5. Kapitel

Obwohl Ottersee gesagt hatte, dass Schmutzpfote sich noch länger ausruhen musste, gab Muschelklang ihr nur ein paar Tage, bevor sie sie zum ersten Mal mit in den Stillen Wald nahm. Schmutzpfote musste sich stark auf die Schulter ihrer neuen Mentorin stützen, aber der grauen Kätzin schien das gar nichts auszumachen.

Der Stille Wald war nicht so still, wie man es vermuten mochte. Wie auch im restlichen Territorium tummelte sich die Beute im Unterholz und auch in den Bäumen, aber jede SumpfClan-Katze wusste, dass hier nur im äußersten Notfall gejagt werden durfte. Bei dem Gedanken, dass unter ihren Pfoten etliche Katzen begraben sein könnten, wurde Schmutzpfote etwas nervös, aber der Wald gab keinen Hinweis darauf, anders zu sein, als der Rest. Der Boden war moosüberwuchert und weich, ein Bach plätscherte träge und die Bäume verströmten den vertrauten Geruch nach Harz.

Schmutzpfote musterte ihre Umgebung neugierig, bemerkte aber schon jetzt, dass ihre gesunde Vorderpfote von der Überbelastung zitterte. Fragend sah sie zu Muschelklang auf, die ihren Blick aber starr gerade aus gerichtet hatte.

"Wohin gehen wir?", fragte die braun getigerte Kätzin schließlich, weil sie die Stille nicht mehr aushielt. Vielleicht würde ein Gespräch sie von ihrer Pfote ablenken.

"Ich habe einen Abschnitt am Bach ausgesucht, wo du gefahrlos laufen üben kannst. Keine Sorge, es ist nicht mehr weit", miaute die graue Kätzin mit einem leicht geheimnisvollen Ton in der Stimme und führte sie tiefer in den Wald hinein.

Wieso genau der Bach, fragte sich die Schülerin. Muschelklang schien irgendwie auf Wasser fixiert zu sein, wieso hätte sie sonst gefragt, ob Schmutzpfote schwimmen konnte?



Das Gurgeln des Wassers war einschläfernd, aber hinterlistig. Als Schmutzpfote noch am Ufer gestanden hatte, was der Bach friedlich gewesen. Passend zur Blattfrische umsäumten ihn blühende Pflanzen und schillernde Insekten schwirrten über das klare Wasser. Die Schönheit täuschte.

"Das ist ja eiskalt!", quietschte Schmutzpfote, gleich nachdem sie in das Bachbett hinabgesprungen war. Der Kies unter ihren Pfoten knirschte, er war von den Algen ganz glitschig. Das Wasser ging ihr bis bis knapp unter das Bauchfell, aber weil sie ohne groß nachzudenken hineingesprungen war, hatte sie sich selbst bis zum Rücken mit eisig kalter Nässe angespritzt.

Muschelklang lachte vom Ufer aus, ihre grünen Augen funkelten amüsiert.

"Das regt den Kreislauf an! Am besten gewöhnst du dich dran, du wirst hier viel Zeit verbringen, bis du wieder genug Muskeln aufgebaut hast!", miaute die graue Kätzin fröhlich und am liebsten hätte Schmutzpfote sie angespritzt, aber mit ihrer verletzten Pfote konnte sie das nicht. "Du wirst jetzt einfach gegen die Strömung waten. Das wird dir helfen, dein Gleichgewicht besser zu halten und entlastet deine Pfote etwas beim Laufen."

Schmutzpfote seufzte. Na klar, entlastete es ihre Pfote...weil sie sie nämlich vor Kälte nicht mehr spüren konnte. Trotzdem folgte die Kätzin der Anweisung ihrer Mentorin und musste bald feststellen, dass diese Aufgabe schwieriger war, als gedacht. Die Strömung, die vorher so harmlos gewirkt hatte, drückte ihr gegen die Brust und zog ihr die Pfoten weg, wenn sie einen Schritt versuchte. Es war nicht unmöglich, aber doch ziemlich anstrengend. Jedes Mal, wenn ihre geknickte Pfote unter ihr versagte, tauchte Schmutzpfote mit der Schnauze in das kalte Wasser ein, fast so, als wollte der Bach sie dafür strafen.

Währenddessen spazierte Muschelklang gemütlich neben ihr am Ufer her.

"Du machst das großartig, Schmutzpfote. Es macht gar nichts, wenn du heute nicht weit kommst. Am wichtigsten ist bloß, dass du es versuchst."

Nein, zu versuchen reicht nicht aus, dachte Schmutzpfote bitter. Zu versuchen, wieder zu laufen, würde niemanden in ihrem Clan von ihrem Nutzen überzeugen! Das Bisschen Motivation, das sie am Anfang dieses Ausfluges gehabt hatte, brannte schnell aus. Sie hob ihre Pfoten, aber die Strömung ließ sie nicht vorwärts kommen. Sie war einfach zu schwach! Trotz der Kälte brannten ihre Muskeln und sie keuchte, als hätte sie das ganze Territorium durchquert.

Frustriert knurrte die Schülerin. Unter ihren Pfoten lockerte sich der Kies und die leichten Wellen trieben sie wieder an den Punkt zurück, wo sie gestartet war. Am liebsten hätte Schmutzpfote etwas getreten, dabei war sie sonst nie wütend. Aber jetzt war sie es. Sie war wütend auf sich, weil sie das nicht hinbekam und weil ihre Pfote wehtat, und sie war auch ein bisschen wütend auf Muschelklang, weil diese nicht einsehen wollte, wie erbärmlich sie sich anstellte.

"Schon gut, Schmutzpfote. Es reicht schon für heute", versuchte die Kriegerin, sie zu beschwichtigen. "Wenn du dich überanstrengst, zieht Ottersee mir das Fell über die Ohren", scherzte sie, aber Schmutzpfote konnte nicht lachen. Muschelklangs positive Sichtweise fühlte sich an, als würde sie ihr etwas vorlügen. Hatte Ameisenstern sie deswegen ausgesucht? Um ihr vorzumachen, dass sie noch Kriegerin werden konnte?

Schmutzpfote ließ sich von ihrer Mentorin ans Ufer helfen und japste nach Atem. Schwanenpfote hätte sie mit Sicherheit ausgelacht, wenn sie sie nach so einem kurzen Stück Anstrengung so ausgelaugt gesehen hätte. Es fühlte sich an, als wäre die braune Kätzin bis zum See und wieder hierher geprescht, aber Muschelklang ließ sie nicht besonders lange ausruhen.

"Komm, ich bringe dich zurück ins Lager. Ottersee hat gesagt, nach dem Training möchte sie mit deinem Heilermond anfangen", miaute sie sanft und bot ihr erneut ihre Schulter zum Anlehnen an, die Schmutzpfote wohl oder übel annehmen musste.

"Sie fängt heute schon an?", fragte Schmutzpfote zwischen zwei pfeifenden Atemzügen.

"Ja. Sie möchte so früh wie möglich beginnen. Deine Schwestern sind bald mit ihren Kampfmonden fertig und müssen ihn auch noch erledigen, aber drei Schüler auf einmal werden ihr zu viel."

Der Schülerin entging nicht, dass Muschelklang nur ihre Schwester erwähnte. Himmelspfote und Schwanenpfote würden bald ihre Kriegernamen kriegen. Sie nicht.

Die Tigerkätzin war froh, dass das Lager beinahe leer war, als sie zurückkamen. Niemand befragte sie zu ihrem Training oder ihrem nassen Fell, sie hinkte einfach in den Heilerbau, der sie mit den vertrauten Gerüchen des letzten Mondes empfing.

Ottersee sah auf, als sie eintrat. Die zierliche, braune Kätzin hatte silbern glänzende Spinnweben und eine orangefarbene Pflanze vor ihr ausgebreitet.

"Da bist du ja schon", miaute die Heilerin und winkte sie näher heran. "Ich habe schon alles für deine erste Lektion vorbereitet."

Schmutzpfote humpelte neben sie und ließ sich wortlos nieder. Obwohl das Leben im Heilerbau ihr angenehm vorkam, hatte sie nie Interesse an Kräutern gehabt. Für sie sahen die meisten Pflanzen gleich aus.

"Wo ist Rabenpfote?", fragte die braune Kätzin, sie hatte den dunklen Kater schon seit der Morgendämmerung nicht mehr gesehen.

"Ich habe ihn auf seine erste alleinige Kräutersuche geschickt, damit wir unsere Ruhe haben", gab Ottersee zurück.

"Du hast ihn ganz alleine raugeschickt?", echote Schmutzpfote. Wenn sie Rabenpfotes Mentorin gewesen wäre, hätte sie sich das nicht getraut. Der missmutige Schüler verwechselte dauernd die Pflanzen.

"Hab ich doch gerade gesagt." Die braune Kätzin rollte mit den Augen. "Ich hätte ihn nicht losziehen lassen, wenn er nicht bereit wäre und jetzt pass auf. Das hier ist wichtig. Weißt du, was diese beiden Dinge hier sind?"

Schmutzpfote seufzte kaum hörbar und deutete auf das silberne Gewebe.

"Das sind Spinnweben. Das andere weiß ich nicht. Wieso müssen wir Kriegerschüler das überhaupt lernen?"

Es ist doch die Aufgabe des Heilers, Katzen zu behandeln, oder?

Ottersee schüttelte den Kopf und ließ einen lauten Seufzer los.

"Bei jedem Schüler dasselbe. Wenn es zu einem Kampf kommt, bei dem viele Katzen auf einmal verletzt werden ist es mehr als sinnvoll, wenn andere, die keine schweren Wunden haben, mithelfen können. Das gilt aber auch, wenn eine Katze außerhalb des Lagers verletzt wird und ich nicht dort bin. Stell dir vor...", die Heilerin überlegte. "Stell dir vor, Himmelspfote fällt beim Training von einem Baum und hat eine aufgerissene Flanke. Die meisten Katzen wüssten nur, dass Spinnweben die Blutung stoppen können, aber mit dem richtigen Wissen, kann man sehr viel mehr tun als das. Zum Beispiel könntest du diese Ringelblumenblätter benutzen", miaute die Kätzin und deutete auf die orangefarbenen Blütenblätter. "Sie werden verwendet, um Infektionen vorzubeugen und unterstützen die Spinnweben beim Stoppen der Blutung. Eine Infektion kann fatal enden, wenn sie nicht rechtzeitig oder falsch behandelt wird."

Schmutzpfote zog des Kopf ein, Ottersee klang genervt.

Ich hab doch nur gefragt...

In dem Moment fühlte sie sich aber plötzlich an Sonnenstrahl erinnert. Hätte sie seinen Tod verhindern können, wenn sie mit Kräutern hätte umgehen können? Das Bild, wie sich sein Blut in ihr Fell gesogen hatte, blitzte vor ihrem inneren Auge auf und sie versuchte krampfhaft, sich einzureden, dass es so der so zu spät gewesen wäre, aber die zweifelnde Stimme gewann so schnell an Macht über sie. Sonnenstrahl hatte nicht gewollt, dass sie sich die Schuld gab, er hatte sie fast angeflehnt, sich das nicht anzutun, aber sie konnte nicht anders. Ihr Verstand und ihr Herz suchten immer wieder nach einer Möglichkeit, ihr die Dinge vor Augen zu halten, die sie hätte anders machen können.

Ottersee begann zu erklären, wie man einen Verband richtig anlegte, aber Schmutzpfote hörte kaum zu.

Es tut mir so leid, Sonnenstrahl...ich kann es nicht.

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