11. Schneekind

»Was hast du dir dabei gedacht?« Auf der ganzen Lichtung war es still, so still, man hätte eine Feder auf den Boden fallen hören; einzig Farnblatts Stimme hallte durch das Lager, leise und bedrohlich. »Ich habe dir gesagt, du sollst bei Sonnenhoch spätestens wieder da sein, weil Tannenblüte vielleicht ihre Jungen bekommt, und wo warst du?«

Sturmpfote sah auf den Boden.

»Wo warst du?!«

Er warf Weidenpfote einen kurzen Blick zu. Seine Augen glänzten, fast so, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Im Lärchenwald«, sagte er.

»Und wie spät ist es?«

»Kurz vor Sonnenuntergang.« Ihm versagte die Stimme. »Es tut mir so leid...«

»Das hilft uns jetzt auch nicht mehr.« Sie wandte sich ab und schnippte mit dem Schwanz. »Du gehst morgen zu Tannenblüte und entschuldigst dich. Und dann überlegst du dir, was du als Strafe tun könntest.« Mit diesem Worten verschwand sie im Heilerbau.

Vorsichtig tappte sie an ihn heran - wollte es zumindest. Als er sie bemerkte, wandte er sich ab und verschwand durch den Lagereingang. Sie blieb stehen.

Es war still im Lager. Die meisten Krieger waren noch einmal zur Jagd aufgebrochen; bis auf Tupfenherz, der bei seiner Gefährtin war, und Lärchenfell, der wegen seiner Pfote nicht jagen konnte, waren alle Krieger weg.

Weidenpfote seufzte. Sie könnte den anderen folgen und ebenfalls versuchen, etwas Nützliches zu schaffen - aber sie war eine miserable Jägerin, vermutlich würde sie sowieso mit leeren Pfoten wiederkommen. Abgesehen davon hatte ihr Mentor noch nicht mit ihr gesprochen, und sie war sich nicht ganz sicher, ob nicht vielleicht auch auf sie eine Strafe wartete.

Lautlos, um die Ruhe im Lager nicht noch mehr zu stören, tappte sie zum Ältestenbau. »Spatzenflügel? Bist du da?«

»Hier!« Der Kater hatte sich in seinem Moosnest zusammengerollt und schien - wohl als Einziger - nicht wütend auf sie zu sein: Als er die Kätzin sah, zuckte er mit den Ohren und richtete sich schnurrend auf. »Schön, dich zu sehen. Die drei Jungen von Tannenblüte sollen ja ganz niedlich sein. Aber schreien können sie! Meine Güte, das habe ich bis hierhin gehört. Und dabei sind sie noch nicht einmal einen Tag alt...«

Weidenpfote schnurrte vorsichtig. »Aber sie sind bestimmt sehr niedlich.«

»Stimmt.« Er blinzelte. »Das sind alle Jungen. Du hättest Löwenjunges sehen müssen, als er noch klein war. So etwas niedliches gab es noch nie auf der Welt.« Er schnurrte bei der Erinnerung an seinen kleinen Sohn, dann lächelte er traurig. »Sie werden so schnell erwachsen.«

»Und wenn sie anfangen, schwierig zu werden, hetzt man sie einem Mentor auf.«

Beide schwiegen. Die Schülerin setzte sich auf das Gästenest und kuschelte sich ganz fest in das Moos hinein, bis nur noch ihre Nase herausschaute. Von draußen war der Wind zu hören, es hatte wieder angefangen zu schneien; aber hier im Bau kam sie sich so sicher vor wie ein Junges bei seiner Mutter.

»Haben sie schon Namen?«, fragte sie und stellte die Ohren auf. Wie sie Tannenblüte kannte, hatte sie sich sicherlich schon vorher darüber Gedanken gemacht. Von Tupfenherz ganz zu schweigen, er wusste sicher schon, was sie in einem Mond essen würden.

Nachtvogel neben ihnen fing an zu lachen, aber sie antwortete nicht. Auch Spatzenflügel schnurrte, und auch er sagte nichts.

»Naja. Hoffentlich sind die Patrouillen bald wieder da. Mit Jungen im Lager muss man Acht geben. Die Natur hört und sieht mehr, als wir es uns vorstellen können. Niemand kann sagen, wer nicht schon alles von den drei Kleinen weiß.« Er senkte den Blick. »Und wir haben schon genug Katzen durch Füchse verloren.«

»Das mit Kieselnase war etwas anderes.« Sie sprach nicht gern über Kieselnase. Sie dachte nicht gern an Kieselnase. Überhaupt wäre alles besser, hätte dieser Kater niemals existiert.

»Wir haben schon gute Katzen verloren, im Schnee. Da war einmal ein kleiner Kater, Bärenjunges, letztes Jahr. Er wollte sich beweisen - jeder junge Kater will das einmal. Er hatte sich aus dem Lager geschlichen - und dann kam der Schneesturm.« Spatzenflügel seufzte. »Und was für ein Sturm! - und er war noch so klein. Zu klein, um zurückzufinden, also schickte Wolfsstern eine Patrouille nach ihm.« Spatzenflügel seufzte. »Und sie kam niemals zurück. Genau, wie Bärenjunges niemals zurückkehrte - wir haben viele gute Katzen im Schnee verloren. Bärenjunges - aber auch Nebelfell, Moorherz und-«

»Moosfell«, vervollständigte Weidenpfote den Satz. »Die Schwester von Farnblatt.« Als sie Spatzenflügels verdutztes Gesicht sah, fügte sie schnell hinzu: »Habe ich einmal aufgeschnappt. Ich weiß auch nicht, von wem. Vielleicht hat Lärchenfell mir einmal davon erzählt.« Sie war selbst etwas überrascht über diese Antwort, denn wenn Lärchenfell über eines niemals sprach, dann war das Bärenjunges' Tod. Wo hatte sie also sonst davon gehört? Bei Tupfenherz? Unmöglich. Er würde ihr nicht einmal sagen, was er den letzten Abend gegessen hatte - Tupfenherz behielt seine Geheimnisse für sich. Spatzenflügel musste ihr die Geschichte also schon einmal erzählt haben. Vielleicht hatten sie es beide vergessen.

»Wir sind beide ganz schön vergesslich geworden«, schnurrte der Älteste, »wenn du so weitermachst, bist du bald eine von uns.«

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