21. Kapitel

Eine rythmische Bewegung hatte Schmutzpfotes ganzen Körper erfasst, als sie begann, den eisigen Wind wieder zu fühlen. Offensichtlich war es noch hell, aber vor ihren Augen zogen nur verschwommene, braun-weiße Massen vorbei. Sie fühlte sich, als wären ihre Glieder aus Stein und eine konstante Kälte wohnte in ihrer Brust.

"Beeilt euch, ich glaube, sie wacht auf", miaute eine bekannte Stimme, die einem roten Fleck gehörte, der neben ihr trabte.

Erst jetzt fiel Schmutzpfote der übermäßige Gestank nach Fisch auf, unter ihr befand sich öliges Fell und breite, muskulöse Schultern bewegten sich geschmeidig unter ihren Flanken.

"Keine Sorge, wir sind gleich Zuhause", flüsterte eine tiefe, raue Stimme neben ihrem Ohr. Sie gehörte Eichenglut. Sein warmer Atem streifte ihr Wangenfell, ein angenehmes Prickeln breitete sich in ihr aus.

Immer noch war ihr nicht bekannt, wer sie trug, jedoch konnte es bei dem Geruch nach Fluss und Fisch nur eine SeeClan-Katze sein. Als sie es schaffte, den Blick etwas zu heben, erspähte sie grau geschecktes Fell und zwei, in verschienen Grautönen gefleckte Pinselohren. Ihre Gedanken arbeiteten aber noch viel zu langsam um tatsächlich zu verstehen, dass es Graupfote war.

"Da vorne ist es!", rief Himmelspfote, hörbare Erleichterung flutete ihre Stimme.

Kurz nachdem dornige Äste an ihrem Fell zerrten war Schmutzpfote endlich wieder von den heimeligen Düften ihres Clans umgeben. Behutsam ließ Graupfote sie auf der Lichtung auf den Boden gleiten. Der Schnee war bereits von vielen Pfoten plattgetreten worden, er war nur noch leicht bräunlicher Matsch.

Schmutzpfote fühlte noch immer große Kälte unter ihrem Fell, aber sie konnte den Kopf gerade so heben. Einige Krieger waren damit beschäftigt, den Schülerbau von Schnee freizuschaufeln und Ameisenstern buddelte ebenfalls in den weißen Massen, um die Frischbeutegrube wiederherzustellen. Der Anführerbaumstumpf war bereits freigeräumt worden, so wie der Kriegerbau, der nur ein bisschen ramponiert aussah, weil so viele Katzen auf einmal sich hineingequetscht hatten.

Aber kaum hatten die Katzen das Lager betreten, ließ jeder seine Arbeit fallen.

"Ihr habt sie gefunden!", rief Fuchsblüte erleichtert und schmiegte sich an ihre Jungen, doch gleich darauf setzte sie zu einer gewaltigen Standpauke an. "Ihr steckt in großen Schwierigkeiten, ihr Fünf! Was habt ihr euch bloß dabei gedacht?"

"Schmutzpfote! Himmelspfote! Schwanenpfote! Den Sternen sei Dank, es geht euch gut", keuchte Regentropfen und schmiegte sich an seine Töchter. "Ich habe mir so Sorgen gemacht. Und Pfützenwasser auch." Letzteres bezweifelte Schmutzpfote zwar, zumindest, was sie anging, aber sie war froh, dass ihr Vater sich nicht länger grämen musste.

"Wir sind auch froh, Vater", murmelte Himmelspfote. "Aber Schmutzpfote muss zu Ottersee. Sie ist zusammengebrochen."

"Natürlich." Regentropfen nickte. "Ich hole sie sofort."

Ein kleiner Funke Entschlossenheit sprang in Schmutzpfote über. Sie war kein Junges mehr, sie konnte selbst laufen. Sie war nicht mehr ohnmächtig, es ging ihr gut. Zumindest redete sie sich das ein, als sie versuchte, sich auf die Pfoten zu stemmen.

"Ist..Ist schon gut...ich kann selbst zu ihr gehen", stotterte sie, ein kalter Wind ließ sie jedoch wieder frösteln und zu Boden kippen.

"Ich stütze dich", bot Graupfote sofort an und obwohl Schmutzpfote es nicht wirklich wollte, sank sie beim nächsten Stehversuch gehen die Schulter des SeeClan-Schülers. Die Tigerkätzin fühlte die Blicke ihrer Clankameraden auf sich, als sie von dem großen, grauen Kater zum Heilerbau geleitet wurde.

Der Eingang des Heilerbaus hatte offensichtlich im Windschatten gelegen, denn er war komplett schneefrei. Zum Glück schienen auch die Krätervorräte unangetastet zu sein.

Ottersee arbeitete bereits wieder, doch sie blickte auf, als Schmutzpfote, Regentropfen und Graupfote eintraten.

"Was ist passiert?", fragte die zierliche, braune Heilerin und deutete ihr, sich in einem Nest niederzulassen. Schmutzpfote war dankbar für das halbwegs trockene Moos und die Federn, die sie von unten herauf wärmten.

"Ich vermute eine Unterkühlung", miaute Graupfote, doch legte gleich entschuldigend die Ohren an. "Ich mache gerade meinen Heilermond", fügte er schnell hinzu.

Regentropfen fühlte derweil Schmutzpfotes Nase.

"Du hast Recht. Eiskalt", murmelte er und zögerte keinen Moment, sich um sie zusammenzurollen.

Seine Wärme war fast schmerzhaft, so sehr fror die junge Schülerin.

"Ich hole ein paar Brennnesselblätter und etwas Honig, das wird dich ganz schnell aufwärmen", raunte Ottersee beruhigend in ihr Ohr, strich ihr mit dem Schweif über den Kopf und verschwand im hinteren Teil des Heilerbaus. Kurz darauf landeten vor Schmutzpfotes Schnauze eine kleine Honigwabe, die etwas trocken aussah, und drei grüne, haarig wirkende Blätter.

"Wenn du den Honig vor den Blättern isst, brennen sie nicht, keine Sorge", erklärte die braune Kätzin.

Ausdruckslos leckte Schmutzpfote an der Wabe. Sie fühlte sich schwach und steif, ihre Gedanken waren lahm, wie ein verletztes Reh, das über den Donnerweg hinkte. Selbst ihre Erinnerungen an den Schneesturm schienen verwischt oder wie in Federn gepackt. Sie bekam kaum mit, dass Graupfote nach draußen verschwand und Ottersee sich wieder ihrer Arbeit zuwandte.

Doch langsam breitete sich eine angenehme Wärme in ihrer Kehle und ihrem Bauch aus. Die Brennnesseln hatten einen bitteren Geschmack hinterlassen, doch der zuckersüße, leich tholzig schmeckende Honig glich dies aus.

"Geht es dir besser, mein Liebes?", fragte Regentropfen alle paar Minuten, was etwas nervte, aber tatsächlich ging es Schmutzpfote mit zunehmender verstrichener Zeit besser. Zudem war ihre Kehle nicht mehr so rau und trocken von der klirrend kalten Luft.

"Es geht schon besser, Vater, danke", schnurrte sie, immer noch etwas geschwächt, aber es tat gut, dass sie, wie in der Kinderstube, am Bauch einer Katze lag.

"Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Der Sturm hat nachgelassen und da hat Fuchsblüte uns erzählt, dass ihr alle losgezogen seid, um die Jungen zu suchen. Es ist ein wahres Wunder, dass ihr es alle geschafft habt."

"Ja...ein Wunder", murmelte Schmutzpfote. Es war nicht wirklich ein Wunder gewesen. Sie hatten es nur Rauchblütes und Graupfotes Hilfsbereitschaft zu verdanken, dass sie nicht erfroren im Sumpf lagen, das hatte mit Wundern nichts zu tun. "Geht es den anderen gut?", fragte sie daraufhin. Überraschenderweise antwortete Ottersee ihr, die ungefragt aus den Tiefen ihres Kräutervorrats auftauchte.

"Im Grunde ja. Wahrscheinlich werden keine bleibenden Verletzungen bleiben, aber  Himbeerjunges hat eine Erfrierung an der Pfote davongetragen. Mit etwas Glück bekomme ich ihre Zehen aber wieder warm. Und Eichenglut jammert wegen seinen Gelenken, aber das ist doch immer so."

Die braune Heilerin verschwand mit einigigen Blättern, Spinnweben und einer weiteren Honigwabe aus dem Bau, es war gut zu sehen, dass sie in Gedanken bereits ganz woanders war.

"Jagt mit nie wieder so eine Schrecken ein, in Ordnung?", verlangte Regentropfen und leckte ihr zügig über den Kopf.

"Wir wollten bloß helfen", verteidigte sich Schmutzpfote, jedoch viel ihr keine weitere Argumentation ein. Natürlich hatte Regentropfen sich Sorgen gemacht. Das hatte er immer getan und er würde es immer tun, da konnte sie gar nichts machen. Und irgendwie war sie dankbar dafür.

"Weiß ich doch. Das war mutig...aber leider auch ziemlich froschhirnig."

"Hey, das war jetzt aber gemein", murmelte Schmutzpfote kraftlos.

"Du weißt, ich meine es nicht so. Ich werde nie aufhören, mich um meine Jungen zu sorgen, so groß kannst du gar nicht werden", antwortete Regentropfen und schmiegte sich enger an sie.

Plötzlich tauchte Ottersee wieder im Eingang des Heilerbaus auf.

"Regentropfen? Ameisenstern will dich für eine Besprechung in seinem Bau sehen. Es ist dringend."

Der dunkelgraue Kater sah auf, blickte dann jedoch zu Schmutzpfote. Seine grünen Augen wirkten immer noch besorgt.

"Kommst du zurecht?"

"Geh nur. Das klingt wichtig", antwortete Schmutzpfote. Langsam war ihr wieder warm genug, um neugierig zu sein, was da vor sich ging. Was konnte so wichtig sein, dass Ameisenstern eine Besprechung der ältesten Krieger einberief? Mit ihrem Vater verschwand sogar Ottersee zu dem Treffen und auf einmal war Schmutzpfote allein. Durch die dicken Schneedeken auf den Bauen war es unheimlich still, obwohl Schmutzpfote genau wusste, dass alle ihre Clangefährten gerade geschäftig bei der Sache waren, das Lager wieder aufzubauen und bewohnbar zu machen.

Sie beschloss, sich etwas auszuruhen und machte die Augen eine Weile zu, bis draußen ein kleiner Tumult ausbrach. Ameisensterns Stimme hallte bis zu ihr in den Heilerbau.

"Alle Katzen, die alt genug sind, auf den Mooren zu laufen, sich hier unter dem Baumstumpf zu einem Clantreffen zu versammeln!"

Ein Clantreffen? Jetzt?

Hastig versuchte die Tigerkätzin auf die Pfoten zu kommen, da stürmte Ottersee hinein, ließ die übrig gebliebenen Kräuter in ihren Vorrat fallen und wirbelte zu ihr herum, doch dann stoppte sie.

"Du kannst auch kommen, aber du musst dich schonen, verstanden? Du musst dich ordentlich aufwärmen, bevor du wieder trainieren kannst."

Schmutzpfpte nickte, konnte es jedoch nicht erwarten, dass Ottersee aufhörte zu reden, damit sie auf die Lichtung konnte.

Der ganze Clan hatte sich bereits versammelt, aber sie fand einen Platz am Rand, wo sie bei Schilfpfote und Schwanenpfote sitzen konnte.

Ameisenstern stand erhaben auf seinem Baumstumpf und blickte auf die SumpfClan-Katzen hinab. Tatsächlich waren sogar Rauchblüte und Graupfte bei diesem Treffen anwesend.

"Meine lieben Clangefährten! Ich habe euch wegen zwei sehr wichtigen Ankündigungen zusammengerufen. Zunächst möchte ich Rauchblüte und Graupfote danken. Sie haben uns einen sehr großen Dienst erwiesen und verdienen unsere Anerkennung für das, was sie für uns getan haben. Durch ihre Großherzigkeit haben viele unserer Katzen in dem Sturm einen Unterschlupf gefunden. Dafür schulden wir euch etwas. Falls ihr jemals etwas braucht, dann werden wir bereitwillig helfen", rief Ameisenstern und blickte wohlwollend zu dem beiden SeeClan-Katzen hinunter. Rauchblüte blieb stumm, was nicht überraschend war, aber Graupfote strahlte stolz über das ganze Gesicht.

"Haben wir gerne gemacht", miaute der gescheckte Kater, die Brust freudig aufgeplustert.

Seine Mentorin blickte still in die Runde, nickte ein paar Katzen zu und deutete ihrem Schüler dann, sich wieder zu setzen, was er mehr oder weniger freiwillig tat.

"Nun zu der zweiten Ankündigung. In letzter Zeit gab es für dem SumpfClan einige Verluste. Zuerst Blattflügel, dann Schwalbenpfote. Zwei Tode, die wir nicht so schnell überwinden können. Und trotzdem muss ich einen neuen Verlust betrauern. Schwarzfrost, unser geliebter Zweiter Anführer, hat beschlossen sein Amt niederzulegen."

Die Nachricht platzte wie eine große Ladung Schnee in die Menge. Alle begannen zu tuscheln und einige Katzen protestierten.

"Du bist doch viel zu jung für die Ältesten, Schwarzfrost", rief Gelbschweif laut und bekam reichlich Zustimmung. Daraufhin trat der schwarz-weiße Stellvertreter vor, sein Blick gesenkt.

"Du hast Recht. Ich werde auch kein Ältester sein, ich kehre zu meinen früheren Pflichten als Krieger zurück. Durch Schwalbenpfotes Tod...", er stockte einen Moment. "Durch ihren Tod habe ich gesehen, wie vergänglich das Leben ist. Ich möchte mein restliches Leben gänzlich meiner verbliebenen Familie und meinen Freunden widmen. Ich danke euch, dass ich euch so lange als Zweiter Anführer dienen durfte, und ich hoffe, ihr akzeptiert meine Entscheidung."

Schmutzpfote starrte schockiert zu ihrem Zweiten Anführer hoch. Oder eher ehemaliger Zweiter Anführer. Ihr ganzes Leben lang war Schwarzfrost derjenige gewesen, der morgens die Patrouillen ansagte. Er, der erfahrendste Kampfstratege und Organisator der Wettkämpfe und Versammlungen. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie es sein mochte, aufzuwachen, ohne dass der schwarz-weiße Kater auf seinem Hügel stand und Katzengruppen einteilte.

Bevor irgendwelche Katzen weiter dazwischenplappern konnten, setzte Ameisenstern fort.

"Ich denke, wir alle verstehen Schwarzfrosts Beweggründe. Ich danke dir, dass du uns so lange gedient hast aber ich werde deinen Wunsch natürlich respektieren. Schwarzfrost, Stellvertreter des SumpfClans, von nun an sollst du zu deinen Pflichten als Krieger zurückkehren. Wenn ich zum SternenClan gehe hast du kein Recht mehr auf den Posten als Anführer und du bist nicht mehr dazu veranlasst Patrouillen einzuteilen. Du bist nun ein wieder ein Krieger."

"Ich danke dir, Ameisenstern. Du warst schon immer ein guter Freund", miaute Schwarzfrost, stand auf, nickte den Katzen ein letztes Mal zu und verschwand dann in der Menge.

Er ist tatsächlich kein Zweiter Anführer mehr...ich hatte keine Ahnung, dass das geht, dachte Schmutzpfote und blickte weiterhin zu Ameisenstern. Sicherlich war die Besprechung für die Wahl eines neuen Stellvertreters gewesen, den Ameisenstern nun ankündigen würde.

"So wie es Brauch in den Clans ist, muss vor Mondhoch ein neuer Zweiter Anführer ernannt werden. Ich rufe den SternenClan an, dieser Versammlung beizuwohnen, sodass sie meine Worte hören und meine Wahl billigen mögen. Moosschwinge wird die neue Zweite Anführerin des SumpfClans, sofern sie diesen Posten annehmen möchte!", rief der schwarzbraune Kater und blickte erwartungsvoll in die Menge, wo die große goldenen Kätzin mit den grünen Augen aufgestandne war.

Moosschwinge wirkte nicht überrascht, bestimmt war sie ebenfalls bei der Vorbesprechung dabei gewesen und musste nun nur noch auf die rituellen Worte reagieren.

"Ich freue mich, diese Chance zu erhalten. Ich nehme den Posten an", schnurrte die muskulöse Kätzin, ihr lockiges Fell stand in ihrem Nacken aufgeregt zu Berge.

Während der Clan Moosschwinges Namen rief, geriet Schmutzpfote ins Grübeln. Klar, Moosschwinge war erfahren und klug, aber sie war nicht mehr die Jüngste. Genau genommen war sie unter allen Kriegern die Älteste und begann langsam ihre Kräfte zu verlieren. Ob sie wirklich die beste Entscheidung war?

Denk nicht so schlecht von ihr, rügte Schmutzpfote sich selbst. Sie sollte sich lieber für die Kätzin freuen. Liegt wahrscheinlich an der Unterkühlung, fügte sie gedanklich hinzu und kehrte in ihr Nest im Heilerbau zurück. Bestimmt würde es ihr morgen besser geehn und sie konnte wieder klar denken. Hoffentlich.

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