26. Kapitel

Der nächste Morgen brach für Schmutzpfote früh an. Die Sonne war noch nicht einmal ganz über dem Nadelwald aufgetaucht, da wurde sie von Sonnenstrahl geweckt, der bereits frisch geputzt aussah und gegessen hatte.

Wann ist er denn bitte aufgestanden? Hat er überhaupt geschlafen?

Ächzend und gerädert von der langen Nacht bei der Großen Versammlung kämpfte sich die getigerte Kätzin aus ihrem Nest und trat auf die Lichtung. Überraschenderweise war der gesamte Schnee wie weggezaubert. Alles was von der weißen Masse zurückgeblieben war, war Schmelzwasser, das den Boden aufweichte und gefrorene Tropfen, die glitzernd an den Ranken der Baue hingen. Der Himmel war jedoch immer noch grau und die Luft kühl, sodass Schmutzpfote ihren Atem zu einer Wolke gefrieren sehen konnte. Trotzdem war es deutlich wärmer als in den letzten Tagen, was ihre Laune gleich besserte. Weniger Schnee bedeutete auch weniger Hunger, auch wenn der schlammige Boden ebenfalls nicht die beste Vorraussetzung für eine Jagd war.

Auf der Lagerlichtung war vergleichsweise wenig los. Himmelspfote und Schilfpfote saßen beeinander und teilten sich wortlos eine dürre Spitzmaus, während Schwanenpfote mit Sonnenstrahl, Rußnarbe, Moosschwinge und Ameisenstern vor dem Anführerbau saß. Kaum hatte sich Schmutzpfote gefragt, was dort los war, winkte ihr Mentor sie auch schon zu der kleinen Gruppe dazu.

Etwas misstrauisch tappte die Schülerin zu ihnen. War etwas geschehen? Gab es Schäden im Lager? Und warum guckte Schwanenpfote so stolz, als hätte sie ein Reh erlegt?

"Ah, Schmutzpfote, da bist du ja. Bitte, setz dich doch", lud Ameisenstern sie sogleich ein und die Tigerkätzin gehorchte. Kurz darauf fing er auch schon an, zu erklären, warum Schmutzpfote so früh aus dem Nest geholt wurde. "Wie ihr sicherlich alle bemerkt habt, ist in der letzten Nacht der Schnee geschmolzen. Für uns ist das kein Problem, aber ich mache mir Sorgen um den SeeClan. Jedes Mal wenn der Schnee zu Wasser wird, steigt der Fluss gefährlich an und meistens wird dabei ihr Lager überschwemmt", verkündete Ameisenstern und blickte in die Runde. "Ich möchte, dass Sonnenstrahl, Schwarzfrost, Schmutzpfote und Himbeerpfote angeführt von Moosschwinge an die Grenze gehen, wo der Fluss entlangläuft. Seht nach, ob der SeeClan Hilfe braucht, bei egal was. Evakuieren, Kräuter, Aufbauarbeite, ist mir egal. Schwanenpfote, du, Rußnarbe und ich, wir werden zum Schattenmoor gehen und nachsehen ob die Warnungsmarkierungen noch stehen."

Schwanenpfote verzog neben Schmutzpfote das Gesicht.

"Wieso sollten wir dem SeeClan helfen?"

Damit fing sich die weiße Kätzin ein paar böse Blicke ein und Rußnarbe versetzte ihr einen rügenden Schubs in die Schulter, doch insgeheim fragte sich Schmutzpfote das selbe, wenn auch nicht in der unhöflichen Wortwahl. Der SumpfClan hatte bereits genug eigene Probleme am Hals, wieso sollten sie sich um den SeeClan auch noch kümmern.

"Zum einen, weil wir ein Clan sind, der hilft, Schwanenpfote. Und zum anderen haben sie uns auch geholfen, wenn ich mich recht erinnere, sogar dir persönlich, als du mitten im Schneesturm einen warmen Platz gebraucht hast." Ameisensterns Stimme war klar und neutral, sein Blick jedoch streng. Unter jenem sank Schwanenpfote etwas zusammen. Schmutzpfote schüttelte kaum merklich den Kopf um die selbstsüchtigen Gedanken loszuwerden.

Ameisenstern hat Recht. Sie haben uns geholfen, als wir sie gebraucht haben. Das sollten wir zurückgeben.

Schwanenpfote hielt nun den Mund und bekam gleich die Aufgabe, Himbeerpfote aus dem Schülerbau zu holen. Die junge, rote Kätzin hatte zwar noch immer ihren Verband um die Pfote, war aber bereits von Ottersee entlassen worden und durfte das Lager auch verlassen. Schmutzpfote freute sich, einen Teil von Himbeerpfotes altem Kampfgeist wiederzusehen, als sie aus dem Bau getrottet kam um bei der Patrouille dabeizusein. Die Tigerkätzin wusste nicht genau, was den Geist der kleinen Kätzin so gedrückt hatte, aber es schien wieder bergauf zu gehen.

"Komm, Himbeerpfote, wir wollen gleich aufbrechen", miaute Schwarzfrost und begrüßte seine Schülerin mit einem leichten Nasenstups an die Schulter

Moosschwinge war bereits vorrausgelaufen und winkte die restlichen Katzen mit ihrem gold-weißen Schweif hinter sich her, Schmutzpfote bildete sich ein, sie grummeln zu hören: "Je schneller wir dort sind, desto schneller sind wir wieder im Trockenen." , jedoch wurden ihre Worte vom Geraschel des Lagerwalls leicht übertönt.

Kurz darauf befand sich die gesamte Patrouille schon auf dem Moor, in Richtung SeeClan unterwegs. Schmutzpfote mochte den Geruch der in der Luft lag - es roch so frisch, als wäre die Welt durch den Schnee einmal gewaschen worden. Zudem hatte der Sumpf wieder seine ursprüngliche, braun-grünliche Farbe angenommen und war nicht mehr von den weißen Schneeflocken bedeckt, was sie auch freute, denn genau so hatte sie ihn kennengelernt.

Moosschwinge, die an der Spitze lief, legte ein eiliges Tempo vor, ihr sonst leicht gelocktes Fell hing von der Feuchtigkeit in der Luft in Strähnen herab. Als sie schon fast bei der Grenze angekommen waren, machte die Zweite Anführerin auf einmal einen Sprung, der jeden Hasen stolz gemacht hätte. Wassertropfen stoben auf und Moosschwinge landete schwer und mit einem Platsch wieder auf dem Boden.

Verwirrt drängte sich Schmutzpfote etwas weiter nach vorne, wo sich eine riesige Wasserfläche ausbreitete - das Hauptjagdgebiet des SeeClans.

"Sind wir schon über die Grenze gelaufen?", fragte Schmutzpfote irritiert. Sie hatte den Duft der Markierungen gar nicht wahrgenommen.

"Nein, sind wir nicht", antwortete Sonnenstrahl, der an der Wasseroberfläche schnupperte und schnell ein paar Schlucke nahm. "Das Schmelzwasser von hier und das aus den Bergen dort hinten fließt in diesem See zusammen. Das gesamte Ufer ist überschwemmt."

Ehrfürchtig blickte Schmutzpfote auf das scheinbar unendlich reichende Wasser zurück. Dort wo sich sonst die Halbinsel befand, auf der der SeeClan sein Lager errichtet hatte, war nur die spiegelnde Wasseroberfläche. Ganz weit in der Ferne, am anderen Ende des Sees, bildete sie sich ein, einige Katzen schwimmen zu sehen, doch es war zu weit weg um wirklich etwas zu erkennen.

Moosschwinge, dich sich mittlerweile von dem Schreck, erholt hatte, dass sie auf einmal in den Morast eingesunken war, schüttelte sich kräftig, sodass schlammige Tropfen davonflogen.

"Wir sollten den See umrunden und fragen, ob alles in Ordnung ist", schlug die Kätzin vor und musterte das überschwemmte Gebiet mit zusammengekniffenen Augen.

Zu Schmutzpfotes Tatzen bildete sich Schaum von der Strömung. Das Wasser hatte noch nicht einmal ganz ihre Pfoten überflutet, aber trotzdem fühlte sie, wie es an ihrem kurzen Fell zerrte. Sie hatte keine Lust noch viel länger hier zu bleiben. Moosschwinge hatte Recht: Je schneller sie dort waren, desto schneller konnten sie wieder zurück.

Die Katzengruppe setzte sich wieder in Bewegung, doch als Himbeerpfote etwas später mit ihrem Verband an einem Strauch hängen blieb, legten sie eine Pause ein. Schwarzfrost befreite sie gerade aus den Dornen, als Sonnenstrahl auf einmal aufsprang und an das neu entstandene Ufer sprang, die Ohren aufgestellt und die goldenen Augen fest auf das Wasser gerichtet.

"SternenClan steh uns bei", hauchte der Kater. "Da sind Junge im Wasser!"

Sein Alarmruf ließ die gesamte Patrouille zu ihm schnellen.

"Wo?!", verlangte Moosschwinge sofort zu wissen.

"Bei den Steinen, seht ihr?" Sonnenstrahl watete tiefer ins Wasser, aber die Zweite Anführerin hielt ihn zurück.

"Es ist zu gefährlich, die Strömung wird dich zerreißen, wenn du alleine gehst", warnte sie den orangefarbenen Kater.

Schmutzpfote suchte mit den Augen nach den Steinen, die ihr Mentor genannt hatte und entdeckte sie kurz darauf. Und tatsächlich! Trotz der blendenden Sonne, die vom Wasser geflecktiert wurde, erkannte sie zwei Junge, die sich an die Felsen klammerten. Unter ihren Pfoten befanden sich die kläglichen letzten Reste eines Schilfnestes, das langsam aber sicher unter ihrem Gewicht zusammenbrach. Das größere von ihnen, ein braunes Tigerkätzchen hatte bereits verzweifelte Kratzspuren am rauen Stein hinterlassen, sein Unterkörper befand sich schon im Wasser. Das andere war hellgrau und schien sich mit letzter Kraft festzuhalten. Zwischen den Felsen tümpelte, von der Strömung umhergerissen, eine Kuppel, die aussah, als wäre sie mal die Kinderstube gewesen.

"Sie werden ertrinken!", rief Schwarzfrost, der keine weitere Zeit mehr damit verschwendete, seine Schülerin zu befreien und sprang ins Wasser. In dem Moment, wo er tiefer in die Fluten rannte, verlor das erste Junge den Halt. Herumgewirbelt und geschleudert wie ein Moosball ging das braune Junge nur Momente nachdem es losgelassen hatte, unter. Was als nächtstes geschah, war viel zu schnell, als dass Schmutzpfote es richtig erfassen konnte. Mit einem Satz war Schwarzfrost in die Wassermassen eingetaucht und war von der graublauen Dunkelheit verschluckt worden.

"Schwarzfrost!", rief die Schülerin erschrocken aus, doch der Kater tauchte nicht auf. Nur Luftblasen zerplatzten an der Oberfläche. Doch da! Auf einmal stieß der schwarz-weiße Körper des ehemaligen Zweiten Anführers wieder an die Oberfläche. Er bewegte sich stetig auf die Stelle zu, wo das braune Junge hingetrieben wurde.

"Er schafft das!", beschwichtigte Moosschwinge sie. "Wir sollten das andere Junge holen."

"Und wie sollen wir das machen? Keiner von uns kann so gut schwimmen wir Schwarzfrost! Wir würden da nicht mehr rauskommen", wandte Sonnenstrahl ein, der am Ufer auf und abtigerte. Zumindest das graue Junge hatte sich in der Zwischenzeit auf den Stein retten können, doch die Wellen machten ihm zu schaffen.

Da drehte sich Moosschwinge zu Schmutpfote um. "Du wirst ihn holen!"

"Ich?!" Für einen kurzen Moment hörte Schmutzpfotes Herz auf zu schlagen. Sie konnte ja nicht einmal schwimmen! Sie würde es niemals bis zu dem Felsen schaffen, vorher würde sie eleldig ertrinken. Allein der Gedanke, wie das Wasser ihr die Luft abschnürte, ließ sie würgen.

"Wir werden dich festhalten. Sonnenstrahl und ich, wir können dich halten, aber du kannst uns nicht festhalten, dafür bist du nicht stark genug."

"Sie hat Recht", miaute Sonnenstrahl. "Wir werden mit dir so weit wie möglich gehen, aber wir können das Junge nur erreichen, wenn wir eine Kette bilden." Der orangefarbene Kater legte ihr sanft den Schweif um den Rücken und zum ersten Mal fühlte sie, wie sie in seiner Nähe tatsächlich entspannen konnte. "Wir halten dich ganz fest, und wir werden dich nicht loslassen, ich verspreche es dir."

Schmutzpfote unterdrückte das Zittern, das ihren Körper zu erfassen drohte. Ihr gelber Blick wandterte über die Wasseroberfläche. Haufenweise Äste, verrottete Blätter und anderer Unrat trieben in der Strömung...bestimmt konnte sie sich daran festhalten. Das SeeClan-Junge klammerte sich mittlerweile mit allen vier Pfoten an den Stein und wurde bei jeder Welle beinahe mitgerissen. Es war durchnässt bis auf die Knochen und Schmutzpfote konnte die blanke Angst in seinen Augen sehen. Ihre Blicke trafen sich. Und dann nickte sie.

"Ist gut. Machen wir es so". Die Schülerin schluckte, doch sie erinnerte sich, wie sehr sie Angst gehabt hatte, im Schneesturm zu sterben und wie groß die Erleichterung gewesen war, dass jemand ihr geholfen hatte.

Sonnenstrahl und Moosschwinge nickten sich zu, dann tappte die Zweite Anführerin ins Wasser.

"Das Wasser ist nicht tief, aber die Strömung ist stark. Wir müssen vorsichtig sein."

Zögerlich folgte Schmutzpfote den beiden Kriegerin ins Wasser. Es war eisig, doch nach ein paar Momenten schienen ihre Schultern, Pfoten und Flanken wie taub für die beißende Kälte...wie das Junge wohl frieren musste. Und sein Geschiwsterchen? Ob Schwarzfrost es bereits erreicht und aus dem Wasser gefischt hatte?

Ein scharfer Schmerz zuckte plötzlich durch ihren Schweif, als Sonnenstrahl sie packte.

"Ich halte dich fest", nuschelte er durch ihr Fell hindurch und zwinkerte ihr ermutigend zu. Er selbst fand seinen Schweif in den Kiefern von Moosschwinge, die sich bereits fest mit den Pfoten in den sumpfigen Untergrund stemmte.

Schmutzpfote richtete den Blick geradeaus zu dem Jungen. Eine Baumlänge bis zu dem Kleinen, oder waren es zwei? Durch die Wellen konnte sie die Entferunung nicht einschätzen, aber als das nächste Stück vorbeitrieb, packte sie die Chance am Nacken und grub ihre Krallen hinein, um nicht unterzugehen. Ihre Hinterbeine suchten halt im Kies und so schob sie sich der Strömung entgegen. Sie spürte einen leichten Zug in ihrem ganzen Rückgrat, als die Wassermassen sie weiter von ihrem Mentor wegzutreiben versuchten. Um ehrlich zu sein war es der Schülerin beim Anblick der grauen, wirbelnden Wellen lieber, Sonnenstrahl würde ihr die Schweifspitze blutig beißen, bevor sie im See versank.

Wassertropfen stoben in ihr Gesicht, als sie sich weiter nach vorne arbeitete, orangefarbene Blattfallblätter klebten an ihrem Hals und wirre Zweige versperrten ihr die Sicht, doch plötzlich durchfuhr sie ein Ruck und mit einem Mal kippte sie nach vorne. Der Griff um ihren Schweif war fort und die Welle, die sie erwischt hatte, drückte sie mit unvorstellbarer Kraft unter die Oberfläche. In einem Wirbel aus Luftblasen, Blättern und ihren eigenen Pfoten fraß sich auf einmal doch die Kälte in ihren schmalen Körper. Wo war Sonnenstrahl? Wieso hatte er losgelassen? Er hatte es versprochen! Schmutzpfote konnte keinen Ausweg sehen, unter und über ihr schlossen die Äste sich zu einer dichten Decke, bestrebt, sie nicht mehr durchzulassen, nicht mehr atmen zu lassen. Wo sollte sie nur hin? Verzweifelt strampekte die junge Schülerin mit den Beinen. Wieso hatte ihr noch niemand gezeigt, wie man schwamm, wenn alle wussten, dass diese Fluten den See jeden Blattwechsel erfassten.

Schmutzpfote wand sich herum, doch bemerkte sie, wie ihre Gedanken immer langsamer flossen. Der See, die Strömung, sie spielten mit ihr, bis sie mit der Flanke fest gegen etwas hartes gepresst wurde. War das Spiel nun vorbei? Oder war es eher mit ihr vorbei?


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