4. Eine Frage der Zeit

Draußen im Lager herrschte immer noch reges Treiben, so reges Treiben, ihr wurde schon schlecht vom bloßen Hinsehen. Weidenpfote zuckte mit den Ohren. Es schneite immer noch, ekelhafte, kleine, kalte Flocken, der Tod aus dem Himmel, eiskalt und grausam. Die knorrigen, blattlosen Bäume warfen unheimliche Schatten auf das Lager.

Sie mochte die Blattleere nicht.

»Weidenpfote.«

Sie wirbelte herum. »Lärchenfell! Hast du mich erschreckt.«

Er schnurrte leise. »Tut mir leid, das wollte ich nicht. Man muss schleichen, wenn man nicht von irgendjemandem hier genervt werden möchte.«

»Und dann kommst du zu mir

Er grinste. »Du nervst mich doch nicht. Wollen wir uns vielleicht eine Maus teilen? Ich wollte mit dir über etwas sprechen.«

Mit ihr über etwas sprechen? Neugierig zuckte sie mit den Schnurrhaaren. »Natürlich! Gern. Ich habe nur schon gegessen. Aber ... wenn du willst, kannst du ja...«

»Nein, iss noch etwas. Du bist zu dünn, und wir wollen schließlich nicht, dass du erfrierst. Ist Hellpfote da?«

»Ich denke nicht. Wieso?«

»Dann lass uns in den Schülerbau gehen.« Er nahm sich eine Maus und schleppte sich zum Bau, quetschte sich durch den dünnen Eingang und ließ sich in das erstbeste Nest fallen, das er fand. Es war ihres.

Vorsichtig folgte sie ihm. Jetzt, wo Lärchenfell wieder im Lager war, kam er ihr wieder bekannt vor; wie ein Freund, den sie nie gehabt hatte. Sie hatte nie viel mit Lärchenpfote zutun gehabt - sie hätte es gewollt, ja, aber dafür war sie zu klein gewesen. ›Noch ein halbes Junges‹ hatte er immer gesagt, er, der schon als Junges ein halber Krieger gewesen war.

Rein von der Größe her.

Zögernd kauerte sie sich neben ihn. »Du wolltest mir etwas sagen?«

»Ja, es ... wie gut kennst du Tupfenherz?«

Ein wenig enttäuscht entspannte sie sich. Es ging nur um Tupfenherz. Alles war gut. »Er ist mein Mentor«, sagte sie. Kannte sie ihn gut? Konnte irgendjemand Tupfenherz gut kennen?

»Vertraut er dir?«

Worauf wollte er hinaus?

»Ja«, sagte sie. Das hatte er ihr schließlich selbst gesagt - obwohl sie Tupfenherz auch zugetraut hätte, das nur zu sagen, um sie besser im Blick behalten zu können. Tupfenherz hatte gern alles im Blick.

»Und vertraust du ihm?«

Schwierige Frage. Konnte man Tupfenherz vertrauen? »Er ist mein Mentor«, sagte sie vorsichtig.

Er verstand. »In Ordnung. Du musst etwas für mich tun. Würdest du das machen?«

»Etwas für dich tun? Natürlich.«

»Gut. Hör zu. Es gibt da einen Einzelläufer, jenseits des Flusses. Er heißt Wind. Er hat uns geholfen, als ... um den Schatten zu finden.« Sie nickte. »Es ist wichtig. Du musst ihm sagen, dass der Schatten tot ist. Er hat Angst vor ihm, und er weiß noch nicht, dass er tot ist.« Er machte eine kurze Pause: »Wir haben ihn begraben, deshalb wird er ihn auch nicht finden.«

»Ihr habt den Schatten begraben?«

»Ich habe das. Aber das weiß Wind noch nicht. Wenn er die Kampfspuren sieht, muss er denken, der Schatten hätte uns beide getötet und würde ihn jetzt...«, er unterbrach sich, »bitte. Richte ihm aus, dass der Schatten tot ist. Und, dass ich dir das gesagt habe. Es ist wichtig, hörst du?«

Sie nickte.

»Er ist noch ganz klein. Kleiner als du. Er ist nicht gut im Kämpfen, aber er kann sehr gut jagen. Mach ihm keine Angst, in Ordnung? Deshalb schicke ich auch dich, und keinen Krieger. Ich würde ja selber gehen, aber meine Pfote...«

»Schon in Ordnung. Was soll ich Tupfenherz sagen?«

Er überlegte kurz. »Dass von gestern noch zwei tote Mäuse im Wald herumliegen. Du hattest sie gefangen und dann vergessen. Im Lärchenwald, als du mich gefunden hast. Keine Sorge, er kommt nicht mit. Er geht morgen eine Patrouille zu den Klippen, zusammen mit Wolfsstern.«

Und er würde Wolfsstern nicht erklären können, dass er wegen seiner Schülerin absagen musste. Sie nickte.

»Der Einzelläufer heißt Wind. Er ist klein, fast schwarz und hat helle Augen. Du richtest ihm...«

»... von dir aus, dass der Schatten tot ist. Verstanden.«

Sie sahen sich an. Lärchenfells Augen glänzten ein wenig, so wie heute im Wald - ein wenig trüb, durcheinander.

Sein Bruder war gestorben. Natürlich war er durcheinander; auch wenn sich die beiden nie sonderlich vertragen hatten.

Jemand betrat den Bau - Hellpfote. Als sie Lärchenfell sah, blieb sie stehen, ihre Pupillen wurden erst groß, dann sah sie Weidenpfote und kniff die Augen zusammen. »Was machst du hier?« Ihre Stimme zitterte ein wenig; sie versuchte, es hinter Verärgerung zu verstecken.

»Ich teile mir mit Weidenpfote eine Maus.« Er sah sie nicht an, dabei. »Und jetzt bin ich fertig und verlasse den Bau wieder.« Mit einer langsamen Bewegung stand er auf, nahm die Reste der Maus, sah einen kurzen Augenblick lang Weidenpfote an, wandte sich um und ging, ohne ein Wort zu sagen. Draußen schwollen die Stimmen wieder an. Fragen wurden gestellt - aber es gab keine Antworten.

Hellpfote ließ sich in ihr Nest fallen und beobachtete sie von dort aus. »Er ist zu alt für dich«, sagte sie leise.

Weidenpfote sah ihr in die Augen. »Für dich auch.«

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