Kapitel 23: Farley

Montag

Jeder durchschnittliche Mensch würde mir zustimmen, wenn ich sage, dass Montage schrecklich sind.
Ich habe viel zu wenig geschlafen, da ich es für intelligent hielt, doch noch meinen Anime fertig zu schauen. Und jetzt muss ich wohl mit den Konsequenzen leben. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mir lieber Howard's Aufzeichnungen hätte anschauen sollen, will ich jetzt mehr zurück in Bett, als an manchen Montagen, wo ich am Wochenende feiern war.
Ich fühle mich schon irgendwie schuldig, weil ich Probleme wie Howard in meinem Zeitplan nach hinten schiebe, aber letzten Endes sind die Aufzeichnungen bloß gruselig. Eine siebzehn-jährige Schülerin wird wohl kaum einen Mord aufklären, an dem die Polizei gescheitert ist. Da macht es keinen Unterschied, ob ich das alles in einer Nacht lese, oder mir Zeit lasse. Auch wenn ich wirklich nicht bis zwei Uhr nachts keinen Gedanken daran verschwenden hätte sollen, dass auch ich etwas Schlaf brauche.
Aber das schlimmste ist, dass meine Eltern strikt dagegen sind, dass ich Kaffee trinke, weil Koffein eine Droge ist und Drogen schlecht für meinen Körper sind, oder so in der Art. Amüsant. Ich lächle triumphierend, während ich meinen Zigarettenstummel auf den Boden schnippe und mich in Richtung des Schulgebäudes bewege.
Zum Glück fängt die Gerüchteküche langsam an, wieder abzukühlen, da es bereits einige gibt, die mich nicht mit hasserfülltem oder skeptischem Blick anstarren. Ich richte mich trotzdem auf und korrigiere meinen Gang, als ich die unzähligen Augen, welche auf mir ruhen, spüre. Mit eisernem Blick starre ich einfach gerade aus, bestmöglichst die Menschen um mich herum ausblendend.
Plötzlich erkenne ich eine Person im schwarzen Mantel weiter hinten im Gang, und gehe mit eiligen Schritten auf den Spind zu, vor dem diese stehen geblieben ist.

Um Nate auf mich aufmerksam zu machen, berühre ich seine Schulter und begrüße ihn mit einem Lächeln. Ich werde einfach mal so tun als ob ich unseren Streit komplett vergessen hätte.
"Ah, hallo. Gut, dass ich dich treffe, denn ich habe Neuigkeiten", begrüßt er mich.
"Lass hören", erwidere ich interessiert.
Er öffnet seinen Spind und sucht nach irgendwelchen Büchern, während er fortfährt:
"Also, ich war gestern auf dem Friedhof ... "
"Und du willst kein Emo sein? Also ich denke schon, dass eine Friedhofsobsession ein eindeutiger Beweis ist. Aber ich habe ja nichts anderes erwartet", unterbreche ich ihn mit amüsierten Unterton.
"Eigentlich ist das eher ein Klischee, das man Goths zuschreibt. Aber wir haben ja auch bereits festgestellt, dass du da keinen Unterschied erkennst", erklärt er mir, als er gleichzeitig die Augen verdreht.
"So, also. Was sind die Neuigkeiten?", dränge ich ihn, seine Antwort mit einer Handbewegung abtuend.
"Als ich bei Macey's Grab war, habe ich Howard gesehen. Er hat dort irgendwelche seltsamen Rituale vollführt. Also einen Salzkreis darum gestreut, und so Zeug. Er hat mich entdeckt, und als ich ihn dann gefragt habe, was er da macht, hat er erklärt, dass er dafür sorgen würde, dass Macey's Geist nicht auf die Erde zurückkehrt. Aber das ist noch nicht alles."

Langsam schließt er den Spind, nachdem er die Bücher rausgefischt hat, und schaut mich an.
Ich runzele die Stirn.
Also denkt Howard wirklich das, was er geschrieben hat. Das beweist es noch mehr. Und das wiederum trägt nicht dazu bei, dass ich mich beruhige.
Schweigend starre ich zurück.
Eigentlich sollte ich Nate von der ganzen Geschichte erzählen, allerdings ist es nicht möglich. Oft genug hat er mir gezeigt, dass er viel zu impulsiv handelt. Und ich will nicht, dass er überstürzt Howard beschuldigt und im schlimmsten Fall zur Polizei rennt. Ich würde ihn gerne aufklären, aber es wäre ein fataler Fehler.
"Wie seltsam, was das wohl bedeuten mag?"
Kontrolliert lasse ich kein bisschen hindurch scheinen, dass ich mehr weiß als er, und mische genug Verwunderung in meine Stimme.
"Wie gesagt, es kommt noch mehr hinzu. Er hatte nämlich auch eine Bibel dabei, und auf meine Frage, seit wann er so religiös wäre, meinte er sowas wie 'Der Feind meines Feindes ist mein Freund'. Meine Interpretation davon lautet ja, dass er folglich Macey als den Feind bezeichnet. Beziehungsweise ihren Geist. Warum die Kirche ebenfalls mit ihr befeindet sein sollte, ist mir zwar nicht ganz klar, aber ihm ist anscheinend jedes Mittel recht, dafür zu sorgen, dass sie endgültig fort ist, und das beinhaltet für ihn, Zeug aus der Bibel an ihrem Grab zu lesen und irgendwelche Rituale zu vollführen", erklärt er mir.

Rituale? Ist ja interessant. Wie kann man bloß jemanden wie Howard davon zu überzeugen, dass der Antichrist nicht existiert hat, nicht existiert und nie existieren wird?
Nach einer kurzen Pause fährt Nate fort: "Ich weiß, das klingt leicht abgefuckt, aber er ist so verrückt, dass ich ihm dieses Denken zutraue."
"Nein, ist es nicht. Das ist gruselig."
Was tatsächlich der Wahrheit entspricht. Es ist einfach bloß seltsam. Alles. Alles ist einfach seltsam.
"Naja, der merkwürdigste Teil kommt noch: Als ich ihn gefragt habe, warum er Macey für den Feind hält, hat er nur geschrien, dass er damit abgeschlossen habe, und dass 'ein Fehler begangen wurde, weil das Böse die Welt nicht verlassen kann'. Er wurde richtig psychotisch. Was hältst du von der Interpretation, dass er der Mörder ist, aber dann Angst bekommen hat, dass ihr Geist sich an ihm rächen könnte - "

Plötzlich erkenne ich am anderen Ende des Ganges eine Gruppe von wohl bekannten Leuten.
Gesichter, die ich mal Freunde nannte. Nini, Blade, - und das schlimmste - Grace und Bradley sind auch unter ihnen.
Als ich Bradley direkt anschaue, tritt Nate in den Hintergrund.
Ich sollte ihm zuhören, was er mir eigentlich bezüglich Howard zu sagen hat, aber letzten Endes kann er mir doch auch nichts wirklich neues sagen. Für ihn sind es vielleicht neue Erkenntnisse, aber ich weiß ja bereits, dass Howard in die Klapse gehört. Wir drehen uns bloß im Kreis. Keinen einzigen Schritt bringt uns das vorwärts.
Ich gebe ein kurzes "Mhm" als Antwort, während ich versuche, mich vor den Leuten hinter Nate zu verstecken. Ich habe jetzt keinen Nerv, mich mit ihnen auseinander zu setzen. Dafür ist es viel zu früh am Morgen.

Verwirrt wegen meiner kurzen Antwort blickt Nate kurz auf mich herab und durch den vollen Korridor, bis er den Grund in Form einer Hand voll Personen, oder vielleicht einer Person, sieht.
Zu meinem Leid macht er einen Schritt zur Seite, damit ich mich nicht mehr hinter seinem Rücken verkriechen kann.
"Es war deine Idee, dass wir gemeinsam versuchen, den Täter zu finden. Also leb mit der Konsequenz, dass deine 'Freunde' mitkriegen, dass wir miteinander reden", klärt er mich überflüssiger Weise auf.
Ich mache einen Schritt zur Seite, um mich wieder hinter ihm zu verstecken, ganz nach dem Motto 'Wenn ich sie nicht sehen kann, sehen auch sie mich nicht' und murmele:
"Das brauchst du mir nicht zu sagen. Und inzwischen geht es nicht mal mehr darum, dass ich mich erbarme und dir meine Aufmerksamkeit schenke, sondern einfach darum, dass es sehr unangenehm ist, sie zu sehen, oder mit ihnen zu sprechen."
Es ist ein unvermeidbarer Schutzmechanismus meinerseits, dass ich so viel Arroganz wie nur möglich in meine Stimme lege. Ich hoffe bloß, dass Nate darüber hinwegsehen kann.
"Sicher, dass es nicht eher so ist, dass ich mich dir erbarme, weil du sonst alleine rumhängen müsstest, und anders als ich ganz eindeutig ein Problem damit hast?"
Er kann mich mal. Ganz ehrlich. Ich will nicht schon wieder streiten, da ich eh wegen einem seltsamen Gefühl, das sich Mitgefühl schimpft, verlieren würde.
"Aber sicher doch. Ich ... Farley Sullivan gebe dir durch meine pure Anwesenheit mehr Glück, als du jemals bekommen wirst", erwidere ich matt, aber offensichtlich nicht ernst gemeint.
"Interessante Definition von 'Glück', aber gut", lacht er versöhnlich.

Na ganz toll. Wegen dieser kurzen Diskussion habe ich die Anderen komplett vergessen, welche inzwischen fast auf der selben Höhe sind wie Nate und ich sind, und ich bin genau in das Blickfeld jedes Einzelnen geraten.
Ich bin schon fast sicher, dass sie einfach wortlos an mir vorbei gehen würden, als Grace plötzlich stehen bleibt und den Anderen überheblich zuruft:
"Hab ich es nicht gesagt? Sie schmeißt sich schamlos an diesen Freak ran. Schon traurig, wie sich manche Personen entwickeln. Erbärmlich."
Ich merke, wie mein Gesicht rot anläuft und ganz heiß wird.
Kann sie nicht einfach ihre Klappe halten. Es reicht! Sie ist erbärmlich, weil sie auf mir noch weiter rumhackt, auch wenn ich doch bereits auf dem Boden bin. Sie soll verdammt noch mal still sein.
Zwei Schritte weiter bleibt auch Bradley stehen und fügt verbittert an den Kommentar von Grace an:
"Und dann ist sie auch noch die Mörderin meiner einzigen mir jemals wichtigen Freundin."

Ich schlucke hart.
Jedes einzelne Wort war so gewählt, dass es mich genau da trifft, wo es am meisten wehtut. Genau da, wo mein Herz immer weiter für Bradley Johnson schlägt. Genau da, wo eine Wunde ist, von der ich nicht weiß, ob die Zeit sie in eine Narbe verwandeln wird.
Ich versuche, meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen, während ich im Kopf immer wieder die gleichen Sätze wiederhole.
Du wirst nicht weinen. Er hat das alles nicht so gemeint. Du bist ihm auch wichtig. Du wirst nicht weinen. Er hat das alles nicht so gemeint. Du bist ihm auch w- Scheiße!
Ich sehe in seinen Augen, dass er es mit purer Absicht gesagt hat. Er hat es so gemeint, wie er es gesagt hat.
Schweigend warte ich darauf, dass mir doch irgendjemand zu Hilfe kommt. Aber selbst Nini und Blade stehen emotionslos da.
Ich merke, wie die Sicht vor meinen Augen verschwimmt, als ich mich mit einem gemurmelten "Man sieht sich" in die Schülermenge stürze, und mir weiter einrede, dass ich besser bin als diese verstorbene Nachahmerin. Und dass Bradley mich nicht wirklich für eine Mörderin hält.
Während ich wegstürme, höre ich noch Nate's Stimme irgendwas zornig erwidern, von wegen, dass er nicht so einen Bullshit erzählen soll, aber seine Stimme geht irgendwann in dem Lärm der Schüler unter, während ich mich bloß darauf konzentriere, so weit weg wie möglich zu kommen.

"Entschuldigung, dass ich einfach so abgehauen bin", murmele ich zu Nate in der Pause, bestmöglichst vermeidend, weiter über das Geschehen am Morgen nachzudenken.
In der Hoffnung, ihn an seinem Spind zu finden, bin ich wieder dorthin gegangen, und ich hatte Glück.
"Kein Problem. Du hast nichts verpasst. Sie sind danach nur dazu übergegangen, mich zu beleidigen, sind aber irgendwann abgerauscht, als sie keinen Erfolg hatten. Auch wenn einige von Bradley's Lakaien aussahen, als würden sie mich am liebsten wegen Majestätsbeleidigung instant zum Schaffot führen", erwidert er.
Ich lächle matt und flüstere:
"Das ist gut."
Schweigend schauen wir uns an. Er legt plötzlich eine Hand auf meine Schulter. Wohl um mir seine Unterstützung zu zeigen. Ich lächle ihn deswegen wohl etwas gezwungen, aber mit wahrem Ursprung, an.

Plötzlich heftet sich sein Blick auf eine Person hinter mir.
Ich drehe mich um und erblicke einen Lehrer mittleren Alters.
Mit jedem seiner Schritte wippt sein Doppelkinn und die Fettrollen um seinen Bauch mit. Aber das schlimmste sind die klar sichtbaren Schweißflecken unter seinem Hemd, und die zotteligen, langen Haaren, welche aufgrund eines fehlenden Haarschnittes einen bunten Mix aus grauen und schwarzen Stellen darstellen. Je länger ich ihn mir anschaue, desto mehr habe ich Angst, Augenkrebs von seiner Erscheinung zu bekommen.
"Wer ist das?", frage ich Nate, da er direkt auf uns zugeht, und ich ihn, glaube ich, noch nie in einem Fach hatte. 
"Keine Ahnung. Aber er sieht nicht gerade erfreut aus", antwortet er.
"Nathaniel Revely", fängt der Lehrer an, "wir müssen reden."
Also, ich kann definitiv eines sagen, der Lehrer ist wirklich nicht gerade begeistert.
Langsam nimmt Nate seine Hand von meiner Schulter und schaut ihn verwirrt an.
"Ähm ... in Ordnung", erwidert er.

"Wahrscheinlich weißt du es nicht, deswegen sage ich es dir: Ich bin Mr Rowley. Nachdem Mr Santorski, der Lehrer, welcher die Schülerzeitung geleitet hat, in Frührente gegangen ist, wurde ich damit beauftragt. Was du vermutlich auch nicht weißt, da du bisher kein einziges Mal anwesend warst, noch in der Zeit, in der ich verantwortlich für das Funktionieren der Schülerzeitung bin, einen einzigen Artikel abgeliefert hast. Wir haben keine Verwendung für solche Leute, deswegen wirst du fristlos von der Schülerzeitung ausgeschlossen", erklärt er ausführlich.
Je weiter der Lehrer spricht, desto fassungsloser erscheint Nate.
"Ich maile regelmäßig Artikel an die Redaktion. Mindestens einmal pro Monat. Ich recherchiere für gewöhnlich nun mal viel, weshalb es immer etwas dauert ... Es steckt viel Arbeit dahinter, und es ist nicht meine Schuld, dass die Artikel nie veröffentlicht werden. Qualität geht doch eigentlich vor Quantität", versucht sich Nate mit leicht panischer Stimme rauszureden.
"Das rechtfertigt nicht dein Nicht-Erscheinen zu unserem wöchentlichen Treffen. Und die Qualität von 'Top 5 Alben von David Bowie' lässt sich sicher auch in Frage stellen", entgegnet er trocken.
"Die einzige Vorgabe für die Artikel war doch, dass es etwas sein sollte, das die Schüler interessiert. Und aus meiner persönlichen Sicht zählt sowas dazu. Und ... das wöchentliche Treffen ... ähm ... mir ist oft was dazwischen gekommen ... Und da meine Artikel ja sowieso nie veröffentlicht wurden, bis auf ein Mal, gab es doch keinen wirklichen Grund dazu ...", versucht Nate sich immer noch zu verteidigen.
Hat er wirklich nicht gemerkt, dass er bereits verloren hat?

"Ich habe gesagt, dass du fristlos draußen bis. Diese Entscheidung steht. Früher waren die Menschen nackt und glücklich, und jetzt sind sie angezogen und müssen arbeiten. Auch du, Nathaniel Revely."
Ich versuche ein Kichern wegen dieser auf den Punkt bringenden Aussage zu unterdrücken. Schließlich hat Nate mich heute verteidigt. Aber meine Mundwinkel zucken dennoch verräterisch nach oben. Doch mein Lächeln vergeht, als ich sehe, wie verzweifelt Nate schaut.
"Bitte, geben Sie mir noch eine Chance ... Ich werde bei jedem Treffen anwesend sein, und Ihnen so viele Artikel schreiben, wie Sie wollen. Denn Sie wissen doch sicher, was es für mich bedeutet, wenn Sie mich rauswerfen", versucht er es nochmals panisch.
"Versuche es bitte bei einer anderen AG. Ich wünsche dir viel Glück bei der Suche, und da wir vermutlich nicht mehr sprechen werden, auch viel Glück bei den Finals", antwortet er, sein Doppelkinn mitwippend, bevor er sich umdreht.

"Das hat der Wichser jetzt nicht wirklich am Ende noch gebracht! Er weiß doch ganz genau ... ", ruft Nate wütend zu mir.
"Ganz ruhig. Wenn du eh nie da warst, dann macht es doch keinen Unterschied, ob du dabei bist, oder nicht", erkläre ich sanft, um ihn zu beruhigen.
"Keinen Unterschied? Keinen Unterschied?! Du weißt schon, dass man, ohne die notwendige Anzahl an belegten Stunden, zu denen auch Wahlfächer zählen, nicht für die Finals zugelassen wird?! Ich bin komplett gefickt ohne die Stunden von der Schülerzeitung!", klärt er mich aufgebracht auf.
Oh! Jetzt verstehe ich das Problem. Stimmt. Es gibt an unserer Schule ja die Regelung, dass man seine Stundenanzahl auch duch ein Wahlfach erreichen kann.
Jetzt macht auch der letzte, zynische Satz von dem Lehrer Sinn.
Nate muss einer AG, jetzt fast am Ende des Schuljahres, beitreten, sonst kann er nicht zu den Finals zugelassen werden. Das ist ein Problem. Ein großes.
Auch wenn er schon selber schuld ist.

"Vielleicht hättest du gleich genügend Stunden belegen und dich nicht auf ein Wahlfach stützen sollen", meine ich gleichzeitig besorgt, aber auch ein klein bisschen sicher, dass er es verdient hat.
"Deine Ratschläge kannst du dir sowas von sparen! Und welcher vernünftige Mensch nimmt bitte mehr Fächer, als unbedingt nötig", zischt er.
Aufgebracht fängt er an, auf und ab zu laufen.
"Nur du hast, glaube ich, das Risiko in Kauf genommen."
Eigentlich geschieht es ihm Recht, dass dies nun passiert. Wie heißt es so schön: Karma is a bitch.
"Ja, hab ich, verdammt! Und bevor dieses Arschloch von Lehrer aufgetaucht ist, gab es auch keine Probleme."
Sein Blick wandert durch den Korridor, bis er einen Jungen ein paar Meter von uns entfernt entdeckt, welcher, glaube ich, in meinem Chemie-Kurs ist. Daraufhin lässt Nate mich einfach stehen und eilt auf ihn zu.

"Hey, John! Warte mal kurz. Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass ich noch der Musik-AG beitreten kann?", fängt er ohne Umschweife an, während ich ein paar Meter entfernt seltsam ratlos dastehe, da ich nicht weiß, ob ich ihm folgen sollte.
Der Junge, offensichtlich John, mustert Nate von oben bis unten.
"Wir nehmen so spät keine neuen Mitglieder auf. Auch denke ich, wenn ich ganz ehrlich bin, dass es einige gibt, die dagegen wären, dich im Spezifischen teilnehmen zu lassen", antwortet er gelangweilt, was sehr im Kontrast zu Nate's aufgewühltem Zustand steht.
Während er letzteres sagt, schaut er in meine Richtung.
Verwirrt drehe ich mich um, bis ich merke, dass er tatsächlich mich anschaut. Was sollte ich damit zu tun haben, dass Nate nicht in der Musik-AG erwünscht ist?
Plötzlich fällt es mir wieder ein. Die Leute halten mich für die Mörderin eines ihrer Mitglieder. Wie konnte ich das schon wieder so schnell vergessen? Es ist also meine Schuld. Ich laufe rot an und senke den Blick. Jetzt mache ich Nate doch noch zusätzliche Probleme.

"Es tut doch nichts zur Sache, mit wem ich meine Zeit verbringe! Und ihr habt auch jemanden in der AG, der fucking Triangel spielt - Irgendeine Möglichkeit wird es doch geben!", entgegnet Nate.
"Mr Rowley war doch gerade bei dir. Vermutlich hat er dich aus der Schülerzeitung rausgeschmissen, und deswegen kommst du zu mir."
John wartet kurz auf seine Reaktion, bevor er fortfährt:
"Deinem Gesicht nach habe ich genau den Nerv getroffen. Es tut mir leid, aber wir brauchen in der Musik-AG motivierte Leute. Eine Attitüde wie deine ist da nicht besonders hilfreich. Insbesondere, weil du schon immer diese Art gezeigt hast. Du kannst es gerne bei jemand anderem versuchen, aber ich werde dich nicht unterstützen. Zu viele Leute sind dagegen, es ist zu spät, und wir brauchen eine andere Einstellung, als deine. Ich wünsche dir noch viel Glück."
Damit dreht er sich einfach um und lässt Nate stehen.
Ich kann sein Gesicht zwar nicht sehen, aber ich kann mir seinen Blick klar vorstellen. Es tut mir so leid, dass er diese Probleme wegen mir hat. Er hat mich sogar vorhin verteidigt, und da mache ich noch mehr Probleme.

Donnerstag

Die letzten Tage sind wie im Fluge vergangen.
Ich habe Nate kaum gesehen, da er immer mehr unter Druck kam, eine AG zu finden. Aber jede kam mit der gleichen Meinung: Nate sei zu spät dran, oder eine zu heikle Person.
Der Vorfall mit Grace und Bradley ging mir auch einfach nicht aus dem Kopf, weswegen ich, sobald ich eine Person sah, die auch nur sie sein könnte, schnell in die andere Richtung verschwand.
Auch sind wir mit unseren sogenannten Ermittlungen nicht weitergekommen, da wir uns immer weniger gesehen haben.
Es ist bereits Donnerstag, als Nate in der Pause etwas gestresst aussehend zu mir kommt.
"Ich verzweifle echt bald. Vorhin war ich sogar bei dieser seltsamen Streitschlichter-AG. Und ich hatte den Lehrer wirklich schon fast soweit, dass er mich hätte beitreten lassen. Aber nein, dann mussten sich noch irgendwelche Mitglieder zu Wort melden, von wegen, dass es nicht gerade so scheint, als würde ich ihre Überzeugungen vertreten. Was soll das bitte heißen?! Diese arroganten Idioten! Haben keine Ahnung von irgendwas, führen sich aber wie die größten Moralapostel auf", erzählt er mir.

So sehr ich am Anfang Schadenfreude empfunden habe, so sehr fühle ich langsam mit ihm mit.
Und das schlimmste ist, dass es teilweise meine Schuld ist.
Ich senke langsam den Kopf, da ich ihm nicht wirklich in die Augen schauen kann. Er hat mich verteidigt, und das nicht vor irgendjemandem, und dann mache ich ihm noch mehr Probleme.
Ich könnte ihm ja helfen, aber dafür müsste ich über meinen Schatten springen. Ich bin ja bei der Prom-Vorbereitung. Ich könnte ein gutes Wort für ihn einlegen. Aber ich müsste meine Verbindung mit ihm voll und ganz bestätigen. Ich müsste für alle klar machen, dass ich ihm helfe. Und insgesamt wird es nicht einfach werden. Allerdings hat er mir geholfen, mich verteidigt, und er kann es auch endlich etwas einfacher haben.
"Ich kann ein gutes Wort bei der Prom-Vorbereitung für dich einlegen", flüstere ich, immerhin noch mit gesenktem Blick, damit er nicht sieht, wie schwer mir diese Worte fallen.
"Meinst du das ernst? Du würdest das tun? Das ist meine Rettung. Danke!", erwidert er begeistert.
Ich blicke langsam hoch, und sehe, dass er zwar überrascht, aber unfassbar erleichtert ist.
Dann werde ich wohl mein Bestes geben, ihn nicht zu enttäuschen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top