Stechende Blicke
(1042 Wörter - 15. Juni 2023)
(Überarbeitet: 11. Oktober 2023)
Winterpfote
Unruhig fuhr die kleine Kätzin die Krallen ein und aus. Ihre Mutter, Schneerose, warf ihr einen warnenden Blick zu, als sie begann von einer Pfote auf die andere zu treten.
Zeitstern, ihr Vater, sprach die traditionellen Worte, die sie jetzt zum ersten Mal so richtig hörte. Seit Aschenpfote, Nachtpfote und Kristallpfote hatte es keine anderen Schüler gegeben und damals war sie erst etwas über einen Mond alt gewesen. Bei Aschenpfotes Schülerzeremonie war sie noch nicht einmal auf der Welt gewesen und bei Nachtpfotes und Kristallpfotes Zeremonie hatte Schneerose sie in der Kinderstube gehalten, sodass sie nichts mitbekommen hatte.
Bei dem Gedanken an Aschenpfote lief ihr ein Schauder über den Rücken und sie plusterte ihr Fell noch weiter auf. Sie dachte wieder an ihren Zusammenstoß mit ihm. Es fühlte sich so an, als würde sein Knurren noch immer in ihren Ohren nachhallen.
Das Junge fröstelte und setzte sich etwas näher zu Blattjunges, der inzwischen aber schon Blattpfote heißen musste. Demnach hieß sie Winterpfote.
Winterpfote. Das klingt gut.
Ihre Schwester Schmetterlingspfote bekam Regenkralle, der sie ausbilden sollte. Schmetterlingspfote wirkte glücklich mit der Entscheidung ihres Vaters. Die Spannung stieg in Winterpfote, während Ringelpfote Steinpfütze zugeteilt wurde.
„Sprenkelohr, du bist nun bereit deinen ersten Schüler auszubilden. Ich habe dich, mit bestem Wissen und Gewissen ausgebildet und ich erwarte mir, dass du dasselbe bei Winterpfote machst!", rief Zeitstern und nickte der gesprenkelten Kätzin zu. Winterpfote warf er einen aufmunternden Blick zu.
Voller Energie sprang Winterpfote auf und rannte zu ihrer Mentorin. Dabei bekam sie nur am Rande mit, wie Zeitstern Blattpfote einen Mentor zuteilte.
Bei Sprenkelohr angekommen berührten sich die beiden Nase an Nase.
„Bevor du irgendwas sagt, wir beginnen morgen mit der Territoriumsrundgang. Jetzt musste du erstmal schlafen und ich ebenfalls", unterbrach Sprenkelohr die weiße Kätzin mit einem halb strengen, halb stolzen Blick. Enttäuscht ließ Winterpfote den Schweif hängen. Sie hatte gewusst, dass sie nicht gleich beginnen würden, aber versuchen konnte sie es ja.
„Schade", maunzte sie und schaute Sprenkelohr mit einem bittenden Blick an. Diese schnurrte nur und stupste Winterpfote zu ihren Geschwistern, die von ihren anderen Clan-Gefährten schon umringt waren und ihre Glückwünsche empfingen.
„Bis morgen!", rief Winterpfote über die Schulter zurück und erhielt von Sprenkelohr ein Zucken ihres Ohres als Antwort. Winterpfote war mit ein paar schnellen Sprüngen bei ihren Wurfgefährten und stupste Blattpfote in die Flanken. Damit brachte sie ihn beinahe aus dem Gleichgewicht.
„Hör auf!", fauchte dieser zurück und wandte sich seiner Mentorin, Sandfell, zu. Ein kleiner Stich fuhr durch Winterpfotes Herz und die Freude über ihre Ernennung zur Schülerin verblasste. Mit hängenden Schultern drehte sie sich zu Ringelpfote, der sie und Blattpfote beobachtet hatte.
„Das wird schon wieder", flüsterte er ihr zu und leckte ihr kurz über das linke Ohr. Er warf ihr einen Blick zu und drehte sich dann ebenfalls zu seinem Mentor um.
Winterpfote spürte, dass eine Katze sie beobachtete. Zuerst sah sie sich suchend um und versuchte die Katze auszumachen, dann gab sie aber auf, weil es in der Menge der Katzen kaum möglich war eine einzelne Katze auszumachen.
Noch immer wurden ihre Geschwister beglückwünscht und auch die eine oder andere Katze kam zu ihr, was Winterpfote mit einem Nicken und Schnurren entgegennahm. Aber in Gedanken war sie noch immer bei der sie beobachtenden Katze.
Sie erblickte Schneerose, die sie ansah, aber das tat sie oft und Winterpfote bemerkte es kaum noch. Die Katze, die sie anstarrte, war nicht Schneerose. Die Schülerin tappte zu ihrer Mutter und setzte sich neben sie.
„Wie geht es dir? Bist du noch aufgeregt?", wollte die weiße Kriegerin wissen. Für einen kurzen Moment glaubte Winterpfote Besorgnis in ihren Augen lesen zu können, doch dann war das Gefühl wieder weg.
„Mir geht es gut. Sprenkelohr hat mir gesagt, dass wir morgen den Territoriumsrundgang machen", erzählte Winterpfote und versuchte dabei so gut es ging, ihren Beobachter auszublenden. Schneerose nickte.
„Wahrscheinlich machst du den Rundgang mit Regenkralle und Schmetterlingspfote oder aber mit Sandfell und Blattpfote", maunzte ihre Mutter und strich mit der Zunge ein aufstehendes Fellbüschel in Winterpfotes Pelz glatt. Die frisch ernannte Schülerin versuchte sich unter der Zunge hinweg zu ducken, doch Schneerose war schneller.
„Versuch es erst gar nicht. Ich habe viel Übung bei Waschen von Jungen!", drohte Winterpfotes Mutter, doch ihre Augen waren alles andere als böse.
„Goldkralle ist genauso wie du", murmelte sie gerade so laut genug, dass Winterpfote es hören konnte.
„So und jetzt Abmarsch, du willst doch morgen nicht einschlafen!", befahl Schneerose und scheuchte ihre Tochter auf. Dabei sah sie sich aber nach dem goldenen Kater um, von dem sie gerade noch gesprochen hatte.
Goldkralle war der Sohn von Rotpelz und Schneerose. Bei einem tragischen Unfall auf dem Donnerweg kam Rotpelz aber ums Leben. Das hatte Schneerose zumindest Goldkralle, Winterpfote und ihren Geschwistern erzählt, Winterpfote hatte aber die Vermutung, dass es etwas mit den Zweibeinern zu tun hatte. Zeitstern half beim Aufziehen des jungen Kriegers und dabei verliebte sich Schneerose auch in Zeitstern.
Winterpfote verabschiedete sich von Schneerose und rannte über die inzwischen beinahe leere Lichtung zum Schülerbau hinüber. Ohne dass sie es bemerkte hatte, war ihr Beobachter verschwunden und somit auch das unangenehme Gefühl.
Die weiße Kätzin schlüpfte unter den tiefhängen Brombeerzweigen hindurch ins Dämmerlicht des Baues. Ihre Augen brauchten eine Weile um sich an das Licht zu gewöhnen. Dann erkannte sie, dass das mittlere Nest ganz hinten sowie rechts in der Mitte jeweils ein Nest frei war.
An der Größe der Katzen konnte Winterpfote auch noch erkennen, dass es sich bei den vorderen drei um ihre Geschwister handelte und bei den beiden Katzen rechts außen um Kristallpfote und Nachtpfote. Demnach musste Aschenpfote links hinten liegen.
„Blattpfote?", flüsterte sie leise und berührte ihren kleinen Bruder sanft am Ohr. Er regte sich nicht und auch Schmetterlingspfote und Ringelpfote schliefen schon tief und fest.
Für Winterpfote blieben nur mehr die beiden Nester neben Aschenpfote.
Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, gleich als erste sich ein Nest zu reservieren, doch durch die Aufregung der Schülerzeremonie hatte sie es ganz einfach vergessen.
Sie entschied sich für das Nest, das zwischen Blattpfote, Schmetterlingspfote und Aschenpfote war.
Vorsichtig stieg sie in das mit nur halbwegs frischem Moos ausgepolsterte Nest und drehte sich ein- zweimal im Kreis um eine passende Position zu finden. Kaum hatte sie sich hingelegt und die Augen geschlossen, war sie auch schon eingeschlafen.
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