|I Wüstentraum|
Sanfte Dunstschwaden krochen über den steinigen Boden, als Wüstentraum aus der Sternengrotte trat und erschöpft gähnte.
Wieder ein Halbmond ohne ein Zeichen des SternenClans.
Falkensturm und Rotfell, zwei der drei Heiler des MoorClans, liefen nebeneinander in Richtung MoorClan-Territorium und tauschten sich in einem lebendigen Gespräch über ihren Besuch im SternenClan aus.
Steinfell, den Wüstentraum erst heute zum vollwertigen Heiler ernannt hatte, gesellte sich zu ihr und miaute aufgedreht: „Und, und, wen hast du im SternenClan getroffen?"
Die ältere Kätzin verfluchte ihr Glück. Sie hatte noch nie, niemals, ein Zeichen oder einen Traum vom Silbervlies erhalten. Jeden Halbmond seit ihrer Ernennung zur Heilerschülerin hatte sie darauf gewartet.
Sie schwieg also und kletterte voraus. Sie mussten sich ein Stück durch enge Felswände und um scharfe Steinspitzen herumwinden, um zum Lager des FelsenClans zu kommen.
Es gab natürlich auch einen weniger gefährlichen Weg, aber der dauerte einen halben Tag. Mit der Abkürzung war man zu Sonnenaufgang wieder in der gemütlichen Heilerhöhle.
Wüstentraum seufzte. Unkenruf war diesen Halbmond im Lager geblieben, denn Rosmarinkralle, das Fellhirn, hatte im letzten Schneesturm der Blattfrische eine Patrouille herausgeführt und war natürlich krank geworden.
Weißer Husten war mit drei trächtigen Königinnen nicht lustig. Sie würde nach einer kurzen Verschnaufpause und einem guten Stück Frischbeute ins Tal hinuntersteigen, um neuen Honig zu suchen.
Kleine Steinchen bohrten sich in ihre Ballen. Plötzlich erfüllte ein tiefes, vibrierendes Summen ihre Pfoten und breitete sich schnell auf alle ihre Gliedmaßen aus.
„Lawine!" jaulte Steinfell und die beiden Katzen hetzten über die schneebedeckte Bergwiese zu einem der Schutzpunkte der Clankatzen. Der FelsenClan lebte schon seit vielen Monden in den Bergen und so hatten sie die Fähigkeit entwickelt, Erdbeben und Lawinen gut voraussehen zu können.
Die riesige, tödliche Masse aus Neuschnee wälzte sich den Berg hinab und Wüstentraums Herz pochte laut in ihrer Brust. Besorgt fuhr sie sich mit der Zunge über ihre Pfote.
Sie hatte sich einen spitzen Stein hineingetreten und Blut quoll aus der offenen Wunde. Steinfell saß besorgt neben ihr unter dem kleinen Felsvorsprung, der sich in eine Höhle öffnete, und sah hinaus.
Der eiskalte Tod teilte sich um den Felsen, in dem sie kauerten. Der andere Heiler musste fast schreien, um den Lärm der Naturkatastrophe zu übertönen: „Harren wir hier aus, bis die Lawine vorbei ist!"
Wüstentraum schnurrte und zuckte mit ihrem Schweif in Richtung der kleinen Höhle. „Brauchen wir nicht. Kommt mit!" Der jüngere Heiler nickte eingeschüchtert und die Kätzin lächelte liebevoll.
„Du konntest nicht davon wissen. Der Tunnel ist ein Geheimnis unter den vollwertigen Heilern des FelsenClans. Wir können immerhin nicht unsere Kräuteranbauflächen von Schülern aus fremden Clans plündern lassen!" Nun schnurrte auch Steinfell und folgte der Heilerin.
Verwundert blieb er vor der Felswand stehen. Hier war nirgendwo ein Geheimgang. Doch seine ehemalige Mentorin drückte ihre Schulter in eine Mulde in glatten Oberfläche und mit leisem Ächzen ihrerseits wurde die Platte, die eine dunkle Öffnung verdeckte, in einen Spalt zurückgeschoben.
Während der Kater noch das Wunderwerk bestaunte, kam Wüstentraum bereits wieder auf ihre Pfoten und betrat die Grotte, die hinter der kleinen Vorhöhle lag. Warm war es hier, feucht und ein bisschen muffig.
Kein Wunder, wuchsen doch überall Pflanzen und hin und wieder auch ein Busch oder ein kleiner Baum. Es war erstaunlich hell, denn durch die Schneedecke über ihnen fiel ein wenig Licht. Eine dicke Eisschicht verbarg die Pflanzen vor den Augen ungewollter Betrachter.
Die Getigerte schnurrte, als sie sah, wie ihr Mitheiler den Mund aufriss.
Die winzigen Kiesel knirschten unter ihren Pfoten, während die Clankatzen sich weiter den Weg durch die Höhle bahnten. Warmes Wasser tropfte gelegentlich von der Decke und sammelte sich in Kuhlen am Boden. Beide Heiler waren sehr darauf erpicht, diese zu umgehen.
Doch letztendlich, wie es kommen musste, trat Wüstentraum in eine Pfütze. Verwundert sah sie nach unten. Sie hätte schwören können, dass diese vor ein paar Sekunden noch nicht da gewesen war. Ihr stockte der Atem und ihr Körper wurde steif.
Ein wenig Blut war aus ihrer verwundeten Pfote in das Wasser gelangt und hatte eine Katze gebildet. Diese zwinkerte ihr zu und ein leiser Windhauch, fast wie ein stilles Seufzen, wirbelte um den Kopf der verwirrten Kätzin.
"Ich warte auf dich, Wüstentraum...", flüsterte ihr jemand ins Ohr.
Sofort fuhr diese zusammen und zuckte von der Lache zurück, einen verschreckten, panischen Ausdruck im Gesicht - fast, als hätte sie jemand geschlagen oder ihr gesagt, dass sie jemanden getötet hätte.
Die Heilerin taumelte mit angstverzerrtem Gesicht weiter nach hinten. Das konnte nicht wahr sein! Das war unmöglich! Wieso hatte sie jetzt, wo sie endlich akzeptiert hatte, dass sie dem SternenClan egal war, auf einmal eine Vision? Und was bedeutete sie? War ihr Clan in Gefahr?
Diese und viel mehr Fragen hetzten in ihrem Kopf umher wie Mäuse in ihrem Nest. Sie trübten ihre Wahrnehmung, vernebelten ihren Geist und nahmen ihr die Herrschaft über ihren Körper. Ihr Herzschlag raste, ihre Atmung war abgehackt und ihre Pfoten zitterten unkontrolliert. Die FelsenClan-Kätzin schwankte kurz besorgniserregend und sackte dann leblos zusammen.
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Voller innerlicher Erschöpfung nahm Wüstentraum ein Heilkraut für die Königinnen auf, welches sie ihnen bringen musste. Die geheimnisvolle Stimme war nicht wieder erschienen. Und Rosmarinkralle hatte Rauchnase, eine Kriegerin mit einer sehr empfindlichen Lunge, und Geisterpfote, einen Schüler kurz vor seiner Kriegerprüfung, mit weißem Husten angesteckt.
Die Heilerin wusste, ihr standen einige schlaflose Nächte bevor, denn die anderen beiden Heiler hatten weißen Husten noch nie behandelt und sie hatten keine Katzenminze mehr übrig, um grünen Husten vorzubeugen.
Sie würde Unkenruf, Steinfell und ein paar Krieger ins Tal schicken müssen, um bei den verfallenen Bauten der Zweibeiner das seltene Kraut zu suchen. Ein wenig mehr Honig konnte auch niemandem schaden.
Das müsste sie ihrem ehemaligen Schüler noch sagen. Steinfell. Er hatte sie, nachdem sie bewusstlos geworden war, in den Heilerbau gezogen. Zum Glück war es nicht mehr weit gewesen und niemand hatte etwas bemerkt. Die drei Heiler hatten ohne Diskussion beschlossen, über den Vorfall Stillschweigen zu bewahren. Keiner der beiden hatte nachgehakt, was genau vorgefallen war, das sie so hatte reagieren lassen.
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„Wüstentraum! Kannst du mal kommen? Ich brauche hier deine Hilfe", unterbrach Unkenruf die Gedankengänge der eindrucksvollen Kätzin. „Farnschweif möchte mit dir reden. Ich weiß nicht, worum es geht, aber sie will ausschließlich mit dir sprechen." Verwirrt trat die Dunkelgraue von den Kräutervorräten zurück und verließ den Bau.
„Farnschweif, komm, ich kenne einen Ort, an dem wir ungestört reden können." Die junge Kätzin, erst seit zwei Monden Kriegerin, zuckte nervös mit ihrem langen, dünnen Schwanz, der ihr eine einzigartige Balance verlieh.
Schüchtern folgte sie der Heilerin aus der Lagerhöhle, ein wenig den Berg hinauf und in eine kleine Grotte, die hinter einem dichten Brombeerbusch verborgen lag. Sie wurde genau von Wüstentraum beobachtet, wie sie sich bewegte, gestikulierte, die Felsen hinaufkletterte.
Sie betraten die Höhle und die andere Kätzin ließ sich im hinteren Moosnest nieder. Die Heilerin stand vor einem Rätsel. Farnschweif war perfekt gesund, hatte keine Schwierigkeiten. Worüber sollte sie reden wollen?
„Wüstentraum, erst mal eine Erklärung, warum ich dich mitgeschleppt habe. Ich fühle mich schon seit längerer Zeit wirklich nicht gut, habe aber Angst gehabt, zu euch zu kommen. Ich glaube, ich erwarte Junge von Bärenruf! Aber ich bin doch noch viel zu jung dafür! Ich bin erst seit zwei Monden eine Kriegerin! Das kann doch nicht sein! Ich wette, Bärenruf will dann nichts mehr mit mir zu tun haben."
Farnschweif war immer panischer geworden und atmete schnell und aufgebracht. Beruhigend strich die dunkelgetigerte Heilerin der Cremefarbenen über den Rücken.
„Farn, ich bin mir sicher, es wird alles gut gehen. Du hast drei Heiler um dich herum, die sich um dich kümmern und du hast einen wundervollen Gefährten, der dich unglaublich liebt und der auch eure Jungen lieben wird."
Kurz durchzuckte ein schmerzerfüllter Ausdruck Wüstentraums Augen. Sie musste an die Stimme denken, die sie in der Grotte gehört hatte. Kristallwächter, einen HimmelClan-Krieger. Einen Kater aus dem Clan, der seit vielen, vielen Monden mit dem ihren verfeindet war. Schnell verschloss und verrammelte sie die Erinnerung an ihn wieder.
Ein leises Schluchzen ertönte und dankbar weinend drückte die junge Kätzin ihr Gesicht in die Schulter der Älteren. Ihre Tränen benetzten deren Fell, dennoch ließ sie die Cremefarbene gewähren. Es tat gut, seine Besorgnis loszuwerden. Als der Fluss versiegt war, trocknete Farnschweif ihr Gesicht schnell mit ein wenig Moos und setzte ein glückliches Gesicht auf, um Bärenruf die wunderbare Nachricht zu übermitteln. Dann verließ sie mit hoch erhobenem Schweif den geheimen Bau.
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Das ist es! Das erste Kapitel, auf das ihr so lange warten musstet!
Wie fandet ihr es? Fanny @fantasy_love_7 , bist du mit der Darstellung von Farnschweif zufrieden?
Kritik? Verbesserungsvorschläge? Immer her damit! Hier —> könnt ihr alles loswerden!
Das nächste Kapitel kommt dann am 4. Dezember.
Möge der SternenClan über euch wachen.
Eure Wolke
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