Kapitel 16

ES WAR Wüstenpfote schon lange aufgefallen, dass die WindClan Katzen etwas vor ihr verbargen, sie wusste bloß nicht was.
Am Morgen nach dem Tage, an dem sie sich in dem schrecklichen Loch wiedergefunden hatte, wurde sie gewaltsam herausgeschleift. Die Schülerin protestierte lautstark dagegen, obwohl sie auch erleichtert war der ewigen Dunkelheit endlich entfliehen zu können. Abgemagerte Gesichter starrten sie hasserfüllt an. Die Schülerin lag auf dem Boden, gefesselt an allen vier Pfote, konnte sich nicht bewegen.
Beim SternenClan wollen die mich zerreißen und fressen?, fragte sie sich, als sie mit Schrecken beobachtete, wie hungrig ihre ehemaligen Clan Kollegen sie anschauten. Wie Aasgeier… Nervös leckte sie sich über das Maul, ihre Kehle war staubig trocken, sie hatte schon eine gefühlte Ewigkeit keine Flüssigkeit mehr zu sich genommen.
Was war nur los mit diesen Katzen? Was hatten die bloß vor. Die sonne brannte auf ihr sandfarbenes Fell herab, ihr Körper heizte sich fast bis ins unermessliche auf. Ihr Puls raste. Die konnte die feindseligen Schwingungen auf ihrer Haut spüren.
„Was wollt ihr von mir?“, krächzte sie, ihre Stimme klang heiserer und schwächer als sie sich fühlte.
Einige Katzen schnaubten verächtlich. Aufgrund der Dehydration verschwamm die Menge immer wieder vor ihren Augen zu einem einheitlichen Brei aus Augen und Fell. Gruselig.
Die Schülerin seufzte leise, schluckte erneut und legte ihren Kopf auf die Erde. Sie konnte nicht ewig diese Position einhalten, es war einfach zu anstrengend und unangenehm. Ihre Pfoten brannten aufgrund der festgezurrten Fesseln. Hatte der WindClan wirklich so wenig Ehrgefühl, dass er eine Schülerin gefangen nahm und sie auch noch extra verletzte? Hatte ihr Vater wirklich so wenig Ehrgefühl? Als wie wenn man von Teufel spräche, tauchte Windsterns Gesicht über ihrem auf. Ein raues Knurren stieg ihre Kehle hoch. Dieser Schuft!
„Was willst du?“, fauchte sie trocken. Einige Katzen zischten bedrohlich zurück, doch das störte sie wenig. Sie hatte ihre Augen und Gedanken vollkommen auf den großen, weißen Kater vor sich fixiert.
Windstern lachte nur höhnisch: „Na, du Verräterin? Hast du Durst?“ Wüstenpfote konnte nicht anders, sie leckte sich kurz über die Lippen, hoffte, dass ihr Vater das nicht bemerkte. Doch es war schon zu spät. Er hatte dieses kleine Zeichen längst als klare Antwort gedeutet. Wieder stieß er sein bellendes Lachen aus, ein paar andere stimmten ein, obwohl sich Wüstenpfote fast sicher war, dass diese ihren kleinen Moment der Schwäche nicht bemerkt hatten.
„Bringt ihr etwas Wasser.“, herrschte ihr Vater die Clan Katzen auf einmal herrisch an.
Hä? War er doch nett? Hatte sie sich in ihm getäuscht? Sie hob den Kopf und sah ihn misstrauisch an. Sie verengte die Augen, als sie den feindseligen, hochmütigen Ausdruck in seinen Augen erkannte. Der Kater hatte etwas vor, sie wusste nur nicht was.
Silberregen, der magere, blaugrau getigerte Kater und ehemaliger Mentor von Nebeldunkel, legte etwas Moos vor ihr ab. Wüstenpfote zögerte misstrauisch und runzelte die Stirn. Natürlich bemerkten die Anderen es und gaben bissige Kommentare, von wegen feige Verräterin oder sture Idiotin ab.
Wüstenpfote ignorierte es.
Sie leckte sich erneut über die Lippen. Der Drang zu trinken wurde immer größer. Sie hatte unsäglichen Durst. Ihre Kehle brannte, ihre Zunge war rau und pelzig, wie ein tagelanges totes Tier. Sie konnte dem Verlangen nicht widerstehen. Es zog sie zu dem rettenden Nass hin. Sie schwor sich: Nur ein Schluck, das war es dann.
Aber sobald ihre Schnauze das Moos berührte und das kühle Nass ihre Kehle hinunter rann, war sie nicht mehr zu bremsen. Es schmeckte ein wenig komisch, leicht süßlich, aber es störte sie nicht weiter. Sie wollte einfach ihr Bedürfnis stillen und diese Folter hinter sich lassen. Es tat einfach zu gut. Das süßliche Wasser benetzte ihre trockenen Lippen, am liebsten hätte sie laut aufgestöhnt. Doch so viel Blöße wollte sie nicht vor den Feinden zeigen, schon gar nicht vor Windstern. Sie leerte das Moos bis auf den letzten Tropfen.
Ein seltsamer Geschmack blieb in ihrem Mund zurück, das musste sicherlich an dem Moos liegen, schließlich konnte das ja alle möglichen geschmacklichen Verfärbungen im Wasser hervorrufen, je nachdem welche Moosart es war. Oder?
Wüstenpfote war sich nicht sicher, schien es nicht ganz zu glauben, hielt aber an dieser Vorstellung fest. Dann blickte sie wieder zu Windstern, ihrem Vater: „Nun, was sollte das? Du hättest mich auch einfach verdursten lassen können, das hätte dir doch sicher auch Spaß gemacht.“ Dieser lachte nur hämisch.
„Alles hat seinen Grund, liebste Wüstenpfote.“, säuselte er. Heidekralle setzte den Satz fort, einen verächtlichen Zug um das Maul: „Wofür wir dich brauchen, das fragst du uns? Tja, ich werde es dir erklären: Unser Clan braucht Beute, doch wir haben eben zu wenig Schüler, die diese niedere Aufgabe erledigen können. Und da trittst du ins Spiel ein, du Verräterin. Du wirst den ganzen Clan versorgen, mit dem was du jagen wirst.“
Am liebsten hätte Wüstenpfote laut geschnaubt, doch sie beschränkte sich auf eine schnippische Antwort: „Und was sollte mich denn daran hindern wegzulaufen, während ich auf der Jagd bin?“ Ein triumphierendes Funkeln, ein gemeines, gehässiges
Etwas schlich sich in Heidekralles Blick: „Das Wasser, das du gerade getrunken hast war mit dem Saft des Schlafschattengewächses getränkt. Dieses macht schon nach dem ersten Tropfen abhängig, nur der WindClan besitzt das Kraut. Wenn du es für nur wenige Stunden nicht nimmst, wirst du auf der Stelle sterben. Und das willst du doch nicht, oder?", er säuselte die letzten Worte, die für Wüstenpfote so falsch und widerlich süß schmeckten wie das vergiftete Wasser, das sie verabreicht bekommen hatte.
Das Wasser… Wüstenpfote erstarrte.
Ihr gefror das Blut in den Adern. Disteln und Dornen, jetzt gehörte sie dem WindClan, sie wollte nämlich ihr Leben behalten.
Sie biss die Zähne aufeinander, wütend auf sich selbst, weil sie den Plan ihres Vaters nicht durchschaut hatte. Wie hatte sie nur so naiv sein können? Es war doch sonnenklar gewesen, dass er nichts Gutes im Sinne gehabt hatte. Wut stieg in ihr auf. Nun durfte sie wieder die ganze Drecksarbeit erledigen. Ihr schreckliches Schülerdasein würde wieder von vorne beginnen. Der Albtraum nahm wieder neue Fahrt auf. Ein Grollen stieg in ihr auf, sie konnte es nicht zurückhalten:
„Könnt ihr dann wenigstens die Fesseln lösen, wenn ich eh schon an den Clan gebunden bin?“
„Aber sicher.“, Windsterns Stimme erklang dicht an ihrem Ohr, die Schülerin versuchte nicht zusammenzuzucken. Sie durfte keine einzige Schwäche zeigen, andernfalls würde es fatale Folgen haben.
Eine Katze, sie vermutete, es war Schmetterlingsblume, denn wer sonst außer die sanftmütige Heilerin könnte die Rinde lösen ohne ihr zu viel Schmerz zu zufügen. Es brannte nur ein wenig, als das erste Stück von ihren Hinterpfoten entfernt worden war. Wüstenpfote hielt sich davon ab laut aufzuseufzen. Sie konnte die buntgetupfte Kätzin zwar nicht sehen, dankte ihr dennoch im Stillen.
Schmetterlingsblume war immer eine der einzigen Katzen im Clan gewesen, die sich um sie gesorgt und um sie gekümmert hatten, eine der einzigen, die auf ihrer Seite standen. Wüstenpfote blieb regungslos liegen, bis alle Fesseln gelöst worden waren. Ihre Pfoten fühlten sich wund an, doch wenigstens würden sie nicht weiter aufgescheuert.
„Ich sollte das mit Spinnweben verbinden…“, begann Schmetterlingsblume mit leiser, besorgter Stimme zu sprechen.
Heidekralle unterbrach sie: „Papperlapapp. So ein bisschen Schmerz kann die wohl auch aushalten.“
Die Heilerin gab einen kleinen unwilligen Laut von sich, traute sich aber nicht dem zweiten Anführer zu widersprechen. Wüstenpfote wusste, dass sie am liebsten die Wunden komplett versorgt hätte und Wüstenpfote behandelt hätte, doch Heidekralle ließ es nicht zu. Wüstenpfote schloss kurz die Augen und lauschte auf den Atem der vielen Katzen, die einen Kreis um sie gebildet hatten. So viele herzen, die heftig schlugen, entweder aus Angst vor ihr oder vor Heidekralle und Windstern. Wüstenpfote atmete einmal tief ein, füllte ihre Lungen mit Luft.
Da war sie also.
An den WindClan durch eine Pflanze gebunden, die ihren sicheren Tod bedeuten konnte, sollte sie nicht genau den Anweisungen der Tyrannen folgen. Eine Pfote stieß sie unsanft in die Flanke. Noch einmal. Wüstenpfote knurrte leise. Wer wagte es denn da sie so zu berühren? Sie öffnete die Lider wieder und sah zu Windstern auf. Der weiße Kater stand über ihr, eine Pfote mit ausgefahrenen Krallen hoch über ihrem Kopf erhoben. Wüstenpfote lächelte grimmig, sie wusste, dass er sie nicht töten würde, zumindest noch nicht.
Langsam erhob sie sich auf die Pfoten. Kurz ging ein Raunen und verängstigtes Flüstern durch die Menge der Katzen, wurde aber sofort durch einen scharfen Blick von Heidekralle unterbunden. Nun starrten sie die Katzen einfach nur total bescheuert an. Wüstenpfote kämpfte sich hoch. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper schmerzte, als wäre sie einmal die Klippen am Wasserfall hinuntergestürzt und danach gegen eine ganze Meute Hunde gekämpft.
Die Schülerin unterdrückte ein Stöhnen, ihre Pfoten waren doch nicht so belastbar, wie sie es gedacht hatte. Die Rinde hatte ganz schön tief in ihre Beine eingeschnitten. Schmerz wallte auf, verflüssigte sich zu glühendem Gestein, das durch ihre Andern rann. Zu Feuer, dass in ihrem Inneren loderte. Oder war das Feuer nur ihre flammende Wut? Sie konnte es nicht unterscheiden.
Wut, Schmerz, Wut, Schmerz…alles dasselbe, oder?
Nein.
Wüstenpfote funkelte ihren Vater an. Er sah hasserfüllt zurück. Sie durchbohrte ihn mit ihren Augen, versuchte in sein Innerstes zu blickten, glaubte sogar es für einen kurzen Moment gesehen zu haben, doch da war es auch schon wieder weg. Sie sah all das Böse, Grausame, Verdorbene, das in Windstern wucherte, all der Argwohn, Missmut, Neid und … Trauer? nein, das war es nicht, eher…Enttäuschung.
Wüstenpfote mutmaßte, dass er enttäuscht war, dass seine Tochter nicht auf seiner Seite war, sich gegen ihn stellte, gegen ihn kämpfte. Vermutlich wollte Windstern es nicht wahrhaben, dass sein eigenes Fleisch und Blut sich ihm widersetze, dem Clan widersetzte. Windstern brach den Blick Kontakt als erstes ab. Wüstenpfote triumphierte kurzzeitig über ihn, dann wurde sie wieder Ernst.
„Soll ich etwa wirklich für euch jagen? Könnt ihr das nicht selbst erledigen? Ich gehöre nicht mal zum WindClan.“, spuckte sie aus.
Heidekralle antwortete schneller als Windstern: „Einmal WindClan immer WindClan, das ist Gesetz. Und außerdem: Du hast doch, als du dich noch nicht den Gesetzten der Krieger widersetzt hast das Gleiche getan und dich nicht beschwert.“
Seine hämische Stimme ließ Wüstenpfotes Wut noch heißer kochen. Wie konnte diese Schuft es wagen auch nur annähernd das Gesetz der Krieger erwähnen? Er selbst war doch derjenige, der es tausende und abertausende Male zusammen mit dem Rest des Clans gebrochen hatte.
Und von wegen: Einmal WindClan, immer WindClan.
Sogar Jaguarkralle hatte inzwischen schon zugeben müssen, dass sie eine DonnerClan Katze durch und durch war. Sie gehörte zum DonnerClan. Ihr Herz gehörte dem DonnerClan, ebenso ihre Seele und ihr ganzes Leben. Deshalb würde sie es nicht an den WindClan verschenken, es an diese unwürdigen Katzen vergeuden. Die waren es einfach nicht wert.
Die Wut übernahm die Überhand über Wüstenpfotes nächste Worte: „Hör mir zu, Heidekralle.“, zischte sie, dann noch lauter, damit auch die umstehenden Katzen sie verstehen konnten. „Hört mir alle ganz genau zu. Das gilt auch für dich, Windstern. Ich werde nie eine WindClan Katze sein, hört ihr, nie! Falls ihr es auf der großen Versammlung noch nicht mitbekommen habt: Ich gehöre zum DonnerClan, bin eine DonnerClan Katze! Ihr werdet mich niemals dazu bringen wieder zu euch widerwärtigen Kreaturen zurückzukehren.“
Beim letzten verächtlichen Satz musste sie unter Heidekralles Pranke hindurchtauchen, mit der er nach ihr geschlagen hatte. Ein lautes Keuchen ging durch die Menge, Katzen empörten sich über Wüstenpfotes Aussage. Heidekralle wäre am liebsten auf sie losgegangen, wenn Windstern ihn nicht zurückgehalten hätte und ihm irgendwas ins Ohr geflüstert hatte.
Wüstenpfotes Schnurrhaare zitterten vor unterdrückter Wut, sie hatte einfach nicht an sich halten können. Ihre Schwanzspitze peitschte hin und her. Trotz der Tatsache, dass sie sehr wackelig auf den Beinen stand, bot ihr Anblick eine imposante Erscheinung.
Windsterns Stimme durchschnitt das Raunen und Murmeln der Katzen: „Ruhe. Wüstenpfote, du kannst sein, was immer du von dir hältst, es ist mir egal. Aber du wirst jetzt deine Aufgabe erfüllen. Geh jagen!“, weißglühende Wut sprach aus seinen Worten.
Er hatte gerade deutlich gemacht, dass seine Tochter ihm egal war, dass er nur an ihren Fähigkeiten als Jägerin interessiert war. Manche schnappten erschrocken nach Luft, andere grinsten hämisch. Sturmgrau packte die Schülerin und schleifte sie hinter sich her, raus aus dem Lager zu ihrer bevorstehenden Folter.
Der Albtraum begann erneut.

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