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(06. Juli 2023)
(Überarbeitet: 17. Oktober 2023)
Tigerpfote
Noch immer wach lag Tigerpfote in ihrem Nest. Seit sie mit Rabenpfote und Staubpfote gesprochen hatten, überlegte Tigerpfote, wie sie es schaffen sollte, das Lager zu verlassen, ohne dass jemand es bemerkte. Wie sollte sie zu Milo und den anderen Anführern gelangen? Sie würde überall Spuren hinterlassen.
Die einzige Möglichkeit bestand tatsächlich darin, Rabenpfote und Staubpfote loszuschicken und wenn es sich irgendwie ausging dann sollte auch Springpfote mitgehen.
In Gedanken suchte Tigerpfote nach Argumenten, warum sie das Lager verlassen durfte, aber keines schien ihr wirklich ausreichend überzeugend.
Die Schülerin drehte sich auf die andere Seite und beobachtete durch den Ausgang die Katzen, wie sie geschäftig im Lager herumliefen. Die Sonne erhellte die Lichtung und ließ den Fluss glitzern.
Tigerpfote sah ihre Mutter mit Krähenschatten sprechen und erkannte Mottenschweif, die hinter dem zweiten Anführer stand und diesen mit einem tödlichen Blick betrachtete. Neben Krähenschatten stand Fliederglanz und nickte ab und zu zustimmend.
Leider konnte Tigerpfote von ihrem Standpunkt aus nicht hören, was die anderen sagten. Sie stand auf und verließ möglichst unauffällig den Schülerbau, in dem sie gelegen hatte. Dabei achtete sie darauf, dass sie nicht in Distelsterns Sichtfeld geriet, da sie nicht wusste, wie ihre Mutter drauf war und ob sie sich schon wieder beruhigt hatte.
Das schien nicht der Fall, denn ihr Fell war gesträubt und ihr Gesicht wutverzerrt, während sie aber weiterhin Krähenschatten und Fliederglanz zuhörte.
Tigerpfote erreichte den Rand der Lichtung und schlich verdeckt vom Farn zu den vier Katzen hinüber. Dabei musste sie sich den Pfoten nassmachen und durch den Fluss waten, damit niemand sie sah, der sie nicht sehen sollte. Schließlich erreichte sie wieder das Gebüsch am Rand der Lichtung, nur mit dem Unterschied, dass sie dieses Mal hören konnte, was sie beredeten.
Schnell war Tigerpfote klar, dass es um Milo ging. Ihr Herz zog sie vor Angst um den Hofkater zusammen und sie versuchte sich noch mehr anzustrengen, damit sie auch ja jedes Wort verstand.
„Fliederglanz hat sie um ihn gekümmert und ihm auch Kräuter dagelassen", maunzte Krähenschatten gerade mit ernster Miene und gab dann mit einem Nicken das Wort an die Heilerin weiter.
„Genau. Seine Wunden sehen nicht gut aus. Ich würde ihn gerne ins Lager holen, weil ich mich dann besser um ihn...", aber weiter kam sie nicht, denn Distelstern unterbrach sie mit einem Fauchen.
„Ich lasse keinen Lügner in mein Lager!"
Das Fell der nachtschwarzen Kätzin war gesträubt und Tigerpfote wusste, obwohl sie sie nicht sehen konnte, dass ihre Augen gefährlich glitzerten. Zu oft schon hatte sie diesen Blick zu spüren bekommen.
„Gut, es war nur meine Meinung und ein Vorschlag", beruhigte Fliederglanz die Kätzin und berührte Distelstern kurz an der Wange, bevor sie zu ihrem eigenen Bau zurückkehrte.
Krähenschatten neigte den Kopf vor Distelstern und machte sie Richtung Kriegerbau auf.
Tigerpfote duckte sich tiefer in den Farn und wartete einen Moment ab, ehe sie weiter schlich. Mottenschweif entfernte sich auch von Tigerpfotes Mutter und ging in die Richtung des Schülerbaus. Die haselnussbraune Kätzin mit den hellen Streifen im Fell tappte denselben Weg zurück zum Schülerbau, den sie gekommen war. Beim Kriegerbau blieb sie kurz stehen und lauschte. Sie konnte Katzen darin flüstern und sich bewegen hören, jedoch verstand sie kein Wort. Als sie den Schülerbau erreichte, kam Mottenschweif gerade wieder heraus. Die hellgraue Kätzin sah sich suchend um. Tigerpfote erhob sich aus dem Farnbüscheln und ging ruhig und gespielt entspannt auf Mottenschweif zu.
„Hey! Wie war die Patrouille?", wollte die Schülerin wissen. Mottenschweif verzog das Gesicht.
„Krähenschatten hat Milo verletzt am Rand unseres Territoriums gefunden, behauptet er. Zum Glück waren Fliederglanz und ich in der Nähe!", erzählte Mottenschweif und sah sich dabei um. Jetzt befand sich niemand mehr auf der Lichtung. Mit einem Kopfnicken führte Mottenschweif die Schülerin hinüber zum Fluss, wo sich beide Kätzinnen setzten.
„Zwischen den Krallen von Milo war Krähenschattens Fell! Durch das Blut konnte man nichts ausmachen, wer Milo angegriffen hatte, aber er hat mir die Fellbüschel gezeigt, als Krähenschatten nicht hergeschaut hat!", knurrte Mottenschweif empört und wütend.
Tigerpfote schnappte geschockt nach Luft.
Krähenschatten, ich bring dich um! Lass Milo in Ruhe, er hat dir nichts getan!
„Weiß Fliederglanz davon?", war Tigerpfotes nächste Frage, die die andere Kätzin sogleich verneinte. Die beiden schwiegen.
Plötzlich ging ein Ruck durch Tigerpfote und sie stand auf.
„Ich muss wissen, ob es ihm wirklich gut geht und wo er jetzt ist!", verkündete sie und drehte sie schon zur Felswand, doch Mottenschweif versperrte ihr den Weg.
„Du kannst nicht gehen, weil du Lagerarrest hast und es auffällig wäre, wenn du genau jetzt verschwindest! Bitte, es geht ihm soweit gut!", versuchte die hellgraue Kätzin sie zu überzeugen. Strenge und ein Hauch von Angst lag in ihrem Blick und ihr Fell war gesträubt.
Tigerpfote schüttelte den Kopf, aber dann sah sie ein, wie dumm das wäre, wenn sie zu Milo ging und jemand ihr Fehlen bemerkte. Unzufrieden setzte Tigerpfote sich wieder.
Nach einer Weile begann sie von ihrem Gespräch mit Springpfote, Rabenpfote und Staubpfote zu sprechen. Mottenschweif hörte aufmerksam zu. Immer wieder nickte sie zur Bestätigung, dass sie noch zuhörte. Nachdem sie geendet hatte, war Mottenschweif still.
„Wir müssen uns beeilen und sofort Katzen zu den Anführern schicken!", entschied Mottenschweif. Tigerpfote schüttelte den Kopf.
„Ja, das müssen wir machen, aber wir können nicht jedem vertrauen. Wenn dann können wir Schüler losschicken, aber das ist zu gefährlich."
Mottenschweif nickte zustimmend.
„Ja, das ist gefährlich. Was ist, wenn wir junge Krieger suchen, die sich noch leichter überzeugen lassen?", schlug sie vor und sah sich um.
Inzwischen befanden sich Hummelpelz, Abendlied, Bachstreif und Kletterschweif auf der Lichtung und teilten sich Beute. Sie schienen gerade von der Abendpatrouille zurückgekehrt zu sein. Tigerpfote hatte gar nicht bemerkt, wie sie Sonne weiter gewandert war.
Mottenschweif und Tigerpfote sahen sich an und nickten gleichzeitig. Beide standen auf und liefen nebeneinander zu den älteren, aber trotzdem nicht alten, Kriegern hinüber.
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