18. Ein sonderbares Junges
»Du bist eine wirklich gute Denkerin, weißt du das?« Buchenpelz schnippte mit dem Schwanz, stand auf und musterte die zwei Mäuse, die sie in der Zwischenzeit gefangen hatten. Die Sonne war längst untergegangen, Weidenpfotes Beine schmerzten und ihr war schlecht vom ständigen hin- und herspringen. Ihre Pfoten fühlten sich taub an, von den Steinen, und ihre Nase brannte vor Kälte. »Aber du wirst besser. Gib dir selbst ein bisschen Zeit. Die Kälte naht² - aber noch ist sie nicht da.« In der Ferne hörte sie Stimmen. Buchenpelz hatte bereits die Ohren gespitzt und senkte nun die Stimme. »Wir sind auf Jagdpatrouille, klar? Muss ja nicht jeder wissen, dass ... Rauchflug! Was für ein Zufall.«
Weidenpfote warf einen Blick in den Himmel, um nicht wie ein verschrecktes Kaninchen auf die Patrouille zu warten. Der Mond schien durch die Wolken hindurch und warf glitzerndes Licht auf ihren Pelz.
»Buchenpelz! Und Weidenpfote. Das ist ja schön. Wir hatten schon gedacht...« Die Kriegerin unterbrach sich. Hinter ihr trat Steinpelz aus dem Dickicht, mit seinem ewig gutmütigen Gesicht. »... schön, dass ihr es seid. Wir hatten Stimmen gehört, und dachten schon, es wären irgendwelche Einzelläufer.« Sie schnurrte. »Obwohl diese Nachtpatrouillen dann endlich einen Sinn hätten, nicht wahr?«
»Ihr habt aber reichlich gejagt.« Steinpelz streckte sich, um die zwei Mäuse aus der Ferne sehen zu können. »Sauber gebissen.« Er nickte anerkennend, aber genauso gut hätte er sagen können: »Guter Versuch. Und wann fängst du an, richtig zu jagen?«
»Aber gut, dass ihr hier seid. Wir wollten gerade auch gehen. Der Mond steht hoch.« Die Kriegerin neben ihr stand auf. Weidenpfote ebenfalls. Sie zögerte. »Der Jäger trägt seine Beute«, sagte Buchenpelz und wartete geduldig, bis die Schülerin beide Mäuse aufgenommen hatte, dann trabte sie zu den anderen, in einem Tempo, das wirkte, als wolle sie Weidenpfote abschütteln; zumindest kam es Weidenpfote so vor. Steinpelz und Rauchflug reihten sich ein. »Haben die drei Kleinen jetzt eigentlich Namen bekommen?«
Rauchflug schnurrte; ein seltsames Geräusch, schließlich lief sie dabei, und auch sonst war Rauchflugs Schnurren ein sehr seltsames Geräusch. So ... es ließ sich kaum beschreiben. Kratzig, irgendwie, und gleichzeitig seltsam samtig. »Sie arbeiten daran. Die Kleinen kommen ja bis jetzt ganz gut ohne Namen aus; viel Unfug können sie schließlich noch nicht anstellen.«
»Beim SternenClan, so schwer kann das doch nicht sein.« Buchenpelz schüttelte den Kopf. »Manchmal übertreibt er es einfach. Sie müssen doch nur irgendwelche Namen bekommen. Ich weiß nicht. Eichenjunges, Mausjunges« - Weidenpfote musste schmunzeln - »und Luchsjunges, oder so.«
»Besser, als wenn es ihm egal wäre«, wandte Steinpelz ein. »Abgesehen davon werden sie zum ersten mal Eltern. Das ist etwas Besonderes.« Er schnippte mit dem Schwanz und alle drei liefen etwas langsamer. Was auch ganz gut war, Weidenpfote hätte sie beinahe aus den Augen verloren. »Lärchenfell geht es ja schon wieder besser, habe ich gehört. Neulich muss er sich wieder aus dem Lager geschlichen sein. Meine Tochter hat ihn gefunden und wieder zurückgeschleift - ihr hättet Farnblatts Gesicht sehen müssen.«
Rauchflug schnurrte. »Ich glaube, am liebsten würde sie ihn irgendwo einsperren.«
»Kann ich auch verstehen.« Buchenpelz schüttelte sich. »So ein paar Tage Ruhe würden ihm auch nicht schaden. Manchmal verhält er sich wirklich wie ein Junges.«
»Manchmal? Als sein Bruder noch mein Schüler war, haben sie ständig irgendetwas angestellt. Dagegen waren selbst meine Jungen nichts, und die haben schon Dinge angestellt, die hätte ich einer Katze von der Größe niemals zugetraut.« Steinpelz seufzte, dann schien ihm plötzlich etwas einzufallen, und er sah auf. »Erinnert ihr euch noch daran, wie sie einmal eine lebende Maus...«
... und dann fing er an zu erzählen. Steinpelz war gut im Erzählen - alte Katzen hatten das so an sich, aber Steinpelz hatte sich schon unter den jungen Katzen als guter Erzähler hervorgetan. Spatzenflügel hatte es ihr oft erzählt; so oft, es kam ihr fast vor, als habe sie selbst diese Geschichte schon tausendmal gehört. Wahrscheinlich kannte sie sie sogar besser als Steinpelz selbst.
»Ich habe euch noch gar nicht erzählt, wie ich dem Fuchs begegnet bin: Nicht irgendeinem, nein, dem Fuchs. Dem größten und dem gefährlichsten Fuchs vom Meer bis zu den Bergen...«
»Den Fuchs schlechthin«, sagte Buchenpelz.
»Er war riesig. Doppelt so groß wie ich, mehr sogar. Mit feuerrotem Fell, und blitzenden Zähnen...«
»... die so scharf waren, dass er dir den Kopf hätte abbeißen können.« Die Kriegerin seufzte leise. »Du weißt ja gar nicht, wie oft du diese Geschichte schon erzählt hast.«
»Aber Weidenpfote kennt sie noch nicht, und sie hört bestimmt zu.« Steinpelz sah sie entrüstet an, dann glitt sein Blick in den Himmel und er begann wieder, zu erzählen. »Es war ein bitterer Kampf. Unglaublich bitter. Er war so stark - wir waren vier, vier ausgewachsene, starke Krieger, aber wir konnten ihn kaum besiegen...«
Er hörte erst auf, als sie längst im Lager waren. Diesmal hatte er den Exkurs über Dohlenjunges' Froschvorfall herausgelassen und den Schwank über Krähenpfotes erste Jagdprüfung an ein paar Stellen etwas gekürzt; eben genau so, dass sie in dem Moment durch den Lagereingang traten, als er sagte: »... und trotzdem sind sie gute Krieger geworden.« Es war unglaublich, wie er das jedes mal schaffte. Faszinierend.
»Weidenpfote!« Tupfenherz' Stimme riss sie aus den Gedanken, sie schrak auf, sprang zur Seite und sträubte das Fell. Er musste lachen. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Hättest du Lust, vielleicht mit uns zu essen? Ich dachte nur ... du bist schließlich meine Schülerin.«
Diese Schülerin zuckte nervös mit den Ohren. Ihr war immer noch schlecht vom Mittagessen, und sie hatte bei Tupfenherz' Gefährtin immer das unbestimmte Gefühl, fehl am Platz zu sein. Schon bei Tupfenherz hatte sie das; aber Tannenblüte schaffte es, dieses Gefühl ins Unendliche zu verstärken. »Ich...«
»Fantastisch.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich wollte meinen Jungen gerade erzählen, wie ich einmal einen Fuchs gesehen habe. Den riesigsten Fuchs der ganzen Welt. Wenn du willst, kannst du den Helden in der Geschichte spielen.« Vorsichtig tappte er in den Bau. Sie seufzte und tappte hinterher.
Innen war es wärmer. In der Kinderstube war es immer warm; wie auch immer sie das schafften. Vermutlich, weil Tannenblüte den Bau bestimmt seit Tagen nicht verlassen hatte und Tupfenherz den Großteil seiner Zeit dort verbrachte. Es fühlte sich seltsam an, die Nester wieder belebt zu sehen. Das letzte mal, als eine Kätzin in der Kinderstube gelebt hatte, war es ihre Ziehmutter gewesen. Die Mutter von Sturmpfote.
»Oh. Weidenpfote.« Die Königin schnurrte. »Freut mich, dich zu sehen.« Sie schnurrte leise, als Tupfenherz sie Nase an Nase begrüßte, und rollte sich dann wieder etwas mehr zusammen. »Die Kleinen wachsen so schnell. Die zwei hier haben die Augen schon offen, siehst du?«
Weidenpfote streckte sich, sah aber nicht wirklich etwas. »Mhm«, sagte sie, und: »Sie sind wirklich sehr niedlich.«
»Setz' dich doch.« Tupfenherz nickte ihr zu und setzte sich neben seine Gefährtin. Die Jungen maunzten, als sie seine Nähe spürten - zwei zumindest -, jetzt riss eins von ihnen sogar seine kleinen Augen auf und sah seinen Vater mit offenem Mund an. »Ja, mein Kleines. Ich erzähle dir eine Geschichte.«
»Kannst du ... Geschichte ... Krieger?«
Weidenpfote blinzelte. Hatte dieses kleine Fellbündel gerade wirklich...?
Einen ganzen Satz? Ganz allein? Einen ganzen Satz? Vier Worte und ein Sinn? Dieses Junge war kleiner als die Mäuse, die sie gefangen hatte!
In der Tat war es ein ziemlich winziges Junges - kleiner als die anderen zwei, mit strahlend blauen Babyaugen und einem erstaunlich aufmerksamen Blick. Sein Kopf war etwas zu groß für seinen Körper; größer als bei normalen Jungen, als sei nur der Körper etwas geschrumpft, der Kopf aber richtig groß geworden. Es war braun getigert, ein wenig farbenfroher als seine Mutter, und vollkommen ohne Flecken. Hätte es nicht diesen unverwechselbaren Blick in den Augen gehabt, wäre sie niemals darauf gekommen, es könnte Tupfenherz' Junges sein. Ein kleiner Kater war es. Klein und ein wenig unheimlich.
»... so. Und jetzt noch einmal im ganzen Satz. Was soll ich mit der Geschichte? Soll ich sie jagen? Aufessen?« Er schnurrte laut, das Kleine gluckste vor Lachen.
»Erzählen! Erzählen!«
»Er ist ein kluges Junges«, sagte Tannenblüte. »Noch so klein, aber er kann schon sprechen. Und zuhören.«
»Vielleicht habe ich ihn zu sehr zugetextet.« Tupfenherz lachte.
»Ein erstaunliches Kleines.«
Das erstaunliche Kleine sah sich im Bau um. Offenbar hatte es wieder vergessen, was es gefragt hatte, denn jetzt hatte es Weidenpfote entdeckt und sah sie mit großen Augen an, als sei sie vom SternenClan höchstpersönlich geschickt. Eine Illusion. Irgendetwas Groteskes, das gar nicht existierte.
Dabei sah es selbst ziemlich grotesk aus, mit seinem riesigen Kopf, den aufgerissenen, staunenden Augen und dem offenen Mund.
»Das ist Weidenpfote«, sagte Tupfenherz. »Sie ist meine Schülerin.«
Das Junge starrte sie weiter an.
Sie wandte sich ab. »Hat es schon einen Namen?«
Tannenblüte unterdrückte ein Schnurren. Tupfenherz seufzte. »Wie würdest du ihn denn nennen?«
Sie sah ihn an. Diese großen, blauen Augen; den winzig kleinen Körper ... es würde niemals so groß werden wie andere Katzen. Es würde immer klein bleiben, winzig klein, und gut getarnt mit dem gestreiften Pelz; kein und aufmerksam. Aufmerksam, und es würde klug werden, wenn es nach seinen Eltern kam. Klugheit fing natürlich keine Beute; keine große zumindest ... sie sah sich die anderen zwei an. Das mit den geschlossenen Augen war wirklich sehr groß - das andere recht normal, aber gegen den Winzling wirkten beide wie kleine Riesen. Sie sah es lange an, dann wandte sie sich ab. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Es erinnert mich an einen Raubvogel. Aber ich kenne keinen Raubvogel, der so klein ist...«
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