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(17. Mai)
(Überarbeitet: 15.10.2023)

Tigerpfote

Heute gehe ich auf meine letzte große Versammlung als Schülerin!
Aufgeregt lief Tigerpfote auf und ab. Links vom Schülerbau saß Flusspfote und putzte sich bestimmt schon zum dritten Mal die Ohren, während er das Lager beobachtete. Tigerpfote blieb stehen und musterte ihren Bruder. Er war still, zurückgezogen und höflich, das komplette Gegenteil von ihr. Sie kam vom Charakter her eher wie ihre Mutter, auch wenn diese sich besser im Griff hatte.
Wieder begann Tigerpfote auf und ab zu tigern. Bis sie schließlich von einer bekannten Stimme unterbrochen wurde.

„Tigerpfote! Beruhig dich doch! Du warst doch schon auf mehreren großen Versammlungen, dieses Mal wird es nicht anders sein als sonst auch!"
Dunstschimmer, ihr Vater, trat zu ihr und stupste sie väterlich in die Flanke, was die zierliche Kätzin beinahe aus dem Gleichgewicht brachte.

„Ja, schon, aber es ist meine letzte Versammlung als Schülerin und das macht mich irgendwie nervös", miaute Tigerpfote, doch es entsprach nur der halben Wahrheit. Klar war sie nervös, was sie aber noch nervöser machte, war ihre Mutter. Sie hatte vor noch einmal mit Distelstern über die Warnung von Milo zu reden und wollte sie davon überzeugen, es zumindest den anderen Clans mitzuteilen, sodass diese gewarnt waren, falls der Fluss tatsächlich vergiftet war. Was wäre, wenn das Wasser giftig war und die Katzen der anderen Clans krank wurden und starben. Sie hätten dann keine Ahnung, warum die Katzen starben und würden völlig im Dunkeln tappen.

Endlich kam Distelstern aus ihrem Bau, gefolgt von Krähenschatten, der zum Kriegerbau eilte, um die auserwählten Katzen zu holen, die mit auf die Versammlung durften. Tigerpfote sah ihre Chance und sprang zu Distelstern hinüber.

„Ich muss mit dir sprechen", maunzte Tigerpfote ohne Begrüßung und reckte den Schweif in die Höhe.
„Nicht jetzt!", antwortete Distelstern desinteressiert. Enttäuscht schaute Tigerpfote ihre Mutter an, doch sie war nicht so leicht abzuwimmeln.
„Bitte! Es ist wichtig. Für alle Clans ist das wichtig!", versuchte Tigerpfote es noch einmal. Dieses Mal kam sie durch und Distelstern wendete ihr den Kopf zu. Sie seufzte.
„Gut, was gibt es? Aber beeil' dich!", gab Distelstern nach. Überrascht, dass ihre Mutter so schnell nachgegeben hatte, starrte Tigerpfote ihre Mutter erst einmal einen Herzschlag lang an.
„Es geht um das vergiftete Wasser..."
„Das nicht vergiftet ist!"
„...Ich wollte dich fragen, ob du es nicht trotzdem auf der Versammlung..."
„Wieso sollte ich?", erriet Distelstern Tigerpfotes Frage.
„Weil es ja stimmen könnte. Was ist, wenn der Streuner doch nicht gelogen hat?" Bewusst erwähnte Tigerpfote Milos Namen nicht, auch wenn ihr Herz allein schon schneller schlug, wenn sie an ihn dachte.
Was ist bloß los mit mir? Der erste Kater von außerhalb der Clans...
Distelstern fauchte aufgebracht. Ihre Nackenhaare sträubten sich.
„Und du glaubst diesem Flohpelz? Solche Katzen lügen immer! Sie machen das alles nur, wenn dabei für sie etwas herausspringt!"

„Bitte!" flehte Tigerpfote. Langsam wurde sie panisch und auch ungeduldig. Bald schon würde der Clan zur Festplatte, auf dem die Versammlungen stattfanden, aufbrechen und dann würde es keine Gelegenheit mehr geben, um mit Distelstern zu sprechen. Sie musste die Anführerin unbedingt davon überzeugen, es zumindest kurz am Rande zu erwähnen. Sie musste ja nicht einmal sagen, von wem sie diese Information hatte.
„Bitte! Du musst auch nicht sagen, von wem diese Information stammt, aber bitte sage es den anderen Clans! Weißt du noch? Ein Clan kann alleine nicht überleben, es müssen vier Clans sein. Und wenn einer davon wegen dem vergifteten Wassers ausstirbt, sind wir ebenso zum Tode verurteilt!", miaute Tigerpfote immer verzweifelter. Auch ihr Pelz war gesträubt, aber nicht vor Wut.

„Komm schon! Für mich?", flüsterte Tigerpfote. So wie sie ihre Mutter kannte, wusste sie, dass sie schon verloren hatte.
Ich muss sie überreden! Für Milo!
Bei dem Gedanken an Milo wurde ihr warm ums Herz. Sie kannte den Kater nicht, nur seinen Namen und dass er nicht zu den Clans gehörte. Mehr aber nicht.
„Na gut. Ich sag es den anderen, aber erwarte nicht, dass sie es glauben werden. Wahrscheinlich tun sie es einfach als eine Lüge ab und behaupten, wir erfinden das, damit wir mehr Aufmerksamkeit bekommen", knurrte Distelstern. Zuerst traute Tigerpfote ihren Ohren kaum.

Es dauerte eine Weile, bis das gesagte zu ihr durchdrang. Doch da war Distelstern schon weg und Tigerpfote konnte der schwarzen Kätzin nicht mehr danken. Sie würde es später machen müssen, falls Distelstern ihr Versprechen auch wirklich hielt und nicht kurz davor einen Rückzieher machte.

SternenClan, hilf mir! Mach, dass Distelstern es den anderen Clans erzählt, ich flehe euch an!
Tigerpfote hob den Blick zum Silbervlies und betrachtete den klaren Nachthimmel. Keine Wolke war im Weg. Der SternenClan konnte also nichts dagegen haben, dass Distelstern es den anderen erzählte.

„Tigerpfote!", rief Flusspfote und stupste die junge Kätzin an. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er neben ihr stand und das wahrscheinlich schon seit einer ganzen Weile.
„Wir müssen los. Der Clan ist schon weg und wir sollten nicht den Anschluss verlieren."
„Äh, ja, klar. Los!", stotterte Tigerpfote und schüttelte den Kopf. Mit einem letzten Blick zum Himmel machte sie sich mit Flusspfote im Schlepptau auf den Weg zur großen Versammlung und betete, dass der SternenClan ihr half.

Außerdem dachte sie an Milo.
Seine grün-gelben Augen tauchten immer wieder vor ihrem inneren Augen zu und jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie ihn vor sich, wie er im hohen Gras verschwand.
Der Ruf einer Eule riss Tigerpfote aus ihren Schwärmerei und sie beeilte sich Flusspfote einzuholen, der sie inzwischen sogar überholt hatte und nun ein paar Kaninchensprünge vor ihr lief. Die beiden Schüler folgten der frischen Geruchsspur ihres Clans. Wenig später hatten sie ihn eingeholt, gerade noch vor der Waldgrenze zum Versammlungsort der vier Clans. 

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