Kapitel zwölf

Mondlicht überzog das Lager mit einem silbrigen Schein, ließ den Schnee glänzen und funkeln, als hätte er vergessen, dass die Nacht dunkel sein sollte. Der Himmel war klar, die Sterne darüber verteilt wie die Spuren von Regentropfen im Schnee, ein besonders helles Band, das nicht nur von weißen Sternen, sondern auch von sanften rot- und Violetttönen durchzogen wurde, machte der Mondkralle Konkurrenz, so hell leuchtete es. Kupferglut wusste, dass sie es das Silbervlies nannten, und dass es früher eine besondere Bedeutung gehabt hatte, doch diese war ihm mittlerweile entfallen. Eigentlich hatte er schon längst aufbrechen wollen, doch der Nachthimmel hatte ihn in seinen Bann gezogen. Ein kleiner Teil von ihm hatte sich schon sein ganzes Leben lang auf diese Reise vorbereitet, dieses Abenteuer, dass ihm nun so nah war, dass er es beinahe riechen konnte - aber nun, da die Zeit gekommen war, endlich aufzubrechen, machte es ihm Angst. Er wusste, dass er nicht länger hierbleiben konnte, aber er fühlte sich auch noch nicht bereit dazu, seine hiesige Heimat zurückzulassen.

Mit bebenden Schnurrhaaren ließ er sich im weichen Schnee nieder, die Ohren angelegt, die Vorderpfoten, trotz der eisigen Kälte, von sich gestreckt, sodass er seinen brummenden Kopf darauf ablegen konnte. Sein orangenes Fell wirkte in der Nacht nicht so auffällig wie am Tage, es schien einfach nur von einem dunklen Grau zu sein - vielleicht war er hier gar nicht so fehl am Platze? Vielleicht musste er nur mehr zu seinen Stärken spielen?

Der Kater machte einen verzweifelten Laut, ein Ausdruck seiner Verärgerung, etwas zwischen einem Fauchen und einem Jaulen, während er sich auf die Seite fallen ließ und in die Ferne, durch den Lagerausgang ins Tal hinab, schaute. Ewig hatte er sich auf diesen Moment gefreut, endlich in seine Zukunft aufzubrechen, und nun war er da und er konnte sich nicht von der Vergangenheit lösen.

Der kühle Schnee fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben angenehm an. Es hatte begonnen, leicht zu schneien, sodass sein Pelz bald auch von oben von weißen Tupfen übersät war. Er musste seine Enttäuschung verdrängen, sich aufrappeln, endlich losgehen! Er hatte keine Zeit mehr dafür, seine Gefühle die Oberhand ergreifen zu lassen. Kupferglut zwang sich zu tiefen, langsamen Atemzügen, während er sich bedächtig erhob, die Krallen in den Schnee unter ihm gebohrt, das Fell aufgestellt, den Schweif aufgeregt peitschend, blickte er stur geradeaus. Ins Tal hinunter, auf seinen Weg, in seine Zukunft.

"Na, schwere Entscheidungen zu treffen?", der Kater wirbelte herum, nur um Birkentatze zu erblicken. Vom schwachen Mondlicht erleuchtet, vom sanften Schnee umspielt, der sich in ihrem langen Pelz verhangen hatte, stand sie da, vor dem Höhlenausgang, ihre Augen beinahe glühend in der Dunkelheit.

"Birkentatze, ich-", er wollte ihr erklären, dass er jetzt aufbrechen musste, bevor es zu spät war, doch brachte es nicht zustande. Das war genau das, wovor er sich gefürchtet hatte, was er gehofft hatte, zu verhindern, indem er sich in der Nacht davonschlich. Der Kater öffnete erneut das Maul, nur, um es darauf wieder zu schließen, oder etwas von sich gegeben zu haben. Die Hoffnung, dass Birkentatze dafür sorgen würde, dass alles in Ordnung war und er gar nicht weggehen müsse, machte sich in ihm breit.

"Ich weiß, dass du es ohne mich nicht schaffen würdest. Du wärst doch komplett verloren ohne deine große Schwester", miaute sie gelassen, mit einem leisen Schnurren im Unterton, das vom umliegenden Schnee und der endlosen Dunkelheit beinahe verschluckt wurde. Kupferglut schloss die Augen, für einen kurzen, makellosen Moment der Freude.

"Bedeutet das, dass ich hierbleiben kann? Das wir einfach nie wieder über diesen Vorfall reden?", fragte er erleichtert darüber, dass diese Entscheidung ihm nun genommen worden war.

"Was? Nein, du Mäusehirn, das bedeutet, dass ich dich begleiten werde! Worauf wartest du denn? Wir wollen hier doch noch vor Mondfall weg sein, oder nicht?", mit diesen Worten stapfte sie zielstrebig durch den Schnee, geradewegs an ihm vorbei, und machte erst am Lagerausgang halt. Die Kätzin wandte sich dort um, ihr Blick ruhte geradezu berechnend auf Kupferglut. Dieser haperte einen Augenblick mit sich, bevor er belustigt den Kopf schüttelte und zu ihr auf trabte. "Also, bereit für ein Abenteuer?", fragte er seine Schwester neckend, wohlwissend, dass Birkentatze immer bereit für ein Abenteuer war. Die Kätzin nickte eifrig, bevor sie gemeinsam den ersten Schritt aus dem Lager heraus auf den schmalen Trampelpfad taten, der ins Tal führte.

Kupferglut war so aufgeregt, dass er die Kälte gar nicht wahrnahm. Wäre dies eine normale Patrouille gewesen, hätte er sich schon längst darüber beschwert, dass er seine Pfoten nicht mehr spüren konnte oder das Eis an seinen Schnurrhaaren hing. Doch die Flamme der Aufregung, der freudigen Erwartung, brannte in seiner Brust und hielt ihn warm. Am Anfang hatten sie sich noch viel unterhalten, es hatte sich ganz so angefühlt, wie in früheren, unbeschwerten Zeiten, doch mittlerweile waren die beiden still geworden. Es war keine unangenehme, peinliche Stille, ganz im Gegenteil, es war eine behagliche Stille, die nicht bestand, weil niemand wusste, was er sagen sollte, sondern einfach, weil niemand etwas sagen musste. Die Katzen betrachteten ihre Umgebung so aufmerksam wie sonst nur selten, da sie sich beide dessen bewusst waren, dass es sein könnte, dass sie dieses Territorium nie wiedersahen. Nun war es eben nicht mehr einfach nur Schnee; es war eine makellose Decke aus Frost, die sich über die sanften Hügel des Tals gelegt hatte, die das Licht wunderschön auffing und vervielfältigte, die alle Geräusche verschluckte und nie wieder von sich gab. In ihrem Rücken lagen die Berge, von denen Kupferglut es sich nicht erlaubte, einen Blick auf sie zu werfen, aus Angst vor einem Stich der Wehmut. Stattdessen blickte er auf das, was nun vor ihnen lag: den dichte, unergründlichen Fichtenwald, der die Grenze des GipfelClan-Territoriums darstellte. Auch hier war der Boden von Schnee bedeckt, doch dieser Mantel war nicht so makellos, er wurde immer wieder durchbrochen und aufgewühlt vom Unterholz, unzähligen kleinen Fußspuren und den Abdrücken von Tautropfen, die von den Bäumen hinuntergefallen waren. Es war eine ganz andere, eine neue, aufregende Welt. Kupferglut konnte Harz riechen, die Gesänge von tüchtigen Vögeln vernehmen, das Leben in der Erde unter sich spüren.

Während der Mond hinter ihnen verschwand, ging vor den Katzen die Sonne auf, brachte Licht in das Gewirr des Waldes und ihrer Herzen, zeigte ihnen den Weg, den sie nun beschreiten würden: stets der Sonne entgegen.

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