39. Kapitel
Schmutzpfote fühlte, wie sich ihr ganzer Körper versteifte und ihre Kehle trocken wurde. Er war hier. Er war ihr Verfolger.
Schneeschweif kam bedrohlich näher, fixierte sie mit seinen grünen Augen und schnaubte. Graufrost wich vor dem Kater zurück und stolperte in Schmutzpfote hinein.
"Das...das kann nicht sein!", wimmerte der grau gesprenkelte Kater. "Du kannst nicht der echte Schneeschweif sein. Der ist schon seit vielen Blattwechseln tot!"
Der weiße Kater lachte laut und verächtlich. Sein Körper war von vielen Narben durchzogen, seine Ohren zerrissen.
"Ich bin tot, Graufrost. Es ist erstaunlich, wie dumm Katzen sein können." Sein Ton ließ Schmutzpfote erschaudern. Er klang, als würde er mit einem Freund reden, ruhig, ja beinahe freundlich. Doch in seinen Augen lag ein spitzer Hass, der sich nur auf sie richtete. Sie zitterte.
Schneeschweif baute sich vor Graufrost auf, der vor ihm kauerte und auf einmal wirkte der SeeClan-Krieger furchtbar klein und verletzlich.
"Ich bin nicht hinter dir her, weißt du. Du könntest gehen und deine Gefährtin in Sicherheit bringen, bevor das Unvermeidliche passiert. Alles was du tun musst, ist wegzulaufen. Es wäre doch eine Schande, wenn Fleckengesicht etwas passiert, oder nicht?" Seine Stimme war honigsüß, als gäbe er Graufrost einen guten Ratschlag, doch der Krieger rührte sich nicht. Bei der Erwähnung von Fleckengesicht verengten sich seine Augen und sein Fell sträubte sich.
"Du wirst die Pfoten von ihr lassen!", fauchte er und holte zum Schlag aus, doch seine breite Tatze glitt durch Schneeschweif hindurch wie durch Nebel. Graufrost verlor das Gleichgewicht und stürzte ins nasse Gras, während Schneeschweif unbeirrt weiterschritt.
"Dumme Entscheidung."
Schmutzpfote wich vor dem weißen Kater zurück, der ihr immer näher kam. In ihren Ohren rauschte das Blut und ihre Sicht verschwamm. Irgendwo hinter ihr raste ein Monster vorbei und der Boden bebte.
SternenClan steh uns bei, flehte sie, aber sie wusste, das keine Antwort kommen würde. Sie waren zu weit weg von Zuhause. Hier draußen konnte ihr niemand helfen. Unsere Reise ist vorbei.
Als sie noch einen Schritt zurückwich, trat ihre Pfote plötzlich ins Leere. Sie schrie, als sie abrutschte, ihre Hinterbeine baumelten in der Luft, schlugen dann gegen rauen Stein.
"Schmutzpfote!", jaulte Graufrost und stürzte zu ihr, um sie am Nackenfell zu packen. Der Kater zog sie nach oben, weg von dem Ort, der ihr Tod gewesen wäre. Unter ihnen öffnete sich eine Schlucht, bestimmt eine Baumlänge tief. Unten schlängete sich ein Donnerweg entlang, auf dem unzählige Monster hin- und herrasten. Die Luft stank nach ihren Ausdünstungen.
"Wir sitzen in der Falle", wisperte Schmutzpfote, als sie nach unten sah. Sie konnten nicht weglaufen. Und Schneeschweif wusste das.
Mit bebenden Flanken drückte Schmutzpfote sich an Graufrost. Sein Herz schlug so laut und schnell wie ihr eigenes, sein Atem ging stoßweise. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie zu Schneeschweif.
"Dachtest du wirklich, du könntest es rechtzeitig schaffen, sie zu finden? Eine kleine, schwache Schülerin, wie du? Lächerlich", höhnte der weiße Kater. "Und noch dazu mit einer Reisebegleitung wie ihm? Kennst du ihn überhaupt?"
"Gr...Graufrost ist mein Freund!", gab Schmutzpfote zurück, versuchte tapfer zu klingen, wusste aber gleichzeitig, dass sie sich anhörte, wie ein Junges, das seine Mutter verloren hatte. Schneeschweif grinste nur über ihre Worte.
"Dein Freund? Hat er dir nicht gesagt, warum er wirklich hier ist? Warum er darauf bestanden hat, dich zu begleiten?"
"Hör auf!", fauchte Graufrost. Er hatte seine Fassung zurückerlangt und baute sich vor dem Kater auf. "Ich bin hier um meinen Clan vor einer Zukunft unter deinen Krallen zu beschützen. Und du wirst uns nicht aufhalten, du bist ja nicht mal richtig hier!", feuerte der grau gefleckte Kater zurück und stellte sich schützend vor Schmutzpfote.
Die Tigerkätzin schluckte. Sie war sich nicht so sicher, ob Schneeschweif ihnen nun wirklich etwas anhaben konnte oder nicht, aber hier, an der Kante zum Donnerweg durften sie keinen Kampf beginnen. Ihre Beine zitterten, als sie sich trotzdem in Kampfposition brachte, den Körper geduckt um ihren Bauch zu schützen und die Ohren zurückgelegt.
"Um deinen Clan zu beschützen! Wie niedlich. Du hast es ihr also nicht erzählt, was?"
Irritiert zuckte Schmutzpfote mit den Schnurrhaaren. "Was meint er?", flüsterte sie.
"Er meint überhaupt nichts!", knurrte Graufrost.
Schneeschweif leckte sich über seine entblößten Zähne. Seine grünen Augen waren kalt und furchtlos.
"Du solltest dich schämen, Graufrost. So ein Geheimnis vor ihr zu verbergen!", provozierte ihn Schneeschweif. Diese Angelegenheit machte ihm sichtlich Spaß.
Was soll das? Wovon redet Schneeschweif?
Schmutzpfote wünschte sich, sie wäre so mutig wie Himmelspfote. Stattdessen konnte sie nicht verhindern, dass sich ihr Schweif unter ihrem Bauch versteckte.
"Graufrost?", miaute sie mit bebender Stimme. "Was ist hier los? Was für ein Geheimnis?"
Der gesprenkelte Kater sah sie unverwandt an und starrte dann ins Nichts vor seinen Pfoten.
"Oh, Schmutzpfote, du bist so naiv", höhnte Schneeschweif. "Er ist hier, und begleitet dich auf deiner nutzlosen Reise, weil er sich schuldig fühlt. Er ist kein Freund, Schmutzpfote. Er ist ein Verräter." Die letzten Worte hauchte der weiße Kater ihr ins Ohr. Er ragte neben ihr auf, sah mitleidig auf sie herunter. Er könnte sie hinunterstoßen, mit nur einem Hieb, aber er tat es nicht. "Denk nach, kleine Schülerin. Ihr habt nie herausgefunden, wer es getan hat."
"Wer was getan hat?", fragte Schmutzpfote verzweifelt. Alles was Sonnenstrahl und Muschelklang ihr beigebracht hatten war wie weggeblasen. Sie konnte sich nicht rühren. Graufrost sah sie von der Seite an, in seinem Blick nackte Panik.
"Glaub ihm kein Wort, Schmutzpfote!", rief er, aber seine Stimme war roh und zitterte. In seinen Augen standen die Tränen.
"Erinnerst du dich nicht, Schmutzpfote? Der Tag, an dem du zur Schülerin wurdest? Deine Zeremonie...sie wurde unterbrochen."
Schmutzpfote stutzte. Wie konnte sie sich nicht erinnern. Vor ihr blitzten die Ereignisse auf, als wären sie erst gestern passiert. Wie der Geruch des Todes über die versammelte Katzenmenge geschwappt war. Wie der Leichnam auf die Lichtung gebracht wurde. Das Blut und die Angst.
Ihr Herz raste. "Nein...Nein das kann nicht sein", stotterte sie. Es durfte nicht sein. Aber Graufrost widersprach nicht. "Sag, dass du das nicht warst, Graufrost! Sag es!", schrie sie. Plötzlich raste ihr die Hitze ins Gesicht. "Sag es!"
"Oh, das kann er nicht, Schmutzpfote. Er würde lügen", wisperte Schneeschweif in ihr Ohr.
Schmutzpfote fühlte, wie sich ihr der Magen umdrehte. Ihre Krallen bohrten sich in die nasse Erde, jeder Muskel war angespannt. In ihren Erinnerungen sah sie Schwalbenpfotes leblosen Körper im Lager des SumpfClans liegen. Das Blut sickerte aus ihrem Kopf und ihrer Vorderpfote. Der Biss. Ein Biss so groß und breit, dass es nur ein Krieger gewesen sein konnte. Schmutzpfote erinnerte sich nicht mehr, wer das gesagt hatte. Es war kein Krieger gewesen, sondern ein großer Schüler. Graupfote.
Ungläubig starrte sie ihren Freund an. Er wich ihrem Blick aus.
"Was hast du getan?", flüsterte sie. Graufrost zuckte zusammen, als hätte sie ihn angebrüllt.
"Ich wollte es nicht. Es war ein Unfall! Bitte, du musst mir glauben!", flehte der Krieger. Seine Stimme brach vor Verzweiflung.
Schmutzpfotes Brust wurde eng. "Aber warum? Wie konntest du ihr das antun?" Wütend befreite sie sich von Schneeschweif, der langsam immer durchscheinender wurde und trat Graufrost gegenüber.
"Ich kann alles erklären!", schwor der graue Kater, konnte ihrem Blick jedoch immer noch nicht standhalten. "Schwalbenpfote hat gedroht...hat gedroht uns zu verraten!"
Schmutzpfote verzog die Schnauze. Ihre Nase rümpfte sich, als sie die Lefzen nach oben zog und ihre Zähne entblößte. "Wer ist uns?", fauchte sie.
"Schilfbrise und mich. Wir...Wir haben uns an der Grenze getroffen. Ich...war verliebt. Ich wollte nicht, dass Schwalbenpfote stirbt." Erneut flog vor Schmutzpfotes Augen eine Erinnerung vorbei. Der Kampf, den Schilfbrise, damals noch eine Pfote, gestoppt hatte. Sie hatte gewusst, dass der SeeClan keine Beweise dafür hatte, dass jemand auf ihrem Territorium gejagt hatte, weil sie selbst es gewesen war, die die Grenze übertreten hatte!
Schneeschweif, der nun fast nur noch aus Nebel bestand, und so durchsichtig war, dass man durch ihn hindurch jeden Grashalm erkennen konnte, lachte leise.
"Erinnerst du dich, dass Schwalbenpfote ihre Kriegerprüfung nicht bestanden hat? Was glaubst du warum? Während ihrer Jagdprüfung hat sie die beiden an der Grenze gesehen und anstatt zu jagen, hat sie sie beobachtet."
Schmutzpfotes Körper bebte vor Wut. All das Leid. Schwarzfrosts Rücktritt vom Amt des Stellvertreters. Schwalbenpfote hatte niemals ihren Kriegernamen bekommen und es war Graufrosts Schuld.
Der graue Kater wand sich, wollte vor Schmutzpfote zurückweichen, aber hinter ihm gähnte der Tod durch den Donnerweg.
"Warum, Graufrost! Warum hast du sie getötet!", brüllte Schmutzpfote über den trommelnden Regen hinweg. Sie wollte, dass Graufrost sie ansah. Sie wollte, dass er weinte, um das Leben, das er genommen hatte. Sie wollte, dass er büßte.
"Bitte", winselte Graufrost. "Ich weiß nicht, warum! Ich bin so wütend geworden und habe Schwalbenpfote angeschrien. Sie hat nach mir geschlagen und da habe ich sie gebissen und von mir gestoßen. Ich habe nicht gesehen, dass da ein Stein war. Es war ein Versehen!"
Schmutzpfote sah ihn an, diesen Kater, den sie plötzlich kaum kannte. Er kauerte im Gras und ihr Schatten fiel über ihn. "Es tut mir leid", hauchte er, aber für Entschuldigungen war es schon lange zu spät. Schwalbenpfote war tot und ihre Familie wusste nicht wieso. Eulensprenkel war ohne seine Schwester zum Krieger geworden. Schwarzfrost hatte seine Tochter verloren und hatte eine mögliche Zukunft als Anführer aufgegeben.
Die Schülerin peitschte mit dem Schweif. Trotz der Nässe war ihr glühend heiß. Ihre Brust schmerzte. Graufrost war kein Freund. Er war ein Verräter. Ein Lügner. Und ein Mörder.
Für einen kurzen Moment war sie versucht, zuzuschlagen. Ihm dasselbe Leid zuzufügen, dass er verursacht hatte, aber sie konnte es nicht. Sie sah ihn vor sich, wie er wirklich war. Voller Zorn. Voller Scham. Sie sah, wie er diese beiden Streuner verprügelt hatte getrieben von einer Wut, die sie nicht verstanden hatte. Jetzt verstand sie.
Sie sah, wie er sich furchtlos auf Eisprinz gestürzt hatte, um sie zu beschützen und jetzt wusste sie warum. Er fühlte sich schuldig. Er wollte ausgleichen, was er dem Schwalbenpfote und dem SumpfClan angetan hatte.
"Schneeschweif hat Recht. Du bist nicht mein Freund", würgte Schmutzpfote hervor. Schneeschweif war kaum noch zu sehen und verschwand mit dem nächsten Windstoß.
"Bitte, Schmutzpfote! Ich bin dein Freund!", beteuerte Graufrost, aber Schmutzpfote hörte nicht mehr zu. Sie ließ ihn an der Kante liegen und trottete an der Schlucht entlang, sie wollte nur noch weg. Weg von ihm und seinen Lügen. Weg von seiner Feigheit. "Warte! Bitte! Ich will dir helfen!" Plötzlich stellte er sich ihr in den Weg und ihre Blicke trafen sich. Er weinte.
"Geh mir aus dem Weg, Graufrost! Ich will deine Hilfe nicht mehr. Geh nach Hause, oder irgendwohin, ist mir egal. Geh einfach weg!", schrie Schmutzpfote und bei jedem scharfen Wort, das sie sprach zuckte er zusammen
Sie drängte sich an Graufrost vorbei und musterte den Abgrund vor ihr. Ihr Schatten zeigte darauf. Sie musste diesen Donnerweg überqueren. Das Gefühl von Verrat war so tief und so schmerzhaft, dass es ihr egal war, wie steil es war oder wie rau die Steine waren. Sie sprang hinab auf einen rauen Felsen, schlitzte sich die Pfotenballen auf, aber es kümmerte sie nicht. Graufrost rief nach ihr, aber sie sprang weiter und weiter, rutschte ab, fing sich wieder auf. Ließ sich fallen. Landete auf den harten Donnerweg.
Mit ihren blutenden Pfoten tastete sie über den Untergrund, erspürte die Vibrationen der herannahenden Monster. Sie hatte noch nie einen so wild von Monstern bevölkert Donnerweg überquert, aber die Angst, die sonst über sie herrschte, war ihr plötzlich ganz fern. In einem günstigen Moment rannte sie los. Der Wind peitschte in ihren Ohren. Grelle Lichter fluteten den Weg. Ein Rumpeln ließ den Boden erzittern, aber Schmutzpfote war schon auf der anderen Seite. Sie keuchte. Ihre Lunge fühlte sich eingeengt an, als könne sie nicht tief genug einatmen um so schnell zu laufen. Sie schüttelte den Kopf und wollte weiter, als auf einmal ein spitzer Schrei das Prasseln des Regens durchschnitt.
Sie fuhr herum, ihr Herzschlag pochte unangenehm bis in ihren Hals hinauf. Durch die Regenfäden und die ständig vorbeirasenden Monster konnte sie kaum etwas sehen. Sie kniff die Augen zusammen und sah zu der Stelle, an der sie hinuntergeklettert war. Ihr Atem setzte für einen Moment lang aus, als sie erkannte, wer geschrien hatte.
Graufrost hing an der Kante, nur mit einer Pfote verharkt im feuchten Gras. Sein massiger Körper baumelte im Nichts, seine Hinterbeine suchten verzweifelt nach Halt. Über ihm, am Rand der Schlucht stand Schneeschweif, vollständig zu sehen, mit kräftig weißem Fell. Er schaute hinunter auf den Krieger.
"Nein!" Schmutzpfote hörte sich selbst schreien. Schneeschweif holte aus und schlug zu. Diesmal glitt die Pfote nicht durch ihr Ziel hindurch, nein, sie traf. Und Graufrost fiel.
Wie von selbst bewegten sich Schmutzpfotes Beine. Graufrost ruderte in der Luft. Er schrie erstickt auf, als seine Schulter gegen einen Stein krachte. Schmutzpfote wollte, dass es ihr egal war, aber es stimmte nicht. Der Krieger hatte ihr das Leben gerettet. Ohne sein Wissen über den Zweibeinerort wäre sie verloren gewesen.
Ihre Augen brannten. Sie lief auf ihn zu, ohne auf die Vibrationen zu achten, ohne auch nur hinzusehen und plötzlich blendete sie ein Licht. Die zwei aufgerissenen Augen eines Monsters rasten auf sie zu. Ein hohes, quietschendes Geräusch ertönte, gepaart mit einem verbrannten Geruch, der in Schmutzpfotes Nase stach. Sie erstarrte und blickte hinauf in das Licht.
Der Aufprall war hart. Schmutzpfote verlor den Boden unter den Pfoten und kam schmerzhaft auf. Benommen blieb sie liegen, ihre Sicht wurde immer enger, eingenommen von tiefer Schwärze. Die Luft war erfüllt von den immer wiederkehrenden Tönen der Monster, laut, tief und warnend. Ihre Schulter brannte und sie spürte, wie Blut in ihr Fell sickerte.
Doch ihr Schmerz war Nichts gegen das Geräusch, das sie hörte, als Graufrost auf dem Donnerweg aufschlug.
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