ihm zu, ohne einen Kommentar zu sagen, während ich darüber nachdenke, warum mich speziell diese Frage so interessiert. Das sollte nicht sein!
"Also, willst du noch irgendetwas anderes wissen? Und was wird jetzt aus unseren gemeinsamen Ermittlungen?", ergreift er das Wort, als ich nichts mehr sage.
Aus meinen Gedanken herausgerissen schaue ich ihn verwirrt an. Bis mir wieder einfällt, dass ja immer noch diese große Frage im Raum steht.
"Dir ist die Antwort darauf wohl sehr wichtig, so oft wie du es mich bereits gefragt hast", meine ich, um ein bisschen Zeit zu schinden.
Er schaut mich aus einem mir nicht bekanntem Grund ertappt an.
Habe ich etwas falsches gesagt?
Doch ich kann nicht lange darüber nachdenken, da er bereits betont distanziert antwortet:
"Natürlich ist es das. Es geht um die Ermittlungen. Und ich habe dir ja auch schon gesagt, dass ich denke, dass du einen positiven Einfluss darauf hast."
Meine Gedanken fangen an zu rasen. Ich dachte, mir würde die Entscheidung leichter fallen, sobald ich mehr über Macey wüsste, sobald ich Nate's Antrieb verstünde. Doch immer wieder muss ich an mein verheerendes Gespräch mit Officer Colby denken.
Immer wieder öffne ich meinen Mund, um endlich eine Antwort zu geben, doch bevor ich etwas sage, schließe ich ihn sofort wieder.
Plötzlich wird aber mein Schweigen von einer Stimme an meinem Ohr unterbrochen.
"Huhu! Guten Tag", flüstert die Stimme leise.
Erschrocken japse ich auf. Ich bin mir sicher, dass mein letztes Stündchen geschlagen hat. Mein Leben beginnt bereits vor meinen Augen an mir vorbeiziehen.
Doch als ich mich umdrehe, erschrecke ich mich gleich noch ein zweites Mal.
Howard steht breit grinsend vor mir, wieder dieses seltsame Metal-Zeichen mit der Hand als Begrüßung machend.
Plötzlich erinnere ich mich wieder daran, was hinter dieser verwirrten Person mit falsch geknöpftem Hemd in Wahrheit steckt: Ein potenzieller Mörder, ein abscheulicher Stalker, jemand, der den Tod einer Person mit einem einfachen "Ach, wie glücklich sind die Toten!" kommentiert.
Vorsichtig rutsche ich ein bisschen von ihm weg. Vorsichtshalber.
Nate schaut mich ein bisschen entschuldigend und peinlich berührt an, bevor er Howard begrüßt:
"Ähm... Hey, Howard."
Genervt von Howard's Begrüßung und dass ich mich so laut erschreckt habe, schnalze ich mit der Zunge, bevor ich ihm möglichst geduldig erkläre:
"Könntest du bitte aufhören, mich so zu begrüßen? Es ist unglaublich unangenehm, wie aus dem Nichts eine Stimme zu hören. Also bitte begrüße mich in Zukunft wie jeder Andere mit einem Mindestabstand von zwei Metern."
Howard schaut mich mit großen Augen an, so als ob er nicht verstehen würde, warum ich das verlange, bevor er mir mit Verwunderung in der Stimme antwortet:
"Aber warum denn? Durch diese Nähe bei der Begrüßung zeige ich nicht nur, wie sehr ich Farley respektiere, sondern ich ziehe damit auch nicht die Aufmerksamkeit des Bösen auf mich."
Skeptisch schaue ich ihn an, bevor ich vorsichtig meine:
"Das freut mich, dass du damit zeigen willst, dass du mich gut leiden kannst. Allerdings denke ich nicht, dass du durch eine lautere Begrüßung böse Sachen herbeirufst."
"Oh doch. Sie lauern überall, doch insbesondere seit letztem Jahr hier in den Schulmauern. Jeder einzelne wird beobachtet. Vorsicht ist geboten."
Befremdlich schaue ich mich um, nicht wissend, was ich davon halten soll.
Deswegen schaue ich Nate hilfesuchend an. Vielleicht weiß er, was man davon halten sollte.
"Wer genau beobachtet uns denn deiner Meinung nach gerade?", kommt mir Nate zu Hilfe.
"Das fragst du noch? Die Geister! Die Geister, die keine Ruhe finden. Und das Böse, welches uns heimsucht. Spürst du nicht den Wahnsinn in den Gängen?"
Ich versuche, meine gerunzelte Stirn durch ein Lächeln zu vertuschen, und meine dann vorsichtig zu Howard:
"Denkst du nicht, dass dies ein bisschen weil hergeholt ist?", versuche ich, Howard sanft zur Besinnung zu bekommen.
Ich will, dass er aufhört mit dem ganzen Zeug, ich will nicht, dass sein Verhalten mich noch mehr dazu bewegt, zu denken, ich würde seelenruhig mit einem kaltblütigen Killer reden.
Nachdem mich Howard angeschaut hat, fängt er an, furios den Kopf zu schütteln.
"Nein, warum versteht das niemand? Warum versteht niemand in der Schule, was los ist?!"
Zu meiner Verwunderung fängt er an, auf den Stuhl neben mir zu steigen. Was er wohl machen will?
Doch ehe ich ihn davon abhalten konnte, den Stuhl dreckig zu machen, war er von dem Stuhl auf den Tisch geklettert.
Erstaunen ist noch etwas sanft formuliert, wenn ich meine Emotionen ausdrücken möchte, als er sich der größeren Schülermenge aufrecht auf dem Tisch präsentiert.
Ich will ihn gerade auffordern, sofort runterzukommen, als er anfängt, mit lauter Stimme zu rufen:
"Achtung! Hört meine Proklamation!"
Plötzlich kehrt absolute Stille ein, als alle sich Howard zuwenden.
Fassungslos starre ich ihn an, und ich bin nicht die einzige. Viele Schüler sehen auch so aus, als ob sie ihren Augen nicht trauen würden. Doch auch sehe ich, wie es bei manchen Schüler eine ganz andere Reaktion auslöst. Ich sehe mehr als einen, der aufgelöst die Mensa so schnell wie möglich verlässt.
Ob sie wohl denken, dass noch eine Tragödie in dieser Mensa passieren wird?
Ich muss sagen, dass ich, wenn ich noch nie mit Howard gesprochen hätte, auch wegen der bedrohlichen Grundstimmung in der Schule von dem schlimmsten ausgegangen wäre.
Sich nicht um die aufgeregten Schüler kümmernd, fährt Howard wild gestikulierend fort:
"Schütz euch! Schützt die, die euch lieb sind! Macey, Mr. Winters - und du bist der nächste, wenn du dich nicht vor dem Bösen den nötigen Respekt hast."
Bei der Erwähnung von Macey und Mr. Winters schauen alle Howard auf dem Tisch noch misstrauischer an. Es ist wirklich keine gute Idee, diese beiden Namen so offen zu sagen.
Ich sollte ihn endlich vom Tisch runterholen, doch ich kann mich nicht bewegen. Wie versteinert sitze ich da und schaue zu, wie sich Howard nun zur Schülermenge auf der anderen Seite zudreht und weiterredet:
"Die beiden sind bloß ein Vorbote. Ein Vorbote der Apokalypse. Ein Vorbote des jüngsten Gerichts. Ein Vorbote, dass die Menschen sowieso bereits zu lange die natürliche Selektion überlebt haben und nun der..."
Gebannt sehe ich zu, wie Howard noch mehr bestätigt, dass er nicht richtig im Kopf ist. Von Geistern und "dem Bösen" reden und im nächsten Satz Darwinismus erwähnen. Doch in seinem Kopf scheint es Sinn zu machen.
Langsam geht er zwei Schritte zurück und macht eine abrupte Handbewegung, bevor er fortfährt.
Genau in diesem Moment höre ich Nate's gelangweilte Stimme:
"Denkst du, ich sollte ihn überreden, da runterzukommen?"
Erstaunt schaue ich ihn an an und sehe, dass er komplett unbeeindruckt ist. Er schaut mich absolut gelangweilt an.
Das wirkt so surreal. Während jeder in der Mensa aufgebracht ist und sich Besorgnis in deren Gesichtern zeigt, ist Nate der einzige, der seine Nerven zusammenhält. Selbst die Lehrer sind zu geschockt, um Anstalten zu machen, Howard vom Tisch zu holen.
Das alles wirkt so unwirklich, dass ich anfangen muss zu kichern. So unpassend es auch ist, so amüsant finde ich Nate's gelangweiltes Gesicht im Vergleich zu allen anderen.
"Warum lachst du?", fragt Nate verwundert, doch ich lächle einfach weiter, ohne zu antworten.
Howard achtet gar nicht darauf, dass ich angefangen habe zu lachen, sondern fährt damit fort, die Schüler über die hier in seinen Augen existierenden Geistern aufzuklären. Dann tritt er wieder zwei Schritte zurück. Und als er noch einen zurück gehen will, passiert es.
Sein Fuß tritt zurück und er will ihn auf dem Tisch absetzen, als dort plötzlich nur noch Luft ist. Er hat die Kante des Tisches erreicht, ohne es zu merken.
Aufgrund des plötzlichen Verlusts an Boden verliert er sein Gleichgewicht. Mit einem Arm rudert er in der Luft, doch es ist bereits zu spät. Er fällt. Mit einem dumpfen Laut hört man wie Howard vom Tisch gefallen ist. Mitten in seinem Satz, der seinen Wahnsinn weiter verbreiten sollte, ist er plötzlich vom Tisch gefallen.
Unsicher, wie sie darauf reagieren sollen, fangen die Schüler an, leise zu flüstern, als plötzlich die Glastür der Mensa laut aufgerissen wird und vier Officer reinkommen, ihre Hände sicherheitshalber auf ihren Holstern ruhend, jederzeit bereit, ihre Pistolen zu ziehen.
"Wo ist der, der angeblich wahnsinnig auf dem Tisch umher schreit?!", ruft ein Officer.
Während plötzlich alle Schüler gleichzeitig anfangen zu reden, rappelt sich Howard langsam wieder hoch und kommt mit ein paar Schritten auf mich zu.
"Wegen Nate's Frage an dich, ob du weiterhin mit ihm ermitteln solltest: Weißt du, Marcus Aurelius hat mal gesagt, dass der Tod uns alle anlächelt, und das einzige, was man machen kann, zurücklächeln sei, weil man nicht den Tod fürchten solle, sondern dass man nie beginne zu leben", flüstert er mir geheimnisvoll zu, bevor ein Polzist ihn ergreift und fragt:
"Warst du es, der den ganzen Trubel erzeugt hat?"
"Ich wollte nur die Leute aufklären, denn wissen Sie-", höre ich noch Howard sagen.
Doch schnell wird seine Stimme von den lauten Stimmen der anderen Schülern übertönt.
Wieder so etwas kryptisches.
Doch ich brauche es gar nicht. Ich habe mich bereits entschieden, ob ich weiter bei den Ermittlungen helfe. Eines habe ich nämlich während der ganzen Aktion gelernt: Selbst wenn jeder andere bereits ausflippt, kann Nate noch gut seine Nerven behalten. Und das ist überaus nützlich. Selbst wenn ich bei den Ermittlungen nicht einhundert Prozent auf die Polizei zählen kann, so kann ich immer noch auf Nate zählen, und dass er nicht den Kopf verliert, wo ich schon längst ausraste. Ich wende meinen nachdenklichen Blick von Howard und den Polizisten ab, als sie in der Schülermenge verschwinden, und richte ihn auf Nate.
Vorsichtig lächle ich ihn an, als ich sage:
"Ich helfe dir weiterhin."
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