38. Kapitel
Gemeinsam mit Himmelspfote, Eulensprenkel, Leopardenschweif und Gelbschweif saß Schmutzpfote in einer kleinen Runde bei Ameisenstern um von ihren Funden zu erzählen. Den ganze Weg nach Hause hatte Schmutzpfote sich beobachtet gefühlt und war dicht bei den Kriegern geblieben, die selbst nervös schienen. Keiner hatte eine Idee, was diese Verwüstung angerichtet haben könnte, nicht einmal Gelbschweif, der der erfahrendste der Gruppe war.
"Wir haben noch viel mehr Spuren gefunden, sogar etwas Fell, aber das hilft uns nicht wirklich weiter", erklärte der goldgelb getigerte Kater gerade. "Und dann haben wir noch-"
"Das halbe Goldfeld isz zerstört worden!", fiel Himmelspfote ihrem Mentor ins Wort und fing sich daraufhin einen vorwurfsvollen Klaps aufs Ohr ein. "Tschuldigung", murmelte die weiße Schülerin.
Ameisenstern blickte fragend in die Runde.
"Meinst du nicht, dass du etwas übertreibst, Himmelspfote?", meinte der Kater.
"Das ist es ja, sie übertreibt nicht. Die Hälfte vom Goldfeld ist vollkommen auf den Kopf gestellt worden, die ganze Erde ist aufgewühlt worden und die Mäuse sind auch weg", miaute Leopardenschweif. Die gefleckte Kätzin zuckte nervös mit dem Schweif.
"Dann waren es vielleicht die Zweibeiner? Sie graben das Feld doch jeden Blattwechsel um, bevor sie nue pflanzen", wandte der Anführer des SumpfClans ein, schien aber selbst nicht wirklich daran zu glauben.
"Dafür ist es viel zu früh, es könnte sogar noch einmal schneien, und dann wäre der Weizen tot. Und Zweibeiner fressen auch keine Mäuse, so weit ich weiß."
Ameisenstern seufzte.
"Ihr habt Recht. Aber solange wir nicht wissen, um was es sich handelt, weiß ich nicht, was wir dagegen unternehmen sollen. Vorerst werde ich Moosschwinge anweisen, keine Patrouillen mehr zum Goldfeld zu schicken, aber mehr können wir im Moment wohl nicht tun." Die Stimme des Anführers war sehr ernst und genau das machte Schmutzpfote Angst. Wenn sogar Ameisenstern nicht wusste, was als nächstes passieren sollte, wer dann?
Besorgt sah die braun getigerte Kätzin zu ihrer Schwester, doch Himmelspfote war komplett abgelenkt und erwiderte ihren Blick nicht. In Schmutzpfotes Kopf formten sich bereits allerlei schrecklicher Szenarien, alle geprägt von einem unbekannten Schatten, der aus der Erde kroch und Blut forderte. Innerlich verfluchte die Schülerin ihre Fantasie und dass sie sich solche Dinge so leicht vorstellen konnte. Am Ende würden sie und der gesamte SumpfClan wohl einfach ausharren müssen, warten, was als nächstes passierte.
Langsam trat Schmutzpfote vor den Anführerbau, unsicher, wo sie nun hingehen sollte. Sie hatte Training, weil Sonnenstrahl verletzt war, aber sich wieder schlafen zu legen traute sie sich dann doch nicht, obwohl sie immer noch die Müdigkeit in ihren Knochen spürte.
Ich werde einfach hier sitzen und mich mit irgendwas ablenken.
Die Ablenkung kam unerwartet und wie gerufen. Ein mattbrauner, leicht verfilzter Fellball schoss hinter Schmutzpfotes Flanke. Überrascht sah die Schülerin zur Seite und erblickte ein Paar schmale, grünliche Augen.
"Pssst! Verrat ihnen nicht wo ich bin", zischte das Junge, bevor im nächsten Moment Mohnjunges und Harzjunges über die Lichtung an ihnen vorbeigerast kamen. Die beiden Kater tollten wild herum, bemerkten die zusammengekauerte Disteljunges aber nicht.
"Spielt ihr Verstecken?", riet Schmutzpfote schmunzelnd und blockierte Disteljunges etwas mehr von ihren Brüdern.
"Nein", miaute das Junge trotzig. "Ich will bloß nicht, dass sie mich finden."
"Achso? Und warum nicht?"
Schmutzpfote warf einen Blick zu den beiden männlichen Jungen hinüber. Sie waren ein Stück weitergerannt und rangelten auf dem Boden miteinander.
"Sie wollen immer so doofe Spiele spielen, wie Mäusejagd, aber dann muss ich immer die Maus sein. Jedes Mal!", jammerte Disteljunges und schob schmollend die Unterlippe vor. "Ich will auch mal was machen, was Spaß macht."
"Und was wäre das?", fragte Schmutzpfote nach. Ihr war noch nie ein Junges begegnet das in so kurzer Zeit auf der Welt schon zu so einem Einzelgänger heranwuchs. Aber vielleicht war es ja einfach nur so, dass Disteljunges nicht ständig übergangen werden wollte.
"Keine Ahnung, irgendwas alleine. Was Stilles. Und ohne Herumgerenne." Disteljunges verzog angewidert das breite Gesicht.
"Wie wäre es, wenn du zu Eichenglut gehst, und ihn um eine Geschichte bittest", schlug Schmutzpfote vor und deutete zum Ältestenbau.
"Das ist nicht still genug...oder alleine genug", gab Disteljunges bestimmt zurück.
"Na gut, wie wäre es dann mit..." Die Tigerkätzin sah sich um, aber so wirklich viel gab es im Lager nicht, wo man sich weder bewegen noch reden musste. Aber dann fiel ihr Blick auf den Himmel und ihr kam eine Idee. "Wie wäre es, wenn du die Wolken ein wenig beobachtest? Wenn du ganz genau hinsiehst, dann kannst du erkennen, wie der Wind sie verformt."
Disteljunges Augen wanderten zweifelnd nach oben, sie legte den Kopf schief.
"Na gut...ich versuche es mal", murmelte sie und schwieg dann. Es war seltsam ein Junges in so vollkommener Ruhe zu sehen, aber da sie sehr spezififsch darüber gewesen war, alleine sein zu wollen, entschied sich Schmutzpfote, ihrem Wunsch zu folgen. Doch kaum war sie von Disteljunges weggetreten, kamen die ganzen negativen Gedanken auch schon wieder auf sie eingestürzt. Das Unbekannte im Wald, das Goldfeld, Sonnenstrahl und Schneeschweif. Und dann war ja da noch Rußnarbe, mit dem sie eigentlich sprechen müsste.
Ich darf es nicht aufschieben, so wie bei Farnsilber, dachte Schmutzpfote, aber gleichzeitig hatte sie keine Ahnung, wie sie ein Gespräch mit einem Fremden beginnen sollte, und dieses Mal war es wirklich ein komplett Fremder, nicht so wie bei Farnsilber.
Aber wenn ich es nicht tue...vielleicht ist Sonnenstrahl in Gefahr?
Schmutzpfote war hin- und hergerissen. Himmelspfote hätte bestimmt kein Probelm, Rußnarbe anzusprechen. Libellenflügel auch nicht. Wieso fiel es ihr dann so schwer, überhaupt darüber nachzudenken? Doch wenn sie es nicht tat, wenn sie Sonnenstrahls Geheimnis nie erfuhr, dann würde Schneeschweif ihren Mentor benutzen um dem SumpfClan und Sonnenstrahl selbst Schaden zuzufügen.
Ich muss es einfach tun!
Mit etwas mehr Entschlossenheit setzte Schmutzpfote sich vor den Kriegerbau und zwang sich, dort auf Rußnarbes Rückkehr von seiner Patrouille zu warten. Je länger es dauerte, desto unruhiger wurde sie, desto mehr dachte sie daran, wie peinlich das Gespräch enden oder anfangen könnte, dass er sie vielleicht ignorierte oder Schmutzpfote sich versprach und sich blamierte.
Aber dann, als sie mitten in Gedanken war, war es zu spät. Rußnarbe kam, beladen mit zwei Eidechsen und einer Maus ins Lager zurück, seine Patrouille folgte ihm und brachte den Rest der Ration mit, die dem Clan bis zur nächsten Jagd zur Verfügung stehen würde. Die Katzen teilten sich auf, um die Beute zum Frischbeutenhaufen zu bringen und sich dann die Zunge zu geben, nur Rußnarbe kam als einzige nach dem Abladen seines Fangs in Richtung Kriegerbau.
Beruhige dich, Schmutzpfote. Er ist alleine. Wenn du dich blamierst, dann nur vor ihm und niemand anderem.
Schmutzpfote versuchte, sich Mut zuzsprechen, aber es wollte nicht ganz klappen. Sie schluckte, Rußnarbe war fast da. Dann gab sie sich einen Ruck. Sie hielt den Krieger davon ab in den Bau zu schlüpfen. Jetzt konnte sie nicht mehr zurück.
"Rußnarbe? Kann ich mit dir sprechen?" Schmutzpfote war unendlich froh,als sie es endlich ausgesprochen hatte.
Der flauschige, graue Kater blieb stehen und sah sie für einen Moment verwirrt an. Schmutzpfotes Blick flog über seine Narben an der Flanke und an seinen Beinen, seine zerfetzten Ohren.
"Mit mir? Ja schon...denke ich", miaute der Kater, er hatte fast schon etwas Misstrauisches in seiner Stimme, die tiefer war, als Schmutzpfote es in Erinnerung hatte. "Worum geht es?"
Kurz linste Schmutzpfote in den Kriegerbau. Keiner drin. Gut. Sie stieß die Luft aus. Das war es. Das war ihre Chance endlich an das Geheimnis heranzukommen, hinter dem sie her war, seit sie ein Junges gewesen war.
"Ich muss mehr über Sonnenstrahl wissen. Alle die ich bisher getroffen habe, haben darüber geschwiegen, was in seiner Vergangenheit passiert ist."
Kaum hatten die Worte Schmutzpfotes Mund verlassen, verfinsterte sich Rußnarbes kobaltblauer Blick.
"Und sie haben Recht damit. Wir reden nicht darüber", zischte er und sah weg, wollte schon in den Kriegerbau hinein, aber Schmutzpfote hielt ihn erneut auf.
"Bitte! Ich glaube, dass Sonnenstrahl in Gefahr ist! Ich weiß, dass du ihm nicht nahe stehst und nicht mit ihm redest, aber es ist unheimlich wichtig. Ich muss das wissen!", bettelte sie und sah Rußnarbe flehend an. Konnte er seinen Vater wirklich so sehr hassen, dass er ihm derart Schlechtes an den Hald wünschte?
"Was erhoffst du dir davon? Die Vergangenheit ist die Vergangenheit und es gibt nichts, was man daran ändern kann. Glaub mir; Schmutzpfote. Von dieser Geschichte profitierst du nicht", beharrte der graue Kater und schüttelte den Kopf, seine Augen wurden glasig. "Es gibt einen Grund, warum wir nicht darüber reden."
Schmutzpfote grub verzweifelt die Krallen in den Boden. Es war zum Ohrenausreißen! Da hatte sie endlich jemanden, der die Geschichte mit Sicherheit kannte, und dann rückte selbst er nicht damit heraus.
"Die Vergangenheit kann ich nicht verändern. Aber ich kann es mit der Zukunft versuchen. Ich will es verstehen. Bitte, Rußnarbe."
"Verstehen? Verstehen kann das bis heute keiner, wahrscheinlich nicht mal er selbst. Aber du wirst mich nicht in Ruhe lassen, habe ich Recht?"
Schmutzpfote nickte. Und der Kater setzte sich um eine Geschichte zu beginnen, die endlich Licht in die Dunkelheit bringen sollte. So dachte Schmutzpfote. Sie wusste nicht, dass sie noch mehr Dunkelheit bringen sollte.
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