41. Kapitel

"Wach auf, Schmutzpfote!"

Mit einem Schlag riss die getigerte Kätzin die Augen auf und erwartete, sich wieder im Zweibeinerbau zu finden, doch anstatt im Halbdunkeln zu liegen, sah sie vor sich jemanden, dessen Anblick ihr vor Erleichterung die Tränen in die Augen trieb.

"Feldjägerin!", jaulte sie und sprang auf die Pfoten. Sie rannte der glitzernden Kätzin entgegen und drückte sich in ihr Fell. Obwohl die SternenClan-Katze keinen Geruch hatte, so fühlte es sich trotzdem an, wie Zuhause.

"Ich freue mich auch, dich zu sehen", schnurrte Feldjägerin.

Schmutzpfote löste sich von ihr und blinzelte die Tränen weg.

"Wie kann es sein, dass du hier bist? Ich bin so weit weg..."

"Wir haben dich den ganzen Weg begleitet", erklärte Feldjägerin.

"Wir?", fragte Schmutzpfote und legte den Kopf schief.

"Wir. Ich und Sonnenstrahl."

"Sonnenstrahl ist hier? Wo ist er?" Hektisch sah die Schülerin sich um, doch abgesehen von ihr und Feldjägerin gab es um sie herum nur verschwommene Umrisse von Bäumen und Sträuchern und unter ihr graue Wolken.

"Er musste jemanden zum SternenClan zurückbegleiten", miaute Feldjägerin gedämpft. In ihrem hellgrünen Augen schwamm Mitleid. Schmutzpfotes Herz krampfte sich zusammen und sie ließ den Kopf hängen.

"Du meinst Graufrost, oder? Er...er ist wirklich tot."

"Ja, das ist er", flüsterte Feldjägerin und leckte Schmutzpfote tröstend über die Ohren. "Es tut mir so leid."

Schmutzpfote lehnte sich gegen die SternenClan-Kätzin und fühlte erneut die Traurigkeit über sie fluten.

"Wird...wird der SternenClan ihn überhaupt aufnehmen? Nach allem...was passiert ist? Mit Schwalbenpfote?"

Feldjägerin lächelte milde. "Das hat er bereits. Es stimmt, dass Graufrost gelogen hat und er hat viel Schmerz verursacht, aber den SternenClan kann er nicht belügen. Wir sehen sein wahres Selbst. Er hat einen Fehler begangen, den er nicht wieder gut machen konnte und doch hat er alles versucht um Buße zu tun. Am Ende hat ihn das das Leben gekostet aber wir erkennen sein Opfer an. Sonnenstrahl wird ihn in die Jagdgründe des SternenClan bringen."

Schmutzpfote atmete erleichtert aus. Es war beruhigend zu wissen, dass Graufrosts Geist nicht unendlich weit weg von Zuhause durch die Gegend irren würde.

"Ich werde ihn vermissen", hauchte die getigerte Kätzin mit rauer Stimme. Langsam überkam sie die Erkenntnis, dass sie von nun an auf sich gestellt war. "Jetzt bin ich allein."

"Du bist niemals allein, Schmutzpfote", protestierte Feldjägerin. "Auch wenn du mich nicht sehen kannst, bin ich bei dir. Und...manchmal bringt das Schicksal die Freunde, die wir brauchen zu uns. Du musst nur die Augen öffnen."

Verständnislos sah Schmutzpfote die schimmernde Kätzin an. Freunde? Welche Freunde hatte sie denn schon?

Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit kroch ihren Rücken hinauf. Graufrost war weg, sie war mit einem Hund in einem Zweibeinerbau eingesperrt und sie war verletzt. Wie sollte sie die Prophezeiung jetzt noch erfüllen?

"Werde ich es denn jetzt noch schaffen?", fragte sie zaghaft. In Feldjägerins Augen trat ein abwesender Ausdruck.

"Das kann ich dir nicht sagen, Schmutzpfote. Die Prophezeiungen der Sterne sind wirr und unklar. Nicht einmal wir SternenClan-Katzen können sie vollkommen durchschauen. Wir können nur eine Frage stellen und mit etwas Glück zeigen die Sterne uns einen kleinen Einblick in die Zukunft."

"Wie meinst du das? Ich dachte immer, der SternenClan sieht alles?"

"Nein, Schmutzpfote, wir sehen nur einen Bruchteil und müssen unser bestes tun, damit unsere Liebsten die Werkzeuge erhalten, die sie zum Überleben brauchen. Aber Fehler können immer passieren, wenn man nicht die ganze Geschichte weiß."

"Fehler? Was? Kann ich dann auch...ein Fehler sein? Was ist, wenn ich es gar nicht sein sollte, die die Prophezeiung erhalten sollte?" Schmutzpfotes Herz begann zu rasen. Immer hatte sie angenommen, dass der SternenClan alles wusste, den Ausgang jedes Kampfes sah und ja, sie hatte angenommen, dass sie eine Auserwählte war. Die, die es schaffen würde. Was, wenn das gar nicht stimmte?

"Du bist kein Fehler, Schmutzpfote", unterbrach Feldjägerin sie scharf. "Du bist eine unglaubliche Katze. Sieh nur, wie weit du bereits gekommen bist!" Doch Feldjägerins Worte kamen zu spät, um den aufkeimenden Zweifel in der Schülerin aufzuhalten. War sie sich zu sicher gewesen? Wenn nicht einmal der SternenClan sicher war, dass sie die richtige Katze dafür war, wie konnte sie es dann sein? Verwirrt und ängstlich sank sie zusammen und vergrub die Schnauze unter ihren Pfoten. Es war alles zu viel!

"Schmutzpfote. Hör mir zu", miaute Feldjägerin und berührte sanft ihre Schulter mit der Nase. "Niemand kann sagen, was genau passieren wird, nicht einmal der SternenClan. Aber weißt du, was wir gesehen haben? Großes Potenzial. Wir haben die Sterne befragt, wer fähig ist, die Clans zu retten und dein Stern war von allen der hellste. Deswegen hast du diese Aufgabe erhalten, deswegen bist du hier. Weil der SternenClan an dich glaubt."

Der SternenClan glaubt an mich? Die Worte schenkten Schmutzpfote plötzlich Klarheit und sie hob den Kopf. Der SternenClan glaubte an sie. Er hatte sie geschickt. Die Schülerin nickte, schluckte die aufgestiegenen Tränen wieder herunter und stand auf.

"Danke, Feldjägerin. Es bedeutet mir viel, dass du mit mir hier bist." Sie mochte es nicht, wie weinerlich sich ihre Stimme anhörte, aber sie konnte es nicht verhindern. "Aber ich sitze so gewaltig in der Patsche, das kannst du dir gar nicht vorstellen", schniefte sie. "Ich weiß nicht, wie ich ohne Hilfe hier rauskommen soll."

Feldjägerin lächelte, während ihr Körper sich langsam aufzulösen begann. "Aber du hast doch Hilfe. Manchmal kommt die Hilfe nur von unerwarteten Pfoten. Mach die Augen auf, Schmutzpfote."

Ohne es wirklich zu wollen, folgte Schmutzpfote der Anweisung, riss die Augen auf und stieß sich prompt den Kopf an der Decke ihres Verstecks. Ihre Schulter fühlte sich taub und beengt an in dem Verband, der ihr angelegt wurde. Es war dunkel, denn Pheenie versperrte immer noch einen Großteil des Ausgangs. Vorsichtig lauschte Schmutzpfote den fremdartigen Geräuschen in ihrer neuen Umgebung. Pheenie scharchte, tief und grummelnd. Irgendwo bließ ein leiser Wind, der kühl um Schmutzpfotes Schnurrhaare strich, aber es roch seltsam. Wie schafften es die Zweiebiner, sogar Wind schlecht riechen zu lassen? Plötzlich erklang ein Geräusch, das Schmutzpfote nicht zuordnen konnte und Pheenie erwachte sofort, begann mit dem Schweif zu peitschen und stand auf. Schritte erklangen.

Die Zweibeinerin!

Erschrocken presste Schmutzpfote sich gegen die Wand. Alles was sie von dort aus sehen konnte, waren die Füße der Zweibeinerin und Pheenies vier dunkelgrauen Pfoten und beide kamen auf sie zu! Pheenie ließ sich zuerst fallen, sodass Schmutzpfote ihre Schnauze sehen konnte.

"Guten Morgen, Katze", sagte sie. Die Zunge hing ihr aus dem Maul. Neben ihr setzte sich die Zweibeinerin auf den Boden und schob etwas Rundes auf Schmutzpfote zu. Sie sagte etwas, aber Schmutzpfote konnte nichts davon verstehen. Pheenie sah kurz auf.

"Sie sagt, dass du etwas essen musst."

Verwundert sah Schmutzpfote die Hündin an.

"Du kannst sie verstehen?"

"Ich verstehe viele Sprachen", gab die Hündin zurück und grinste ein zahnloses Grinsen. "Du glaubst nicht, wie furchtbar sich Pferde anhören. Arrogante Wesen. Hören nie auf, über sich selbst zu reden."

Trotz Pheenies furchteinflößender Gestalt war Schmutzpfote auf einmal beeindruckt von ihr. Wieso war ihr nicht aufgefallen, dass sie sich mühelos mit Pheenie unterhalten konnte? Hunde bellten doch normalerweise nur.

Sie spricht meine Sprache...das wird mir niemand glauben!

Die Zweibeinerin gab dem runden Ding einen Schubs, sodass es auf Schmutzpfote zurutschte. Im Inneren lagen kleine, dunkle Bröckchen, die zwar sehr entfernt nach Fressbaren rochen, aber mit einer Maus oder einer Eidechse nichts gemeinsam hatten.

"Was ist das?", fragte die Kätzin und schnupperte. Unerwartet knurrte ihr Magen, aber der Anblick war nicht gerade appetitanregend.

"Essen. Wird dir gut tun", antwortete Pheenie. Die Zweibeinerin sagte etwas und die Hündin übersetzte erneut. "Sie hat dich hübsch genannt."

Hübsch? Eine Zweibeinerin gab ihr Komplimente? Oder log Pheenie einfach nur? Plötzlich hatte Schmutzpfote jedoch eine Idee!

"Kannst du ihr etwas von mir sagen? Sodass sie es versteht? Ich muss dringend hier weg!"

Pheenie schüttelte den Kopf.

"Tut mir leid, Katze. Ich kann sie nur verstehen. Die Laute nachzumachen gelingt mir nicht, glaub mir, ich habe es versucht. Wie viel einfacher wäre es gewesen, von der Straße wegzukommen, wenn ich den Menschen sagen hätte können, dass ich nicht gefährlich bin?"

"Was ist diese Straße?", wollte Schmutzpfote wissen. Es musste für die Hündin ein schlimmer Ort gewesen sein.

"Das ist...eher ein Prinzip. Wenn du auf der Straße lebst, hast du kein Zuhause. Bist ein Streuner. Keiner will dich. Ein hartes Leben. Keinen kümmert es, ob du genug zu essen hast, oder ob dir, warm ist. Jeder kämpft für sich allein. Aber das müsstest du doch wissen, so wie du aussiehst", gab die Hündin zurück. Sie musterte Schmutzpfote mit ihren gelblich, braunen Augen.

"Wieso? Wie sehe ich denn aus?" Schmutzpfote sah an sich herunter. Sie sah aus wie immer. Na gut, ihr braun getigertes Fell sah ungepflegt aus und sie stank ein bisschen, aber sonst war alles normal.

"Wie eine Straßenkatze siehst du aus. Zerrupft und dürr, wie ein Busch ohne Blätter. Narben, ein eingerissenes Ohr, deine Pfote? So sehen Straßenkatzen aus, wenn sich niemand um sie kümmert."

In dem Moment streckte die Zweibeinerin Schmutzpfote die Pfote entgegen. Die Kätzin hatte fast vergessen, dass sie auch da war.

"Bleib weg von mir!", fauchte sie und fuhr die Krallen aus. Mit einem flinken Hieb zog sie ihre Klauen über das blanke Fleisch. Die Zweibeinerin schrie auf und zog sich zurück.

"Hey, das war aber nicht nett. Sie will dir nur helfen", protestierte Pheenie.

Schmutzpfote hörte ihren Herzschlag in ihren Ohren pochen und das Blut rauschte in ihren Adern wie ein wilder Fluss. Fast hätte diese Zweibeinerin sie berührt!

"Wenn sie mir helfen will, dann soll sie mich rauslassen!", jaulte sie mit beginnender Verzweiflung in der Stimme. "Ich bin keine Straßenkatze! Ich habe eine Familie, die mich braucht und die sich Sorgen um mich macht."

Feldjägerin...bitte zeig mir den Weg. Ich brauche Hilfe, flehte sie. Wo waren die helfenden Pfoten, die die SternenClan-Kätzin ihr versprochen hatte? Sie hat gesagt...unerwartete Pfoten. Und das ich die Augen aufmachen soll.

Aber als sie die Augen geöffnet hatte, hatte sie nur...Pheenie gesehen? Konnte Feldjägerin wirklich sie damit gemeint haben?

"Familie", brummte die Hündin. In ihre Augen trat ein wehmütiger Ausdruck, als würde allein das Wort sie schmerzen. "Das hatte ich auch einmal. Aber...wenn du eine Familie hast, wieso siehst du dann so aus, als hättest du kein Zuhause?"

"Ich...komme von den Clans", erklärte Schmutzpfote, obwohl sie keine Ahnung hatte, ob Pheenie wusste, wovon sie redete.

"Den Clans...das habe ich vielleicht schon mal gehört", murmelte die graue Hündin und ließ sich auf die Seite rollen. "Erzähl mir davon."

Vorsichtig sah Schmutzpfote sich um. Die Zweibeinerin war fortgegangen. Ihre Abwesenheit ließ die Schülerin deutlich entspannen. Niemals hätte sie sich gedacht, jemals einem Hund eine Geschichte zu erzählen.

"Ich komme aus dem SumpfClan. Wir leben auf einem Moor, das hinter einem Wald liegt. Dort ist auch ein großer See, wo der SeeClan wohnt. Wir sind ganz viele Katzen und wir passen aufeinander auf, jagen für einander und wir kämpfen, wenn es sein muss, um unser Territorium zu verteidigen und die Schwächeren zu beschützen. Daher kommen die Narben..." Schmutzpfote blickte auf ihre verkrüppelte Pfote hinunter. Es versetzte ihr einen Stich im Herzen, sich an ihren und Sonnenstrahls Kampf ums Überleben zu erinnern. "Das Leben ist hart, aber man ist niemals alleine. Wenn du fällst, ist jemand da, der dir wieder aufhilft und jemand, der deine Wunden für dich heilt." Die Erzählung von Zuhause erfüllte Schmutzpfote mit einer Ruhe, die sie schon ewig nicht mehr gefühlt hatte. Vor ihrem Inneren Auge sah sie das Lager, sah die Jungen spielen und die Schüler trainieren. Sie sah Ottersee ihre Kräuter sortieren und Moosschwinge die Patrouillen einteilen. Es war fast so, als ob sie ihre Stimmen hören konnte und das vertraute Rauschen des Windes im Geäst der Nadelbäume.

Schmutzpfote erzählte von allem, was ihr einfiel. Von Regentropfen und Himmelspfote. Von dem wunderbaren Duft der Föhrennadeln. Von dem beflügelnden Gefühl, durch den Wald ihrer Beute nachzulaufen. Sie erzählte auch vom SeeClan und von den Großen Versammlungen, doch an diesem Punkt stockte sie. Das friedliche Bild des Lagers war mit einem Mal verschwunden und eine kalte Vorahnung kroch ihr über den Rücken.

"Das hört sich schön an", meinte Pheenie. Sie hatte die ganze Zeit stumm zugehört.

"Es ist schön", miaute Schmutzpfote leise. "Aber wenn ich nicht bald hier rauskomme, dann wird all das zerstört werden." Die Worte fühlten sich eisig und entgültig an. Sie suchte mit ihren Augen nach Pheenies Blick und sah sie eindringlich an. "Wenn ich hier nicht rauskomme, dann werden die Clans sterben."

Pheenie zuckte zusammen und starrte die Schülerin für eine Weile wortlos an. Dann schob sie die Pfote vor und rückte das sogennate Essen so nah an Schmutzpfote heran, das es nun direkt vor ihrer Nase stand.

"Iss", forderte die Hündin sie auf. "Nachdem ich mein Zuhause verloren hatte, hätte ich alles dafür gegeben, es zurückzubekommen. Ich finde einen Weg für dich. Aber du musst auch stark genug sein, um ihn zu gehen." Damit stand Pheenie auf und trottete geräuschvoll davon.

Ungläubig sah Schmutzpfote ihr nach. Sie hatte sie überzeugt!

Hoffentlich findet sie einen Weg nach draußen...

Sie streckte ihre steifen Pfoten und zwang sich, ein paar Brocken von dem Zweibeineressen zu sich zu nehmen. Es schmeckte trocken und fad, aber nicht wirklich schlecht. Es musste reichen.

SternenClan, bitte lass Pheenie eine Lösung finden.

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