Kapitel 16. Wiese der Echos
»Ich hatte eine Vision«, sagt der weiße Kater mit den schwarzen Streifen. Sein Schwanz peitscht über den Boden, hin und her und hin und her. »Heute im Sturm. Es ist schwer zu erklären. Ich war jemand anderes. Es kam Schnee darin vor, der taut und wieder erstarrt. Dunkle Zeiten, doch nicht wie der Wald der Finsternis – einfach ... anders.« Der drahtige Kater erzitterte. »Bilder, die ich nicht einordnen kann. Ich glaube, es hat etwas mit Bergen zu tun.«
Meine Ohren schnellen auf. »Ich hatte auch einen Traum von einem Berg! Da waren Katzen, ganz viele Katzen.« Ein Dröhnen ergreift meinen Kopf, ein Blitz zuckt über den Himmel. Ich blinzle, sammle die richtigen Worte und konzentriere mich. »Sie drängten mich einen Berg hinauf, doch als ich selbst klettern wollte, ließ der Stein unter meinen Pfoten nach und ich fiel in die Tiefe.«
Gipfelfall zuckt abschätzig mit den Schnurrhaaren.
»Und als ich in den Himmel sah«, füge ich hinzu und mache eine kurze Pause, »waren die Sterne verschwunden.«
Die WindClan-Älteste reckt sich. »Gab es Wörter dazu? Irgendeine Prophezeiung vielleicht?«
Alle Blicke auf Amselfeder. Die schwarze Kätzin zuckt mit den Ohren. »Das müsstest du doch wissen, Ascheregen. In deinem Clan gab es doch einen Traum.«
»Wovon sprichst du?«
Die SchattenClan-Kätzin springt auf. Ihr Fell ist gesträubt, und ich brauche eine Sekunde, um zu sehen, dass sie ernsthaft wütend ist. So etwas habe ich noch nie erlebt. »Wolljunges hat es doch dem ganzen Clan erzählt!«
»Was? Nein! Wir hatten keine Prophezeiung, das musst du verwechseln!«
Doch sie ließ sich nicht beruhigen. »Woher weiß ich, dass du nicht lügst? Woher weiß ich, dass du nichts vor uns verheimlichst? Du bist keine Sagerin.«
Einen Augenblick lang starren sich beide Kätzinnen an. Dann schnippt Splitterzahn mit dem Schwanz. Im gleichen Augenblick schlägt ein Blitz ganz in der Nähe ein, und mit einem mal ist die Wut zerrissen.
»Ich bin mir sicher, dass Ascheregen auf unserer Seite ist. Es ist schließlich in ihrem Interesse, den WindClan angemessen zu vertreten«, meint Gipfelfall. »Lasst uns ganz in Ruhe debattieren, was wir tun sollen. Amselfeder, sehe ich das richtig, dass du keine-«
»Nein, habe ich nicht.« Die Sagerin bleckt die Zähne, setzt sich jedoch wieder.
»Gut. Das ist kein Grund zur Sorge. Der SternenClan ist wohlüberlegt in seinen Entscheidungen. Aber lasst uns erst alle Stimmen hören. Taubenpfote, gibt es etwas Berichtenswertes im WolkenClan?«
Die samtiggraue Schülerin senkt den Blick und schüttelt den Kopf. Dann zieht sie die Augenbrauen zusammen und sieht Splitterzahn an.
Der FlussClan-Kater nickt. »Wir sind noch nicht mit allen Clans durch.« Er schnurrt leise. »Ich glaub', der WindClan hat uns noch was zu sagen.«
Die Blicke sind noch nicht bei Ascheregen angekommen, als ich den kleinen Schatten bemerke, der auf die Lichtung tappt. Nicht groß, nicht kräftig. Etwas drahtiger Körperbau, glattes Fell mit schimmernden roten Tupfen, gespitzte Ohren und trotz allem, ein entschlossener Blick.
Und weißt du etwas? Ich bin nicht einmal überrascht. Dieser Tag war seltsam genug, es könnte alles geschehen, fliegende Mäuse, schwimmende Igel, nichts würde mich noch überraschen. Erst der Traum, dann der Baldrian und dann auch noch dieser FlussClan-Kater mitten im DonnerClan-Lager.
Und jetzt das? Nein, überraschen kann es mich wirklich nicht, das könnte es nicht einmal, wenn sie Flügel hätte oder vom SternenClan selbst wäre.
Amselfeder ist die erste, die etwas sagt. »Was macht die denn hier?!«
»Ich glaub', die Kleine hier hat 'nen guten Grund, wieso sie hier ist. Musst ja nicht gleich aus 'm Pelz fahren.« Der gesprenkelte Kater schnippt mit dem Schwanz und neigt den Kopf. »Und sie wird's dir gleich erklären, wenn du sie lässt.«
»Dafür braucht man nicht in die Zukunft sehen zu können«, bemerkt Ascheregen und funkelt die Schülerin an. »Wer zum SternenClan glaubst du, bist du, Sturmpfote? Eine Sagerin?«
Die kleine Kätzin sträubt das Fell. Offensichtlich hat sie Angst vor Ascheregen, doch gleichzeitig ist sie zu stolz und viel zu entschlossen, um sich davon abbringen zu lassen. »Ich bin Sturmpfote«, sagt sie und zeigt in den Himmel. »Und dort ist ein Sterbender Krieger.« Sie zuckt mit dem Schwanz, sieht jedem von uns einmal in die Augen – es herrscht eine seltsame Stille, in der niemand weiß, ob sie noch etwas sagen möchte und alle froh sind, nicht in ihrem Clan zu leben und sich eine Strafe dafür ausdenken zu müssen. »Versteht ihr nicht? Amselfeder hatte eine Prophezeiung-«
»Hatte sie nicht«, sage ich.
»Hatte sie doch. Schaut sie euch doch an. Ich musste es erst mit der Geschichte von Kleejunges testen, aber ihre Reaktion war eindeutig.« Sie sieht ihr in die Augen. »Irgendetwas stimmt nicht. Heute wird etwas entschieden werden. Etwas Wichtiges. Und du hast Angst zu sagen, was es ist.«
Die schwarze Kätzin ist zu versteinert, um zu antworten.
»Und dann der Sterbende Krieger am Himmel! Habt ihr ihn nicht gesehen?« Sie schweigt kurz, seufzt dann, als niemand etwas sagt. »Eine Sternschnuppe. Sie weist euch den Weg. Sterbender Krieger. Das klingt nach SternenClan. Versteht ihr nicht? Der SternenClan ist in Gefahr und er zeigt euch den Weg, ihn zu retten! Ihr müsst auf eine Reise gehen!«
Schweigen.
Splitterzahn rümpft die Nase. »Dass ich noch zu Lebzeiten ersetzt werde, hätt' ich auch nicht gedacht. Wusste nicht, dass noch ‚ne WindClan-Katze in die Zukunft sehen kann.« Sturmpfote wirkt irritiert, aber der FlussClan-Kater geht nicht weiter darauf ein und erhebt sich. »Ja, das sind durchaus die Zeichen. Lasst es uns mal abkürzen. Es wird ‚ne Abstimmung geben, ihr vier seid dafür, Ascheregen dagegen, Taubenpfote weiß nicht und am Ende reisen wir.« Der alte Kater gähnt. »Packt eure Sachen und schlaft euch aus. In zwei Tagen geht's los. Ich komme nicht mit.«
Sturmpfote reißt die Ohren auf. »Wieso das?«
»Weil ich nach ‚nem Tag von einem Monster überfahren werden würde, deshalb.« Er schnurrt. »Und das wär' doch wirklich schade. So. Noch Fragen?« Splitterzahn grinst. »Dann geh' ich mal schlafen. Und Taubenpfote ... pass' auf. Der Donnerweg ist verdammt glitschig bei Nacht.«
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