6. Kapitel
Schmutzjunges wagte nicht, auch nur ein Schnurrhaar zu rühren, sie befürchtete schon, dass die Schlange ihren rasenden Herzschlag vernehmen konnte, der in ihrer Kehle unangenehm wiederhallte. Sie war wie zu einer Steinsäule erstarrt, zu ihren Pfoten wand sich das Ende der Schlange, das langsam und glatt wie ein Fisch an ihrem Fell vorbeistrich, als sich die Schlange um sich selbst rollte, um sich aufzurichten.
Gelblich-grüne Gifttropfen troffen von den nadelspitzen Fängen und die gespaltene Zunge sauste bedrohlich zischend immer wieder aus dem fauchenden Maul der Schlange.
Ich hätte im Lager bleiben sollen! Schwanenjunges hat Recht, ich bin eine Angstmaus.
Schmutzjunges'Brust wurde eng vor Furcht. Sie wollte nicht sterben! Sie hatte sich so viel vorgenommen. Kriegerin werden, einen Gefährten haben, eine Familie gründen, die Achtung ihrer Mutter verdienen...all das würde nie passieren.
Die Schlange zischte, das gezackte, dunkelbraune Muster, das auf ihrem geschuppten Körper tanzte, machte Schmutzjunges ganz wirr im Kopf. Sie spürte die Spannung in der Luft, ihr rasendes Herz schien das Reptil noch weiter anzuspornen.
Das Junge presste die Augen zu, hoffentlich würde es schnell gehen, nicht so wie Eichenglut es beschrieben hatte. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie sich brennendes Blut anfühlen würde.
Doch plötzlich erfüllte ein Katzenfauchen ihre Ohren, spitze Zähne packten ihr Nackenfell und der Geruch nach SumpfClan umschwebte ihre Nase, als sie zurückgerissen wurde. Ihr entwich ein Schrei, doch mehr aus Schreck, als aus Schmerz. Vor ihren, nun weit aufgerissenen Augen, schoss ein weißer Blitz vorbei, der sich mit der windenden, braunen Schlange auf dem Boden in einen Ringkampf verwickelte.
Goldenes Fell umgab Schmutzjunges, als der Krieger Gelbschweif sie zwischen seinen Vorderbeinen absetzte und sie beruhigend über den Kopf leckte. Die Tigerkätzin atmete so schnell und flach, dass sie schon den Schwindel fühlte, der auf ihrem Kopf lastete.
Doch als sie wieder klar sehen konnte, traute sie ihren Augen nicht. Der weiße Blitz war Pfützenwasser! Die langhaarige Königin stand der Schlange zähnebleckend gegenüber, ihre silbrig-weißen Krallen blitzten im frühen Morgenlicht wie Tautropfen. Noch nie hatte Schmutzjunges ihre Mutter so wütend gesehen, ihr Gesicht war zu einer zornigen Grimasse verzogen und ihr Fauchen klang genau so wie sich das Junge ein Löwenfauchen vorgestellt hatte.
Die Schlange war nun vollständig auf Pfützenwasser fixiert, ihr schlanker, muskulöser Körper wankte leicht hin und her, vermutlich um Pfützenwasser zu verwirren, doch als sie vorschoss, um ihre giftigen Zähne in das Fleisch der weißen Kätzin zu rammen, wich diese blitzschnell aus und hieb ihr mit ausgefahrenen Krallen auf den flachen Kopf.
Sprachlos beobachtete Schmutzjunges den Kampf, ihre Mutter war so flink wie ein Vogel, wich den Zähnen immer wieder geschickt aus und fügte der Schlange für jeden verpassten Angriff eine Wunde mehr hinzu. Zum ersten Mal hatte Schmutzjunges das Gefühl, dass sie ihrer Mutter nicht egal war.
Schmutzjunges spürte, wie Gelbschweif schützend den Schwanz um sie legte.
"Keine Sorge", miaute er. "Pfützenwasser ist die schnellste Katze, die wir im Clan haben."
Das Junge spürte nur wenig Zuversicht in seiner Stimme, jedoch blieb ihr nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass er Recht behielt. Die Schlange weigerte sich, aufzugeben und schnappte um sich, mehrmals war sie nur ein paar Fellbüschel davon entfernt, Pfützenwasser zu erwischen, die immer noch verbissen gegen sie ankämpfte.
Pfützenwasser schien den Kampf zu kontrollieren, mit jedem Biss ins Leere, verlor die Schlange mehr Schuppen, doch die zahlreichen Kratzer schienen sie nicht aufzuhalten. Plötzlich schoss sie vor, direkt auf das Gesicht der weißen Kätzin zu, die im letzten Moment den Kopf zu Seite drehte. Schmutzjunges konnte nicht hinsehen und presste die blaugrünen Augen zu. Das Knacken von zerberstenden Knochen hallte durch den Wald, gefolgt von einem dumpfen Aufprall im Moos.
Vorsichtig blinzelte Schmtzjunges durch die Augenlider hindurch. Pfützenwasser keuchte erschöpft, vor ihren Pfoten lag der Körper der braunen Schlange tot im Moos, direkt hinter ihrem Schädel zeichneten sich die Abdrücke von den Fangzähnen der Königin ab.
Eigentlich hätte sich Schmutzjunges freuen müssen, doch die Atmosphäre im Nadelwald fühlte sich rein gar nicht nach einem Sieg an. Brennender Schmerz glühte in Pfützenwassers sonnengelben Augen, ihre Pfoten schienen einzuknicken. Und da sah Schmutzjunges das Blut.
Das Blut das langsam durch das Wangenfell ihrer Mutter sickerte und sich jedes Haar einzeln einverleibte, als würde das tiefdunkle Rot das Gesicht der weißen Kätzin verschlingen. Entsetzt musste sie mit ansehen, wie Pfützenwasser die Augen ins Nichts verdrehte und auf den Boden stürzte, das schöne Fell sofort mit schlammigem Wasser verklebt.
Gelbschweif stürmte sogleich zu ihr und trat die tote Schlange mit einem Hieb so weit weg wie möglich. Pfützenwassers Brust hob und senkte sich zittrig. Der goldenen Krieger packte Schmutzjunges' Mutter am Nackenfell und zog sie in Richtung Lager.
Schmutzjunges war wie erstarrt.
Was habe ich nur angerichtet?
Der starke Geruch von Kräutern belagerte Schmutzjunges' rosafarbene Nase und benebelte ihre Gedanken, die sich nur um Pfützenwasser drehten. Die weiße Kätzin lag etwa eine Schwanzlänge von ihr entfernt in einem Nest und bewegte sich nicht. Ihre Wange war mit Schafgarbe und Spinnweben zugeklebt, ihre Flanken regten sich nicht.
Seit Schmutzjunges im Lager angekommen war, hatte sie kein einziges Wort gesagt, sie hatte sich einfach in ein Nest im Heilerbau verfrachten lassen, wo sie nun bewegungslos verharrte.
Ottersee, die kleine, schlammbraune Heilerin sauste zwischen der vergifteten Königin und ihren Kräutervorräten hin und her, wie eine Biene von Blume zu Blume fliegt, überprüfte immer wieder Pfützenwassers Puls, sowie ihren Herzschlag und versorgte den blutenden Riss an ihrer Wange, den die Schlange hinterlassen hatte.
Von schrecklicher Schuld geplagt konnnte Schmutzjunges den Blick nicht von ihrer Mutter abwenden. Es mochte stimmen, dass Pfützenwasser Schwanenjunges und Himmelsjunges bevorzugte, aber sie war immer noch die Katze, die Schmutzjunges auf die Welt gebracht und am Leben erhalten hatte. Wenn sie nun starb, würde Schmutzjunges sich niemals verzeihen.
In diesem Moment kam die Grenzpatrouille zurück, die von Sonnenstrahl geführt worden war. Der orangefarbene Kater lief immer noch an der Spitze und hatte die Miene zu einer grimmigen Grimasse verzogen, als hätte er sich sämtliche Dornen aus dem Wald in die Pfotenballen eingetreten. Regentropfen kam Sonnenstrahl sogleich hinterher und wurde prompt über den Zustand seiner Gefärtin unterrichtet. Sofort ließ der grau-weiß gefleckte Kater seine Patrouille stehen und stürmte in den Heilerbau, wo er beinahe mit Ottersee zusammenstieß, die Moosschwinges alte Verbände entsorgen wollte.
Was wird Vater nur von mir denken?
Schmutzjunges wäre am liebsten im Boden versunken vor Scham. Sie allein war der Grund für die Sorge in Regentropfens sonst so warmen, blauen Augen. Sie war der Grund, warum Pfützenwasser mit dem Tod rang, sie war der Grund für ihre, mit Gift verseuchte Wunde.
"Was ist passiert? Was ist mit Pfützenwasser los?", verlangte der graue Krieger zu wissen, er stupste sanft seine dunkle Nase in das Fell seiner Gefährtin. Schmutzjunges hatte er noch nicht bemerkt.
"Schlangenbiss", entgegnete Ottersee knapp, sie war auf Moosschwinge und ihre Bisswunde am Vorderbein fixiert. Erst als sie fertig war, ließ sie sich zu weiteren Erklärungen breitschlagen.
Schmutzjunges legte beschämt die Ohren an, als Ottersee die Geschichte wiederholte, die auch Gelbschweif bereits vor dem ganzen Lager erzählt hatte. Sie hielt die Blicke ihrer Cankameraden nicht aus, die sie unverhohlen musterten, und sie so verurteilten, wie sie selbst es tat. Es tat einfach weh.
"Pfützenwasser braucht jetzt sehr viel Ruhe, damit sie sich erholen kann, aber wenn sie aufwachen sollte, werde ich sofort nach dir rufen lassen", versprach die dunkelbraune Heilerkatze Regentropfen und tätschelte ihm beruhigend die Schulter mit ihrem dünnen Schweif. "Du solltest darüber nachdenken, bei deinen Jungen in der Kinderstube zu übernachten. Etwas Nähe und Trost tut ihnen bestimmt sehr gut", fügte sie hinzu und blickte zu Schmutzjunges. Der sonnengelbe Blick der Heilerin war undeutbar, Schmutzjunges erkannte weder Zorn noch Mitleid oder irgendein Gefühl in ihnen, als wäre Ottersee unfähig, sich auszudrücken oder sie selbst nicht im Stande etwas in ihren Augen zu sehen.
"Was ist mit Schmutzjunges? Geht es ihr gut?", harkte Regentropfen stur nach, sah sie aber nicht an. Etwas in Schmutzjunges'Brust begann leicht zu schmerzen, als ihr Vater Ottersees Blick nicht folgte.
"Sie hat nur einen Schock, das wird schon wieder. Ich gebe ihr etwas Thymian und einen Mohnsamen, dann wird sie morgen früh wieder fit sein." Ottersee schob Schmutzjunges einen Zweig des eben genannten Krautes und eine kleine, schwarze Kugel zu, als sie das sagte. Die Pflanze roch sehr stark, fast schon unangenehm für ihre Nase, aber der Duft hatte etwas beruhigendes an sich, der die Verkrampfungen in ihrer Brust zu lösen schien. Ohne ein Widerwort schluckte Schmutzjunges die Kräuter hinunter und als der Nebel sie mit Schlaf umfing, war das letzte was sie sah die Enttäuschung in Regentropfens blauen Augen.
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