27. Kapitel
Es war, als wäre eine Ewigkeit vergangen, bevor Schmutzpfote tatsächlich sah, wie etwas durch die Oberfläche brach. Sie konnte sich kaum noch rühren, ihre Brust war eng, als würde sie sie niemals wieder atmen lassen wollen.
Doch auf einmal ging alles ganz schnell. Scharfe Zähne packten ihr Hinterbein und zerrten sie mit einem kräftigen Ruck nach oben, kühle, kostbare Luft strömte an ihr Gesicht und in ihre Lungen, die so gierig danach schnappten, wie ein Fuchs nach seiner Beute. Ihre Pfote befand sich im festen Greiff von Sonnenstrahl, der selbst fast unterging, doch hinter ihm schwamm Schwarzfrost, der sich wohl nach der großen Welle in der Kette eingereiht haben musste, um zu helfen.
"Tut mir leid", entschuldigte sich ihr Mentor keuchend. "Ich habe dich jetzt wieder...schaffst du es noch?"
Verbissen nickte Schmutzpfote. Sie würde ihn nicht enttäuschen, sie würde das Junge nicht enttäuschen...sie würde sich selbst nicht enttäuschen.
Mit Schwarzfrosts Hilfe war die Kette lang genug, sodass Schmutzpfote sich am Treibholz und an der zerstörten Kinderstube festhalten und sich zu dem Jungen ziehen konnte.
Der kleine hellgraue Kater klammerte sich offensichtlich mit letzter Kraft an den Felsen, der ihn am Leben hielt.
Schmutzpfote verschwendete keine Zeit oder Atemluft, mit ihm zu reden, sondern packte ihn einfach am Nackenfell und zerrte ihn zu sich.
"Jetzt!", japste sie durch das Nackenfell des Kleinen hindurch und sofort spürte sie, wie Sonnenstrahl an ihrem Bein zog. Während das Ufer näher kam, wurde Schmutzpfote mit dem Jungen im Maul immer wieder unter Wasser gedrückt, aber es machte ihr nicht viel aus, solange sie bald wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Endlich spürte sie, wie das Wasser seichter wurde und ihr Mentor ihre Pfote losließ, sodass sie aufstehen konnte. Das SeeClan-Kätzchen baumelte wie ein Fetzen nasses Moos hustend aus ihrem Maul.
"Leg in hier her!", befahl Schwarzfrost und winkte sie zu einem braunen Häufchen Fell, das bei Himbeerpfote auf dem Boden lag. Schnell sprang die Schülerin zu ihm und legte das graue Junge daneben. Beide waren Kater, vielleicht drei Monde alt und nass bis auf die Knochen. Moosschwinge war die erfahrendste von allen Anwesenden und begann, die Jungen aufzuwärmen, indem sie ihnen mit kräftigen Zungenstrichen das Fell aufraute.
"Könnt ihr uns sagen, was passiert ist?", fragte Schwarzfrost vorsichtig, die Kleinen sahen mit glasigen Augen zu ihm hoch. Die Zähne des braunen Jungen schlugen klappernd aufeinander, als es versuchte zu antworten.
"M-Mutter w-war auf der L-Lichtung und die Flut hat uns auseinander getrieben."
"Mit der Kuppel, durch den Lagerwall. Als wären wir nur Moosbälle", fügte das hellgraue Junge flüsternd hinzu.
Das hellgraue Kätzchen schniefte, doch auf einmal wurden seine Augen kugelrund. Er und sein Bruder sahen sich erschrocken an.
Schwarzfrost hob besorgt den Blick und schaute in die Runde.
"Was ist los?", fragte schließlich Sonnenstrahl, der versuchte, sich mit Schütteln zu trocknen.
"Wo ist Glanzjunges?"
Als sich Schmutzpfotes Blick dieses Mal mit dem von Schwarzfrost traf wussten sie beide, dass alle dieses schreckliche, ziehende Gefühl im Bauch hatten. Das Gefühl, dass trotz der Rettung der Jungen etwas verloren gegangen war.
Halb erfroren saß Schmutzpfote im Lager, das Fell stand ihr ab, sie sah aus wie ein Tannenzapfen. Himmelspfote und Regentropfen hockten bei ihrer Seite und redeten auf sie ein.
"Und du bist wirklich ins Wasser gegangen um dem Jungen zu helfen? Welchem von den beiden?", fragte Himmelspfote ihr neugierig Löcher in den Bauch.
"Fliederjunges. Der Hellgraue", antwortete Schmutzpfote tonlos. Nachdem die Jungen das Fehlen ihrer Schwester Glanzjunges verkündet hatten, waren sie vom Seeufer aufgebrochen um die zwei zu Ottersee zu bringen. Fliederjunges und Grasjunges ging es gut, aber sie hatten kein Wort mehr gesagt, sich nicht gewehrt, keinen Ton von sich gegeben, bis sie im Heilerbau angekommen waren.
Erst dann hatten sie ihnen den Namen ihrer Mutter entlocken können, damit sie dem SeeClan den Aufenthaltsort der Jungen ausrichten konnten. Bald darauf war Moosschwinge aufgetaucht. Sie hatte sich auf die Suche nach dem Jungen gemacht, das verschwunden war. Sie hatte es auch gefunden...angeschwemmt am Ufer. Tot.
Glanzjunges war ertrunken und obwohl Schmutzpfote nichts dagegen tun hätte können, fühlte es sich an, als hätte sie einen großen Fehler gemacht.
Regentropfens weicher, fluffiger Schweif streichelte regelmäßig über ihren Rücken hinab.
"Ich bin sehr stolz auf dich", flüsterte er in ihr Ohr. "Du bist eine wahre Kriegerin."
Die Tigerkätzin lächelte schwach und schenkte ihrem Vater einen dankbaren Blick. "Danke."
Im Ggensatz zu Regentropfens Worten fühlte sie sich ganz und gar nicht wie eine Kriegerin. Ein unschludiges, hilfloses Junges war gestorben. Wären sie doch bloß früher da gewesen. Vielleicht hätten sie dann noch etwas für das schneeweiße Junge tun können, das bis auf weiteres eingepackt in Moos in Ameisensterns Bau blieb, damit Grasjunges und Fliederjunges ihre Schwester nicht tot sehen mussten.
In diesem Moment kehrte Leopardenschweif mit einem SeeClan-Krieger im Schlepptau zurück. Das dunkelbraune Tigermuster auf dem Pelz des fremden Katers kam Schmutzpfote sofort bekannt vor.
"Wo sind meine Jungen?", verlangte der Kater sofort zu wissen.
"Im Heilerbau", miaute Moosschwinge, doch fing sie ihn vor dem Kräuterbau ab und sprach flüsternd mit ihm.
"Das ist Wacholderdorn", wisperte Regentropfen. "Hagelherz' Gefährte."
Hagelherz war als die Mutter der Jungen genannt worden und Schmutzpfote bildete sich ein, ihren Namen auch auf der großen Versammlung irgendwo gehört zu haben.
Wacholderdorn blickte Moosschwinge einen Moment an, dann senkte er den Kopf. In seinen Augen glänzte etwas, aber er wischte die Tränen mit der Pfote fort.
"Ich will jetzt meine Söhne sehen", verlangte er knapp und verschwand im Heilerbau. Als er wieder herauskam, hatte er Fliederjunges im Maul, während Grasjunges auf seinem Rücken fast im Tigermuster verschwand.
In dem Moment trat Ameisenstern aus seiner Schlafhöhle, im Maul trug er das dicke Moosbündel, das Glanzjunges Leichnam versteckte.
"Ich werde dich begleiten."
Zunächst schien Wacholderdorn abgeneigt, doch als er das Moos genauer betrachtete, nickte er traurig, und die beiden Kater verschwanden aus dem SumpfClan-Lager.
Es tat Schmutzpfote im Herzen weh, als sie einen kleinen Teil von Glanzjunges' schlaffen Schweif sah. Ob sie schon im SternenClan angekommen war?
Wie auf ein Stichwort, fing es an zu nieseln, dann zu regnen und schließlich schütteten die grauen Wolken all das Wasser aus, das sie übrig hatten. Die Regenschleier machten es Schmutzpfote unmöglich, auch nur den Anführerbau zu erkennen.
"Ich gehe besser in den Schülerbau", murmelte die getigerte Kätzin und machte Anstalten, sich auf den Weg dorthin zu machen.
"Himmelspfote und ich müssen jetzt auf Patrouille, aber wir sehen später nochmal nach dir, ja?", miaute Regentropfen, dessen Fell schon jetzt an seinem Körper klebte.
"Ist gut", antwortete Schmutzpfote und schüttelte sich. Erst nachdem sie sich versichert hatte, dass beide aus dem Lager verschwunden waren, erhob sie sich auf die Pfoten.
Sie war seit dem Vorfall mit der Schlange nicht mehr alleine draußen gewesen, aber sie wollte nicht länger dort bleiben, wo alle Katzen sie zu beobachten schienen. Sie wollte alleine sein, zumindest eine Weile.
Der Regen setzte ihr etwas zu, ihre Pfoten sanken im Schlamm ein, doch irgendwann hatte sie den Wald erreicht und verschwand im Unterholz um Nachzudenken.
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