10. Anstrengend

Jagen war wirklich nicht seine Stärke - sie war es noch nie gewesen. Schon an ihrem ersten Tag, als Steinpelz es ihm und Löwenpfote hatten beibringen wollen, war es nicht seine Stärke gewesen. Erst nach einem Viertelmond war er mit seiner ersten Beute zurückgekommen; ihm fehlte einfach das Talent dazu. Kämpfen, das konnte er. Aber jagen? Nein.

Nicht, dass es ihn gestört hätte. Ein guter Anführer musste kein guter Jäger sein; es würde nicht stören, aber schaden konnte es auch nicht, wenn man es nicht war. Abgesehen davon trainierte er, seit er ein Schüler geworden war. Was Löwenpfote durch seine Größe konnte, wollte er durch seine Entschlossenheit wettmachen. Und genau das war es, was ein Anführer brauchte: Entschlossenheit.

Er würde der beste Anführer werden, den der Clan jemals gehabt hatte. Weichfell hatte einfach nicht die Kraft dazu - er war kein geborener Anführer, und das wusste Wolfsstern.

Die einzige Katze, die es ebenfalls werden könnte, war Löwenpfote; sonst hatte niemand im Clan die Fähigkeiten, die es dazu brauchte. Wenn Weichfell zurückgetreten war, würde es auf einen von ihnen hinauslaufen.

Und dann musste er stärker sein als Löwenpfote. Stärker und schneller, entschlossener und ehrgeiziger; besser. Er musste seinen Bruder besiegen, dann-

»Lärchenpfote! Lärchenpfote!« Er hielt inne und sah auf. Von links sah er jemanden auf ihn zulaufen: Hellpfote, ganz außer Atem und mit glühenden Augen. »Warte auf mich!« Als sie näher kam, drosselte sie das Tempo, bis sie keuchend zum Stehen kam. »Sturmwolke meint - sie meinte - äh - Buchenpelz war da - und meinte - sie - meinte - wir sollen - bei Sonnenhoch wieder im Lager - sein«, sie keuchte, holte tief Luft, »und wenn wir schon drei Mäuse haben, haben wir frei.«

»Warum das denn?«

»Ich ... ich weiß nicht ... das hat sie nicht gesagt. Sturmwolke hat nur genickt und ... ich weiß nicht«, sie straffte sich, stellte die Ohren auf und sah ihn groß an. »Also: Was wollen wir machen?«

Wer hatte gesagt, dass er etwas mit ihr machen wollte? Der Schüler seufzte. Wenn er erst einmal Krieger war, konnte er ihr endlich aus dem Weg gehen - ein Jammer, dass er es noch nicht war. Und dass es noch einige Zeit dauern würde. Er war zwar ziemlich alt für einen Schüler, aber er war auch erst recht spät Schüler geworden: Löwenpfote und er hatten sich als Junge beim Raufen beide die Vorderpfote gebrochen und deshalb erst spät mit dem Trainieren beginnen können. Von all den kleineren Unfällen in ihrer bisherigen Schülerzeit mal ganz abgesehen; es würde noch ewig dauern, bis sie Krieger sein könnten. Er war jetzt schon fast eineinhalb Blattwechsel auf der Welt, war ein alter Schüler geworden, einer der ältesten, die der Clan je gehabt hatte - und doch hatte er kaum Schüler sein können.

Lärchenpfote schüttelte den Kopf. Darüber wollte er jetzt nicht nachdenken - so gesehen war es vielleicht auch ganz gut. Er hatte bei vielen Mentoren gelernt - in der kurzen Zeit, in der er ein gesunder Schüler war, hatte er viele Erfahrungen gesammelt. Waren das nicht Eigenschaften, die helfen würden, ein guter Anführer zu sein? »Ich wollte etwas klettern. Das habe ich lange nicht mehr gemacht«, sagte er und sah ihr in die Augen. »In Haselbäumen.«

Niemand kletterte in Haseln herum, dafür waren sie viel zu struppig; jedenfalls waren es die Haseln, die bei ihnen im Wald wuchsen. Abgesehen davon hatte Hellpfote Höhenangst. Sie wollte es nicht zugeben, aber es war offensichtlich. Lärchenpfote erkannte ein Hasenherz, wenn er es vor sich sah, und bei Hellpfote bestanden da weniger Zweifel als bei einem waschechten Feldhasen.

Eigentlich hatte er das also nur gesagt, um sie abzuschütteln - umso überraschter war er, als sie »okay! Das wollte ich schon immer einmal machen!« sagte, auf den erstbesten Baum zumarschierte und versuchte, hinaufzukommen.

Sie hatte eine ungünstige Hasel ausgewählt. Nicht, dass es irgendwann einmal günstig sein könnte, in eine Hasel zu klettern; aber diese hier war wirklich das Ungünstigste vom Ungünstigsten. Die vielen, schmalen Zweige des Strauches standen eng beieinander, während die Blätter erst recht hoch begannen - innen hingegen war das reinste Gewirr aus Zweigen und spitzen Ästen.

»Bist du dir sicher, dass...«

Sie war sich sicher; und schneller darin verschwunden als er es für möglich gefunden hätte.

Lärchenpfote blieb stehen. Obwohl sie deutlich jünger war als er, war sie größer und breiter als er; und nicht einmal er hätte es gewagt, in diesen Baum zu klettern. Es gab genug Geschichten von Katzen, die in Bäume kletternten und nicht mehr herauskamen. Einen großen Teil davon hatten er und sein Bruder erlebt.

Sie kletterte schnell und sah nicht hinunter; offenbar war ihr Ziel, den höchsten Punkt zu erreichen. Hastig hangelte sich die Schülerin hinauf, zog sich auf einen der oberen Äste und balancierte in die Mitte. Sie musste nur einen falschen Schritt machen und würde in einem unglaublichen Gewirr aus Holz landen.

Aber sie stellte sich ziemlich geschickt an. Ein paar Herzschläge später stand sie ganz oben; weit über allem, nahe dem Himmel und doch durch ein Blätterdach davor geschützt.

»Ich gratuliere!« Er musste den Kopf in den Nacken legen, um sie noch erkennen zu können. »Hast du keine Angst?«

»Nur, wenn ich runterschaue.« Hellpfote lächelte schief, schloss die Augen und öffnete sie sogleich wieder. »Ich ... ich glaube, das hier dauert noch ein bisschen ... geh' lieber schon mal vor. Buchenpelz klang so, als müsstest du pünktlich dort sein.«

Er lächelte.

Allein zurück gehen? Nichts lieber als das.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top