3. Kapitel
Schmutzpfotes Tränen wollten nicht mehr versiegen, das Fell an ihren Wangen war nass und ihre Nase brannte. Ihr eigener, feuchter Atem erhitzte ihr Gesicht während sie den Kopf unter ihren Pfoten ins Moos drückte. Wie tief konnte es für sie denn noch gehen? Eine Verräterin, eine Mörderin und nun ein nutzloser Krüppel?
Schmutzpfotes Herz stach bei jedem Schlag, es fühlte sich an, als würden ihre Rippen ihre Brust zusammenpressen, sodass sie kaum noch Luft bekam und das kalte Prickeln der Angst kroch ihr hinterlistig den Rücken hinauf, wie eine Schlange, die sich um ihren Hals ringeln und sie ersticken wollte.
Ich bekomme keine Luft!
Der Gedanke schoss pfeilschnell durch ihren Kopf, wie die Panik die ihr die Kehle zuschnürte. Die braune Kätzin riss den Kopf nach oben und schnappte nach Luft, sie hörte ihren eigenen Atem kratzig und rau durch ihren Hals rasseln, als würde sie nur durch einen hohlen Schilfhalm atmen.
In dem Moment fiel erneut ein Schatten über den Eingang des Heilerbaus, zwei Paar blaue Augen blitzten auf.
Es dauerte keinen Augenblick bis Regentropfen verstanden hatte, dass etwas nicht in Ordnung war.
"Schmutzpfote!" Mit einem Satz war der grau gefleckte Kater bei ihr. "Was ist los?" Eine Welle der Besorgnis schwappte mit seiner Stimme über sie hinweg.
"Was ist mit ihr?" Himmelspfote war direkt hinter ihrem Vater und drängte sich dazu, doch Schmutzpfote konnte nur panisch nach Luft schnappen, die Worte die sie zu formen versuchte gingen einfach unter. Obwohl die beiden hier waren fühlte sie sich so schrecklich verlassen, die unerklärliche Angst brachte sie zum Zittern.
"Du musst dich beruhigen, Schmutzpfote, wir können dich nicht verstehen", miaute Regentropfen, bevor in seinem Blick ein kleiner Funke aufglomm. Der Krieger schmiegte sich an sie und nahm tiefe gleichmäßige Atemzüge. Die Schülerin spürte, wie seine Flanke sich jedes Mal gegen die ihre drückte, wenn er Luft holte. "Komm, Schmutzpfote, atme mit Himmelspfote und mir. Wir sind da."
Himmelspfote schien zu verstehen und legte sich auf Schmutzpfotes andere Seite, wo sie in Regentropfens Rhythmus einfiel.
Die Panik drohte, Schmutzpfote die Brust zu zerquetschen, sie wusste nicht was sie tun sollte, aber die Anwesenheit ihrer Familie half. Das Atmen half. Schmutzpfote presste ihre Stirn fest gegen die Schulter ihres Vaters und zwang sich, mit ihm tief Luft zu holen.
Ich bin nicht allein. Meine Familie ist hier um mir zu helfen.
Diese Worte wiederholte sie immer wieder in ihrem Kopf bis sie bemerkte, wie sich die Spannung in ihrem Rachen löste. Die Angst war noch da, aber sie lähmte ihre Glieder nicht mehr und erlaubte ihren Muskeln, sich zu lockern.
"Danke", brachte sie hervor, ihre Stimme war belegt und leise, als könnte sie jeden Moment zerbrechen.
"Was war denn los?", fragte Himmelspfote besorgt und beschnuppterte Schmutzpfotes nasse Wange.
"Es hat ausgesehen wie eine Panikattacke. Eure Mutter hatte das oft, als sie jünger war", vermutete Regentropfen. Er leckte der getigerten Kätzin beruhigend über die Stirn und trocknete das feuchte Wangenfell.
Schmutzpfote wusste nicht genau, was eine Panikattacke war, aber dieser Anfall hatte sich angefühlt wie eine Attacke, ein Angriff der Angst. Sie schluckte und versuchte, den Auslöser in Worte zu fassen, ohne über ihre eigene Zunge zu stolpern, aber es war alles so viel auf einmal.
"Kastanienfall...und... und Mohnjunges und Harzjunges. Sie waren hier und...und haben so viele Fragen gestellt und Kastanienfall hat ihnen erzählt...erzählt dass ich nie eine Kr-Kriegerin sein kann, dass ich...dass ich eine Älteste sein werde." Die Worte sprudelten aus ihr heraus und das Schluchzen setzte erneut ein, sodass Schmutzpfote wieder kaum sprechen konnte.
"Das hat sie ihnen gesagt?", fragte Himmelspfote ungläubig und warf einen Blick zur Kinderstube, die vom Heilerbau aus zu sehen war. "Bestimmt war das ein Missverständnis, Kastanienfall würde so etwas doch nie tun. Natürlich wirst du eine Kriegerin sein, du hast doch jetzt auch wieder eine Mentorin und-."
"Eine Kriegerin die nicht laufen kann ist nutzlos", unterbrach Schmutzpfote ihre Schwester, bevor ihre Augen erneut glasig wurden.
"Du bist nicht nutzlos!", widersprach Regentropfen sofort, in seinem Gesicht war eine Spur Wut zu erkennen, die aber schnell wieder verschwand.
"Genau!", pflichtete Himmelspfote ihm bei. "Du musst das Laufen nur neu lernen. Ich kann dir helfen, das wird gar nicht so schwer, glaub mir!"
Nur? Nur laufen neu lernen? Diese Aufgabe fühlte sich an wie ein riesiger Berg, den es zu bezwingen galt, doch Himmelspfote sprang auf, als wollte sie sofort damit anfangen.
"Lass mal, Himmelspfote, sie muss sich jetzt ausruhen. Ich glaube, es ist gerade ein bisschen viel", miaute Regentropfen und legte den Schweif um die schmächtige Schülerin. Sein dichter, weicher Pelz roch beruhigend und warm nach den Tagen, wo sie mit ihm gespielt hatte, als sie noch ein Junges gewesen war.
"Sollen wir dann hier bei dir bleiben?", fragte die weiße Kätzin und blickte ihre Schwester mit schief gelegtem Kopf an.
"Aber ihr müsst doch auf Patrouille gehen. Ich will keine Umstände machen", murmelte die Tigerkätzin, obwohl ihr im Moment nichts lieber gewesen wäre, als dass die beiden im Heilerbau blieben. Sie wollte nicht, dass dieses lähmende Gefühl des Erstickens sie erneut holte, wenn sie wieder allein war, aber ihr Vater und ihre Schwester hatten Pflichten. Sie wusste, dass Himmelspfote Grenzpatrouillen liebte und Regentropfen konnte nicht einfach alles stehen und liegen lassen, nur weil sie sich einbildete, keine Luft mehr zu bekommen. Zittrig blickte die getigerte Kätzin in den hinteren Teil des Baus, wo die Angst in der Dunkelheit darauf zu warten schien, dass sie ihr wieder vom Schweif herauf in den Körper kriechen konnte.
"Ich bleibe lieber hier bei dir", sagte Himmelspfote leichthin und ließ sich wieder neben ihr ins Moos fallen.
"Eine Patrouille wird nie so wichtig sein, wie meine Jungen. Ich sage schnell Moosschwinge Bescheid und bin dann gleich wieder da", miaute Regentropfen bevor er aufstand und nach draußen eilte. Schmutzpfote sah ihm mit einem Hauch von Unglauben hinterher.
Ich habe sie doch gar nicht verdient, nachdem was ich getan habe, dachte Schmutzpfote und blickte bitter auf ihre verkrüppelte Pfote hinab, doch noch bevor sie sich gedanklich über den hässlichen und schmerzhaften Knick auslassen konnte, legte sich eine weiße Tatze auf die ihre.
"Ist schon gut, Schmutzpfote. Wir kriegen das wieder hin. Versprochen."
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