42. Kapitel

Nachdem Pheenie verschwunden war, wurde es still.


Ich bin allein.

Schmutzpfote wusste nicht, ob ihr diese Tatsache gefiel oder nicht, aber sie musste die Zeit nutzen. Auf leisen Pfoten schlich sie aus ihrem Versteck hervor und sah sich um. Ihre Schulter pochte schmerzhaft, als sie die verletzte Seite belastete, aber sie ignorierte es...sie musste es ignorieren.

Um sie herum war es hell, die meisten Dinge waren weiß und von der Decke baumelte eine leuchtende Kugel, die aussah, wie eine kleine Sonne. Obwohl es mitten in der Blattgrüne war, war es angenehm kühl. Auf dem Boden lag eine Art....lilafarbenes Gras? Schmutzpfote schnupperte daran und berührte es vorsichtig. Es war irgendwie flauschig und kitzelte an den Pfoten.

Die Öffnung, durch die die Zweibeinerin mit Pheenie verschwunden war, war verschlossen worden. Eingesperrt. Obwohl dieser Raum um einiges größer war als der Bau, in dem sie sonst schlief, fühlte sie sich eingepfercht und beengt. Es musste doch einen Weg hier raus geben!

Schmutzpfote drehte sich um sich selbst und sah sich den ganzen Raum an. Da! Ein...wie hieß das noch mal? Ein Fenster!

Der Anblick des dunkelblauen Himmels versetzte ihr einen plötzlichen Energieschub und sie sprang auf den Vorsprung, der sich vor dem Fenster aus der Wand schob. Ihre Nase krachte gegen die durchsichtige Eisscherbe, die sie von der Außenwelt trennte, aber es war ihr egal. Draußen senkte sich die Nacht über die Umgebung und tiefe Schatten krochen unter den Bäumen und Büschen hervor. Sie hatte keine Ahnung wo sie war, nichts dort draußen kam ihr bekannt vor.

Hoffentlich bin ich wegen dem Unfall nicht zu weit vom Weg abgekommen, dachte Schmutzpfote. Wehmütig wandte sie ihren Blick dem Himmel zu, wo einige, vereinzelte Sterne glitzerten. Bist du schon zu Hause, Graufrost?

Sie seufzte zittrig und blinzelte sich die aufsteigenden Tränen aus den Augen.

"Es wäre leichter, wenn du jetzt auch hier wärst", fing sie an. Sie fühlte den Drang, ihm so viele Dinge zu sagen, obwohl sie wusste, dass er sie nicht hören konnte. "Bestimmt...hättest du eine Idee wie ich hier rauskomme. Und selbst wenn nicht...wärst du wahrscheinlich trotzdem gut gelaunt. Das...das hilft auch." Wie viel hätte sie jetzt dafür gegeben, Graufrost wieder bei sich zu haben?

Schmutzpfote senkte den Kopf bei diesem selbstsüchtigen Gedanken...ja, es wäre schön, wenn er noch bei ihr wäre. Aber eigentlich sollte sie sich wünschen, dass er bei seiner Familie war, in Sicherheit. Dass er seine Jungen aufwachsen sehen konnte. Sie wusste, wenn sie zu den Clans zurückkehrte, dann würde sie Fleckengesicht die Wahrheit sagen müssen und allein der Gedanke an diese herzzereißende Aufgabe drehte ihr den Magen um.

Draußen wurde es immer dunkler und Schmutzpfote begann, statt den Bäumen draußen, ihre eigene Reflexion im Eis zu sehen.

SternenClan, ich sehe aus wie ein Streuner!

Ihr Pelz war strähnig und dreckig, sie roch, als hätte sie in einer schmutzigen Pfütze mit Regenwasser gebadet und in ihrem Spiegelbild sah sie ihren eigenen, ängstlichen, gehetzten Blick. Da sie im Moment sowieso nicht entkommen konnte, begann sie, sich zu putzen und fühlte sich danach tatsächlich etwas besser. Ihre Schulter hatte aufgehört, so stark zu schmerzen, stattdessen juckte es ein wenig.

Gedankenverloren leckte sie gerade etwas Wasser aus einer silbernen Kuhle auf, als am Ausgang ein Geräusch ertönte.

"Hey! Katze! Komm mal rüber zur Tür", zischte es durch den kleinen Spalt. Schmutzpfote zuckte zusammen, schlich dann aber zu dem verschlossenen Ausweg.

"Was ist? Hast du was gefunden?", flüsterte sie zurück. Sie konnte Pheenie hecheln hören.

"Hör zu! Ich kann dir einmal aus diesem Raum raushelfen, aber du musst genau das machen, was ich sage. Die Zweibeinerin ist bereits schlafen gegangen, aber sobald sie in der Früh aufsteht, sorge ich dafür, dass sie die Tür aufmacht. Du musst schon hier warten und sofort rausrennen, wenn der Spalt groß genug ist", erklärte Pheenie und erzählte weiter von einem guten Versteck in dem Schmutzpfote sich verbergen sollte, bis sich eine geeignete Gelegenheit zur Flucht ergab. "Es gibt da ein Fenster, in der Küche, da kannst du hinaus in den Garten. Wie hoch kannst du springen, mit der verletzten Pfote?", wollte die Hündin wissen. "Wenn du im Garten bist, musst du noch über den Zaun springen, und der ist ganz schön hoch."

"Hm...ich weiß es nicht. Ich...bin etwas geschwächt", gab sie zu. Stark fühlte sie sich gerade wirklich nicht.

"Dann helfe ich dir drüber", wisperte die Hündin. Kurz hörte die Schülerin sie nur schnaufen. "Katze? Ist es das wirklich wert?"

"Mein Name ist Schmutzpfote", gab die Kätzin mit ernster Miene zurück. "Und ja. Das ist es. Jeder Kratzer und jede kalte Nacht im Freien ist es wert."

Sehnsüchtig dachte sie an Regentropfen, Himmelspfote und Libellenflügel. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie es nicht schaffte, diese Reise zu vollenden, aber trotzdem spielten sich vor ihrem inneren Auge unzählige, grauenvolle Szenarien ab.

"Wenn du das sagst. Deine Erfahrungen waren wohl...sehr anders als meine." Pheenie seufzte.

"Was...waren das denn für Erfahrungen?", fragte Schmutzpfote. Sie war neugierig geworden. Als sie Pheenie, bevor sie verschwunden war, gemustert hatte, hatte sie auch Narben gesehen und stumpfes Fell, kahlte Stellen an ihren Hinterbeinen und ihre Rippen, die an ihren Flanken hervorstanden, wie Klauen.

"Das würdest du gerne wissen, was?" Die Hündin lachte heiser. Es hörte sich an, als hätte sie Rauch eingeatmet. "Das Leben ist für einen Hund wie mich nicht einfach. Die Menschen nennen uns Kampfhunde und sagen, dass wir alle aggressiv sind und sofort angreifen. Sie sagen sogar, dass unsere Kiefer nicht mehr aufgehen, wenn wir einmal zugebissen haben, aber das stimmt alles nicht." Selbst durch die Barriere zwischen den beiden konnte Schmutzpfote die Bitterkeit in Pheenies Stimme hören. "Es sind dumme Vorurteile. Vorteile, die man umgehen kann, wenn man noch ein Welpe ist. Wenn man klein und süß ist, dann lieben die Menschen einen. Ich habe meine erste Familie bekommen, als ich noch so klein war und ich dachte wirklich, es wäre für immer."

"War es aber nicht", vermutete Schmutzpfote. Sie hätte niemals geglaubt, dass sie einmal mit einem Hund reden würde, aber schon gar nicht, dass ihr mal ein Hund so leid tun würde.

"War es nicht, du hast Recht. Als ich erwachsen war, gaben sie mich weg. Ins Tierheim...dort kommen Haustiere hin, die keiner will. Es ist ein Ort, vollgestopft mit armen Seelen, die einmal so viel Hoffnung hatten wie ich. Hoffnung, dass diese eine Familie hereinkommt, dich sieht und dich mit nach Hause nimmt. Aber für viele...passiert das nie."

"Ist es für dich passiert?", fragte Schmutzpfote vorsichtig.

"Ja. Es war der beste Tag meines Lebens. Diesen schrecklichen Ort hinter mir zu lassen hat sich so gut angefühlt. Ein Zweibeiner hat mich abgeholt und von da an gab es nur uns zwei, für eine lange Zeit. Aber dann, eines Tages, fing er an, alle seine Sachen einzupacken. Sie verschwanden, unser Zuhause wurde immer leerer. Und irgendwann...irgendwann kam er einfach nicht mehr wieder."

Schmutzpfote konnte hören, wie sehr es Pheenie schmerzte, das zu sagen.

"Wie konnte er das tun?"

"Ich weiß es nicht...er zog weg und er nahm mich nicht mit. So ist das. Der Hunger hat mich letztendlich auf die Straße getrieben und dort bin ich geblieben. Ich kann nicht sagen, wie lange. Jeden Tag gingen die Menschen an mir vorbei, machten sogar einen Bogen um mich. So ging das eine lange Zeit und nichts habe ich mir sehnlicher gewünscht, als dass einmal einer stehen bleibt und mir eine Chance gibt."

"Und...hat dir jemand eine Chance gegeben?"

"Ja...aber erst vor...zwei Monaten? Eine Gruppe von Menschen haben mich eingefangen, nachdem ich angefahren wurde. Ich habe ihnen zugehört und erfahren, dass sie es sich zur Aufgabe gemacht haben, Tiere wie mich von der Straße zu holen. Sie haben mich gut behandelt und jetzt bin ich hier. Das Leben war nie schöner...auch wenn nicht mehr viel von meinem übrig ist."

Schmutzpfote horchte auf, sie merkte, wie ihre Augen feucht geworden waren.

"Was meinst du damit."

"Ich mache mir nichts vor, Schmutzpfote. Ich werde bald sterben."

"Hast du gar keine Angst?"

"Jetzt nicht mehr. Vielleicht ist das selbstsüchtig, aber jetzt habe ich jemanden, der um mich weinen wird, wenn ich sterbe. Meine Zweibeinerin kennt mich noch nicht lange, aber ich weiß ganz genau, dass sie für mich da sein wird, wenn meine Zeit gekommen ist."

Schmutzpfote wusste nicht, wie die Hündin so ruhig bleiben konnte, wenn sie schon spürte, dass ihr nicht mehr viel Zeit übrig blieb.

"Das tut mir leid...", murmelte Schmutzpfote.

"Was tut dir leid?"

"Dass du das, was du dir mehr als andere gewünscht hast erst jetzt wahr geworden ist."

"Aber es ist wahr geworden. Das ist das, was zählt."

"Das ist...eine bewundernswerte Einstellung", miaute Schmutzpfote zögerlich. Sie konnte nicht verhindern, dass sich die Traurigkeit in ihr ausbreitete. Pheenie war kein gewöhnlicher Hund, sie war freundlich und hilfsbereit. Obwohl sie sie gerade erst kennengelernt hatte, tat es weh zu wissen, dass Pheenie diese Welt bald verlassen würde und sie keine Ahnung hab, ob es für Hunde so etwas wie einen SternenClan gab.

"Danke, dass du mir hilfst, Pheenie. Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde."

"Keine Ursache, Katze. Ich habe zuerst nicht verstanden, warum du so dringend wieder verschwinden willst. Aber du hast einen Wunsch, so wie ich. Sicherheit, Frieden, Familie. Ich will nicht, dass du so lange warten musst, wie ich, damit das in Erfüllung geht." Schmutzpfote hörte, wie Pheenie aufstand, ihre Krallen klackerten auf dem harten Boden. "Warte am Morgen auf mein Zeichen und wir bringen dich hier raus. Ich überlege mir etwas für den Zaun."

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