28. Lügen und Wahrheit

»Oh. Weidenteich. Schön, dich wiederzusehen.« Der Älteste hob kurz den Kopf und sank seufzend wieder in sich zusammen. »Und dann auch noch mit Essen. Hast du die gefangen?«

»Ganz allein.«

Er schnurrte anerkennend. »Danke. Das ist lieb von dir.« Seufzend zog er sich die Maus heran und riss ein Stück heraus. »Ich wünschte, ich könnte wieder jagen. Dann könnten wir zusammen auf Patrouille gehen, und ich könnte dir all die Tricks zeigen...« Er legte den Kopf auf die Pfoten, seufzte und drehte sich auf die Seite. »Stattdessen muss ich die ganze Zeit hier liegen. Es ist so langweilig.«

»Vielleicht wird es ja wieder besser«, versuchte sie.

»Das sagen sie seit Monden. Und es wird nur noch schlimmer.« Er schloss die Augen. »Meine Hinterpfoten kann ich schon gar nicht mehr spüren. Jetzt noch ein bisschen vom Bauch, und dann war es das wohl.«

»Spatzenflügel!«

»Dafür bist du wahrscheinlich nicht gekommen, oder?« Als wäre nichts gewesen, richtete er sich auf, packte die Maus und kaute munter weiter darauf herum. »Du warst lange hier. Willst du etwas von mir wissen, oder bist du einfach so da?«

Weidenteich seufzte. »Eigentlich wollte ich dich etwas fragen.« Sie stockte.

»Dann frag. Ich höre dir zu. Ich bin ein wunderbarer Zuhörer.«

»Wegen der ... also, wegen damals. Als die Schatten...«

Spatzenflügel wandte sich ab. »Alle anderen waren auch da. Warum fragst du nicht die anderen? Oder deinen Mentor. Der hat ja überhaupt erst damit angefangen.«

Sie hielt inne. »Tupfenherz?«

»Ja. Er war der erste, der versucht hat, den Mörder zu finden. Er und Tannenblüte.« Der Älteste schüttelte verärgert den Kopf. »Ich sage dir: Sie haben damit alles nur noch schlimmer gemacht. Ich finde sie ja ganz nett«, er schnaubte noch einmal, »aber bei ihrer Intelligenz müssten sie eigentlich besser wissen, was passiert, wenn man laut über so etwas nachdenkt. Es zerstört den Clan.«

Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. »Warum?«

»Weil sie Misstrauen gestreut haben. Und wer weiß, wie viele wegen dieser Denkweise noch gestorben sind.« Er hielt kurz inne. »Samtherz...«

Vielleicht war es keine allzu kluge Idee, dann Spatzenflügel zu fragen. Seufzend stand Weidenteich auf. »In Ordnung. Danke für deine Hilfe, Spatzenflügel.«

»Wenn du mir einen Gefallen tun willst, hör damit auf.« Er rollte sich zusammen und zog die Hinterpfoten an sich heran. »Es bringt nichts Gutes, in der Vergangenheit zu wühlen.« Spatzenflügel schloss die Augen. »Du bringst nur Dinge ans Licht, die niemand sehen will...«

»Weidenteich! Da bist du also!« Jemand rannte sie an und zwängte sich in den Ältestenbau. »Ich habe dich schon überall-«

»Könnt ihr Jungen nicht ein einziges mal ruhig sein? Manche hier wollen auch schlafen.« Nachtvogel knurrte leise.

»Tut mir leid. Aber ich habe dich wirklich überall gesucht! Farnblatt meint, ich darf wieder raus!« Lärchenfell peitschte mit dem Schwanz und wirbelte Staub auf.

»Dem SternenClan sei Dank...«, murmelte Nachtvogel.

»Ist deine Pfote wieder in Ordnung?«

»Wie neu!« Er sprang aus dem Bau und wartete, bis sie ihm gefolgt war. Hinter sich konnte sie hören, wie zwei Katzen aufatmeten. »Komm, ich will dir etwas zeigen!« Und er war schneller aus dem Lager, als sie blicken konnte.

Ohne weiter nachzudenken, rannte sie ihm hinterher - es war ziemlich schwer, sich nicht von ihm abhängen zu lassen, denn offenbar hatte er sich nicht vorgenommen, auf sie zu warten. Und Lärchenfell war schnell; das hieß: Im Vergleich zu Weidenteich war jede Katze schnell. Aber Lärchenfell war auch im Vergleich zu anderen Katzen schnell.

Sie fragte sich, wohin sie wohl liefen. Viel Zeit, sich umzusehen, hatte sie nicht, dafür liefen sie zu schnell; durch das Tal, am Quer vorbei. Langsam begannen ihre Beine schwer zu werden, auch Lärchenfell drosselte ein wenig sein Tempo.

Bei der Flachen Stelle blieben sie stehen.

»Erster!« Der Krieger drehte sich um und grinste. »Ich habe gewonnen.«

»Du hattest Vorsprung.« Japsend setzte sie sich. »Und du hast längere Beine.«

»Das macht gar nichts aus.« Er setzte sich neben sie. »Tupfenherz ist auch kleiner als ich, und trotzdem kann er schneller rennen. Oder Buchenpelz. Oder Rauchflug.«

»Oder Hellblatt«, sagte sie.

Er antwortete nicht. »Danke, dass du die Nachricht überbracht hast. Ich weiß, es ist schon eine Weile her, aber ... danke.«

Beide schwiegen; kleine Wellen schwappten an das Ufer, immer im gleichen Takt. Schwapp. Schwapp. Immer im gleichen Takt. Weidenteich schloss die Augen. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sie dort gesessen, auf der anderen Seite, und zusammen mit Sturmlicht hier herüber geschaut; wie ewig kam es ihr vor, wie in einem vollkommen anderen Leben...

Sie sah ihn von der Seite an. »Warum hast du damals gelogen?«

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