20. Kapitel

Seit ihrem letzten Treffen mit Stacheleis waren drei Sonnenaufgänge vergangen und heute Nacht war es wieder so weit. Bei einer Grenzpatrouille hatten sich die beiden noch einmal getroffen und Lilienwolke hatte den Treffpunkt verschoben. Nun wartete sie darauf, dass alle schlafen gingen und sie sich wieder wegschleichen konnte.

Nach einer kurzen Ewigkeit war es endlich soweit und Lilienwolke konnte sich auf Zehenspitzen davonschleichen. Sie nahm denselben Weg aus dem Lager hinaus wie beim letzten Mal und lief zuerst auch zur Insel, bog dann aber ab und lief in einiger Entfernung zum See. Die Kätzin rannte neben dem Fluss bis zu dem Busch unter dem sie sich schon einmal getroffen hatten. Er hatte tiefhängende Äste und ein dichtes Blattwerk. In der Mitte war ein Hohlraum in dem gut drei oder gar vier Katzen Platz hatten. Stacheleis wartete bereits auf sie und begrüßte sie wie immer, damit dass er seine Wange an ihrer rieb. Kurz umkreisten sie sich. Dann legte Lilienwolke flach auf den Boden und kam erste einmal zu Atem. Stacheleis legte sich neben sie und legte ihr seinen Schweif auf den Rücken. „Na, wie geht's dir?", fragte er. Das hatte er beim letzten Mal auch schon gefragt und Lilienwolke antwortete, noch immer ein wenig aus der Puste: „Mir geht es nicht ganz so gut." Einen Moment stockte sie und sie sah wieder das Bild von Kupferpfote auf dem Donnerweg vor sich. Ihre schreckgeweiteten Augen, als das Monster auf sie zuraste und der leere Blick danach. „Was ist den passiert? So schlimm kann es doch gar nicht sein", ermutigte er sie. Oh doch! Lilienwolke explodierte förmlich. „Nicht so schlimm? Wie kannst du das nur sagen! Meine Schülerin wurde von einem Monster getötet und ich bin schuld! Und das nennst du nicht so schlimm!", schrie Lilienwolke ihn an und eine Welle der Wut überrollte sie. Diese Wut galt ihr selbst und nicht Stacheleis. Doch die Trauer um Kupferpfote verdrängte die Wut zum größten Teil und Lilienwolke setzte sich wieder hin. Erschrocken über diese Nachricht und Lilienwolkes Wut-Ausbruch schwieg Stacheleis und sah Lilienwolke an. „Das wusste ich nicht, aber was ich weiß ist, dass du das nicht absichtlich getan hast. Da bin ich mir ganz sicher!", tröstete er Lilienwolke und zog sie sanft zu sich her. „Da hast du recht", hauchte Lilienwolke erschöpft. Sie genoss es bei Stacheleis, ihrer großen Liebe, zu liegen und einfach nichts zu tun. Also eigentlich tat sie nicht nichts. Sie malte sich in Gedanken das Leben mit ihm in einem Clan aus. In ihrem Zukunftstraum hatten sie drei Junge, die um sie herumtollten und sich gegenseitig jagten. Plötzlich schrien Katzen und alles war von Rauch umhüllt. Ihre Jungen jammerten und winselten. Nicht weit entfernt konnte Lilienwolke wieder Flammen ausmachen und wieder waren Katzen darin gefangen. Überall brannte es und Zweibeiner steckten noch mehr in Brand. Lilienwolke wollte ihren Jungen und den andern Katzen zu Hilfe eilen, doch ein weiteres Mal klebten ihre Pfote am Boden fest. Sie sah Stacheleis, der eine Katze aus den Flammen schleppte und wieder zurück ins Feuer rannte um weitere Katzen zu retten. Sie schrie und flehte ihn an, nicht ins Feuer zu gehen, doch anscheinen hörte er sie nicht. Ein körperlose Stimme murmelte dicht an ihrem Ohr: „Wenn ihr Überleben wollt, müsst ihr an den Ort der Schatten. Zu den Schatten der Vergangenheit." Die Stimme wiederholte immer und immer wieder dieselben Worte und Lilienwolke versuchte aufzuwachen um diesem Alptraum zu entfliehen. Tatsächlich wachte sie auf. Stacheleis schlief neben ihr und schien unverletzt. Erleichtert atmete sie aus und legte sich wieder nieder. Eine Weile wollte ihr der Alptraum nicht aus dem Kopf gehen. Was hatte das zu bedeuten? Und was meint diese Stimme mit ‚Schatten der Vergangenheit'? Bedeutet es, dass die Clans ihr zuhause verlassen mussten?

***

Ein brennender Schmerz durchzuckte Lilienwolkes Bauch und weckte sie dadurch auf. Stacheleis war schon wach und hatte sie beobachtet, während sie geschlafen hatte. „Guten Morgen! Und hattest du dieses Mal einen Alptraum?", fragte er halb im Scherz. Lilienwolke log und schüttelte verschlafen den Kopf. Dann sah sie sich um. Durch die Äste fiel schon das erste Morgenlicht und die Grenzpatrouille würde bald hier sein. „Schnell du musst verschwinden! Die Morgenpatrouille ist bestimmt gleich da!", rief Lilienwolke und schnell rappelte sich der Kater auf und schüttelte seinen dunkelgrau getigerten Pelz. „Wir sehen uns dann bei der nächsten großen Versammlung! Bis dann!", mit diesen Worten verschwand Stacheleis ins TalClan Territorium. Sehnsüchtig sah sie ihm nach. Sie vermisste ihn jetzt schon und bis zur nächsten großen Versammlung bei Vollmond auf der Insel würde es noch mindestens zehn Sonnenaufgänge dauern. Traurig schüttelte sie den Gedanken ab. Dann entschwand auch Lilienwolke dem weiten, windigem Moorland und aus der Sichtweite des Flussufers.

***

Ganz wichtig:

VOTEN!!!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top