Kapitel 25: Farley

Montag

Seufzend stecke ich mein Handy zurück in die Tasche, als der Bus vor meiner Schule stehen bleibt.
Inzwischen bin ich echt am Verzweifeln. Immer noch habe ich nicht die Erlaubnis meiner Eltern, endlich meinen Führerschein zu machen. Immer noch verstehe ich rein gar nicht, was Howard bezwecken wollte, als er mir seine komischen Allüren bezüglich Macey präsentiert hat.
Ich habe gerade eben die Busfahrt genutzt um weiter zu lesen, aber letzten Endes hat sich nichts verändert. Letzten Endes drehe ich mich immer noch im Kreis. Letzten Endes bin ich doch bloß eine siebzehn-jährige Schülerin, die versucht, die Aufgabe der Polizei zu übernehmen. Jemand, der niemals eine Chance haben könnte, etwas zu bewirken.
Zum Glück hat wenigstens meine anfängliche Panik, dass Howard es auf mich abgesehen hätte, nachgelassen, da sich mein gesunder Menschenverstand wieder eingeschaltet hat, und ich mich erinnert habe, dass vermutlich niemand von der Schule ein grausamer Killer ist.
Hoffe ich zumindest ...

"Ich weiß echt nicht, was nun eigentlich passiert ist, oder nicht passiert ist", höre ich plötzlich wieder ein Mädchen neben mir sagen, welches im Gleichschritt mit ihrer Freundin in Richtung Schulgebäude geht.
Und je häufiger ich diese Fragen höre, desto neugieriger werde auch ich auf das, was vorgefallen sein mag.
Am Anfang hielt ich es für Unsinn, als Nate mich angeschrieben hat, um zu fragen, ob ich von irgendetwas Ungewöhnlichem wisse. Leider musste ich das verneinen, da ich im Moment keinerlei Kontakt zu den Leuten habe, die das wissen könnten. Es ist deprimierend, dass Nathaniel Revely so etwas vor mir erfahren hat. Wie kann man nur so tief wieder zurückfallen wie ich. Dies war nur nochmals ein Beweis dafür und somit einem Schlag ins Gesicht gleich. Eigentlich habe ich gehofft, dass es sich wie ein Lauffeuer in der Schule verbreiten würde, damit auch ich etwas von den neueren Gerüchten mitbekomme, die vielleicht sogar von denen um meine Person herum ablenken. Vermutlich ist aber nichts besonderes passiert.

Wie aus dem Nichts bekomme ich einen beunruhigenden Einfall: Was ist, wenn Bradley eine neue Freundin hat, und diese logischerweise Grace ist? Das könnte ein plausibler Grund für die ganzen Unruhen sein. Und wer weiß, was diesen Samstag passiert ist? Verärgert verziehe ich das Gesicht. Wie konnte dieses nichtsnutzige Mädel in so kurzer Zeit so viel Einfluss gewinnen?
Sie und Bradley. Allein schon von dem Gedanken wird mir schlecht.
Wenn ich sie sehen müsste, wie sie Hand in Hand den Schulkorridor entlanglaufen, vermutlich miteinander lachen, sie dann kurz stehenbleiben, um-
Wütend balle ich meine Fäuste, während ich mir genüsslich ausmale, wie ich sie vor seinen Augen langsam ersteche. Mit jedem neu zugefügtem Schnitt benetzt mehr Blut den Boden und meine Hände. Mit jedem Mal, wo ich aushole, lässt ihr Widerstand nach und ihr Gesicht erbleicht. Mit jeder Sekunde verliert sie immer mehr ihrer Lebenskraft. 
Schnell schüttele ich den Kopf, um diese grausame und doch gleichzeitig befriedigende Vorstellung zu verscheuchen. Ich sollte mich lieber geistig auf den kommenden Mathe-Unterricht konzentrieren, oder andernfalls werde ich noch komplett verrückt.

Denke das nur ich, oder sieht unsere Lehrerin ziemlich bedrückt aus?
Ihre hängenden Schultern und ihr gesenkter Blick lassen darauf hindeuten, dass irgendetwas vorgefallen sein muss.
Egal, sicher bilde ich mir das bloß ein, und selbst wenn, ist es nicht meine Aufgabe, mich darum zu kümmern.
Trotzdem beunruhigend, wie sie den beiden Jungs hinter mir, welche gerade die Hausaufgabe abschreiben, bloß einen nichtssagenden Blick zuwirft, wo sie sie sonst immer gereizt darauf hinweisen würde, dass sie sich doch als Seniors gefälligst um ihre Bildung kümmern sollten.
Als sie anfängt zu reden, wird sofort jeder still, weil man klar hört, wie ernst sie im Moment ist:
"Guten Morgen. Bitte bleibt sitzen. Heute lassen wir die Begrüßung weg. Wir werden uns jetzt zur Turnhalle begeben, wo ihr alles Weitere erfahren werdet."
Ich höre das Verrücken der Stühle und ein leises Flüstern, als die ganze Klasse aufsteht.
Auf dem Weg in Richtung der Turnhalle treffen wir auf andere Klassen, die in die gleiche Richtung gehen wie wir.
Immer wieder ist die Frage, was passiert sei, zu vernehmen, und wilde Spekulationen sind meistens die Antwort. Aber eines ist sicher: Da der Unterricht unterbrochen wurde, muss es etwas schwerwiegendes sein. Dies ist jedem klar, denn es herrscht eine eindeutig gedrückte Stimmung. Niemand schreit, und die Gänge sind erfüllt von leisem Geflüster und den Schritten von mehr als hundert Schülern.

Das Hauptgebäude und der Sportbereich werden von einem breitem Weg getrennt, welchen die Schulleitung bereits seit ich denken kann überdachen wollte, dies ist aber immer noch nicht geschehen.
Deswegen fluche ich, als ich raus trete und feststellen muss, dass es angefangen hat zu regnen. Die Wolken haben sich vor die Sonne geschoben und die Umgebung in Grautöne verwandelt. Der Regen trommelt laut auf den Asphalt und wird nur gelegentlich von einem kreischenden Mädchen übertönt, welches wohl in dem Moment in eine Pfütze gestiegen sein muss.
Eilig überquere ich den kurzen Weg, der mir aufgrund des Regens viel länger vorkommt, während ich vor den Wassertropfen schützend eine Hand über mein Gesicht halte.
Nachdenklich beobachte ich, wie das Wasser den Rinnstein entlang fließt.
Langsam ergreift auch mich ein mulmiges Gefühl.
Was passiert sein mag, dass alle Klassen in der ersten Stunde zur Turnhalle zitiert werden? Alle möglichen Szenarien fangen, an in meinem Kopf zu formen, und nicht eines will für mich Sinn machen.
Was ist eigentlich mit Nate? Ihm wird es doch hoffentlich gut gehen. Sicherlich, schließlich haben wir doch noch gestern Abend miteinander geschrieben.

Prüfend beobachte ich die in der Turnhalle versammelten Menschen. Die Gruppen haben sich bereits gebildet. Nur hier und da stehen zwei Personen alleine und abseits von den größeren Schülertrauben.
Aber eine bedrückte Stimmung hat sich breit gemacht, weswegen man kaum mehr als Flüstern hört.
Als ich ihn entdecke, fällt mir ein Stein vom Herzen. Schon seltsam, dass ich mir über diesen Kerl meinen Kopf zerbreche.
Vorsichtig bahne ich mir einen Weg um die umstehenden Schüler, bis ich vor Nate stehe.
Er unterhält sich leise mit einem anderen Schüler und einer anderen Schülerin, deren Gesichter mir von irgendwoher bekannt vorkommen. Vielleicht sind wir in ein oder zwei Kursen zusammen.
Ich beobachte, wie sich Nates Kopf langsam zur Seite neigt und ihm eine Strähne, welche noch vom Regen draußen nass ist, vor seine Augen fällt. Worüber sie sich wohl unterhalten? Nates Gewicht verlagert sich in Richtung des Mädchens und diese nickt zustimmend auf irgendeine Aussage von ihm.
In welchem Verhältnis sie wohl zueinander stehen?
Ich spüre einen Stich. Ganz kurz und ganz schwach. Doch allein diese kurze Präsenz reicht, um mich zu verunsichern. Das war doch nicht etwa Eifersucht? Nein, niemals. Sie ist nicht besonders hübsch und ihr Shirt passt gar nicht zur Hose. Also, was denke ich mir. Außerdem geht es schließlich um Nate.

"Hi", begrüße ich Nate leise, als ich bei ihm angekommen bin, und berühre ihn leicht am Arm, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.
"Hey. Sag mal, hast du inzwischen 'ne Ahnung, was los ist?", fragt er mich.
"Nein, keinen Plan. Muss aber schon etwas ziemlich Großes sein, wenn wir keinen Unterricht haben. Und schau die mal die Lehrer an: Es ist definitiv etwas passiert." 
All dies sage ich etwas abwesend zu ihm, da ich seine beiden Freunde, insbesondere das Mädchen, von Nahem inspiziere.
"Ja, absolut", antwortet er und mustert mich, bevor er fortfährt:
"Ach ja, das sind übrigens Jake und Kathrin." 
Bei der Erwähnung seines Namens nickt Jake mir zu und schiebt mit zwei Fingern an der rechten Seite seine rechteckige Brille hoch. Ich lächle beiden so offenherzig wie möglich zu, auch wenn mir im Moment nicht besonders nach Lachen ist.

Als der Direktor mit der stellvertretenden Schulleiterin ein kleines Podium betritt, bricht sofort jegliches Gemurmel ab.
Besonders auffällig ist ihre Kleiderwahl. Sowohl unser Schulleiter, als auch unsere stellvertretende Schulleiterin tragen Kleidung, die ganz in schwarz gehalten ist. Tiefe Falten zeichnen sich auf dem Gesicht des Direktors ab, und es sieht so aus, als ob beide wenig Schlaf bekommen hätten.
Vorsichtig tritt der Schulleiter ans Mikrophon. Er braucht gar nicht die Schüler um Ruhe bitten; alle hören ihm bereits gebannt zu, als er anfängt zu reden:
"Heute ist ein Tag, den wir alle mit Schrecken in Erinnerung behalten werden. Wir sind hier versammelt, nicht um zu feiern, sondern um zu trauern. Ein bedeutender Mensch, ein engagierter Lehrer, ein entgegenkommender Kollege, ist von uns gegangen. Mr. Oliver Winters verweilt nicht mehr unter uns Lebenden."

Ein allgemeines Aufschnappen geht duch die Schülermenge.
Mr. Winters soll ... Wie das?
Ich warte darauf, dass der Schatten unter den Augen des Direktors verschwindet und er so etwas wie "War bloß ein Spaß" ruft.
Doch er fährt weiterhin mit ernster Stimme fort:
"Ein Mensch, welcher immer das Beste für seine Schüler wollte, musste viel zu früh sterben. Nicht nur wurde sein kurzes Leben beendet, sondern ist dies auch noch einer anderen Menschenhand zu verschulden. Die begonnene Autopsie hat zu Tage gebracht, dass es Spuren eines kurzen Kampfes gibt, welchen er verloren hat. Oliver Winters wurde letzten Freitag im Lehrerzimmer des zweiten Stockes gefunden, weswegen es strengstens verboten ist, diesen zu betreten. Deswegen wird in den nächsten Wochen die Polizei hier in der Schule arbeiten. Alle Anweisungen dieser sind sofort zu befolgen. Auch muss jeder Schüler und Lehrer das Gebäude vor fünf Uhr verlassen haben. Clubaktivtäten, die länger dauern, sind entweder gestrichen, oder müssen-"
Ich höre überhaupt mehr nicht mehr zu.
Es ist schon wieder passiert.
Besorgt wende ich meinen Blick zur Seite, um zu kontrollieren, ob es Nate gut geht. Natürlich nicht. Seine Augen zeigen klar und deutlich, wie schwer es für ihn ist, nochmals auf diese Art und Weise an den Tod seiner besten Freundin erinnert zu werden. Wenn ich ihm bloß etwas von dieser allumfassenden Trauer abnehmen könnte.
Ich will es nicht wahrhaben, dass sich die gleiche Tragödie nochmals ereignet hat. Mr. Winters, ein Lehrer, welcher, wenn man genauer nachdenkt, wirklich nur das Beste für seine Schüler wollte.
Wer würde so etwas tun? Wer kann nur so skrupellos sein? Er soll tot sein? Weg?

Ich mustere jeden einzelnen Schüler von oben bis unten.
War es der Junge mit den blau-gefärbten Haaren? Das kleine Mädchen neben ihm? Der Junge mit den auffälligen Ketten um seinen Hals? Meine Mathe Lehrerin?
Gesichter. Bestürzte, verängstigte, verzweifelte.
Und alle könnten fähig zu so einer Tat gewesen sein. Alle hätten den beiden Opfern den finalen Schlag geben können. Und wenn die Person das bereits zweimal gemacht hat, was hält sie davon ab, es ein drittes Mal zu tun. Eine dritte Person, die vielleicht ich sein könnte.
Überall sehe ich ähnliche Blicke, bis mir eine Person ins Auge sticht.
Ein junges Mädchen, Freshman vermutlich, die mit steinernem Gesicht dasteht. Ihre lockigen, braunen Haaren und großen Augen geben ihr ein eulengleiches Aussehen, wären nicht ihre Hände, die zu Fäuste geballt sind, und ihr Gesicht, das verrät, dass sie in letzter Zeit zu viel für ihren schwachen Geist gesehen hat.
Irgendjemand muss ja Mr. Winters gefunden haben, was wenn sie es war? Nein! Die Arme, sie sieht bereits aus, als könnte sie ein Windhauch umwerfen, und dann muss sie einem solchen psychischen Druck standhalten.
Doch der wissende und zugleich zutiefst verletzte Ausdruck geben mir eine ziemliche Sicherheit.
Und als ich sehe, wie sich mehrere Lehrer immer wieder zu ihr drehen, so als ob sie kontrollieren würden, ob es ihr gut geht, bin ich mir sicher: Sie hat mehr gesehen, als sie verkraften könnte.
Eine solche Belastung kann das Schicksal doch keiner so jungen Person antun!
Meine Gedanken sind nicht nur bei Mr. Winters und Macey, sondern auch bei diesem Mädchen.

"... keine Worte können beschreiben, welche Trauer wir empfinden. Unsere Gedanken sind bei Oliver Winters, das Opfer einer furchtbaren Tragödie. Danke."
Mit diesem Worten beendet unser Direktor die Rede und tritt vom Podium herab.
Das eigentlich erwartete Gemurmel von tausend Schüler bleibt aus. Jeder versucht noch, zu verarbeiten, was wir gerade gehört haben. Und auch ich fühle mich wie erschlagen.
Man hört nichts bis auf den Regen, welcher langsam auf das Dach der Turnhalle prasselt.
Misstrauen, Angst.
Das sind die Emotionen, welche jedes einzelne Gesicht in diesem stillen Raum prägen. Und auch ich merke, wie Panik in mir hochkommt, je mehr ich realisiere, dass an dieser Schule zwei Personen in der kurzen Zeit von knapp drei Monaten ermordet wurden. Und ich könnte die nächste sein.

Irgendeiner muss den Anfang machen und das erste Wort sagen, die erste Bewegung.
Ausgerechnet ein Mädchen ein paar Schritte neben mir fängt an, sich langsam von mir zu entfernen und kreischt aus dem Nichts:
"Wir wissen doch alle, dass sie diese grausame Tat begangen hat!"
Mit zitterndem Finger deutet sie direkt auf mich.
Von der Anschuldigung überrumpelt schaue ich sie bloß mit großen Augen an, während auch andere Leute anfangen, Abstand zwischen sich und mich zu bringen.
Verzweifelt schaue ich mich nach einer Person um, die mir zu Hilfe kommen könnte, doch Nate hat im Moment mit seinen eigenen Gedanken zu kämpfen, und wer würde mir sonst helfen?
Plötzlich höre ich eine männliche Stimme:
"Keine Anschuldigungen ohne handfeste Beweise!"
Ich kann nicht identifizieren, wessen Stimme das ist, aber ich bin der Person unendlich dankbar.
Ich will mich nach der Person umsehen, die dass gesagt haben könnte, doch da fängt das Chaos an sich zu entfalten.
Beschuldigungen an unterschiedlichste Personen werden geschrien. Gefolgt von genauso lauten Verteidigungen. Wilde Anklagen reihen sich an panische Ausrufe. Andere, insbesondere die jüngeren, fangen an, leise zu schluchzen. Ob um ihr Leben, oder Mr. Winters und Macey, weiß ich nicht.

Ich schaue nach dem jungen Mädchen von vorhin. Ob es ihr bei dem ganzen Chaos gut geht?
Erschrocken sehe ich, wie sie zu Boden gegangen ist, ihre Beine fest an ihren schmalen Körper angezogen. Augen weit aufgerissen, so als ob sie die Bilder von letzten Freitag nochmals sehen müsste. Hat sie keine Freunde, die ihr Beistand leisten? Aber es kommt niemand.
Vorsichtig entziehe ich mich dem Menschengetümmel und überlasse Nate der Obhut von Jake und Kathrin. Ich hoffe bloß, dass sie nichts taktloses zu ihm sagen werden.
Vorsichtig setze ich mich neben das Mädchen.
"Hey. Keine Sorge, du bist nicht mehr dort. Alles ist gut. Du bist in Sicherheit", versuche ich sie sanft zu beruhigen.
Allerdings starrt sie einfach weiterhin mit verschreckter Miene ins Leere.
"Hey", meine ich nochmals sanft, während ich sie langsam am Arm berühre.
Erschrocken zuckt sie zusammen und schaut mich verängstigt an.
"Du bist doch die, die Mr. Winters umgebracht hat. Ich hab alles gesehen, wie kann man bloß so etwas tun. Geh weg! Weg!", ruft sie verzweifelt, während sie von mir wegrobbt.
Eilig stürzen zwei Lehrer herbei und gehen zu ihr, mich von ihr wegdrängend.
Verletzt stehe ich auf. Das war eine ziemlich heftige Reaktion. Ich wollte ihr doch nur helfen.
Bedrückt gehe ich zurück zu Nate, während mir auffällt, dass der Direktor versucht, das Chaos unter Kontrolle zu bekommen, indem er die Schüler zurück zum Klassenzimmer schickt, was zur Folge hat, dass alle Schüler unkontrolliert die Turnhalle verlassen.
Als ich wieder bei Nate ankomme, lächelt Jake mir verkniffen zu, schiebt seine Brille wieder mit zwei Fingern auf der rechten Seite nach oben und verschwindet, ohne etwas zu sagen, Kathrin mit sich ziehend.
Ich weiß, dass er dies nur getan hat, weil ich im Moment keine Person bin, mit der man abhängen will. Jetzt umso mehr als jemals zuvor. Und das tut weh.

Langsam ergreife ich Nates Arm.
Ich weiß, dass er im Moment mit niemanden reden will, weswegen ich ihn schweigend nach draußen durch den Regen führe. Ich denke, dass er gerade selber seine eigenen Dämonen bekämpfen muss. Später werde ich für ihn da sein und ihm Gehör schenken. Im Moment will und muss er da erstmal alleine durch.
Wie aus dem Nichts spüre ich plötzlich eine Hand an meiner Schulter. Angespannt von der emotionalen Achterbahn, die ich gerade durchgehe, stoße ich einen spitzen Schrei aus.
Panisch lasse ich Nate los und drehe mich um.
Vor mir steht mit weit aufgerissenen Augen Howard. Sein Hemd wie immer falsch geknöpft.
Langsam beugt er sich vor und flüstert mit zitternder Stimme in mein Ohr:
"Hab ich es dir nicht gesagt?"
Ohne ein weiteres Wort verschwindet auch er wieder.
Nein! Ich habe keinen Platz mehr für noch eine Empfindung. Bitte nicht auch noch Schuldgefühle.
Hätte ich es verhindern können, wenn ich Howards Text rechtzeitig gelesen hätte? Hätte ich ein Leben retten können?
Wie angewurzelt bleibe ich im Regen stehen.
Ist das alles wegen meiner Faulheit? Nein, nein, niemals.
Ich spüre, wie der Regen mein Gesicht entlangläuft. Über meine Stirn, an meinem Kinn entlang, mir von der Nase tropfend.
Doch das ist mir egal, denn was wenn durch meine fehlende Zielstrebigkeit das Leben einer Person genommen wurde?

Der Korridor ist beinahe still.
Kaum jemand redet wirklich mehr etwas seit heute in der Früh. Keine Freshmen, die laut schreiend rennen, keine Lehrer die sie dafür rügen.
Jeder ist jedem misstrauisch gegenüber und es ist besser, wenn man mit möglichst Wenigen Kontakt hat.
Ich komme an zwei aufgestellten, großen Pinnwänden vorbei, von einer lächelt mir unwirklich Maceys Gesicht zu, von der anderen jetzt auch Mr. Winters.
Ein paar Stifte, Papier und Pinnnadeln stehen daneben auf einem Tisch.
Das mag paranoid sein, aber um die Pinnwände scheint noch viel Platz für eine weitere.
Bei diesem Gedanken schaudere ich.
Sie wurden aufgestellt, damit wir unsere Gedanken zu den grausamen Taten allen zeigen können.
Insbesondere ein Schild fällt mir ins Auge. Mit großer, roter Schrift steht das drauf, was die ganze Situation beschreibt, was genau meine Gedanken zusammenfasst:
Sind wir hier noch sicher?

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