20. Verständnislos
Er prüfte die Luft. Der Wind wehte Gerüche von jenseits des Flusses heran, fremde Gerüche und doch wohlbekannt - als Schüler waren sie oft dort gewesen, im Nirgendwo, und hatten Kaninchen gejagt; beinahe hatte er das schon vergessen, so lange hatte er es verdrängt.
Ob sie jemals wieder dort Kaninchen jagen würden?
»Lärchenfell?« Rauchflugs Stimme riss ihn aus den Gedanken.
»Jetzt komm endlich. Wir wollen auch noch etwas fangen.« Löwenfell peitschte mit dem Schwanz auf den Boden. Es war seine erste Patrouille, offenbar wollte er nicht als Trottel dastehen. Zumal Rauchflug und Krähenflügel bei Weitem älter waren als er und er eigentlich gar nicht das Recht hatte, diese Patrouille anzuführen.
Aber vermutlich durfte man das, wenn man der Auserwählte war.
... oder zumindest von allen dafür gehalten wurde.
Seufzend raffte er sich auf und lief weiter. Auch wenn er nicht ihrer Meinung war, musste er sich nicht gleich wie ein Idiot aufführen. Er war wütend, ja; aber ein guter Anführer konnte seine Wut vergessen. Und wenn er sie nicht vergessen konnte, dann konnte er sie wenigstens beiseiteschieben. »Ich dachte, ich hätte dort Beute gerochen«, sagte er.
»Dachte ich auch. Der Wind ist ziemlich stark. Bestimmt kommt es von der anderen Seite«, sprang Rauchflug ein.
»Wenn der Schnee kommt, brauchen wir dieses Gebiet«, sagte Krähenflügel düster, warf Löwenfell einen Blick zu und bedauerte offensichtlich, dass sein Fell nicht rot war.
Daraufhin herrschte Schweigen. Der Wind heulte in ihren Ohren, je näher sie den Klippen kamen; von Beute war nichts zu sehen, und nur ein schaler Geruch heftete an den Wiesen. Bei diesem Wetter trauten sich offenbar nicht einmal die Mäuse heraus; jedenfalls nicht so nah an den Klippen. Sie hatten sich in die Weite zurückgezogen, unter die Haselnussbäume; Lärchenfell konnte sie weder riechen noch hören, aber seine Pfoten wussten, wohin er gehen sollte.
Löwenfell hob den Schwanz und bedeutete den Kriegern, stehen zu bleiben. »Wir sind da. Ich schlage vor, wir teilen uns auf. Passt auf Fuchsgeruch auf. Und behaltet eure Umgebung im Blick, bei diesem Wind riecht ihr ihn vielleicht nicht.« Er nickte. »Krähenflügel, du jagst im Norden. Rauchflug, du versuchst es dort hinten, bei den Sträuchern. Ich werde beim Spatzenbaum jagen«, er schnippte in Richtung Klippen, »und Lärchenfell, du jagst-«
»Warte. Du weißt ganz genau, dass da hinten keine Beute ist. Wir sind eben...«
»Du findest schon welche. Und wenn nicht, dann nicht.«
Ohne ein weiteres Wort trabte er davon - Lärchenfell blieb stehen, sah ihm verärgert nach. Am liebsten wäre er den anderen gefolgt, wäre einfach mit ihnen zu den Bäumen gegangen, aber...
Nein. Ein guter Krieger musste gehorchen können. Er würde bei den Klippen jage und trotzdem Beute machen. Er würde Buchenpelz' Tricks anwenden und Beute fangen. Es gab Vögel, die in solchen kargen Gebieten überlebten, dann würde er das auch schaffen.
Von Löwenfell würde er sich jedenfalls nicht unterkriegen lassen. Niemals!
»Oh. Es lief wohl nicht so gut?« Spatzenflügel lächelte matt, als Lärchenfell eine magere Maus vor ihm fallen ließ.
»Die hat Rauchflug gefangen«, sagte er knapp. Er selbst hatte nichts gefangen, aber Rauchflug war eine liebe Kätzin, sie hatte ihm eine von ihren Mäusen abgegeben.
Dieses Mitleid hätte sie sich sparen können. Er brauchte keine Hilfe.
»Wie geht es dir?«
Sein Vater blinzelte. »So weit ganz gut. Ich kann schon bis zum Lagereingang laufen.«
»Nur mit Hilfe«, kam es aus einer anderen Ecke des Ältestenbaus. »Und er hat ständig Anfälle.«
»Hör nicht auf Nachtvogel. Sie hat einen schlechten Tag.«
»Hör nicht auf Spatzenflügel: Er hat einen guten.«
Lärchenfell lächelte matt. Eigentlich hatte er keine sonderliche Energie mehr dafür, sich dieses Gezanke anzuhören, und er konnte ohnehin niemandem helfen; so gesehen war es also eine ziemliche Zeitverschwendung, hier zu sein, und wäre Spatzenflügel nicht sein Vater und Mentor gewesen, hätte er sich diese Mühe sicherlich nicht gemacht.
»Bestimmt wird es irgendwann besser«, log er.
»Ja, das wird schon wieder«, sagte Spatzenflügel.
Und sie schwiegen.
»Wie geht es euch eigentlich so, als Krieger? Schade, dass ich nicht bei deiner Zeremonie dabei sein konnte...«
Alle drei verzogen das Gesicht. Hellpfotes Unfall und Kieselnases Tod kurz darauf hatten die Zeremonie so gut wie verdrängt; niemand sprach mehr darüber, niemand dachte mehr daran, und erst recht sagte niemand, er hätte sie nur ungern verpasst.
»Es ist fast so wie davor.« Lärchenfell lächelte gezwungen. »Bis darauf, dass alle Löwenfell in den Himmel loben. Er durfte heute sogar schon eine Patrouille anführen.«
»Er muss sich eben darauf vorbereiten. Weichfell kann kein richtiger Anführer werden. Er ist einfach zu ... nett.« Spatzenflügel lachte leise, wie über einen Witz, den er selbst nicht verstanden hatte. »Und der Einzige, der noch Chancen hat, ist Löwenfell - der Rest ist zu alt oder möchte nicht.«
»Ich will aber auch-«
»Du bist nicht vom SternenClan auserwählt«, warf Nachtvogel von hinten ein.
»Löwenfell auch nicht unbedingt. Er hat kein rotes Fell, wie der Löwe in dieser Prophezeiung. Und abgesehen davon ist er nicht weise und nicht...«
»Weise würde ich dich auch nicht nennen.« Spatzenflügel schnurrte, richtete sich etwas auf und leckte ihm sanft über das Ohr. »Nicht jeder muss ein Anführer werden, Lärchenfell. Manchmal reicht es auch, ein guter Krieger zu sein. Manchmal ist das alles, was man sich wünscht.«
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