2. Kapitel

Als Schmutzjunges am nächsten Morgen aufwachte, kam es ihr vor, als würde sie keine Luft bekommen. Etwas Pelziges befand sich direkt vor ihrer Nase und erschwerte ihr das Atmen. Mit allen vier Pfoten gleichzeitig drückte die getigerte Kätzin das Etwas von sich, doch als dieses empört quiekte ließ sie los.

"Himbeerjunges?"

Zwei kristallblaue Augen blitzen im dämmrigen Dunkel auf. Es war tatsächlich Himbeerjunges. Die fast einen Mond alte Kätzin krabbelte ungeschickt im Nest herum, ihre Beine waren noch sehr kurz und unkoordiniert, was sie aber offensichtlich nicht davon abhielt, ihre Bewegungsfreieheit innerhalb der Kinderstube zu nutzen.

Schmutzjunges beneidete die junge Kätzin ein wenig für ihren leuchtend roten Pelz, während ihrer eher aussah wie ein Stück abgefallene Erlenrinde.

Himbeerjunges gluckste und tappte Schmutzjunges mit der kleinen Pfote auf die Nase.

"Raus?", fragte sie und schien sich schon auf den Weg zum Ausgang der Kinderstube zu machen. Schnell sprang Schmutzjunges auf, und hielt die jüngere Katze am Nackenfell fest. So sanft wie möglich ließ sie Himbeerjunges zurück in das Nest mit ihren Geschiwstern sinken.

Fuchsblütes Jungen konnten farbenfroher kaum sein. Neben Himbeerjunges mit ihrem strahlend roten Fell war da noch Möwenjunges, der einen weißen Pelz hatte und Kirschjunges schien eine Mischung aus den beiden zu sein, mit einem roten Fell, das aussah, als hätte es auf sie geschneit, da weiße Sprenkel ihren Pelz zierten. Aber besonders stach Rabenjunges heraus, dessen Fell so tief dunkelbraun war, dass er fast schwarz wirkte.

Bis jetzt fand Schmutzjunges ihre Baugefährten aber noch etwas langweilig, denn bisher hatten sie sich noch kaum gerührt, konnten weder sprechen, noch laufen. Bis sie gemeinsam spielen konnten musste noch etwas Zeit vergehen.

Da die Kinderstube noch von dem friedlichen Schnarchen ihrer Bewohner erfüllt war, setzte Schmutzjunges sich ruhig an den Rand und begann, ihr Fell zu ordnen, das von der Nacht verwuschelt von ihrem Körper abstand. Als sie ihren braunen Tigerpelz mit der Zunge kämmte, wanderte ihr Blick zu ihrer Familie. Ein flauschiger Berg von weißen Katzen. Himmelsjunges war eine exakte Kopie von Pfützenwasser, beide hatten die zarten, hellgrauen Sprenkel auf dem Rücken, im Nacken und auf der Stirn und den langen Schweif. Schwanenjunges war wohl die flauschigste Kätzin im ganzen Clan und wahrscheinlich würde sie zu einer wunderschönen Kriegerin heranwachsen, so sagte es Pfützenwasser zumindest immer. Es tat weh, dass ihre Mutter sie nie lobte, egal wie sehr sie sich bemühte ordentlich auszusehen und sich angemessen zu benehmen. Es schien als wären Schwanenjunges und Himmelsjunges von Anfang an ihre Lieblingskinder gewesen...und Schmutzjunges...war eben da.

Ich will doch bloß dazugehören...

Als von draußen Schwarzfrosts Stimme hereindrang, die die Morgenpatrouille ankündigte, schüttelte Schmutzjunges die negativen Gedanken ab. Sie konnte bestimmt woanders Freunde finden, vielleicht ja sogar in der Katze die ihr Vater ihr vorstellen wollte.

Draußen schien das Lager zu erwachen, Stimmen wurden lauter und die Baue raschelten von den Katzen, die sie verließen. Schmutzjunges schlüpfte ebenfalls aus ihrem Bau und wurde von der strahlenden Morgensonne begrüßt. Einige Krieger waren schon auf der Lichtung unterwegs, fanden sich in ihren Patrouillen zusammen oder aßen die übrig gebliebenen Beutestücke von gestern, bevor sie zur Jagd aufbrachen. Schwarzfrost stand auf einem staubigen, kleinen Hügel und teilte gerade die Patrouillen ein.

"Gelbschweif, Moosschwinge, Felsenkralle und Schilfpfote, ihr übernehmt die Grenzpatrouille an der Grenze zum SeeClan. Regentropfen, Sonnenstrahl, Flügelpfote und Eulenpfote übernehmen die Grenze zum Zweibeinerort. Der Rest begibt sich bitte auf die Jagd, die Blattleere wird nicht mehr lange auf sich warten lassen."

Die Blattleere, dachte Schmutzjunges ehrfürchtig. Obwohl sie Kirschjunges' Pelz gerne als "angeschneit" bezeichnete, hatte sie noch nie echten Schnee gesehen. Nur Geschichten über die kalte Zeit waren ihr zu Ohren gekommen.

Die Beute verschwindet und das Land wird kahl, trostlos und frostig. Der Hunger bricht über den Clan herein, Krankehiten schleichen sich unsichtbar in die Baue der Katzen und bringen sie langsam und qualvoll um und der Schnee lässt die Herzen unserer Gefährten kalt und rücksichtlos werden.

Das waren Eichengluts Worte gewesen, als sie nach der Blattleere gefragt hatte. Ihr war schon früh bewusst gewesen, dass der alte Kater nicht einmal für ein Junges die Wahrheit verschönerte, aber trotzdem hatte ihr die grausame Beschreibung Angst eingejagt. Bis jetzt hatte ihr an nichts gefehlt, sie hatte ein warmes Nest und Beute, so viel sie essen konnte, aber als sie nun einen Blick auf den kleinen Beutehaufen warf, viel ihr etwas Neues auf. Die Tiere waren mager und ihre Pelze stumpf. Auch war Schmutzjunges der kälter werdende Wind nicht entfallen. Es war zwar schön, dass der Wind die hübschen roten Blätter bis ins Lager wirbelte, aber nicht nur Eichenglut beschwerte sich momentan über undichte Baue und eisige Zugluft.

"Guten Morgen, meine Kleine", erklang es da auf einmal hinter ihr. Ein großer, langgezogener Schatten verdunkelte die Sonne, als Regentropfen hinter Schmutzjunges auftauchte und ihr liebevoll über die Ohren leckte.

Schmutzjunges begrüßte ihren Vater freudig.

"Stellst du mir jetzt die Katze vor?", fragte sie eifrig und aufgeregt, ebendiese Katze kennenzulernen. Warum machte Regentropfen bloß so ein Geheimnis daraus?

Aber der grau gefleckte Kater schüttelte den Kopf.

"Ich muss zur Grenzpatrouille. Aber wenn du nicht alleine sein willst, dann kannst du auch zu ihm gehen. Er heißt Libellenpfote", erklärte der Krieger und seine Augen glitzerten bei dem Namen fröhlich auf.

"Libellenpfote?", echote Schmutzjunges. Diesen Namen hatte sie schon öfter gehört, aber sie hatte nie gewusst, zu welcher Katze er gehörte.

"Du wirst ihn schon finden. Ich muss jetzt leider gehen, Sonnenstrahl reißt mir den Kopf ab, wenn ich mich noch mehr verspäte."

Damit war Regentropfen auch schon umgedreht und weggetappt. Er gesellte sich zu Flügelpfote und Eulenpfote und einem orangefarbenen Kater, den Schmutzjunges nicht kannte.

Das ist bestimmt Sonnenstrahl, dachte sie und musterte den muskulösen Krieger über die Lichtung hinweg. Besonders nett sieht er nicht aus.

Sonnenstrahls Gesicht war von Ärger und Ungeduld verzerrt und sein Schweif, mit der hellen Spitze, peitschte die ganze Zeit hin und her, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen. Kaum hatte sich Regentropfen der Patrouille angeschlossen, führte der orangefarbene Krieger die drei anderen Katzen aus dem Lager und verschwand mit ihnen im Wald.

Eine Weile blieb Schmutzjunges noch sitzen und beobachtete, wie sich die Lichtung langsam leerte, als alle ihren Pflichten nachgingen. Schwalbenpfote spazierte fröhlich hinüber zur Kinderstube, wo sie Fuchsblüte wahrscheinlich beim Jungenhüten ablöste. Vier Junge waren sich er eine Menge Arbeit.

Schließlich wandte sich die braun getigerte Kätzin dem Schülerbau zu. Er lag zwischen einigen Bäumen die bei einem Sturm umgerissen worden waren und den ehemaligen Bau aus Zweigen  und Efeu unter sich begraben hatte. Einige Überreste des alten Baus lugten noch unter den morschen Stämmen hervor, aber nach dem Gewitter war sonst nichts mehr übrig geblieben, so hatte es Eichenglut erzählt. Jetzt sah der Schülerbau verlassen aus.

"Libellenpfote muss noch da drin sein. Er wurde nicht von Schwarzfrost für eine Patrouille gerufen", murmelte Schmutzjunges zu sich selbst und tappte auf den dunklen Eingang zu. Aus dem Inneren vernahm sie das sanfte Atmen einer Katze und ein etwas muffiger, staubiger Geruch schlug ihr entgegen.

Ganz hinten, in einem Nest aus Moos und Farn lag ein weißer Kater mit dunklen, tigergestreiften Flecken, der, obwohl man die Muskeln unter seiner Haut erkennen konnte, eher klein geraten schien. Kurz fragte sich das Junge, ob sie ihn wecken sollte, da hob Libellenpfote den Kopf und gähnte so weit, dass man ihm fast bis in den Hals schauen konnte. Erschrocken sprang Schmutzjunges zurück, aber der Schüler wirkte nicht sonderlich gefährlich.

"Bist du Libellenpfote?", miaute Schmutzjunges leise und näherte sich erneut auf weichen Tatzen.

Libellenpfote schien, als brauchte er einen Moment um zu wissen, wer da vor im stand.

"Ja, der bin ich. Hallo, Schmutzjunges", antwortete er unter einem unterdrückten Gähnen.

"Du kennst meinen Namen?"

Woher mochte der Schüler sie wohl kennen? Sie hatte ihn noch nie gesehen.

"Natürlich. Du gehörst doch zur Familie." Mit einem gewaltigen Katzenbuckel erhob sich Libellenpfote aus seinem Nest und schüttelte seinen braun-weißen Pelz zurecht.

"Familie?"

Schmutzjunges kam sich recht mäusehirnig vor, dass sie den jungen Kater so nachäffte.

"Ja, Familie. Ich bin der Bruder deines Vaters Regentropfen. Du hättest  ihn sehen sollen, als du und deine Geschiwster geboren wurdet. Er war komplett außer sich."

Libellenpfote grinste und das Grinsen stand ihm gut, als wäre sein Gesicht genau dafür gemacht. Der junge Kater war recht schmal gebaut, mit dünnen, langen Beinen und spitzen Ohren.

"Du warst bei meiner Geburt dabei?"

"Naja nein, nicht direkt. Pfützenwasser wollte niemanden bei sich haben außer Ottersee", er rollte mit den Augen. "So ist sie eben."

Das klang in der Tat sehr nach ihrer Mutter. Pfützenwasser setzte sehr selten ihren Willen nicht durch und wenn sie einem nicht bekam was sie wollte, dann war sie eingeschnappt wie eine zugeklappte Muschel.

"Ja, so ist sie eben", murmelte Schmutzjunges, mehr zu sich, als zu Libellenpfote. Sie fragte sich schon sehr lange, warum Pfützenwasser so war. Bloß ein falsches Wort und man konnte sich vor ihrem Zorn kaum retten.

"Na egal. Was führt dich zu mir, Schmutzjunges?", fragte der braun-weiße Schüler freundlich und streckte jedes seiner Beine einzeln von sich, um sich zu dehnen.

"Regentropfen hat gesagt, du würdest mit mir spielen wollen...", nuschelte die kleine Tigerkätzin, ihr war unwohl unter dem Pelz. Warum sollte ein Schüler mit ihr spielen? Er hatte sicher andere Dinge zu tun, obwohl es nach dem jetztigen Stand von Gähnen und Strecken nicht wirklich danach aussah.

Zu ihrer Überraschung leuchteten Libellenpfotes Augen vor Begeisterung auf.

"Aber klar!"

Etwas überrumpelt starrte Schmutzjunges den Schüler an. Er war sicher schon weit über sechs Monde alt und interessierte sich trotzdem noch dafür, ein Junges zu beschäftigen?

Doch plötzlich schien Kälte in den Bau zu kriechen. Libellenpfotes Lächeln verschwand von seinem Gesicht. Mit gespitzten Ohren und ernstem Gesichtsausdruck starrte er zum Lagereingang.

Der Dornenwall raschelte und knarzte, etwas Angst prickelte in Schmutzjunges Brust. Sie hörte schnelle Schritte und das hektische Atmen einer erschöpften Katze, die mit einem ohrenbetäubenden Krachen durch die Ranken ins Lager brach.

"Wir werden angegriffen!"


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top