3. Geschichten aus vergangener Zeit
»Weidenpfote! Das ist aber eine Überraschung.« Spatzenflügel schnippte mit dem Schwanz und versuchte aufzustehen, aber der Tag war anstrengend gewesen und er war schon mehr gelaufen, als er hätte tun sollen, also blieb er lieber liegen und begrüßte sie mit seinem sanften Schnurren. »Der Tag heute ist voller Überraschungen, nicht wahr? Was hast du denn mitgebracht? Oh, eine Maus. Ich liebe Maus.« Nicht, dass etwas anderes da gewesen wäre. Er schnurrte und bedeutete ihr, sich auf den Platz neben ihm zu setzen, ehe er sich zu der Ältesten wandte. »Hast du schon gegessen?«
Die schwarze Kätzin zuckte mit den Ohren und schloss die Augen. »Schon viel zu viel.«
Er nickte, drehte sich wieder zu Weidenpfote und schlug neugierig mit dem Schwanz. »Und? Erzähl, wie war die Patrouille? Wo hast du ihn gefunden?«
»Hat er dir das nicht erzählt?«
»Naja, doch, aber ich dachte...«
»Es war nicht sooo besonders.«
Spatzenflügel nickte und begann zu essen. Sie beobachtete ihn dabei. »Wie findest du den Schnee?«
»Kalt. Aber schön.« Solange er nicht in ihren Bau kam. An den letzten Winter erinnerte sie sich nicht mehr; sie sagten, es sei ein milder Blattfall gewesen, sagten sie, ein guter, warmer Blattfall mit vielen Mäusen und wenig Hunger. Hoffentlich würde dieser auch so werden wie der letzte. »So viel ist ja noch nicht da.« Und das meiste war getaut, kaum dass es den Boden berührt hatte.
»Kein Sorge, da kommt noch mehr.« Mit einem Schnurren nahm sich Spatzenflügel eine Maus und begann zu essen. »Ich mochte Schnee schon immer«, gab er zu. »Nachtvogel, wie ist es bei dir?«
Die Älteste knurrte leise und hielt sich die Ohren zu.
»Schon in Ordnung, du willst schlafen.« Der Kater zuckte mit den Schultern. »Naja, wie du dir sicher denken kannst, war bei uns nicht allzu viel los. Tannenblüte war kurz hier. Farnblatt meint, sie würde bald werfen.« Er seufzte. »Junge aus dem Schnee haben es immer besonders schwer ... aber der Clan braucht Junge. Wir sind viel zu wenige Katzen geworden.«
Dann sagte er eine Weile nichts. Sie wusste, dass er es hasste, ein Ältester zu sein und nicht mehr helfen zu können; aber niemand konnte daran etwas ändern. Niemand konnte ihn heilen - eines Tages hatten seine Hinterläufe begonnen zu lahmen, und seitdem war es jeden Tag schlechter geworden. Nicht nur die Hinterläufe; auch die Vorderpfoten. An manchen Tagen, hatte er einmal zu Tupfenherz gesagt, spürte er sie schon gar nicht mehr.
»Und die Jungen bringen ja auch Leben in den Clan«, riss er sie aus den Gedanken. »Ich glaube, das wird uns gut tun. Der Blattfall kann eine grausame Zeit sein, und was könnte einem die Kälte erträglicher machen als ein paar kleine Geschichten. Habe ich dir schon einmal erzählt, was Lärchenfell alles gemacht hat, als er noch ein Schüler war? Dinge, die glaubst du im Leben nicht! Er hat einen Fuchs vertrieben. Mit Löwenfell zusammen. Und er hat Helljunges...«
»... von einer Kiefer gerettet. Ich weiß.« Sie lächelte matt. »Bei den meisten war ich dabei.«
Spatzenflügel hielt inne. »Ich habe dir davon schon erzählt?« Der Älteste lachte. »Wie vergesslich ich geworden bin. Als er ein Junges war...«
»... meinte er, er würde jetzt Lärchenstern heißen, und im Ältestenbau schlafen.« Sie schmunzelte.
»Und Borkenstern solle doch bitte zurück in den Kriegerbau, damit er wieder etwas nützt. Und dann hat Borkenstern gedroht, ihm ein Ohr abzureißen, wenn er nicht aufpasst. Und weißt du, was er dann gesagt hat?«
»›Soll er doch kommen. Dann reiße ich ihm beide ab.‹«
Spatzenflügel lachte. »Hab ich dir davon schon erzählt? Naja. Er war schon ein komischer Kauz.« Er schnurrte bei der Erinnerung an diese alten Zeiten; an die Zeiten, als seine Gefährtin noch lebte, als Lärchenfell noch Lärchenjunges hieß und als er noch gehen konnte, ohne dabei über den Boden zu schleifen. »Kennst du die Geschichte von Nachtvogel? Man hat uns schon über sie Dinge erzählt, als wir Junge waren. Und was für Dinge! Die glaubst du nicht im-«
»Spatzenflügel, lass das.« Nachtvogel gähnte. »Ich erzähle auch nicht, was du alles für Mist angestellt hast.«
»So viel hättest du da ja auch nicht zu erzählen.«
Sie lachte leise und rollte sich wieder in ihrem Nest zusammen. »Erzähl ihr doch die Geschichte, wie Haselstreif den Frischbeutehaufen besetzt hat.«
»Stimmt! Die habe ich dir noch nicht erzählt. Also, es war so. Haselpfote war...«
»... eine ganz miserable Jägerin, und es hat sie geärgert, dass sie nie Beute machen konnte, also hat sie sich auf den Frischbeutehaufen gesetzt und gemeint, jetzt hätte sie genug für den ganzen Clan gefangen.« Weidenpfote schnurrte und schnippte dem Ältesten sanft über das Ohr. »Du redest so oft von ihr, ich glaube schon fast, ich würde sie kennen.«
Spatzenflügel schnurrte verlegen. »Ich wusste gar nicht, dass ich dir das schon erzählt habe«, gab er zu.
»Du weißt nicht einmal mehr, was du heute gefrühstückt hast.« Nachtvogel hob den Kopf und sah unglaublich müde aus. »Wie wäre es, wenn wir jetzt endlich schlafen könnten?«
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