42. Kapitel

Für einen kurzen Moment ignorierte Schmutzpfote den Schmerz ihrer Verletzungen und hechtete zu Sonnenstrahl hinüber.

"Sonnenstrahl!", jaulte sie besorgt und vergrub ihre Schnauze im Fell ihres Mentoren. Der Kater keuchte und versuchte sich aufzustemmen, doch alles was er erreichte war ein ernueter Schwall Blut und für Schmutzpfote die Möglichkeit, die grässliche Wunde an seinem Bauch zu sehen. Ein Riss so lang wie ihr Schweif zog sich gezackt über die Unterseite des Katers, sein Blut tropfte unaufhörlich auf den Boden und färbte das Moos und Schmutzpfotes Fell dunkelrot.

Panik stieg in der Schülerin auf. Was sollte sie nur tun? Sie wusste, dass Spinnweben gegen Blutungen halfen, aber das hier...sie würde nicht rechtzeitig mit Spinnweben zurück sein.

"Sonnenstrahl?" Vorsichtig stupste sie den Kater an. "Wir müssen ins Lager...dort..dort wird Ottersee dir helfen", wimmerte sie verzweifelt und presste ihre gesunde Pfote auf die Wunde an seinem Bauch, woraufhin der Kater schmerzvoll aufjaulte. Schnell zog sie die Tatze zurück, ihr ganzer Körper zitterte und in ihrer Brust fühlte sich alles taub an. Die Beine der Schülerin gaben unter ihr nach und sie sank neben Sonnenstrahl ins dunkelrote Moos.

Der orangefarbene Kater sah zu ihr hoch, seine goldenen Augen waren wie von Nebel verschleiert und seine Ohren herabgesunken.

"Es ist schon in Ordnung so, Schmutzpfote", krächzte er, wobei ihm bei jedem seiner Worte Blut auf seine Lippen spritzte.

"In Ordnung? Wie kann es in Ordnung sein? Das ist alles meine Schuld. Wenn ich nicht...wenn ich nicht..." Die Angst und Trauer schnürte ihr die Kehle zu, verbot ihr, den Satz zu Ende zu sprechen. Fast ihr ganzes Leben lang war sie der falschen Katze hinterhergejagt und nur wegen ihrer Naivität lag diese Katze, lag Sonnenstrahl jetzt im Sterben.

"Wenn du nicht was, Schmutzpfote?"

Schmutzpfote versuchte, ihre Tränen herunterzuschlucken, aber sie überrollten sie einfach, als hätte sie keine Kontrolle mehr über ihren Körper, geschweige denn ihren Geist. Ihre Gedanken rasten, doch gleichzeitig war es ihr unmöglich auch nur einen einzelnen davon zu fassen.

"Wenn ich dich nicht mit dieser Katze gesehen und...und dich sofort verurteilt hätte. Ich dachte immer von mir, dass ich keine Vorurteile hätte, aber das stimmt gar nicht. Ich...Ich wusste nicht einmal, wer du bist und trotzdem habe ich geglaubt, du bist ein Verräter." Die Worte taten in ihrer Kehle weh. Sie drückte die Schnauze erneut in Sonnenstrahls Fell, um wenigstens diesen Funken der Erleichterung zu spüren, dass sein Körper warm war und sie sein Herz schlagen hören konnte.

Sonnenstrahl ächzte und drehte den Kopf weiter zu ihr.

"Was für eine Katze meinst du? Auch wenn du das gedacht hast...ich bin Schneeschweif nie begegnet", miaute der Kater rau und hustete stark. Schmutzpfote schniefte, sie spürte, wie das Blut, das ihre Pfoten umfloss immer langsamer pulsierte.

"Ich war noch ein Junges. Es war an dem Tag nach dem Pfützenwasser mich vor der Giftschlange gerettet hat. Es hat heftig geregnet und ich habe dich im Dickicht entdeckt, mit einer Katze die grüne-"

"Sie meint mich, Sonnenstrahl." Eine fremde Stimme. Erschrocken blickte Schmutzpfote auf, nur um von hellem, silbernem Licht geblendet zu werden. Die Schülerin schloss die Augen, sie brannten wie Feuer. Erst als sie sie vorsichtig blinzelnd wieder öffnete konnte sie erkennen, was sie da vor sich hatte.

"Wer-?" Mehr brachte sie nicht hervor, ihr Unterkiefer fiel erstaunt nach unten. Vor ihr stand eine der schönsten Katzen, die sie je gesehen hatte. Unzählige, funkelnde Sterne blitzten ihr aus dem beinahe durchsichtigen Fell der Kätzin entgegen und ihr Blick wurde von unfassbar grünen Augen erwidert. Sie kannte diese Augen. Ihr Anblick hatte sich bei ihr eingebrannt. Aber es waren nicht die Schneeschweifs.

Die Kätzin lächelte leicht, aber selbst ihre warme Aura konnte den Ernst der Situation nicht überschatten.

"Mein Name ist Feldjägerin."

Schmutzpfotes Augen wurden noch größer.

"Du bist Sonnenstrahls Schwester", hauchte sie, vollkommen überfordert mit der Anwesenheit einer echten SternenClan-Katze. "Wie..Wieso bist du hier?"

"Ich war immer da, Schmutzpfote. Sobald man gestorben ist, steht einem die Wahl offen, als Geist auf die Welt zurückzukehren, aber der Weg zu den Ahnen bleibt offen. Ich war immer hier, seit ich auf dem Goldfeld gestorben bin. Die meiste Zeit kann mich niemand sehen, niemand hören, niemand riechen und der Großteil der SternenClan-Katzen bevorzugt es, oben im Silbervlies auf ihre Liebsten zu warten. Aber ich wusste, dass Sonnenstrahl mich braucht", miaute Feldjägerin sanft, ihre Stimme trug so viele Gefühle mit sich, so ausdrucksstark, dass Schmutzpfote meinte, die Kätzin zu kennen.

"Also...können die SternenClan-Katzen ständig um und herum sein?", fragte Schmutzpfote zögerlich, kam sich sofort beobachtet vor. Feldjägerin nickte.

"Es kostet immens viel Kraft, die Grenze in die Welt der Lebenden zu überschreiten und in dieser Welt zu verweilen. Aber nicht nur der SternenClan kann das", antwortete sie und ihre Worte wurden düster. Schmutzpfotes Rückenfell stellte sich auf, sie wusste wen die verstorbene Kätzin meinte, doch sie wollte es nicht hören.

"Schneeschweif ist bereits vor langer Zeit zurückgekehrt, Schmutzpfote, schon vor deiner Geburt. Die Zeit läuft ab."

"Was meinst du mit die Zeit läuft ab?", mischte sich Sonnenstrahl nun schwach aber empört ein, sein Blick war seltsam nach oben verdreht. "Es kann doch nicht Schmutzpfotes Verantwortung sein, ihn aufzuhalten?"

Feldjägerin trat näher und drückte ihre durchscheinende Nase gegen Sonnenstrahls Stirn.

"Der SternenClan kann das Schicksal nicht beeinflussen, er kann es nur sehen. Eine Lektion die viele nicht verstehen können, aber es ist so. Die Einzige, die Schmutzpfotes Weg ändern kann, ist sie selbst."

Sonnenstrahl schien noch etwas erwidern zu wolen, doch seine Worte gingen in einem kratzigen Husten unter, Blutstropfen sprenkelten die Erde und sein Körper krümmte sich zusammen.

"Nein! Sonnenstrahl!", rief Schmutzpfote und presste ernut ihre Pfote gegen die Wunde, zuckte dieses Mal nicht zurück, als ihr Mentor aufkreischte. "Vielleicht können wir noch Spinnweben finden! Wenn Feldjägerin mir hilft, dann-"

Schmutzpfote sah sich bereits um, in den Bäumen musste doch irgendwo eine Spinne ihr Netz gebaut haben, aber Sonnenstrahl schüttelte den Kopf.

"Hör auf, Schmutzpfote."

"Aber...aber ich muss doch etwas tun, ich kann nicht..." Tränen erstickten ihre Worte. Sie hasste es, dass Sonnenstrahl sie so ansah, so verständnisvoll, so ruhig. Er akzeptierte es. Aber sie konnte es nicht. Sie hatte seine Vergebung nicht verdient.

"Tust du mir einen Gefallen, Schmutzpfote", fragte er dann, Schmutzpfote konnte spüren, dass seinem Körper die Wärme entfloh. Sie nickte. "Vergibst du dir selbst für mich? Ich habe sehr lange mit meiner Schuld gerungen, es war wie ein Kampf, den man kaum gewinnen kann. Aber ich glaube, dass du ihn gewinnen kannst."

Schmutzpfotes ganzer Körper fühlte sich taub und leblos an. Nein sie konnte und würde sich nie vergeben. Andere Fehler konnte sie sich vergeben. Wie den Unfall mit der Schlange. Es tat immer noch weh, daran zu denken, aber Pfützenwasser war nicht tot. Es war nichts passiert, was man nicht vielleicht irgendwann reparieren könnte. Aber das hier konnte man nicht reparieren.

"Ich brauche dich, Sonnenstrahl", brachte Schmutzpfote hervor, ihre Kehle war so eng, dass sie kaum sprechen konnte und ihre Brust zwang sie dazu, immer wieder stoßartig die Luft einzuziehen, während ihr unaufhörlich die Tränen aus den Augen liefen.

Sonnenstrahl lächelte schwach, seine Muskeln begannen, ihre Spannung zu verlieren, sein Körper rutschte zur Seite.

"Du brauchst mich nicht, Schmutzpfote. Aus dir wird auch ohne meine Hilfe eine großartige Katze werden." Seine Stimme war immer leiser geworden, sein Atem ging flacher. Im Augenwinkel nahm Schmutzpfote wahr, wie Feldjägerin sich in glitzernde Partikel auflöste, die davonsausten, wie aufgeschreckte Glühwürmchen.

"Woher willst du das wissen?", winselte Schmutzpfote und drückte ihr Gesicht in das orangefarbene Fell. Sonnenstrahls Geruch war fort. Da war nur Blut und der Geruch, den auch Schwalbenpfote an sich gehabt hatte. Tod.

"Wir SternenClan-Katzen wissen sowas", hauchte der Kater und mit seinem letzten Wort erstarb seine Stimme. Sein goldener Blick lag zunächst noch auf ihr, doch er rutschte ab, verlor sich im Nichts des Himmels. Die Tigerkätzin spürte sein Herz schlagen. Es pochte zwei Mal...noch zwei Mal...ein Mal...dann nicht mehr. Eine unheimliche Stille kehrte ein.

"Nein! Nein! Sonnenstrahl! Bitte nicht! Du darfst nicht sterben!", jaulte Schmutzpfote verzweifelt, rüttelte an dem Kater, doch sein Körper gab ihr keinen Widerstand mehr, fiel einfach zur Seite, rutschte von ihr weg. "Sonnenstrahl..."

Es war zwecklos. Noch nie hatte sie sich so verlassen gefühlt. In ihrem getigerten Körper breitete sich eine unsägliche Kälte aus, fing an, ihre Glieder zu fressen, arbeitete sich ihren Rücken hinauf und nahm ihr Herz ein. Es tat so furchtbar weh, aber gleichzeitig konnte Schmutzpfote nichts fühlen. Gar nichts. Ihr Blick starrte leer auf den leblosen Körper, die Hülle, die von ihrem Mentor übrig geblieben war.

Entfernt nahm sie Stimmen war, Pfotenschritte trommelten über den Boden auf die blutdurchtränkte Stelle zu. Bekannte Gerücke umschwebten Schmutzpfotes Nase, sie sah blaue Augen, so schöne, warme, blaue Augen vor sich, und Regentropfens weiches, dunkles Fell. Sie konnte nicht hören was er sagte, ein heller, surrender Ton klang in ihren Ohren. Mehr Katzen strömten auf den Kampfplatz, umringten sie und Sonnenstrahl, betrachteten entsetzt die Wunden, die das Monster ihnen und dem Wald zugefügt hatte.

"Sonnenstrahl", würgte Schmutzpfote hervor. Sie sollten ihn nicht alle anstarren! "Nein!", jaulte sie und warf sich nach vorne, zu ihrem Mentor, doch ihr Vater hielt sie fest, ließ sie nicht hin, schleppte sie davon.

Schmutzpfote kratzte und biss, traf nichts, doch schlug weiter um sich.

"Nein! Nein, lasst mich zu ihm! Es ist meine Schuld! Alles meine Schuld!", brüllte sie. Regentropfen blockierte sie mit seiner Schulter, sie stolperte, hinkte, wollte zurück zu dem orangefarbene Kater, aber ihre Beine zitterten so sehr. Der Ring um Sonnenstrahl schloss sich, verwehrte ihr die Sicht.

Und Schmutzpfote brach zusammen und weinte.

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