25. Unvorsichtig
Die Weißen Wiesen glänzten im Sonnenlicht. Es war ein schöner Tag, eigentlich; ein viel zu schöner Tag für diese Welt, in der keine Regenherz mehr existierte. Sie hätte diesen Tag gemocht - seine Mutter hatte jeden Tag gemocht, bei Regen und bei Sonnenschein hatte sie lachen können.
Und jetzt war sie tot.
Als er den Garten vom Zweibeinernest betrat, war keine Kätzin da, die ihn begrüßte. Nicht, dass er sie vermisst hätte; es wäre nur schön gewesen, sie zu sehen. Er wollte sie noch einmal sehen, bevor er ging. Ein Krieger gehörte nicht zu den Hauskätzchen; aber er konnte nicht verschwinden, ohne sich verabschiedet zu haben.
Und jetzt war es still. Vorsichtig prüfte er die Luft - ihr Geruch hing noch an den grünen Wiesen, an den Blumen in den Beeten, am Holz der Zäune. Sie war in den Wald gegangen; vielleicht wieder in die Weißen Wiesen, wie damals, als er sie zum ersten mal getroffen hatte.
Wie betäubt blieb er stehen. Sein ganzes Leben lang hatte er Hauskätzchen verachtet; jetzt fiel ihm wieder ein, dass Tupfenherz ihn verteidigt hatte. Gut, das machte ihn nicht mutig - und auch nicht sympathisch - und es war kein Grund, ihm zu vertrauen.
Aber irgendetwas sagte ihm, dass er ihn auch nicht mehr verachten wollte. Vielleicht hatte er noch einen Fehler in seinem Leben gemacht.
Vorsichtig nahm er Kabas Spur auf. Eine zweite Kätzin war bei ihr gewesen - und der schale Geruch eines kleinen Katers. Wind war gegangen, und sie waren ihm gefolgt, etwas später, vermutlich, als sie sein Fehlen bemerkt hatten.
Lärchenfell beschleunigte seine Schritte, verfiel in leichten Trab. Ihre Spur führte in einer Schlängellinie durch die Wiesen; sie waren Winds Spur genau gefolgt, der große Kurven gelaufen war, offenbar, um Verfolger abzuschütteln. Jemand mit einer guten Nase konnte ihm auf geradem Weg folgen - und Lärchenfell hatte lange trainiert, einer Beute zu folgen, wohin auch immer der Weg sie führte.
Es dauerte nicht lange, sie einzuholen; er fand sie kurz vor dem Lärchenwald, noch gerade so auf der Wiese: zwei Kätzinnen und ein Junges, auf das sie einredeten.
Lärchenfell zögerte. Wenn er jetzt zu ihnen stieß, würde er nicht erfahren, was Wind vorhatte. Wohin wollte er laufen? In den Clan? Warum hatte er dann nicht gewartet, bis Lärchenfell ihn besuchte - oder seine Mutter?
Und wohin wollte er sonst?
Lautlos schlich er sich an. Es war leicht, sich zu verstecken; das Gras war hoch und er war klein. Nur ein Vogel hätte ihn bemerken können - nicht aber die zwei Hauskätzchen dort vorn. Und auch nicht die Patrouille, die auf sie zulief.
Als er sie bemerkte, hielt er inne. Er war nah genug, sie zu hören, aber noch zu weit entfernt, sie zu verstehen - offenbar sprachen sie mit ihnen. Weichfell war dabei, zusammen mit Tupfenherz und Tannenblüte, die nur zögerlich näher kamen. Sie unterhielten sich kurz; nicht unfreundlich, wie man an ihren Stimmen erkannte, aber kühl. Hauskätzchen hatten, genau wie Einzelläufer, nichts im Clan-Territorium zu suchen. Und nur, weil man aus Angst vor Schatten dieses Gebiet sowieso nicht besuchte, hieß das nicht, dass es nicht dennoch Clan-Gebiet war. Eine Kinderstimme maunzte etwas dazwischen. Die Stimmen wurden kurz lauter, dann wieder ruhiger. Die zwei Hauskätzchen machten Anstalten, umzudrehen und auf Lärchenfell zuzulaufen. Wind blieb stehen. Sie unterhielten sich kurz, dann, plötzlich, schrie jemand auf - so laut, dass selbst Lärchenfell die Worte verstand.
»Habicht!«
Es dauerte einen Moment, bis er realisierte - dann sprang er auf, sah sich um. Der Vogel kreiste über ihnen, er hatte sie entdeckt - offenbar war das Gerücht wahr. Panisch wollte er bereits einen Schutz suchen; aber der Vogel hatte es gar nicht auf ihn abgesehen.
Wie ein Blitz stürzte er hinab. Die Katzen stoben auseinander - kurz sah er nichts, weil er sich ins Gras warf - dann rannte er los - der Vogel war noch da, er hielt etwas zwischen den Klauen - Lärchenfell schnellte auf ihn zu - etwas Dunkles, Graues - er beschleunigte sein Tempo - Jemand sprang nach dem Vogel, riss ihn zu Boden - er stolperte, fiel, sprang auf, rannte weiter, es war nicht mehr weit, nur noch ein paar Sprünge - der Vogel hatte Wind losgelassen und jetzt Weichfell gepackt, Tannenblüte wollte ihn angreifen, nach ihm schlagen - Lärchenfell setzte zum Sprung an - der Vogel hackte nach der Kriegerin, Weichfell biss ihm in die Klauen und schlug um sich - Lärchenfell drückte sich ab - der Vogel flatterte hoch, Weichfell sah ihn und erstarrte - er sprang - der Vogel flog - zu hoch. Um eine Federbreite verfehlte er ihn, schoss daran vorbei, landete auf dem Boden und brach zusammen. Über ihnen hörten sie die schweren Flügelschläge.
Die Katzen waren weg. Kaba und Schoko waren geflohen - Tupfenherz und Tannenblüte rannten dem Vogel nach.
Er war allein.
Und er hatte versagt.
Wieder einmal.
Erschöpft blieb Lärchenpfote am Boden liegen. Absolute Stille lag über der Wiese - nicht einmal die Gräser schienen noch zu rauschen, es war still, absolut still. Ihm wurde heiß, unendlich heiß. Mühselig richtete er sich auf, sah sich um - niemand war noch da. Weder die Hauskätzchen, noch die Krieger, noch der Vogel, noch Wind. Er war hier gelandet, ganz dicht neben ihm, als Weichfell ihn gerettet hatte - eigentlich musste er noch in der Nähe sein. Vielleicht hatte er sich versteckt, aus Angst - aber er war nicht mehr da. Lärchenfell prüfte die Luft - und erstarrte.
Unter ihnen war noch ein weiterer Geruch. Einer, den er seit Monden nicht mehr gerochen hatte, und der ihn frösteln ließ.
Es war Schatten.
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