30. Kapitel
Stinkendes Nestmaterial war das einzige was Schmutzpfote an diesem Nachmittag noch zu Gesicht bekam. Im Ältestenbau war es stickig und es zog, ein Problem, auf das Eichenglut sie gleich als nächstes angesetzt hatte. Der braun-weiß gefleckte Kater war dabei, sein Fell zu putzen und sie hin und wieder zu beäugen.
"Ich versteh es immer noch nicht, was genau hast du jetzt angestellt, dass Sonnenstrahl dich hier einsperrt?", fragte der Älteste und ächzte, als er sich auf die andere Flanke legte.
Schmutzpfote stieß genervt die Luft aus.
"Weil ich auf das Goldfeld gegangen bin. Er ist fast durchgedreht deswegen, aber ich sehe das Problem nicht. Er hat sich so aufgeregt, als wäre ich absichtlich ins Schattenmoor gesprungen", knurrte Schmutzpfote, während sie vertrocknete Farne aus dem alten Nestmaterial kratzte. Sie musste beide Nester neu machen und ganz bestimmt fielen den beiden Ältesten dann noch viel mehr Aufgaben für sie ein.
"Das Goldfeld also", brummte Eichenglut. "Es ist kein guter Ort, Schmutzpfote, da hat er Recht."
Die Tigerkätzin fuhr herum.
"Wieso bist du auf seiner Seite? Schwalbenpfote hat nicht umsonst alles getan um das Goldfeld für uns zu gewinnen. Du gehörst doch zu meiner Familie, wieso hältst du nicht zu mir?"
Eichenglut schüttelte den Kopf.
"Du weißt so viele Dinge noch nicht, Schmutzpfote. Vetrau mir einfach. Die goldenen Halme und die Fülle an Mäusen täuscht über die Gefahr hinweg, die dort lauert."
Schmutzpfotes Nackenfell sträubte sich, sie hatte das Gefühl, sich und ihre Handlung verteidigen zu müssen, aber als sie in Eichengluts Bernsteinaugen sah, versuchte sie, sich zu beherrschen. Er war ein Ältester und hatte mehr als viermal so viel erlebt wie sie. Vielleicht sollte sie ihm wirklich vertrauen.
"Was meinst du?", fragte Schmutzpfote.
"Die Zweibeiner, Schmutzpfote. Sie mögen hässlich und dumm sein, felllose Kreaturen, die die Natur zerstören, aber unterschätze niemals ihre Grausamkeit. Die Zweibeiner sind schlimmer als alle Füchse und Dachse, denn keine Katze kann sie besiegen, am Ende verlieren wir immer."
Schmutzpfote schluckte. Sie hatte noch nie einen Zweibeiner oder eine ihrer Helfer, wie Hunde oder Monster, gesehen. Aber gehört hatte sie nur schlechtes.
"Komm schon, Schmutzpfote. Sich aufzuregen wird dir nichts bringen. Und ein bisschen Zeit mit deinem alten Verwandten hier zu verbringen ist doch nicht das Schlimmste oder?", versuchte Eichenglut sie zu trösten und die Tigerkätzin zwang ein schmales Lächeln auf ihre Lippen.
"Nein, ist es nicht. Ich mache dein Nest jetzt fertig, Eichenglut."
"Mach das. Und dann gönn dir eine Pause, ja? Wenn Sonnenstrahl irgendetwas dagegen sagt, dann schick ihn zu mir."
Eichenglut lächelte verschlagen und war die Rest der Zeit, in der Schmutzpfote sein Nest bearbeitete, still. Als sie fertig war, stand der Kater auf und hievte sich ins frische Moos, aber seine Schritte waren seltsam eckig und als er sich hinlegte, kniff er die Zähne zusammen.
Hat er Schmerzen?
Schmutzpfote betrachtete den Ältesten und zum ersten Mal sah sie das graue Fell um seine Schnauze und die abgeknickten Schnurrhaare. Eichenglut schien viel zu rasant gealtert zu sein, seitdem sie ihn das letzte Mal als Junges besucht hatte.
Vielleicht sollte ich Ottersee um Hilfe bitten. Sie könnte seine Schmerzen lindern, dachte die braune Kätzin, bevor sie sich verabschiedete und das alte Nestmaterial packte, um es auf den Schmutzplatz zu bringen.
Schließlich entschied sie sich dazu, wirklich in den Heilerbau zu gehen und Ottersee zu fragen, ob sie Eichenglut helfen konnte. Aus dem Bau der braunen Kätzin kam ein intensiver Duft von Kräutern und Moos und als Schmutzpfote eintrat empfing sie muffige Dunkelheit.
"Schmutzpfote? Was kann ich für dich tun?" Ottersee hockte über einigen Kräuterhäufchen am Rand des Baus und sortiete sie leicht hektisch hin und her.
"Hallo, Ottersee. Ich wollte nur fragen, ob du mal nach Eichenglut sehen könntest. Ich habe gerade sein Nest neu gemacht und ich glaube er hat Schmerzen", miaute Schmutzpfote schüchtern, die Heilerin schien gestresst.
"Ach, das werden wohl wieder seine Gelenke sein. Jede Blattleere dasselbe. Er hat Schmerzen, ist aber zu stolz um damit zu mir zu kommen. Ich werde mich darum kümmern, Schmutzpfote, Gänseblümchenblätter habe ich den Sternen sei Dank genug da", antwortete die Heilerin geschäftig und fegte mit ihrem kurzen Schweif einen perfekt geordeneten Haufen Blätter in ein Loch in der Wand.
"Wenn es dir hilft, kann ich ihm die Blätter geben, dann hast du Zeit für etwas anderes", bot Schmutzpfote an, aber Ottersee schpttelte den Kopf.
"Die Umschläge muss ich selbst machen, am besten zeige ich Rabenpfote gleich wie man das macht. Aber wenn du helfen willst, dann kannst du diese Borretschblätter zu Kastanienfall in die Kinderstube bringen. Sie muss sie einfach nur fressen, das unterstützt ihren Milchfluss."
Damit packte die braune Kätzin ein paar Kräuter und rief draußen auf der Lichtung ihren Schüler zu sich. Schmutzpfote nahm die angewiesenen Borretschblätter auf. Sie waren ganz pelzig und irgendwie sauer auf ihrer Zunge. Kastanienfall die Blätter zu bringen war auch eine hervorragende Ausrede um ihre drei Jungen kennenzulernen und nach Jubeljunges und Schreckjunges zu sehen.
Schmutzpfote machte sich sofort auf dem Weg und tauchte in die Dunkelheit der Kinderstube ein. Der Geruch von Milch flog ihr entgegen, er versprach Geborgenheit und Liebe im Inneren der Kuppel aus Efeuranken.
Der Boden unter ihren zierlichen Tatzen wich federweichem Nestmaterial und noch bevor die Schülerin wirklich im Bau angekommen war, empfing sie ein leises Schniefen von der linken Seite der Kinderstube. Als Schmutzpfote mit dem Blick dem Geräusch folgte, erkannte sie Schreckjunges' kleinen, dunkelbraunen Körper im Dunkeln, der bei jedem Schluchzen bebte.
Armes Ding, dachte Schmutzpfote und verzog den Mund. Sie konnte nicht verstehen, wie Fuchsblüte Schreckjunges und seine Schwester in der Kinderstube hatte zurücklassen können, wo deren leibliche Mutter doch auch nicht mehr da war. Die beiden taten ihr einfach nur leid, vielleicht sollte sie sich mehr Zeit für sie nehmen.
Im nächsten Moment wurde sie jedoch von Kastanienfall in ihren Gedanken unterbrochen. Die Königin, nun erleichtert um ihren schweren, runden Bauch, lag mit dem Rücken zur Wand in ihrem Nest und streichelte ihren Neugeborenen liebevoll über den Kopf. Der gelbe Blick der Kätzin begegnete dem von Schmutzpfote.
"Hat Ottersee dich wegen den Blättern geschickt?", fragte Kastanienfall und warf einen argwöhnischen Blick auf das Grünzeug, das die Schülerin im Maul trug.
"Ja", antwortete Schmutzpfote und legte den Borretsch vor ihr ab. "Sie sagt, du musst sie essen, damit du genug Milch hast."
"Danke, meine Liebe." Ohne mit den Lidern zu zucken würgte die braune Königin die Blätter und wandte sich sofort wieder ihren Jungen zu.
Zum ersten Mal konnte Schmutzpfote einen Blick auf die Kleinen werfen. Zwei von ihnen waren ein Ebenbild ihrer Mutter, mit kurzem, braunem Fell, während das dritte eindeutig Gelbschweifs Erbe angetreten hatte, weil er golden getigertes Fell besaß, das ihm besonders buschig um den Nacken wuchs.
"Sie sind total niedlich, Kastanienfall. Glückwunsch. Habt ihr schon Namen für sie?", erkundigte sich Schmutzpfote neugierig und zuckte mit den Schnurrhaaren.
"Ja", schnurrte Kastanienfall und tippte das erste Junge, ein braunes, mit der Nase an. "Das hier ist Mohnjunges, der golden Getigerte ist Harzjunges und meine Tochter heißt Disteljunges."
"Das sind sehr schöne Namen. Harzjunges sieht Gelbschweif so ähnlich", schnurrte Schmutzpfote und verabschiedete sich mit einem höflichen Nicken, um zu Schreckjunges zu gehen. Der dunkelbraune Kater nahm nur mit einem Ohr von ihr Notiz, wandte sich ihr aber nicht zu.
"Na du?" Vorsichtig setzte sich die Schülerin neben ihn und legte den Schweif um ihn. Das Junge zitterte und sah sie immer noch nicht an.
"Hallo", murmelte er tonlos zurück, er sank leicht gegen Schmutzpfotes Vorderpfote.
"Erzählst du mir jetzt, was los ist, oder muss ich es erst aus dir herauskitzeln?"
Schreckjunges schniefte.
"Ich vermisse Fuchsblüte", wimmerte der kleine Kater. "Wieso lässt sie uns alleine? Ist sie böse auf uns?"
Schmutzpfote seufzte und zog das braune Junge näher an sich heran.
"Ich weiß es auch nicht, Schreckjunges. Aber ich glaube nicht, dass es eure Schuld ist. Wer könnte auf dich schon böse sein", neckte sie den Kater und wuschelte ihm durch das kurze Fell. "Was ist mit deinem Vater? Felsenkralle ist doch immer noch für euch da oder?"
"Früher schon, aber jetzt kommt er nicht mehr so oft."
Überrascht blickte Schmutzpfote zu ihm. Bisher hatte sie angenommen, dass sich Felsenkralle gerne um seine Jungen kümmerte, aber vielleicht hatte ihn Blattflügels Tod noch mehr mitgenommen als sie geglaubt hatte. Schreckjunges und Jubeljunges waren jedoch vollkommen alleine, ihnen fehlte jeglicher Bezug zu ihren Eltern und so wie es aussah, konnten sie sich gegenseitig auch nicht unterstützen. Jedenfalls war Jubeljunges nirgendwo in Sicht, um ihren Bruder zu trösten.
"Er braucht bestimmt nur Zeit. Ich bin mir sicher, dass er bald wieder zu euch kommt. Und es dauert nicht mehr so lange bis ihr Schüler werdet, dann habt ihr eure Ziehgeschwister auch wieder."
Plötzlich hellte sich Schreckjunges' Miene ein Stück auf.
"Himbeerpfote hat mir ein Jagdkauern gezeigt, willst du es sehen?", miaute der kleine Kater und pendelte mit dem dünnen Schweif.
"Aber natürlich, zeig her!", ermutigte die Schülerin ihn und wich zurück, um ihm Platz zu geben.
Schreckjunges kauerte sich hin und brachte sich in eine recht wackelige Jagdposition. Es gab sicherlich noch einiges, was er lernen musste, und Schmutzpfote konnte es selbst nicht richtig, aber zu ihrer Überraschung sah es gar nicht so übel aus.
"Das sieht ja schon richtig gut aus. Du wirst mit Sicherheit ein toller Jäger, wenn du dich jetzt schon so reinhängst", lobte Schmutzpfote und lächelte ihm zu. Sie schwenkte mit dem Blick hinüber zu Kastanienfalls Nest. Sie wusste, dass weder Jubeljunges noch Schreckjunges von ihrer neuen "Mutter" begeistert waren, aber es gab vielleicht eine Chance, dass sie sich wenigstens ein Stück näher kommen konnten. Vielleicht würde eine Aufgabe Schreckjunges ebenfalls gut tun.
"Weißt du, ich glaube, dass Kastanienfall in Zukunft deine Hilfe gebrauchen könnte. Ich meine, ihr seid jetzt die Großen in der Kinderstube und die haben immer die Aufgabe auf die kleineren achtzugeben", miaute Schmutzpfote und hoffte, dass Schreckjunges ihren kleinen Plan, ihn aufzuheitern, nicht durchschaute.
"Meinst du die neuen Jungen?" Mit großen Augen spähte Schreckjunges hinüber zu dem Nest mit den neugeborenen Jungen.
"Ja, genau die. Himbeerpfote hat dir das Jagdkauern beigebracht und wenn Kastanienfalls Junge groß genug sind wirst du das übernehmen. Du und Jubeljunges, ihr werdet ihnen beibringen dürfen, wie man Moosball und Mausjagd spielt, dass ist ein ganz, ganz wichtiger Auftrag, verstehst du?"
Schreckjunges legte den Kopf schief. "Stimmt. Das heißt, wir können dann wieder richtige Spiele machen", merkte der braune Kater begeistert an. "Zu zweit macht es gar keinen Spaß, Fangen zu spielen."
Schmutzpfote nickte und leckte dem Kater kurz über den Kopf.
"Aber wenn du das machen willst, dann musst du Kastanienfall zeigen, dass du vertrauenswürdig bist und lieb zu den Jungen sein wirst. Kannst du das?"
Schreckjunges nickte heftig mit dem Kopf. "Ich kann das, ich schwöre es!"
"Na dann, ab mit dir. Du bist jetzt der Große, Schreckjunges."
Sanft stupste Schmutzpfote ihn auf die Pfoten und wendete sich zum Gehen um. Sie schmunzelte, als sie zurücksah und erblickte, wie Blattflügels Sohn zu Kastanienfalls Nest hopste.
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