14. So grüne Augen
Sie hatte den Heilerbau noch nie von innen gesehen - Farnblatt hatte es den Schülern nie erlaubt weil sie gern ihre Ruhe hatte, und der Kriegerbau war sowieso viel interessanter gewesen, weshalb es auch keinen Grund dazu gegeben hätte. Normalerweise besorgte Sturmpfote selbst die Kräuter für die Ältesten, dafür hielt sie die Baue sauber, und Hellpfote sammelte das Moos - so hatten sie sich eingeteilt, und so hatte Weidenpfote noch nie den Heilerbau betreten.
Sie hatte etwas verpasst. Er war wirklich großartig - ein riesiger Busch im Schatten des Lagers, mit Kräutervorräten zwischen den knorrigen, alten Zweigen. So vielen Kräutern! Sie hatte gar nicht gewusst, dass es so viele unterschiedliche Pflanzen gab! Und Sturmpfote kannte sie alle!
»Weidenpfote.« Farnblatts Stimme riss sie aus den Gedanken, die Heilerin neigte den Kopf und musterte sie irritiert. Einen Moment schien sie zu überlegen - ein »Was machst du denn hier?« brannte ihr auf der Zunge -, dann schien ihr selbst aufzufallen, warum sie wohl hier war. »Wo ist Lärchenfell?«
»... an der Flachen Stelle.«
Die Heilerin seufzte tief. »Als wären Tannenblütes Junge nicht genug - der SternenClan schickt uns ein viertes. Was macht er denn dort, an der Flachen Stelle?«
»... ein Wettrennen.« Sie wurde rot.
»Ein Wettrennen«, Farnblatt musterte sie streng, ihre Stimme war gefährlich scharf geworden, »Weißt du, wenn dein Mentor hier wäre, würde ich ihm jetzt...«
»Was würdest du mit mir tun?« Weidenpfote zuckte zusammen - sie hatte ihn überhaupt nicht gehört, und plötzlich stand er hinter ihr, drängte sich durch den Eingang und baute sich vor der Heilerin auf; so gut wie sich Tupfenherz eben vor Leuten aufbauen konnte. Er war ein ziemlich kleiner Kater, und Farnblatt war eine ziemlich große Kätzin. »Ist irgendetwas vorgefallen?«
Sie lächelte gezwungen. »Nichts. Überhaupt nichts.«
»Wirklich? Es hatte sich fast angehört, als wäre etwas vorgefallen.« Ohne Farnblatt aus dem Blick zu lassen, deutete er mit dem Schwanz auf Weidenpfote, die noch immer verschreckt neben ihm stand. »Gibt es etwas an meiner Schülerin auszusetzen?«
»Aber nicht doch. Es ist alles zu meiner Zufriedenheit.« Sie verzog das Gesicht zu dem wohl krampfhaftesten Lächeln, das in der Geschichte der Katzen jemals zustande gekommen war. »Deine Schülerin ist nur recht undiszipliniert geworden. Ich denke, sie sollte einmal für ihr Verhalten bestraft werden.«
Tupfenherz musterte sie aus dem Augenwinkel, dann richtete er seine Augen wieder auf Farnblatt. »Soso. Das war mir noch gar nicht aufgefallen. Im Gegenteil, Weidenpfote schien mir als eine sehr disziplinierte, ehrliche und vertrauenswürdige Schülerin zu sein. Was veranlasst dich, zu einem so gänzlich anderen Schluss zu kommen?«
Sie wandte sich ab, kniff die Augen zusammen und schnaubte verächtlich. »Die Blinden werden niemals sehen«, zischte sie, peitschte mit dem Schwanz und bedeutete Weidenpfote, ihr zu folgen. Die Schülerin tat wie ihr geheißen, unter dem strengen Blick von Tupfenherz. »Dort drüben. Da ist Arnika. Kauen und auf die Schwellung schmieren.« Sie zeigte mit der Nase auf eine undefinierbare Masse aus verdorrtem Irgendetwas. Weidenpfote nickte, nahm ein paar Kräuter, »Nicht so viel!«, noch ein paar weniger und kroch rückwärts zurück. »Und pass auf, dass du nicht mit...«
»Warte, ich helfe dir.«
Sie spürte, wie jemand sie von hinten antippte, vorsichtig drehte sie sich um - darauf bedacht, nichts anzustoßen - und-
Stille.
Stille mit grünen Augen. Sie blinzelte. Grüne Augen. Grüne, aufgerissene Augen, ihr Herz zog sich zusammen, so grün waren diese Augen; sie wusste auch nicht, warum, wie sie so grün sein konnten, so grüne Augen!, Schmerz flammte in ihr auf und so grüne Augen!, sie verkrampfte sich, stechender, heißer Schmerz zerriss sie - als würde man sie zerreißen - sie schrie einen stummen Schrei, ihr ganzer Körper erzitterte, erstarrte, starrte sie an, so grüne Augen!
Vorbei. Sie blinzelte, sah sich um. Spannte vorsichtig die Muskeln an. Nichts geschah.
»Weidenpfote? Kommst du?« Tupfenherz wandte sich zum Gehen. Seine Augen ruhten auf Farnblatt und waren eisiger, als sie es sich bei Tupfenherz jemals hätte vorstellen können. »Ich glaube, wir sollten jetzt gehen. Wir haben Farnblatt schon lange genug belästigt.«
Sie nickte. So grüne Augen!, hatte sie gedacht. So grüne Augen!, nur warum? Natürlich hatte Tupfenherz grüne Augen. Das hatte sie doch schon davor gewusst...?
»Alles okay?«
»... ja, klar.« Verwirrt und verschüchtert nahm sie die Kräuter auf und nickte der Heilerin zu. »Danke.« Ihr Blick fiel auf ihren Mentor. Sie versuchte zu erkennen, was hinter ihm lag, hinter seinen so grünen Augen; doch da war nichts mehr. Nicht mehr. »Tut mir leid«, murmelte sie zu Farnblatt, duckte sich an ihr vorbei und sprang aus dem Bau. Kälte schlug ihr entgegen, ihr Kopf fühlte sich schwer an, unglaublich schwer. Hatte sie sich das eben eingebildet?
Wie auch immer - es war vorbei. Das war die Hauptsache. Es war nicht mehr da und sie musste sich keine Gedanken mehr darüber machen. Es war alles gut.
»Weidenpfote? Hey.« Tupfenherz stupste sie vorsichtig an. »Alles okay bei dir? Du siehst irgendwie abwesend aus. Ist etwas passiert?«
»Nein - also ... nein. Alles in Ordnung.« Sie lächelte. Es war vorbei, dachte sie.
Aber es war nicht vorbei. Im Gegenteil.
Es hatte gerade erst angefangen.
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