*38. Wahnsinn

Zwei Wochen vergingen, doch nichts wurde einfacher. Schüler tuschelten, wann auch immer Julie und James den Raum betraten und zu Julies Leidwesen, wurden die Streits auch nicht weniger. Es war die reinste Folter, denn obwohl sie so einige schöne Momente miteinander hatten, stachen die Schlechten immer mehr heraus und nahmen Julie immer mehr den Atem.

Eines späten Dienstagabends saßen sie zusammen im Gemeinschaftsraum und brachten ihre Notizbücher für Wahrsagen auf den neusten Stand. Dabei hatte Julie ihre Beine auf James' Schoß gebettet und lehnte an der Armlehne des Sofas.

„Und du hast dein Notizbuch wirklich ‚Orakelbuch' getauft?", fragte James grinsend nach. Julie sah auf und ihre Augen trafen sich, ehe sie nickte. James seufzte. „Ich sollte meinem Notizbuch wohl auch mal einen Namen geben, irgendwie ist Notizbuch auch nicht ganz passend." Daraufhin breitete sich ein seliges Lächeln auf Julies Lippen aus und sie spürte, wie pures Glück durch ihre Adern zu fließen schien.

„Das habe ich mir damals auch gedacht", stimmte sie zu und blätterte wieder durch ältere Einträge und Voraussagungen. Sie hatte immerzu jede Weissagung abgehakt, die bereits eingetroffen war und doch war es schwer, den Überblick zu behalten. Beinahe jeden Tag gab es neue Punkte, die sie beachten musste und dann wiederum waren da welche vom Anfang des Schuljahres, die noch nicht eingetreten waren, jedenfalls soweit Julie es beurteilen konnte.

Sie hielt inne, als sie an einem Eintrag hängen blieb, den sie Ende Januar verfasst hatte. Scheinbar hatte sie diesen in den letzten Wochen übersehen, denn es hätte ihr auffallen müssen. Eine Gitarre! Damals hatte Professor Wilson eine Gitarre in Julies Tasse ausmachen können und James hatte diese damals nachgeschlagen. An jenem Tag hatte Julie angewidert reagiert und nicht gedacht, dass diese Vorhersage in nächster Zukunft eintreten würde, schließlich hieß es, dass die Romanze am Horizont war und nicht nah. Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde und sie eine leere Seite aufschlug und einen Eintrag machte, dass diese Romanze wohl tatsächlich eingetreten war.

„Was hast du gefunden?", hakte James nach und Julie sah ihn gequält an. Irgendwie war sie peinlich berührt darüber, wobei sie sich nicht sicher war, ob es an der Tatsache lag, dass Professor Wilson dies lesen würde oder daran, dass sie die Bedeutung als kitschig und ekelhaft beschrieben hatte.

„Die Gitarre beim Teeblätterlesen", erwiderte Julie kleinlaut. James schien einen Moment nachzudenken, dass fing er auf einmal an, breit zu grinsen.

„Das nenne ich mal den Beweis dafür, dass Wahrsagen nicht immer vollkommener Schwachsinn ist", erwiderte er und lehnte sich so weit zur Seite, dass er seinen Kopf auf Julies Schulter betten konnte. Er sah in ihr Orakelbuch und obwohl Julie so viele Geheimnisse darin versteckt hatte, fühlte sie sich kein bisschen peinlich berührt, denn das meiste wusste James sowieso schon, insbesondere weil er die Hälfte der Weissagungen selbst gemacht hatte.

Julie fing an zu gähnen und warf einen Blick aus dem Fenster. Der Mond stand hoch am Himmel und sie wusste, dass es viel zu spät war, schließlich war am nächsten Tag Schule. Doch sie hatten an jenem Abend Quidditchtraining gehabt, weswegen sie ihre Hausaufgaben nach hinten verschieben mussten. Sie schlug ihr Orakelbuch zu und musterte James, welcher ebenfalls ziemlich schläfrig aussah.

„Ich bin müde", verkündete sie leise und wie von selbst war ihre Hand in seine Haare gewandert und und spielte mit einigen chaotischen Haarsträhnen. James sah auf seine Armbanduhr und richtete sich schließlich wehmütig auf.

„Es ist schon halb zwei, ich denke, wir sollten schlafen gehen", meinte er und setzte Julies Füße sanft auf dem Boden ab. Julie streckte sich, als sie aufstand und gähnte noch einmal laut, ehe sie sich ihre Tasche packte und zu der Treppe zu den Mädchenschlafsälen ging. James folgte ihr und nachdem sie sich eine ‚Gute Nacht' gewünscht hatten, stolperte Julie die Stufen hinauf und fiel wenig später todmüde, aber dennoch überglücklich in ihr Bett. Dieser Abend gehörte eindeutig zu den schönen harmonischen Momenten mit James, welche sie so sehr liebte. In jener Nacht war sie sich sicher, dass sie mit einem Lächeln auf den Lippen in den Schlaf glitt.

Am nächsten Morgen war von der guten Laune kein bisschen mehr übrig. Julies Kopf dröhnte und mit einem Murren drehte sie sich auf die andere Seite und versuchte nicht wieder in ihre Traumwelt abzurutschen. Sie hatte schlecht geträumt, auch wenn sie sich kaum noch daran erinnerte, worum es ging. Doch als ihr Magen anfing zu knurren und sie ihre Mitschülerinnen hörte, wie sie sich fertig machten, beschloss auch Julie, dass es nun an der Zeit war, ihre warme Bettdecke hinter sich zu lassen und sich anzuziehen.

Sie wusste, dass man ihr die Müdigkeit deutlich ansehen konnte, dennoch hatte sie keine Lust, sich lange im Badezimmer aufzuhalten und aufgrund ihrer Müdigkeit wusste sie am Ende nicht einmal mehr, was sie darin gemacht hatte und was nicht. Im Gemeinschaftsraum wartete James bereits auf sie, wobei er auf einem Sessel saß und so schien, als hielte er ein Nickerchen. Julie legte ihm eine Hand auf die Schulter und zog mit der Anderen an seinen Haaren. Seltsamerweise schien er hellwach, als er hochschreckte und ein breites Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er Julie ansah.

Er stand von seinem Sessel auf und ergriff ihre Hand.

„Schöne Frisur", bemerkte er und deutete auf Julies schwarze Haare, welche noch immer in einem geflochtenen Zopf steckten. Julie sah geschockt auf ihre Schulter und dann zu James, welcher anfing zu lachen. Sie hatte scheinbar vergessen, ihre Haare in Ordnung zu bringen und nun lief sie tatsächlich mit einem Zopf durch die Gegend, der eine Nacht lang vollkommen zerzaust wurde. Sie ließ James' Hand augenblicklich los und machte sich daran, den Zopf aufzulösen und ihre Haare mit den Fingern durchzukämmen. Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht total grauenhaft aussahen. James lachte weiterhin.

„Dein Blick ist Gold wert", meinte er, ehe er anfing zu seufzen. „Und ich dachte, wir würde einmal im Partnerlook herumlaufen. Ich bin enttäuscht!" Julie musste schmunzelte.

„Wer weiß, vielleicht gibt es irgendwelche Zauber, die machtvoll genug sind, um Ordnung in deine Haare zu bringen", meinte sie und zerstrubbelte ihm seine sowieso schon chaotischen Haare. James grinste und wiederholte die Geste, wobei Julie ihm einen wütenden Blick zuwarf, ehe sie sich ein weiteres Mal bemühte, ihre Haare zumindest einigermaßen passabel aussehen zu lassen.

„Wir sollten uns etwas beeilen, ansonsten sind Max und Lorraine schon über alle Berge, wenn wir in der Großen Halle ankommen", meinte James und ergriff Julies Hand wieder, um sie hinter sich her zu ziehen. Julies genervten Blick sah er dabei nicht.

„Max und Lorraine sind nicht die einzigen, bei denen wir sitzen können und das weißt du", kommentierte Julie und sprach damit einen Gedanken aus, der ihr schon lange auf der Zunge lag. James drehte sich zu ihr um und sah sie verständnislos an.

„Ach komm schon, es ist nicht wirklich so, als wäre ich bei deinen Freunden willkommen", erwiderte er.

„Das ist nicht wahr", meinte Julie bestimmt und schließlich blieben die beiden inmitten der Treppen stehen. Es war nur noch ein Stockwerk bis zu Großen Halle und Julie konnte die Schüler hören, wie sie sich fröhlich unterhielten, lachten und mit dem Besteck über den Teller kratzten.

„Und ob es das ist, deine Freunde hassen mich, Julie!" James gestikulierte wild und versuchte jedes einzelne Wort zu untermalen, was Julie noch wütender machte. Sie sah ihm fest in die Augen und versuchte den James zu finden, den sie mochte, doch stattdessen sah sie die gereizte Version, die sie schon jahrelang gekannt hatte.

„Na und? Das ist kein Grund, dich von ihnen fernzuhalten. Du kannst sie schließlich vom Gegenteil überzeugen! Und noch dazu sind sie keine schlechten Freunde; sie wissen, dass ich dich mag und respektieren das. Sie würden sich Mühe geben, gäbest du ihnen eine Chance!" Julie war gereizt, ihr Kopf schmerzte noch immer unerträglich von der kurzen Nacht und sie spürte, wie sie überhaupt nicht in der Stimmung für Streitereien war, doch das war es nun einmal, worauf es hinauslaufen würde.

„Es geht hier nicht um die Chance, die ich ihnen geben muss, sondern um die Chance, die sie mir geben müssen", widersprach James und verschränkte die Arme vor der Brust.

„James, du versuchst es doch nicht einmal!", rief Julie aufgebracht und fuhr sich durch die Haare.

„Weil es aussichtslos ist, wann geht das endlich in deinen Kopf rein?" Er starrte in ihre Augen und bei jenem Satz spürte sie, wie ihr Verstand aussetzte und sie sich von ihrer Wut leiten ließ. Sie versuchte für eine Sekunde das zu tun, was sie bei Mary immer tat — einmal tief Luft holen und sich sammeln —, doch das half nichts.

„Wann geht endlich in deinen Kopf rein, dass sie sich Mühe geben würden?" James lachte humorlos.

„Vielleicht würde Mary sich Mühe geben, ganz vielleicht auch noch Annabel, aber bei Hugo habe ich es schon vor Jahren dermaßen verkackt, dass es keine Chance für mich geben wird, glaub mir", meinte James ruhig. Und auf einmal schien der Wind seine Richtung zu ändern und James wirkte vollkommen fremd. Er war weder die alte Version, die Streit suchte und alle Gefühle von sich stieß, noch war er der Neue James, den Julie wertzuschätzen gelernt hatte.

„Und wie genau hast du dir alle Chancen verdorben?", fragte Julie. Auch ihre Stimme wurde schrecklich ruhig, doch keineswegs auf eine mitfühlende Weise. James sah ihr in die Augen, doch dann drehte er den Kopf. Julie konnte sehen, wie er sich am ganzen Körper anspannte und seine Hand zu Fäusten ballte.

„Er ist auf Albus' Seite", gab er kurz angebunden zurück und Julie zog eine Augenbraue hoch.

„Auf Albus' Seite bei was?", hakte sie weiter nach.

„Das geht dich nichts an", zischte James und Julie sah ihn geschockt an. Sie spürte, wie etwas in ihrer Brust zu schmerzen begann, jedenfalls metaphorisch.

„Ich versuche doch nur, dich zu verstehen, James!", fauchte Julie, doch zu ihrem Leidwesen wirkten diese Worte nicht.

„Ich habe mich damals mit Albus gestritten und Hugo hat sich auf seine Seite geschlagen, mehr musst du nicht wissen, um mich zu verstehen! Ich hab es vergeigt, ich werde keine Chance bei Hugo bekommen und ich will ihm nicht meine Gesellschaft aufzwingen!"

„Also hast du es bei Albus vergeigt und nicht bei Hugo!", befand Julie, doch James schüttelte nur wild den Kopf.

„Nein, ich habe es bei allen vergeigt, verstehst du das nicht? Bei Albus, bei Hugo, bei meiner Mum, Dad, Lily!" Julie sah ihn geschockt an. In jenem Moment wirkte James wie geistesgestört auf sie, dennoch machte nichts einen Sinn. Er schien ihr genug zu vertrauen, um ihr diese Seite von sich zu offenbare — der Wahnsinn, der in jedermann steckte —, dennoch hatte er nicht genug Vertrauen um mehr ins Detail zu gehen, was Julie noch mehr verwirrte.

„Warum bei Merlin kannst du es mir nicht einfach erklären?", startete Julie einen verzweifelten Versuch. Sie wusste, dass es James' letzte Chance war, sie wusste, dass sie nach dieser Frage alle Beherrschung verlieren würde, sollte James sich quer stellen. Und das tat er.

„Weil ich es nicht will", antwortete er und sah Julie wieder fest in die Augen.

„Gut, dann will ich eben nicht davon hören!", rief Julie und spürte wie der Fluss von Worten in ihr aufstieg, den sie eigentlich verhindern sollte, doch es war einfach unmöglich. „Wenn du es mir nicht erklären willst, dann will ich nicht, dass du dich darüber beschwerst, wenn ich mich zu meinen Freunden setze. Ich habe die Nase voll davon, immer nur deinen Wünschen nachzukommen! Entweder du bleibst bei mir und akzeptierst, wer meine Freunde sind oder du gehst zu Max und kotzt dich bei ihm über alles mögliche aus, vielleicht hat der dann irgendwann auch genug von dir und gesellt sich zu uns."

James starrte Julie mich offenen Mund an und schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. Doch sein Kiefer spannte sich an und Julie wusste, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Das war, wo sie den allergrößten Fehler machte.

„Vielleicht solltest du erstmal dein Hirn anschalten und deine eigenen Probleme aus dem Weg räumen, bevor aus einem gelösten Problem ein Neues machst!" Mit diesen Worten schritt sie die restlichen Treppen hinunter. James stand noch immer an Ort und Stelle.

„Dann hör du auf, aus allem Probleme zu machen und lauf nicht einfach weg!", rief James ihr hinterher. Julie fuhr zornig herum.

„Vergiss die Probleme, die ich schaffe, doch einfach ganz, dann hast du schon mal eines aus dem Weg geräumt. Ich bin es leid!", brüllte sie zurück.

„Das wäre dann ein Problem weniger", bemerkte James und kam die Stufen langsam herab. Julie hatte seine Worte klar und deutlich gehört und augenblicklich bereitete sich eine Leere in ihr aus. All die Wut war verpufft und sie sahen sich traurig an.

„Ich verstehe", brachte Julie hervor und drehte sich zögernd um, um daraufhin allein in die Große Halle zu gehen und sich neben Mary auf die Bank fallen zu lassen.

„Oh nein", murmelte Annabel und damit war all die Aufmerksamkeit auf Julie gelenkt, welche in die Leere starrte. Hugo seufzte und schielte an das andere Ende der großen Halle, wo sich James ebenso emotionslos bei Max und Lorraine niederließ.

„Was hab ich gesagt", meinte er leise, doch aus irgendeinem Grund klang er enttäuscht.

„Was ist passiert?", wollte Mary wissen, dich Julie reagierte nicht. Sie wollte keine Fragen beantworten, sie wollte sich nicht bewegen und nicht einmal ihr Magen knurrte mehr.

„Darf ich ihn schlagen?", fragte Caitlin gefasst, doch nicht einmal das brachte ein Lächeln auf Julies Lippen.

„Habt ihr euch gestritten?", fragte nun Annabel, doch alle schienen langsam zu begreifen, dass Julie kein Wort sprechen würde. Mary allerdings flüsterte: „Wahrscheinlich nicht nur das. So wie die beiden aussehen, haben sie sich getrennt." Das waren die Worte, die Julie aufblicken ließen. Sie hatte es nicht aussprechen wollen, denn jetzt, wo die Worte im Raum standen, wurden sie real. Sie starrte auf ihre Hände und blendete alles um sich herum aus. In ihrem Kopf spielte sich immer wieder die gleiche Szene ab. Das wäre dann ein Problem weniger.

Sie bekam beinahe nicht mit, wie ihre Freunde sich erhoben und sich auf den Weg zu ihrer ersten Stunde machten. Julie wusste nicht einmal, welche Klassen sie an diesem Tag hatte, doch was sie sehr wohl wusste, war dass sie den ganzen Tag mit James Unterricht haben würde und auf einmal wurde es mal wieder zu einem Nachteil, den exakt gleichen Stundenplan wie er zu haben.

Julie tappste Mary hinterher, welche den Weg zu den Gewächshäusern einschlug, was Julie verriet, dass es kein Fehler war, Mary zu folgen.

Die Stunde Kräuterkunde war schnell vorbei, Julie hatte Professor Longbottom zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt, stattdessen starrte sie Löcher in die Luft und erwischte sich dabei, wie ihr Blick zu James glitt, welcher ebenso geistlich abwesend wirkte. Irgendwie wusste sie, dass es ihm genauso ging wie ihr. Doch dann erschien das Bild von ihm vor ihrem geistigen Auge, in dem er vollkommen verrückt wirkte und mit jedem Gedanken jagte es ihr mehr Angst ein.

An jenem Tag bewies Mary, was für eine gute Freundin sie war, denn sie führte Julie zu ihren anderen Klassen und das obwohl Mary einige davon gar nicht belegte. Sie schien zu verstehen, dass Julie ohne ihre beste Freundin vollkommen verloren wäre. Am Nachmittag hatte Julie Wahrsagen und schon als sie in das Turmzimmer kletterte, wusste sie, dass sie lieber hätte schwänzen sollen. Sie ließ sich auf eines der Kissen fallen und schloss die Augen, bis sie von Professor Wilson aus dem Halbschlaf gerissen wurde.

„Ich heiße euch alle herzlich Willkommen! Zum Ende der Stunde werde ich eure Notizbücher einsammeln, deswegen gebe ich euch zwanzig Minuten Zeit, um alles in Ordnung zu bringen, bevor ihr euch an eure übliche Partnerarbeit macht", verkündete sie, doch Julie hatte nur die Hälfte davon mitbekommen. Sie hielt ihr Orakelbuch in den Händen, hatte aber nicht vor es aufzuschlagen. Es klebten zu viele Erinnerungen daran und sie musste insbesondere an ihren Eintrag von letzter Nacht denken. Damals war noch alles in Ordnung gewesen.

„Miss Llewellyn, ich weiß, wie du dich fühlst, ich habe es vor zwei Tagen in meiner Kristallkugel gesehen", flüsterte Professor Wilson auf einmal neben Julies Ohr. Julie erschrak und sah ihre Professorin geschockt an. „Ich weiß genau, wie sehr es schmerzt und keine Sorge, dein heutiger Partner wird Thommy sein."

Julie war verwirrt über Professor Wilsons Worte, doch alles was zählte, war dass sie nun eine Sorge weniger hatte. Während der ersten zwanzig Minuten rührte Julie ihr Orakelbuch nicht an und auch als Professor Wilson die Partner verkündete, bewegte sie sich nicht. Es kam erst wieder Leben in sie, als Thommy sich vor ihr fallen ließ und anfing zu sprechen, doch nur eine Sekunde später hatte Julie schon wieder vergessen, was er gesagt hatte.

„Ich verstehe", meinte er mit gesenkter Stimme, „keine Sorge, ich mach das schon."

Thommy hielt sein Wort und bereitete zwei Tassen mit Tee zu, las die Zukunft für beide darin und nahm Julie sogar ihr Orakelnbuch aus der Hand und machte den Eintrag für sie. Julie war ihm unglaublich dankbar dafür, auch wenn sie in jenem Moment nicht fähig war, es auszudrücken.

Als Julie nach dem Unterricht in den Gemeinschaftsraum kam und sie bereits von Hugo, Annabel, Caitlin und Mary empfangen wurde, fasste sie einen Entschluss: Sie würde sich fangen und auf andere Gedanken kommen.

„Habt ihr schon irgendwelche Pläne für heute Abend?", fragte sie und war erschrocken darüber, wie seltsam ihre Stimme doch klang. Sie hatte sie den ganzen Tag nicht gehört und doch fühlte es sich an, als würde irgendwas fehlen. Hugo grinste sie breit an und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Um genau zu sein schon", meinte er und Julie sackte leicht in sich zusammen, sie spürte, wie sie jeden Moment zusammensacken würde, doch dann lachte Hugo. „Und zwar nehmen wir dich auf einen Besenritt mit. Albus und Scorpius warten schon draußen!"

„Worauf warten wir dann noch?", erwiderte Julie begeistert. Ein Besenritt war genau was sie brauchte, um wieder zurück auf die Spur zu kommen. Und doch sträubte sich ein Teil ihres Körpers dagegen, denn Besen verband sie mit Quidditch und Quidditch verband sie unvermeidlich mit James. Noch dazu würde es nicht gerade helfen, dass James' Bruder ebenfalls anwesend sein würde, insbesondere, weil Julie seinen ‚ich hab's dir doch gesagt'-Blicken standhalten müsste.

„Um genau zu sein haben wir auf dich gewartete", erwiderte Caitlin frech und piekte Julie in die Seite. Und zum ersten Mal befand sich ein Lächeln auf Julies Lippen seit sie sich mit James gestritten hatte. Aus dem Lächeln wurde ein Grinsen und sie packte Caitlins Arm und Marys Hand und zog die beiden die Treppe zu den Mädchenschlafsälen hinauf. Annabel folgte ihnen lachend.

„Ich hol euch bei eurem Fenster ab!", rief Hugo ihnen noch etwas unbeholfen hinterher.

Wie damals, als Julie aus dem Quidditchteam ausgestiegen war, hatte Mary Julies Besen in den Schlafsaal der Viertklässlerinnen gebracht und Caitlin hatte sich schon aus dem Fenster gestürzt, als Julie auf ihren Besen stieg und Mary den Platz hinter sich anbot, doch Mary winkte dankend ab.

„Annabel hat mir schon angeboten, bei ihr mitzufliegen. Um ehrlich zu sein, will ich mit niemand anderem von auch auf einem Besen sitzen, bei all den Selbstmordmanövern, die ihr hinlegt", erklärte Mary und auch dieser Kommentar zauberte Julie ein Grinsen ins Gesicht, was Mary zu erleichtern schien.

Julie nahm Anlauf und sprang mit dem Kopf voraus aus dem Fenster, bis sie senkrecht auf den Boden zuraste und Adrenalin durch ihre Adern gepumpt wurde. Ihre Augen tränten und sie sah verschwommen, wie der Boden immer näher kam, doch sie machte keine Anstalten, sich aus dem freien Fall zu reißen. Es war ein unglaubliches Gefühl, die Luft schien aus ihren Lungen gepresst zu werden und letztendlich war das auch der Grund, warum sie sich ihren Besen zwischen die Beine klemmte und sich gerade noch rechtzeitig in die horizontale begab. Ihre Füße streiften das Gras für einen kurzen Moment, dann gewann sie wieder an Höhe und sah hoch über sich Hugo, wie er nebem dem Fenster von Annabel und Caitlins Schlafsaal darauf wartete, dass Mary und Annabel ebenfalls losflogen. Caitlin wiederum machte mehrere Loopings und schien nebenbei noch Albus und Scorpius hinterherzujagen.

Man konnte nur hoffen, dass niemand sie sah, doch Julie wusste, das zumindest eine Person im Moment aus dem Fenster sah und die Figuren beobachtete, als sie über die Dächer Hogwarts' flogen und schließlich eine Runde um den Großen See drehten. Doch zumindest sprach niemand darüber, was zwischen Julie und James vorgefallen war und selbst Scorpius hielt sich erfolgreich zurück, von Rose zu schwärmen. Auch Mary wirkte wie ein Mädchen, das sich nicht offensichtlich in den Schulsprecher verliebt hatte.

„Ich habe Hunger", verkündete Julie nachdem sie wieder das Schloss erreicht hatten.

„Hätte ich an deiner Stelle auch, du hast den ganzen Tag keinen Bissen herunterbekommen", kommentierte Hugo.

„Es müsste sowieso Zeit für das Abendessen sein", bemerkte Albus und kurzerhand beschlossen die sechs im Innenhof zu landen und in die Eingangshalle zu gehen. Nur wenige Schüler waren bereits beim Essen, doch die Freunde beschlossen die Besenkammer der Eingangshalle ausnahmsweise auch mal als eine zu benutzen, denn normalerweise wurde diese mehr als Ort für geheime Dinge verwendet, nicht aber zur Aufbewahrung von fünf Rennbesen.

Julie war wehmütig darüber, dass sie sich von Albus und Scorpius verabschieden mussten, da der Slytherintisch nun einmal am anderen Ende der Großen Halle war. Nur noch zu fünft setzten sie sich an den Gryffindortisch. Zu Julies Leidwesen glitt ihr Blick zum Slytherintisch, wo Albus sich bereits niedergelassen hatte, Scorpius allerdings noch etwas abseits stand und das tat, was Julie am wenigsten sehen wollte: Er küsste Rose. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz und es wurde nicht besser, denn sie ließ ihren Blick weiter schweifen und blieb an Craig Lufkin hängen, welcher wie immer Mary anstarrte. Am liebsten wäre Julie einfach aufgestanden und geflohen, denn ihre Entscheidung sich nicht unterkriegen zu lassen, fing schnell an zu bröckeln und zu etwas Unmöglichem zu werden. Sie spürte, wie Wut in ihr aufstieg, welche sich gegen sie selbst richtete. Sie war stärker, als das, was sie im Moment zeigte, sie würde sich nicht von solchen Dingen runterziehen lassen, ob sie sich nun von James getrennt hatte oder nicht, spielte keine Rolle.

Mit der Zeit füllte sich die Halle immer mehr, doch Julie kümmerte das nicht sonderlich viel. Sie konzentrierte sich darauf, was Hugo erzählte und schließlich erschien auch das Abendessen auf den Tischen. Den ganzen Tag hatte Julie kein Essen angerührt und das obwohl sie am Morgen mit knurrenden Magen aufgewacht war. Ihr Magen fühlte sich leer an, schmerzte ein wenig und knurrte ab und zu, doch der Appetit war leider noch nicht wirklich zurückgekehrt, weswegen Julie hauptsächlich in ihren Kartoffel herumstocherte und ihre Erbsen auf dem Teller sortierte, anstatt tatsächlich Zeit mit essen zu verbringen.

„Julie, ich nehme dir deinen Besen weg, wenn du nicht zumindest das isst, was auf deinem Teller liegt", drohte Caitlin, die Julie das gesamte Abendessen lang beobachtet hatte. Julie sah auf, als wäre sie aus einer Trance erwacht, nickte und schob sich gequält das Gemüse in ihren Mund. Und als wäre das nicht genug gewesen, platzierte Caitlin noch ein Stück Schokokuchen auf Julies nun leeren Teller.

„Hilft gegen Kummer", meinte sie schulterzuckend. Julie seufzte und nahm einen Bissen. Irgendwie schien Caitlin Recht zu haben, irgendwas machte die Schokolade mit Julie, was sie zwar noch immer elendig fühlen ließ, aber auf eine andere Art und Weise und Julie hatte das Gefühl, dass es langsam erträglicher wurde.

Nach dem Abendessen nahmen sie ihre Besen wieder aus der Besenkammer flogen über den Innenhof zu den Ländereien und glitten schließlich ein weiteres Mal über die Dächer Hogwarts'. Diese Momente waren, in denen Julie sich vollkommen frei fühlte; es war als gäbe es keine Sorgen, als läge alles Schlechte hinter ihr und es gäbe keine Pflichten. Julie liebte fliegen, es bot unzählige Möglichkeiten, die ihr Herz zum Rasen brachten.

Sie jagte um Türme herum, machten eine Pause auf dem Astronomieturm, stürzten sich von eben diesem hinunter, flog Loopings, probierte unzählige gefährliche Manöver aus und war sich keiner möglichen Konsequenzen bewusst. Sie blieben in der Luft, bis die Sonne unterging und ihnen klar wurde, dass die Sperrstunde bald anfangen würde. Albus und Scorpius flogen zu einem der Eingänge zurück, während Julie, Mary, Annabel, Caitlin und Hugo den Gryffindorturm ansteuerten. Das Fenster, durch das Julie vor einigen Stunden gesprungen war, war noch immer angelehnt, weswegen es ein leichtes war, wieder zurück in den Turm zu kommen. Hugo schien weniger Glück zu haben, denn sie hatten gerade das Fenster wieder geschlossen, als es klopfte.

„Es ist nicht zufällig jemand darauf gekommen, das Fenster zu schließen", bemerkte Caitlin grinsend, als sie das Fenster erneut öffnete und Hugo hineingeklettert kam.

„Tja, die anderen in meinem Schlafsaal scheinen schnell zu frieren", erwiderte Hugo schulterzuckend.

„Du weißt schon, dass der Gemeinschaftsraum um diese Zeit voll ist und du einige Blicke ernten wirst, wenn du die Treppe herunter rutscht", meinte Annabel. Hugo grinste schief und setzte sich auf eines der Betten, von denen Julie sich beinahe sicher war, dass es Annabel gehörte.

„Ich kann mich noch eine Weile gedulden, wäre schließlich nicht das erste Mal", verkündete er, doch Annabel und Caitlin schienen nicht sehr begeistert.

„Ich hasse es, wenn wir dich hier stundenlang verstecken müssen", seufzte Caitlin, schien ihr Schicksal allerdings schon akzeptiert zu haben. Julie fand das ganze ziemlich amüsant, wurde allerdings von ihrem eigenen Gähnen darauf aufmerksam gemacht, wie müde sie doch eigentlich war. Zu allem Überfluss fiel ihr auf, dass sie an jenem Tag keinerlei Hausaufgaben erledigt hatte. Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger kümmerte es sie, schließlich war morgen auch noch ein Tag.

„Ich bin todmüde!", murmelte Julie und hob ihren Arm, um sich von ihren Freunden zu verabschieden. Zusammen mit Mary ging sie zu ihrem Schlafsaal, welcher vollkommen leer war. Julie schleppte sich ins Bad und machte sich bettfertig. Wenig später ließ sie sich auf ihr Bett fallen und schloss die Augen.

Doch der Schlaf wollte nicht so einfach kommen, sie war beinahe zu müde, um zu schlafen. Ihr wurde schwindelig und sie fühlte sich, als würde sie fallen, ehe sie zusammenzuckte und wieder hellwach war. Schließlich schienen die Ereignisse des Tages sie wieder einzuholen. Zuerst dachte sie an die Nacht, die sie größtenteils im Gemeinschaftsraum verbracht hatte, gefolgt vom Morgen und schließlich dem Streit. Sie wusste, dass sie sich nicht unterkriegen lassen wollte, doch wo sie nun da lag, wurde dies zu einem unmöglichen Unterfangen. Es holte sie ein und heiße Tränen liefen ihr in Sturzbächen über die Wangen.

Julie war kein Mensch, der oft weinte, sie stand schlimme Dinge durch ohne mit der Wimper zu zucken, doch allein die Tatsache, dass James es geschafft hatte, sie zum weinen zu bringen, jagte ihr eine solch große Angst einn, dass es ihr den Atem raubte. In jenem Moment, als eine Träne nach der anderen über ihre Wange kullerte, wurde ihr bewusst, wie wichtig ihr James geworden war.

Auf einmal legte sich eine Hand auf Julies. Mary blickte sie mitfühlend an und setzte sich schließlich zu Julie auf ihr Bett und nahm sie in den Arm. Sie sprach kein Wort, denn sie wusste, dass Julie reden würde, sobald sie dafür bereit war.

„Er vertraut mir nicht, Mary", meinte Julie mit zitternder Stimme nach etwa zehn Minuten. „Er verschweigt mit Dinge. Als wir uns gestritten haben, hat er auf mich gewirkt, wie ein Geisteskranker. Ich denke, ich habe mich nie mehr erschrocken." Mary sagte nichts, sondern lauschte, ob Julie noch mehr erzählen wollte.

„Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll! Er ist—, er ist einfach vollkommen durchgedreht, meinte er hätte es sowieso schon versaut, könnte nichts wieder gut machen. Ich habe ihn noch nie so erlebt! Ich hatte Angst und bin wütend geworden, Mary!"

Julie sprach weiterhin wirre Worte und war sich nicht sicher, ob Mary dem überhaupt Sinn abgewinnen konnte, doch schließlich fühlte es sich an, als wäre ihr ein ungeheures Gewicht von den Schultern genommen worden und schließlich wurde sie von der Müdigkeit übermannt, während Mary sie noch immer tröstend im Arm hielt.

Doch der Schlaf hielt nicht lange, Julie war unruhig und wachte alle paar Minuten wegen Alpträumen wieder auf. Ihr Herz war schwer und sie wusste nicht, wie sie weitermachen sollte. Wenn es so weitergehen würde, wie am Vortag, dann würde sie im Unterricht so einige Probleme bekommen, ebenso schlimm würden die Quidditchtrainings werden und dann wäre da natürlich noch die Tatsache, dass Julies Herz sich anfühlte, als würde es vor Schmerz explodieren. Sie hatte immer gedacht, dass Herzschmerz nur metaphorisch für den seelischen Schmerz einer Trennung stand, doch tatsächlich spürte sie eine seltsame Leere in ihrer Brust, welche unangenehm und schmerzhaft zugleich war.

Mary wich ihr die ganze Nacht lang nicht von der Seite, wofür Julie mehr als dankbar war, denn sie wusste nicht, was sie eventuell machen würde, hätte Mary sie nicht fest umklammert. Julie wollte nicht allein sein, sie wusste, dass sie das nicht aushalten würde und sie wollte sich nicht ausmalen, auf was für Ideen sie kommen könnte. Sie wollte James in Gedanken dafür verfluchen, dass er sie als ein Problem ansah, doch sie konnte es nicht lassen, sich dennoch ernsthafte Sorgen um ihn zu machen.



'tschuldigung!

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