5. Kapitel
"Hilf uns, Schmutzjunges! Wir brauchen Hilfe!"
Schmutzjunges' Ohren zuckten umher, doch sie konnte den Quell der Stimmen nicht ausmachen, sie sie um Hilfe anflehten. Um sie herum herrschte Finsternis, der alles wie ein dichter Nebel verschlang, der auch sie zu verschlucken drohte. Sie konnte sich nicht bewegen, ein Schauer ließ ihr Rückenfell zu Berge stehen. Ihr Herz pochte in ihrer Brust so schnell wie ein kleines Mäuseherz.
"Wo seid ihr? Ich kann euch nicht sehen?", winselte das Junge verzweifelt, erblickte um sich herum nur dickes, hungriges Schwarz.
"Du musst uns helfen, Schmutzjunges! Du musst an uns glauben!", hauchten die Stimmen, als würde der Wind ihr die Worte ins Ohr tragen, doch sie konnte niemanden sehen, der Hilfe brauchte. Ihre Pfoten waren wie im Boden verwachsen, mit dicken Wurzeln, die sie an Ort und Stelle verankerten.
Doch plötzlich war das Schwarz verschwunden, gleißendes, weißes Licht blendete Schmutzjunges, die vor Schmerz die Augen zusammenkniff. Trotz der Helligkeit konnte sie nicht erkennen, wo sie war, die Finsternis war durch grelles Licht ersetzt worden, das wie undurchsichtiger Nebel verhinderte, dass sie etwas erkennen konnte.
Erst als sie die Augen richtig öffnen konnte, erkannte sie die riesige Sonne, die über ihr schwebte. Die Hitze, die sie ausstrahlte, ließ Schmutzjunges Schnurrhaare schwelen. Zitternd zog die kleine Tigerkätzin den Schweif ein und erneut, hallte eine Stimme in ihren Ohren, weder weiblich noch männlich, oder vielleicht beides.
"Du willst mein Geheimnis wissen?"
Die Stimme war ein leiser Singsang, machte Schmutzjunges schläfrig und machte das Denken schwer, als ob der Nebel in ihren Kopf eindrang und ihre Gedanken verlangsamte.
"Wer bist du?", fragte Schmutzjunges, doch es kam keine Antwort. Stattdessen kroch die Kälte über ihren Körper, wie eine hinterlistige Schlange. Aus dem grellen Dunst trat eine Katze, nicht mehr als ein Shatten ihrer selbst. Das weiße Fell war mit Blut bespritzt und der Kiefer der Katze hing in seltsamem Winkel herab. Die leeren, silbrig-weißen Augen starrten Schmutzjunges an, als wollten sie sie erdolchen.
Schmutzjunges wollte schreien, aber kein Laut kam aus ihrem Mund. Sie wollte zurückweichen, aber ihre Pfoten schienen festzukleben. Der Übelkeit erregende Blutgeruch stieg ihr in die Nase, füllte ihren Mund, ihre Augen brannten. Die weiße Katze trat näher und näher, hinterließ dabei eine Spur aus blutroten Tropfen. Sie öffnete den verzerrten Mund und Worte so schrill wie der Schrei einer Fledermaus kamen heraus.
"Glaubst du an mich?"
Schmutzjunges schreckte mit pochendem Herzen aus dem Schlaf, erneut umgab sie Finsternis, doch nicht der Geruch von Blut, sondern der von Milch erfülle die Luft. Sie blickte an sich herunter. Ihr Fell war schweißnass und das Moosnest war an einigen Stellen zerfetzt, als hätte sie um sich getreten. Ihr Atem ging flach und ihre Brust schmerzte.
Es war nur ein Albtraum...nur ein Traum, versuchte sie sich einzureden, aber wirklich beruhigen konnte sie sich nicht. Die Schatten der Kinderstube schienen nach ihr zu greifen.
Schneeschweif gibt es nicht. Schneeschweif gibt es nicht!
Zitternd drückte Schmutzjunges sich an den schlafenden Körper ihrer Mutter und suchte Schutz in ihrem langen, weißen Bauchfell. Langsam verschwammen die Erinnerungen an den Traum mit dem sanften Schnaufen ihrer Baugefährten und dem Milchduft. Die Müdigkeit wollte Schmutzjunges erneut in den Schlaf ziehen, doch sie zwang sich, wach zu bleiben. Sie wollte nicht träumen. Trotzdem wurden ihre Augenlider immer schwerer.
Um nicht einzunicken, stand sie auf und sah sich in der Kinderstube um. Einige erste Sonnenstrahlen krochen schon durch das Efeudickicht, bald würden bestimmt die ersten Krieger aufstehen. Die Morgensonne malte ein tanzendes Muster aus Lichtflecken auf den Boden, die Moosnester und nicht zuletzt auf die schlafenden Katzen. Blattflügel mit ihrem hellbraunen Fell war von den leuchtenden Punkten besonders schön verziert.
Gestern, nachdem alle vom Kampf zurückgekehrt waren, hatte sich Blattflügel todunglücklich, dass sie ihre Kriegerpflichten nicht mehr übernehmen konnte, ein Nest in der Kinderstube gemacht. Eigentlich sah ihr sogenanntes "Nest" aber aus, als hätte sie nur Moos und einige Federn auf einen Haufen geschoben und sich draufgelegt.
Irgendwie tat sie Schmutzjunges leid, auch wenn sie nicht ganz verstand warum. Sowohl Junge zu haben, als auch dem Clan zu helfen war eine schöne Vorstellung für sie, auch wenn sie, um das zu erreichen, noch sehr lange warten musste.
Aber die hellbraune Kriegerin war anscheinend sehr enttäuscht darüber, ihre Kriegerpflichten für eine Zeit niederlegen zu müssen, Schmutzjunges hatte gehört, dass sie eine der besten Jägerinnen des Clans war. Bestimmt würde ihr die Zeit außerhalb des Lagers fehlen, wenn sie sich um ihre Jungen kümmern musste.
Die kleine Tigerkätzin musterte Blattflügels Bauch, in der Hoffnung, einen Tritt ihrer Jungen sehen zu können, aber unter dem weißen Fell bewegte sich nichts.
Schade. Aber wenigstens habe ich mich jetzt beruhigt, dachte Schmutzjunges erleichtert und fühlte ihren regelmäßigen, normalen Herzschlag in ihrer Brust pochen. Die kurze Ablenkung hatte gut getan und es war nun auch hell genug, dass die Schatten der Kinderstube sich zurückzogen.
Die kühle Morgenluft schlug Schmutzjunges entgegen, als sie aus dem Bau schlüpfte. Einige Katzen waren schon wach, aber diese bemühten sich, leise zu sein, um niemanden zu wecken. Ameisenstern saß schon auf dem Baumstumpf vor seinem Bau und ordnete sein Fell während sich Kastanienfall und Gelbschweif vor dem Kriegerbau die Zungen gaben.
Die Morgensonne war gerade mal eine Krallenlänge über die Bäume gestiegen und zog die Schatten des Lagerwalls in die Länge, als Schmutzjunges sich nahe des kleinen Hügels niederließ, wo Schwarzfrost immer die Patrouillen einteilte.
Ungewollt wanderten ihre Gedanken wieder zu ihrem Traum zurück, obwohl die Erinnerungen an ihn bereits verschwammen. Nur eines ging ihr nicht aus dem Kopf: Der blutverschmierte, weiße Kater. Sie war sich ganz sicher, dass es sich bei ihm um Schneeschweif handelte. Seine Worte hallten in ihrem Kopf wieder.
"Glaubst du an mich?"
Eigentlich hätte sie zu dieser Frage nur zu gerne Nein gesagt. Himmelsjunges und Schwanenjunges schien es so leicht gefallen zu sein, die Geschichte als Märchen abzutun, aber Schmutzjunges fühlte sich durch ihren lebhaften Traum erstrecht bestätigt.
Vielleicht gab es Schneeschweif ja doch...das bedeutet aber nicht, dass er wiederkommt, oder uns etwas tun wird.
Schmutzjunges schüttelte den Kopf um die Gedanken loszuwerden, als plötzlich hinter ihr ein Kampfschrei ertönte. Erschrocken wirbelte das Junge herum, doch im nächsten Moment wurde sie bereits von starken Pfoten zu Boden gerissen.
Die kleine Tigerkätzin schlug unsanft auf dem Boden auf, doch das Gewicht, dass auf ihr lastete war sofort wieder verschwunden, stattdessen füllte hämisches Gelächter ihre Ohren. Sie rappelte sich auf und blickte ihren Schwestern entgegen, deren himmelblaue Augen listig glitzerten. Schmutzjunges wusste genau, dass sie über sie lachten, und nicht mit ihr.
"Sieh mal, Himmelsjunges! Ihre Augen sind so groß wie Monde! So ein Angsthase", lästerte Schwanenjunges und blickte auf Schmutzjunges hinunter, die versuchte, sich unauffällig den Staub aus dem Pelz zu wischen. Ihre Ohren lagen flach an ihrem Kopf an, als könnte das ihr helfen, das Gelächter ihrer Schwestern auszublenden.
"Ich habe gesehen, wie sie den Nestrand zerfetzt hat. Bestimmt hat sie auch schlecht geträumt, weil Eichenglut so eine furchtbar gruselige Geschichte erzählt hat", fügte Himmelsjunges hinzu und zeigte ihre kleinen, aber spitzen Fangzähne.
"Hab ich gar nicht!", entgegnete Schmutzjunges etwas zu heftig und versuchte, Schwanenjunges von sich wegzuschubsen, aber stattdessen fiel sie ungeschickt auf die Nase, als ihre schneeweiße Schwester in der Bewegung zur Seite trat.
"Gibs auf Schmutzjunges. Du bist und bleibst eine Angstmaus",maunzte Himmelsjunges abfällig und hob selbstgefällig das Kinn.
Verletzt blickte Schmutzjunges zu Boden, bemüht, nicht zu weinen anzufangen. Wieso schaffte sie es nicht, sich gegen ihre Wurfgefährten zu wehren? Wieso konnte sie nie etwas verletzendes über sie sagen? Wieso konnten sie sie nicht einfach in Ruhe lassen?
"Ich bin keine Angstmaus", ihre Stimme war so leise wie die Maus, die sie verleugnete zu sein.
Abrupt brach das Lachen ihrer Schwestern ab und als sie aufblickte, warfen sich die beiden weißen Kätzinnen heimtückische Blicke zu.
"Dann beweise es", in Schwanenjunges blauen Augen glitzerte eine Hinterhältigkeit, die Schmutzjunges bisher bloß bei Schlangen vermutet hatte.
Das braun gestreifte Junge blickte unsicher zu ihnen auf, die Art, wie Schwanenjunges grinste gefiel ihr gar nicht, aber sie konnte keinen Rückzieher machen, sonst würde sie auf ewig eine Angstmaus sein. Sie wollte keine Angstmaus sein.
"Wie denn?", fragte sie eingeschüchtert, ihr war so unwohl unter dem Pelz, dass sich ihr Nackenfell aufstellte.
"Ganz einfach. Du wirst dich aus dem Lager schleichen", entgegnete Schwanenjunges. "Und dort wirst du eine Schlange fangen."
Stille. Fassungslos blickte Schmutzjunges zwischen ihren Schwestern hin und her. Sie sollte sich aus dem Lager schleichen? Alleine? Ganz zu schweigen davon, dass es im Wald auch giftige Schlangen gab, deren Biss sie binnen Augenblicken zum SternenClan schicken würde.
Bevor Schmutzjunges jedoch etwas erwidern konnte, ergriff Schwanenjunges erneut das Wort.
"Es sei denn natürlich, der arme Winzling hat zu große Angst", meinte sie gehässig und kauerte sich zusammen um Schmutzjunges in lächerlichem Ton nachzuäffen.
Schmutzjunges schluckte, ihr blaugrüner Blick wanderte zum Lagereingang. Der Weg zum Wald war nicht weit, das war zu schaffen, auch wenn sie ziemlich klein war. Bloß die Schlange war das Problem, sie konnte sich nicht anschleichen, oder Geruchsspuren folgen.
Doch als sie ihre Schwestern anblickte, wie sie immer weiter über sie herzogen, blitzte ein Funke Entschlossenheit in ihren Augen auf. Das konnte doch nicht so schwer sein!
"Ich habe keine Angst!", Schmutzjunges versuchte, ihre Stimme fest klingen zu lassen, obwohl sie innerlich zitterte. "Ich fange dir deine blöde Schlange."
Gleichermaßen wütend, wie verletzt wandte sich die kleine Tigerkätzin ab und schlich zum Lagerausgang. Durch ihre geringe Größe passte sie durch, ohne an den Ästen zu streifen, aber es schien, als wollten die Dornen sie zurückziehen, als wüssten auch sie, wie schrecklich falsch das war, was sie hier versuchte.
Kaum draußen, bremste Schmutzjunges abrupt ab, ein breiter, flacher Felsen ragte vor ihr auf. Obwohl sie nicht dagegengerannt oder gestürzt war, pochte ihr Herz, so schnell wie heute als sie aufgewacht war.
Ich darf keine Angst zeigen. Es ist nur ein Felsen. Schwanenjunges würde sich über mich kaputt lachen, dachte Schmutzjunges verbittert und linste über den Rand des großen Steins. Der Wachposten des SumpfClan-Lagers war leer, nur die warme Stelle, die Schmutzjunges fühlte, als sie darüber tappte, ließ vermuten, dass bis vor kurzen noch eine Katze hier gesessen hatte.
Der Wald war nicht weit, ganz wie sie vermutet hatte, schließlich konnte sie ja auch vom Lager aus einige Bäume sehen, aber trotzdem taten ihre kleinen Pfoten weh. Das lag wohl an der großen Menge an abgefallenen Nadeln, die auf dem Waldboden herumlagen und sie in die Ballen piksten.
Kaum war sie in den Wald getreten, sie redete sich immer noch ein, keine Angst zu haben, empfing sie kühle Luft, der Schatten unter den Bäumen breitete eine neblige Kälte aus und Schmutzjunges Fell fühlte sich schon nach einem Moment feucht an.
Der Beutehaufen des SumpfClans bestand häufig aus Schlangen, und da es viele Arten hier gab, giftige, sowie ungefährliche, hatten Schmutzjunges und ihre Geschwister sehr früh gelernt, wie sie diese unterscheiden konnten, denn es kam manchmal vor, dass sich Schlangen auch in Lager verirrten. Verbissen versuchte Schmutzjunges sich an das zu erinnern, was Schwarzfrost ihnen hatte beibringen wollen, wenn sie einer Schlange gegenüberstanden, doch sie wusste bloß noch, dass sie keine plötzliche Bewegung wagen durfte. Erneut schüttelte Schmutzjunges den Kopf, um die Gedanken an einen tödlichen Schlangenbiss zu vertreiben. Sie würde es Schwanenjunges schon zeigen und Himmelsjunges auch!
Hier muss es doch irgendwo eine Ringelnatter, oder sowas geben. Kann doch nicht so schwer sein.
Schnuppernd hob Schmutzjunges die Nase in den leichten Wind, in der Hoffnung, irgendwas riechen zu können, was auch nur annähernd an Beute herankam, jedoch war alles was sie wahrnehmen konnte der starke Geruch nach Pilzen.
Was hat Schwarzfrost noch einmal gesagt? Ist der Kopf der Schlange ein Dreieck und hat sie schlitzförmige Puillen ist sie giftig.
Diese Grundregel hallte in Schmutzjunges Gedanken wider, aber selbst dieses Wissen würde ihr nichts bringen, wenn sie auf eine Giftschlange traf. In Gedanken versunken beobachtete sie, wie das feuchte, schlammige Moos ihre braun getigerten Pfoten einsaugten und mit einem leisen Schmatzen wieder freigab, als plötzlich ein neues Geräusch an ihre Ohren drang. Sie schluckte, ihr Herz machte vor Angst einen schmerzhaften Sprung. Langsam hob sie den Blick zu dem zischenden Laut.
Hilf mir SternenClan!
Ein langer, dünner Schatten baute sich vor ihr auf, lange, dünne Fänge, dünn und spitz wie die Nadeln der Bäume auf denen sie stand, blitzen gefährlich im Sonnenlicht und die grellen, gelben Augen mit den schlitzförmigen Pupillen funkelten Schmutzjunges bedrohlich an.
Ich werde keine Schlange fangen...diese Schlange wird mich fangen!
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