Kapitel 19: Farley

Nate tut mir so leid. Ohne Anhaltspunkte geistert er durch die Schule. Das einzige, was ihn vermutlich Tag für Tag aufstehen lässt, ist die Hoffnung, dass er den entscheidenden Hinweis für seine Rache findet. Er benutzt diese Hoffnung als kurzzeitigen Antrieb. Und ich glaube, dass er genau so wie ich weiß, dass diese Hoffnung irgendwann einmal sterben wird. Sie wird immer weniger werden, bis sie genauso wie Macey begraben unter der Erde liegt und allmählich vergessen wird. Und der Moment, in dem ihm das vollkommen bewusst wird, wird kommen.
Und ich schwöre mir, dass ich an diesem Tag für ihn da sein werde. Und bis dahin setzte ich ein Lächeln auf, um ihn noch in seiner Hoffnung schwelgen zu lassen. Wie ein Kind, welches man noch vor der grausamen Realität beschützen will. Es ist aussichtslos, den Mörder zu finden, denn warum sollten wir qualifizierter als die Polizei sein. Und warum sollte es jemand aus der Schule sein. Seine Statistiken haben keinen Sinn gemacht. Es waren nur verzweifelte Versuche, sein Verhalten zu rechtfertigen, und ich glaube, dass weiß auch er tief in seinem Inneren, aber ich werde nicht diejenige sein, die ihm diesen letzten Antrieb nimmt.

Plötzlich kommt wie aus dem Nichts eine Hand auf mich zugeschossen und packt mich am Oberarm. Erschrocken drehe ich mich ruckartig um und blicke in zwei weit aufgerissene Augen, welche mich nur ein paar Zentimeter von mir entfernt anstarren.
"Howard, erschrecke mich nicht so", tadele ich ihn.
"Es ist von höchster Priorität. Aber wir können das nicht hier besprechen, zu viele Verräter, Anhänger des Staates und Missachter der wahren Gesellschaft."
Wäre bloß Nate hier. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit ihm umgehen soll. Auf mich wirkt er wie eine tickende Bombe, die nur darauf wartet hochzugehen und seinen Wahnsinn überall zu verbreiten. Allein schon dieser Blick zeigt mir, dass er eine perfekte Besetzung für den Psychopathen in einem Horror-Film wäre.
"Ich habe gerade nicht besonders viel Zeit. Ich muss zur Prom-Vorbereitung", erkläre ich, um nicht alleine irgendwo mit ihm hingehen zu müssen.
Ich denke zwar nicht, dass jemand aus der Schule ein Mörder ist, trotzdem habe ich keine Lust, unnötige Risiken einzugehen. Auch wenn gerade alles den Bach runter läuft, liegt mir schon etwas an meinem Leben.
"Prom-Vorbereitung? Du willst unser aller Sicherheit doch nicht wegen so einer Banalität gefährden!", meint er mit fast panischer Stimme.
Als ich keine Anstalten mache, doch noch mit ihm mitzugehen, fährt er extremst ernst fort: "Ich vertraue dir und deswegen will ich dir etwas über Macey erzählen. Es ist wichtig."
Macey?! Mit diesem Namen hat er sofort meine ganze Aufmerksamkeit gepackt.
"Ok. Aber ich habe nicht besonders lange Zeit", stimme ich zögerlich seinem Angebot zu. Hektisch zieht er mich in eine Ecke, entfernt von den Gängen, die gefüllt mit auf das Wochenende vorfreudigen Schüler sind.

"Du musst mir schwören, dass alles, was ich dir jetzt zeige und sage nirgends nochmal zum Gesprächsthema wird. Egal bei wem. Und damit meine ich jeden. Familie, Freunde und vor allen Dingen Nate. Auch zwischen uns sollte das nie wieder zum Thema werden. Keine Fragen!", meint er immer noch mit ernstem Gesichtsausdruck.
"Auch nicht mit dir darüber reden? Warum erzählst du mir dann davon?", frage ich verwirrt.
Was soll diese Geheimnistuerei?
"Eigentlich solltest du mir keine Fragen darüber stellen. Aber ich bin so freundlich und erkäre mich. Ich habe damit abgeschlossen. Ich will nicht mehr daran denken, da allein der Gedanke alles wiederholen könnte. Allerdings verbringst du nun Zeit mit Nate und solltest darüber wissen. Wissen, was es wirklich mit Macey auf sich hat."
Ich durchblicke nichts mehr. Ich weiß nicht, was ich mit seinen Aussagen anfangen soll. Was es mit Macey auf sich hat? Das macht mich schon neugierig.
"Ich schwöre, dass ich mit niemandem darüber sprechen werde", verspreche ich.
Er schaut mich musternd an.
"Möge dich die Strafe des Schicksals ereilen, solltest du dein Versprechen brechen."
Sollte das jetzt eine Drohung gewesen sein? Ich hoffe nicht, denn die Überzeugung, mit der er das ausgesprochen hat, lässt mich schaudern.

"Du musst wissen, nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint", fängt er an, "Auch auf den zweiten Blick nicht. Und an dieser Schule gibt es Dinge, die selbst nach dem hundertsten Blick ihre Wahrheit nicht enthüllen. Meine Aufgabe ist es, die Aufmerksamkeit der Leute auf diese versteckten Dinge zu richten. Deswegen achte auf die Details. Ich werde dir ein Dokument schicken. Lies es auf eigene Gefahr hin durch, und dir wird eine neue Sichtweise eröffnet. Kannst du mir bitte kurz deine E-Mail Adresse geben?"
Verwundert starre ich ihn an. Was bitte soll das mit unserer Schule heißen? Und E-Mail? Wenn es schon so ein Geheimnis ist, dann könnte er mir doch wenigstens ein in Leder gebundenes Buch geben.
"E-Mail? Klar. Hast du ein Stück Papier?", frage ich und er nickt hastig, während er seine viel zu große Schultasche vom Rücken nimmt und Papier und Stift rauskramt. Schnell kritzle ich sie hin.
"Ich werde dir das nötige bis heute Abend geschickt haben. Wisse immer: Nichts ist, wie es scheint, und jeder trägt seine Geheimnisse mit sich rum."
Was soll mir das jetzt sagen? Und als ich noch einmal in seine weiten Augen schaue, weiß ich wirklich nicht, wie ich seine Emotionen zu deuten habe. Ich nicke bloß.
"Ach, und noch etwas: Hast du einen Ein-Dollar-Schein?", fragt er mich.
In der Regel würde ich lachen, aber irgendwie bleibt es mir in der Kehle stecken. Im Moment ist mir noch zu mulmig von seiner Ansprache gerade eben. Ich muss erstmal verarbeiten, was er mir gesagt hat. Ich muss erstmal schauen, welche Aussagen von ihm Sinn machen und welche nicht. Ich muss einfach noch mal darüber nachdenken. Ob ich mal schauen sollte, was für gute Psychologen in der Stadt existieren?
"Ich muss los. Ich komme noch zu spät", verabschiede ich mich hastig. Er schaut mich nochmal eindringlich an, bevor er zur Verabschiedung diese eine seltsame Metal-Geste macht. Was für eine seltsame Person.
Ich habe es überhaupt nicht gemerkt, aber erst, als ich weg von ihm bin, fange ich an mich wieder zu entspannen. Wer weiß, vielleicht ist dieser Kerl einfach immer zugedröhnt, weil anders könnte ich mir sein Verhalten rein rational gesehen nicht erklären. Aber wenn nicht, dann bin ich echt ratlos, was ich mit diesen Infos anfangen soll.

Wieder in der vertrauten Schülermenge, erblicke ich Hope.
Ihr eigentlicher Name ist Elizabeth, aber sie weigert sich, auf irgendetwas außer auf Hope zu hören. Das ist zwar definitiv dumm und ein bisschen zu exzentrisch, aber sie ist zu stur, als dass man dagegen ankommt. Das weiß ich schließlich aus Erfahrung, da ich mich lange vehement geweigert habe, sie nicht mit ihrem Geburtsnamen anzusprechen, weil ich das einfach lächerlich finde.
Sie ist die Cheerleaderin, von der ich Nate mal erzählt habe.
Mit ihrer schmalen Statur, unterdurchschnittlichen Größe und ihren langen blonden Haaren ist sie die perfekte Flyerin.
Auch wenn sie schon immer etwas für Bradley übrig hatte, und ich wegen ihrem elfengleichen Aussehen extremst eifersüchtig war, konnte ich sie besser leiden, als manch andere. Durch ihre sehr interessante Art gab sie allem ihren eigenen Touch und ließ sich eher weniger davon aus der Ruhe bringen, dass sie nicht zwingend der Norm entspricht. Und trotzdem ist sie Cheerleaderin. Dafür bewundere ich sie sogar ein bisschen.

Eigentlich wollte ich Nates Anweisungen bezüglich den Gerüchten nicht nachkommen, aber Howard hat mich zum Nachdenken gebracht. Vielleicht sollte ich es doch einfach aus Sicherheitsgründen tun. Ich bin eh schon bei allen unten durch, weil man mich für eine Mörderin hält. Da macht es keinen Unterschied mehr, ob ich mich blamiere. Schließlich habe ich keine Freunde mehr, die ich verlieren kann. Mir dies klar zu machen, ist wie ein Schlag ins Gesicht. Es ist, als ob die letzten Monate mein Leben nicht besser gemacht hätten. Nein, es sogar verschlechtert. Das ist die bittere Wahrheit, die ich akzeptieren muss.
Also kann ich noch kurz einen Abstecher bei Hope machen, da sich meine Situation wohl kaum verschlechtern kann. Insbesondere, weil ich sie frage, aber ich denke auch, dass jeder andere mir keine Informationen geben würde. Nicht mal Nini. Obwohl, vielleicht würde mir Grace enthusiastisch erzählen, wie genial sie doch war und wie reibungslos ihre Intrige verlaufen ist.

"Hey, Hope", spreche ich sie an. Mit Absicht mit ihrem selbst ausgesuchtem Namen, in der Hoffnung, sie damit ein bisschen auf meine Seite zu ziehen.
"Hi, hast du schon unter meiner neuesten Jelena-Fanfiction kommentiert?", fragt sie mit lebhafter Stimme, während sie sich schwungvoll zu mir dreht. Ups! Das hätte ich machen sollen, um sie noch mehr auf meine Seite zu ziehen. Wenn es etwas gibt, was ihr am Herzen liegt, sind es ihre seltsamen Fanfictions, die sie online hochlädt. Ich lächle sie entschuldigend an und bastle mit eine Entschuldigung: "Du hast was Neues geschrieben? Sorry, ist mir gar nicht aufgefallen. Aber sobald ich zu Hause bin, werde ich das ASAP nachholen."
Sie zieht eine traurige Miene und meint: "Ja, jetzt wird es echt langsam Zeit, sich auf die Finals vorzubereiten. Da überarbeitet man sich schnell."
Sie halt kurz inne und ich schaue sie vorsichtig an. Ich weiß, dass sie jetzt wie Dynamit ist und jeden Moment hochgehen kann. Wie erwartet fängt sie plötzlich an zu schluchzen: "Es sei denn natürlich, du interessierst dich nicht für meine Sachen. Ich weiß, dass sie nicht die besten sind, aber diese Fandoms sind mein Ein und Alles. Wir leben doch im einem freien Land, da kann ich das tun, was ich will. Aber natürlich könnte ich alles wieder löschen, wenn es niemanden interessiert."
Zwei Tränen laufen ihre Wangen hinab. Ich krame in meiner Tasche nach einem Taschentuch und reiche es ihr, während ich sie beschwichtige: "Hey, ich mag deinen Schreibstil. Und deine, äh..."
Ich denke kurz darüber nach, ob ich mich an irgendetwas von ihren Geschichten erinnere. Leider fällt mir auf, dass ich sie eigentlich immer so seltsam fand, dass ich sie aus meinem Gedächtnis gestrichen habe.
"Deine vorletzte war richtig gut", fahre ich fort.
Ganz plötzlich sind ihre Tränen verschwunden und sie lächelt mich breit an.
"Echt, findest du? Danke!", meint sie so aufgedreht wie vorher, während sie mich vor lauter Freude überschwänglich umarmt. Ich verdrehe bloß die Augen.
Sie schiebt sich wieder von mir weg.
"Also", fängt sie verschwörerisch an, "Da du offensichtlich doch ein Fan meiner Geschichten bist, kannst du mir sagen, wozu du da bist. Selbstverständlich ist es nicht besonders klug von mir, direkt was mit dir zu machen, aber ich kann einen treuen Fan doch nicht einfach so fallen lassen."
Ah ja, ist ja nett, dass sie jetzt denkt, ich würde ihre Fanfictions tatsächlich feiern. Soll mir doch recht sein, solange ich dann bekomme, was ich will.
"Also, liege ich richtig in der Ansicht, dass Grace angefangen hat zu erzählen, dass ich angeblich einen gewissen Mord begangen hätte?", frage ich sie.
"Grace. Grace", überlegt sie, "Ich weiß nicht genau, wie sie heißt, aber wenn das so eine mit schwarz-blondem Ombré ist, liegst du richtig."
"Hat sie auch noch sehr unnatürlich aufgemalte Augenbrauen?"
"Mh, ja. Ja, genau das ist sie", bestätigt Hope meinen Verdacht.
Ok, dann habe ich diese Sache auch abgehakt. Nate kann jetzt beruhigt sein, da Grace niemals intelligent genug wäre, um einen Mord zu vertuschen.
Ich bedanke mich und will schon weitergehen, doch Hope hält mich nochmal auf.
"Ist dir noch etwas eingefallen?", frage ich.
"Ja, etwas ganz wichtiges. Nächste Woche werde ich ab Montag jeden Tag eine BTS-Fanfiction hochladen. Am Anfang immer eine xReader. Und ab Samstag dann die besten Ships. Ich versichere dir: Das wird genial. Schau auch mal bei mir auf Insta vorbei, dort stehen die exakten Daten, wann was hochgeladen wird. Und soll ich dir das beste erzählen? Unter jedem, der etwas nettes kommentiert, suche ich mir einen aus, der dann den Titel..."
Ich höre ihrem aufgedrehten Gefasel gar nicht mehr zu. Wie kann ein so winziger Mensch ein solches Sprechorgan haben? Merkt sie nicht, dass mich ihr Zeug nicht interessiert? Ich habe meine Information und will einfach nur gehen. Erst heult sie und jetzt hat sie es sich wohl zur Mission gemacht, mein Trommelfell überzustrapazieren.
"Du, ich komme zu spät zur Prom-Vorbereitung", unterbreche ich sie harsch und nehme mir das Recht, einfach zu gehen.

Geschafft schmeiße ich mich auf mein Bett. Irgendwie hat mich der Tag doch mehr fertiggemacht, als gedacht. Doch jetzt ist zum Glück ja Wochenende. Aber was soll ich dieses Wochenende machen? Ich bin zu keiner Party eingeladen worden, oder alle haben ihre zurückgezogen. Ich hätte auch gar niemanden, mit dem ich da hingehen könnte. Das wird wohl eines der traurigsten Wochenende in meinem bisherigem Leben sein. Naja, dafür kann ich mich wie Yuki aus Mirai Nikki in eine Decke einwickeln und über das Leben heulen.

Aber das muss noch ein bisschen warten. Ich muss mich erst mit irgendeinem Zeug von einem Durchgeknallten beschäftigen.
Langsam ziehe ich meinen Laptop zu mir. Schon seltsam, dass ich tatsächlich etwas für den ehemaligen Freund von Macey tue. Ich dachte nie, dass ich überhaupt ein richtiges Gespräch mit ihm führen würde, und doch sitze ich hier und helfe ihm aus irgendeiner Laune der Natur, die sich Mitgefühl nennt.
Die erste neue E-Mail sieht aus, als wäre sie die richtige. Ich klicke auf den Anhang und ein Dokument wird geöffnet. Ich schaue erstmal auf die Seitenanzahl und verschlucke mich fast. Über hundert Seiten. Nope, die werde ich auf keinen Fall alle lesen. Aber ich kann ja mal anfangen.

17. September
Vade, Satana, inventor et magister omnis fallaciae, hostis humanae salutis.

Ich runzele verwirrt die Stirn. Sollte mir diese Sprache bekannt vorkommen? Ist das Spanisch oder Italienisch? Vielleicht wird es später erklärt, oder ich google es.

Sobald die Welt mit klaren Augen betrachtet werden kann, werden Dinge gesehen, die nie für möglich gehalten wurden. Es werden Dinge gehört, auf die nie die Aufmerksamkeit gerichtet wurde.
Als jemand, der es besser weiß, merke ich dies schnell. Für mich ist alles eindeutig, und deswegen ist es meine Aufgabe, mein Wissen an die Welt weiter zu tragen. Die Augen der Unwissenden zu öffnen.
Aber niemals wäre mir in den Sinn gekommen, dass auf mir die Rettung der Schule liegt. Warum konnte mir das Schicksal keine einfachere Aufgabe zufallen lassen??
Aber die Beweise sind eindeutig.
Macey Simmons ist nicht bloß gefährlich, sie ist unser aller Untergang. Als Verbündete des gefallenen Engels ergreift langsam der Antichrist von ihrer Seele die Kontrolle.
Das ist mir erst vor kurzem klar geworden, aber es ist eindeutig. Ich hatte schon immer das Gefühl, eine böse Kraft, die von ihrem Herzen ausgeht, zu spüren, schon seit sie damals (vor nunmehr zwei Jahren) meiner AG beigetreten ist. Aber die Lage hat sich seitdem beträchtlich zugespitzt.

Die Fakten:
~Exotisches Aussehen
~Berechnendes Auftreten
~Häufiges Vorkommen des Tones a, des sechsten Tones auf der Tonleiter, in ihrem gestrigen Stück: 666 - Zahl der Bestie (Offenbarung des Johannes 13,1–18)
~Sucht plötzlich gezielt Kontakt mit einflussreichen Schülern

Nathaniel Revely, jemand, der kurz davor ist, die ganze Wahrheit zu verstehen - die Lügen täuschen ihn nicht - darf nicht in die Hände eines Monsters fallen, welches versucht, ihn zu bezirzen (er scheint die stetige Veränderung ihrer Seele noch nicht bemerkt zu haben). Die Schule, die Welt, darf es nicht.
Und ich wurde dazu bestimmt, die Schwachstelle des Widerchristen zu finden und im rechten Moment zuzuschlagen.
Deswegen wird mit der ersten Phase, der Observationsphase, begonnen.
8.30 am: Zielperson (ZP) kommt mit geplantem Bus an der Schule an; noch sind keine Auffälligkeiten erkennbar
8.55 am: ZP erreicht ihren Mathematikkurs im Raum 239, in welchem sie planmäßig die nächsten 1 1/2 h verbringt
...

Mir läuft es kalt den Rücken runter.
Nicht wegen dem, was insgesamt geschrieben wurde. Nein, es bestätigt nur, dass Howard einen an der Klatsche hat.
Sondern, dass er ihren Tagesablauf so detailliert kennt. Jede Kleinigkeit.
Je weiter ich lese, desto mehr will ich zur Polizei rennen. Macey Simmons hatte die letzten Monate vor ihrem Tod einen Wahnsinnigen an ihren Fersen. Jemand, der aus nicht verständlichen Dingen "im rechten Moment zuschlagen" will.
Mir dreht sich der Magen um, als ich ein Bild von ihr beim Mittagessen sehe.
Howard ist verrückt, gestört, eine Gefahr für alle. Dieses Bild ist der Beweis dafür. Er hat Macey vor ihrem Tod gestalkt. Und nicht nur ein bisschen, wie ich bei Bradley. Nein, er hat seinen ganzen Tagesablauf nach ihrem gerichtet.
Eigentlich will ich bloß den Laptop zuklappen, da ich nicht weiter wissen will, wie Macey's Schritte vor ihrem Tod genauestens beobachtet wurden. Aber ich muss standhaft bleiben. So gerne ich es wollen würde, kann ich noch nicht 911 anrufen. Ich will nicht den gleichen Fehler wie Nate machen und Unschuldige als Mörder bezeichnen. Schnell lese ich weiter und als dann noch die exakte Uhrzeit dasteht, wann Macey an jenem Tag schlafengegangen ist, klappe ich endlich meinen Laptop zu. Ich kann das nicht mehr lesen. Ob sie wohl gemerkt hat, dass sie jemand beobachtet hat? Ob ihr Leben wegen einer Banalität wie exotischem Aussehen beendet wurde?
Ich rappele mich auf und gehe langsam zu meinem Fenster. Es ist bereits dunkel draußen, und ich schaue mich suchend um. Was wäre, wenn auch mich jemand beobachten würde? Wenn mein Tod bereits besiegelt wäre und Howard mir das als Warnung geben hat? Wenn er es lustig findet mich vor meinem Tod vor Angst zittern zu lassen? Ich durchsuche den Garten unter mir mit angehaltenem Atem.

Mein Herz bleibt kurz stehen, als ich aus dem Nichts ein Brummen höre. Zum Glück ist es bloß mein Handy.
Mit einem Blick erkenne ich, dass ich eine Nachricht von einer unbekannten Nummer bekommen habe. Vermutlich Nate ... hoffe ich zumindest.
Vorsichtig öffne ich die Nachricht und ich bin so erleichtert, dass ich doch keine Todesdrohung bekommen habe.

Habe Greg's Adresse. Er wohnt etwas außerhalb der Stadt, in so nem Berg-Kaff. Hast du morgen Zeit?

Ach, ist ja passend, letztes Wochenende hat er sich mit meinen Freunden - ehemaligen Freunden - abgeben müssen. Dieses Mal muss ich mich mit seinen Kreisen rumschlagen.

Ok, wie kommst du da hin und wie häufig kommt ein Bus?

Ich muss nicht lange warten, bis er mir antwortet.

Meine Mum ist zuhause, ich kann ihr Auto nehmen. Soll ich dich dann abholen?

Danke, das wäre echt nett von dir. Aber mal ne Frage: Wenn du Auto fahren kannst, warum nimmst du dann den Bus in die Schule?

Weil ich kein eigenes habe. Keine Ahnung, meine Mum hat irgendwie die Moralvorstellung, dass man sich sein eigenes Auto zumindest teilweise selbst verdienen sollte, oder so. Bedeutet, ich müsste mir einen Job suchen. Und ich habe definitiv besseres zu tun.

Er hat echt Probleme. Wenigstens erlaubt es ihm seine Mum. Er könnte dadurch eine unglaubliche Beweglichkeit und Freiheit bekommen, aber dann wegen sowas ablehnen. Ich würde nur zu gerne endlich meinen Führerschein bekommen. Allerdings will ich ihn nicht wegen so etwas verärgern. 

Verständlich. Also morgen Nachmittag?

Ja, so gegen drei Uhr. Wo wohnst du?

Schnell gebe ich ihm meine Adresse weiter und werfe mein Handy geschafft auf's Bett.
Damit war's wohl mit dem Sich-unter-der-Bettdecke-verstecken. Ich habe etwas zu tun. Ich muss mehr über Howard herausfinden. Ich muss das hier fertig lesen und wissen, warum er mir das überhaut gegeben hat. Schnell schließe ich die Vorhänge meines Fensters, falls doch jemand unten sein sollte. So unwahrscheinlich das auch ist.
Doch wie ich gerade gelesen habe, kann es jedem immer und überall passieren.

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