45. Kapitel
In ihrem ganzen Leben war Schmutzpfote noch nie so hungrig gewesen. Vier Tage waren vergangen, seit die beiden Streuner ihr die Beute weggenommen hatten. Ihre Schulter schmerzte unentwegt, es war unmöglich, noch etwas zu fangen. Die Schülerin war kurz davor gewesen, Krähenfraß zu fressen um ihren wütend knurrenden Magen zum Schweigen zu bringen, aber der verdorbene Geruch hatte sie es sich anders überlege lassen.
Mit wackeligen Schritten kämpfte sie sich nun durch den Zweibeinerort voran, überquerte Donnerwege und ging den Zweibeinern aus dem Weg, aber langsam fühlte es sich an, als würde sie ihr Ziel niemals erreichen. Ihr Schatten zeigte immer in dieselbe Richtung und sie folgte...bis es nicht mehr ging.
Der Abend dämmerte und lange Schatten zogen sich über die Donnerwege, während der Himmel grell orange leuchtete. Schmutzpfote schlich um einen Zweibeinerbau herum, der ihr den Weg versperrte, aber auch hier hatte sie kein Glück. Nirgendwo konnte sie durch um weiter ihrem Schatten nachzulaufen. Sie seufzte.
Hilf mir doch, blöder Schatten. Du nützt mir nichts, wenn du mich nur geradeaus deutest. Ich kann hier nicht lang gehen. Such einen Umweg, fehte sie ihren Schatten an, aber er gehorchte ihr nicht. Natürlich nicht. Er zeigte auf ihr Ziel, nicht auf ihren Weg.
Egal wie sie versuchte, um die Zweibeinerbauten herumzugehen, dort wartete nur ein weiteres Hindernis auf sie und gemeinsam bildeten sie eine große Wand, die sie nicht überspringen konnte.
Ich muss mich ausruhen, dachte Schmutzpfote erschöpft. Sie bemerkte zunehmend, wie ihre Pfoten beim Gehen zitterten. Sie fühlte sich schwach und sehnte sich nach Schlaf, aber dafür war es zu gefährlich an diesem Ort. Die fremden Geräusche hielten sie wach, selbst wenn sie versuchte, etwas Ruhe zu finden.
Schmutzpfote hatte auch versucht, ihre Schulter nicht zu sehr zu belasten. Es schien zu funktionieren, denn sie hatte die Wunde nicht noch einmal aufgerissen. Dennoch tat es weh und der Verband begann zu stinken, nach all dem Zeug, dass sich darin verfing. Sie hatte versucht, ihn abzunehmen, aber er schmiegte sich zu eng an ihren Körper, um ihn alleine loszuwerden. Sie brauchte Hilfe dafür.
Ich brauche nicht nur dafür Hilfe, dachte Schmutzpfote, während sie sich in einem Durchgang unter etwas Unrat zusammenrollte. Ich brauche generell Hilfe...
Es war zum Verzweifeln. Der SternenClan schickte sie alleine, aber sie schaffte es nicht alleine. Sie brauchte jemanden. Sie brauchte Graufrost.
Der Gedanke an Graufrost war schmerzhaft. Er wüsste bestimmt, was zu tun war. Und selbst wenn nicht, würde er positiv bleiben und ihr Mut machen. Er würde...ja, was würde er noch tun? Was würde Graufrost tun?
Schmutzpfote schloss die Augen und dachte an ihren Freund. Sie hatte versucht, ihn aus ihren Gedanken zu verdrängen, damit sein Verlust nicht so sehr wehtun konnte, aber in dem Moment, wo sie ihre Erinnerungen hervorrief, war er da. Vor ihrem inneren Auge lachte er sie an, seine grünen Augen blitzten schelmisch.
Hallo Graufrost, dachte die Kätzin und spürte, wie ihr Tränen zwischen den zusammengekniffenen Augenlidern hervorquollen. Ich brauche deine Hilfe. Sie schniefte, konnte die Welle an Traurigkeit nicht verhindern. Was soll ich tun?
Sie wünschte sich, seine Stimme zu hören, mit einer Antwort, die ihr die Augen öffnen würde, aber da kam nichts. Was würde Graufrost tun?
Schmutzpfote hob den Kopf, als ihr klar wurde, was er tun würde. Das was sie gerade tat. Nach Hilfe fragen. Nur durfte sie nicht Graufrost fragen. Er war fort. Er konnte ihr nicht helfen, selbst wenn er wollte. Sie musste jemand anderen fragen, so wie er Lola um einen Unterschlupf gefragt hatte. Der Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Lola hatte ihnen geholfen, Eisprinz und Dingo hatten sie verjagt und verletzt. Sollte sie es wirklich riskieren, die Aufmerksamkeit einer fremden Katze auf sich zu lenken, wenn es ihr so schlecht ging?
Erneut knurrte Schmutzpfotes Magen, so laut, dass sie versucht war, die Grille zu suchen und zu fressen, die in der kühlen Abendluft ihr Lied sang. Die Schülerin sah an sich herunter und erschrak beinahe.
"Ich sehe furchtbar aus", murmelte sie vor sich hin. Ihr getigertes Fell war um den Verband herum mit Blut verkrustet und zerzaust. Kleine Zweige und sogar ein kleines, silbernes Zweibeinerding hatten sich in ihrem Pelz verfangen. Außerdem bemerkte Schmutzpfote, dass es nicht die Umgebung war, die so komisch roch, das war sie selbst. Wenn sie in diesem Zustand zuhause aufgetaucht wäre, hätten ihre Clangefährten sie bestimmt vom Zungengeben verbannt.
Angestrengt richtete sich die Tigerkätzin auf und leckte sich ein paar Mal ungelenk über das Fell. Sie entfernte so viele Zweige wie sie konnte und schnupperte an ihrem Verband. Zum Glück roch es nicht entzunden, der Verband war einfach nur dreckig.
Plötzlich hörte Schmutzpfote ein Geräusch und zuckte zusammen. Die Sonne war untergegangen und das Schwarz des Nahthimmels hatte den Zweibeinerort in Dunkelheit getaucht. Ein fast voller Mond prangte am Himmel.
Vorsichtig lugte Schmutzpfote aus ihrem Versteck und erspäte hoch über ihr eine Silhouette auf dem Dach eines Zweibeinerbaus. Es war eine Katze, die dort entlang spazierte!
Wie ist sie da hochgekommen?
Auf einmal war Schmutzpfote ganz aufgeregt. Wenn sie da auch hoch hönnte, dann könnte sie weiter ihrem Schatten folgen!
Komm schon, frag die Katze, bevor sie weg ist! Schmutzpfote spornte sich selbst an. Selbst wenn diese Katze ihr feindlich gesinnt war, hätte sie genug Zeit, um wegzlaufen.
"Hallo?", rief die Kätzin, während sie sich ächzend von dem Unrat befreite. "Hallo! Warte mal, bitte!" Ihre Stimme echote zwischen den Bauwänden und die Katze oben an der Dachkante stoppte. Zwei runde, hellblaue Augen linsten neugierig zu ihr herunter. "Kannst du mir helfen?"
"Wobei denn?", fragte die Katze, der Stimme nach aber eigentlich ein Kater, zurück.
"Ich muss da rüber!", antwortete Schmutzpfote und deutete mit der Nase in die Richtung, die der Schatten ihr zeigte. "Aber ich finden keinen Durchgang!"
"Warte mal, ich komme runter!", rief der Kater und verschwand in der Dunkelheit. Kurz darauf tauchte er wieder auf, diesmal etwas tiefer an der Bauwand. Er tappte gekonnt an einem schmalen Vorsprung entlang, nutzte dann etwas Zweibeinermüll um seinen Fall abzufedern, um zu ihr herunterzuspringen und kam auf sie zu. Er war vollkommen schwarz, bis auf einen weißen Fleck auf seiner Brust und der weißen Schwanzspitze, die hinter ihm herschnippte. Der Kater musterte sie gründlich.
"Du bist nicht von hier, hm?"
"Nein, bin ich nicht", gab die Tigerkätzin verlegen zu. Man schien es ihr offenbar genau anzusehen, dass sie keine Ahnung hatte, wie man in dieser Gegend nicht starb. Nun sah sie sich den kater ebenfalls genauer an. Er war ziemlich dünn, aber nicht mager, hatte lange Beine und kurzes, gepflegtes Fell. Seine Stimme war sanft, fast mitleidig.
"Du siehst aus, als hättest du einiges durchgemacht. Geht es dir gut?", fragte der Kater. Er legte den Kopf schief, den Blick auf den blutigen Verband gerichtet. "Das sieht übel aus. Hast du deine Zweibeiner verloren?"
Schmutzpfote fühlte sich unwohl unter seinem bohrenden Blick, aber der Kater schien ihr zumindest nicht wehtun zu wollen. Im Gegenteil, er kannte sie nicht und schien sich trotzdem Sorgen zu machen.
"Ich habe keine Zweibeiner. Ich bin eine wilde Katze. Und ich muss dort hinüber." Erneut zeigte sie mit der Nase in die Richtung, in die sie musste.
"Eine wilde Katze? Das habe ich noch nie gehört." Der Kater blickte nun auch auf die hohe Baumauer, die sich vor ihnen erhob. "Wenn du da hinüber willst, kannst du nur über die Dächer gehen. Kannst du denn springen mit deiner Schulter?"
Schmutzpfote verzog das Gesicht, dachte an die Schmerzen, als sie beim Jagen ihre Schulter bei der Landung belasten hatte müssen.
"Eigentlich nicht...es tut ziemlich weh", gab sie leise zu.
"Das kann ich mir vorstellen. Du musst sehr stark sein, wenn du mit so einer Wunde trotzdem weiterreist", miaute der Kater.
"Oh...ähm...dankeschön? Ich...habe keine andere Wahl. Ich muss jemanden finden. Dringend", erklärte sie und senkte verlegen den Blick. "Kannst du mir helfen, da rüber zu kommen?"
Der Kater schien zu überlegen, nickte aber dann. "Ich glaube schon. Aber wir müssen warten, bis es hell ist, damit du siehst, wo du hintrittst."
Erleichtert stieß Schmutzpfote die Luft aus. "Danke! Vielen Dank", brachte sie hervor.
Der Kater lächelte. "Kein Probelm. Ich heiße übrigens Edgar? Und du?"
"Schmutzpfote." Die Kätzin ließ sich den seltsamen Namen durch den Kopf gehen. Edgar hörte sich komisch an. Aber bestimmt hörte sich ihr Name für ihn auch so merkwürdig an.
"Haben alle wilden Katzen solche Namen?", fragte Edgar, sichtlich belustigt, aber es machte Schmutzpfote gar nichts aus.
"Ja, haben wir", lachte sie. "Meine Schwester heißt Himmelspfote und mein Vater Regentropfen. Und unser Anführer heißt Ameisenstern."
"Interessant, darüber würde ich gerne mehr hören. Aber du siehst ziemlich erschöpft aus. Brauchst du einen Platz zum Schlafen?"
Es überraschte Schmutzpfote, dass Edgar so freiwillig seine Hilfe anbot, aber bevor sie antworten konnte, tappte der Kater schon voraus.
"Komm mit!", forderte er sie auf. Verblüfft und humpelnd folgte sie ihm. Edgar brachte sie nicht weit fort, sie passierten nur einige Baue, die am Rand des selben Donnerwegs lagen, bevor er in die Dunkelheit unter ein paar seltsame Zweibeinergegnstände tauchte. Schmutzpfote zögerte kurz, eilte ihm aber schnell hinterher, als hinter ihr ein Monster quietschend um die Ecke kam.
"Hier wohne ich, sozusagen. Es ist trocken wenn es regnet und sicher. Ich lebe hier schon sein Jahren", erklärte Edgar und machte ihr Platz, von dem es in seinem Bau nicht besonders viel gab. Es war steinfinster, sodass sie nur Edgars reflektierende Augen sehen konnte. Der Boden war weich und federte leicht. Einladend.
"Danke, Edgar", miaute Schmutzpfote. Sie hätte sich niemals gedacht, dass sie einmal so bereitwillig mit einem Fremden mitgehen würde, aber ihre Müdigkeit ließ ihr nicht viele Gedanken zu. "Du bist wirklich nett."
"Kein Problem. Du kannst dich hier ausruhen solange du willst. Ich bleibe in der Nähe und passe auf, ja?"
Schmutzpfote hatte sich schon niedergelassen...oder eher hatten ihre Beine unter ihr nachgegeben. Sie nickte nur, bevor ihr Kopf schon auf ihre Pfoten sank. Die Enge in Edgars Bau gab ihr Sicherheit und die Wände dämpften die Geräusche, wie Federn. Der Schlaf war noch nie so schnell über sie gekommen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top