Kapitel vierzehn

Gedankenverloren trottete der orangene Kater hinter Birkentatze her. Sie waren nun seit geraumer Zeit wieder auf den Füßen, nachdem sie die vorherige Nacht, eng ineinander verschlungen, um nicht zu erfrieren, zwischen den ausladenden Wurzeln einer Eiche verbracht hatten. Schon seit Sonnenaufgang war Kupferglut sehr wortkarg und verhielt sich auch sonst nicht so wie die letzten Tage - er schlenderte nun hinter seiner Schwester her, statt neugierig vorauszulaufen und alles zu erkunden. Birkentatze hatte ihn darauf noch nicht angesprochen, warf jedoch immer mal wieder einige skeptische Blicke auf ihn, wenn sie dachte, er würde es nicht bemerken. Eigentlich müsste Kupferglut ihr von seinem Traum erzählen, doch er fühlte sich noch nicht bereit dazu - er hatte das Gefühl, sich selbst erst eine Meinung bilden zu müssen, bevor er sie nach ihrer Fragen konnte.

Das Eichhörnchen war die letzte Beute, die sie gemacht hatten, und sollte ihnen nicht noch ein besonders unvorsichtiges Beutetier über den Weg laufen, würden sie damit auch noch bis morgen durchkommen.

Die Art, wie die graue Kätzin, Bussardkehle, gesprochen hatte, hatte Kupferglut besonders verwundert. In all seinen vorherigen Träumen war sie ihm als recht scheue, magere Kätzin erschienen, als sie Löwenfrost erblickt hat sogar sehr ängstlich. Als sie aber gestern mit ihm gesprochen hatte, war ihre Stimme sicher und warm gewesen, als wären Kupferglut und sie vertraute Clangefährten.

Verwundert blieb der Kater stehen. Zwischen seinen Vorderpfoten, kaum zu erkennen und halb bedeckt von braunem Laub, bahnte sich eine einzelne, grüne Knospe den Weg an die Luft. Es kam ihm ein wenig früh vor, dass jetzt schon neues Leben aus der Erde spross, wo die Blattleere doch noch nicht einmal den dritten Mond begonnen hatte, doch vielleicht war das Wetter hier etwas milder gewesen, nicht so unbarmherzig wie im Gebirge, in dem die mutigsten der Frühblüher erst beim Halbmond der Blattgrüne erschienen. Einen Moment lang betrachtete Kupferglut die kleine Pflanze, versuchte, sich diesen Ort vorzustellen, wenn alles grün war und die Luft vor Düften flimmerte. Er musste es Birkentatze erzählen. Der Gedanke war einfach gekommen, ganz plötzlich, doch er spürte, dass es die richtige Entscheidung war. Fest entschlossen lief er zu der Kätzin, die einige Fuchslängen entfernt auf einem Felsen Halt gemacht und ihn beobachtet hatte.

"Ich muss dir etwas erzählen", begann der Kater, sobald sie sich wieder in Bewegung gesetzt hatten, diesmal Schulter an Schulter.

"Oho, das klingt ja schrecklich ominös. Worauf muss ich mich nun gefasst machen?", fragte Birkentatze amüsiert.

Kupferglut schnipste abschätzig mit dem Ohr. "Ich habe doch schon einmal diese Träume erwähnt, oder? Die, die gar keine echten Träume sind?", versuchte er sich langsam heranzutasten. Birkentatze nickte langsam. "Jedenfalls habe ich sie nun schon seit einer Weile. Seit ... seit Löwenfrost angekommen ist", er machte eine Pause, in der Befürchtung, sie würde dieses Gespräch nun beenden, weil es schon wieder um Löwenfrost ging, doch Birkentatze hörte ihm weiterhin aufmerksam zu, ohne einen abfälligen Kommentar von sich zu geben. Also fuhr er fort. "Es war immer wieder diese graue Kätzin, wie sie durch den Wald stromert, oder vor etwas flüchtet, oder ihr Jun- jedenfalls hat sie nie direkt mit mir gesprochen. Aber gestern schon. Sie sagte, ihr Name sei Bussardkehle und sie habe mich schon die ganze Zeit beobachtet ... ", hier verlief Kupfergluts Stimme sich, er wurde stumm, wusste nicht, wie er weitermachen sollte; weshalb er auf Birkentatzes Reaktion wartete. Die Kätzin musterte ihn kurz.

"Ist sie böse?", fragte sie dann.

"Böse?"

"Na Bussardkehle. Hast du das Gefühl, sie ist böse? Führt sie etwas im Schilde oder will dich zu irgendetwas anstiften?", drängte Birkentatze nun, eine gewisse Selbstverständlichkeit in der Stimme.

"Nein. Eigentlich nicht", antwortete Kupferglut nach kurzem Überlegen.

Birkentatze schnippte entschlossen mit dem Schweif. "Da hast du's. Wenn sie dir nicht schadet, dann hör ihr zu, anhaben kann sie dir ja schließlich nichts", die Kätzin stupste ihn aufmunternd mit der Nase an. "Also, noch irgendwelche Fragen von unglaublicher Bedeutung, die deine große Schwester innerhalb eines Herzschlags beantworten soll?", ihre Augen glänzten neckisch.

Kupferglut schüttelte beherzt den Kopf. Birkentatze hatte Recht. Bussardkehle konnte ihm nichts antun, er hatte die Kontrolle über sie, weil sie seinem Kopf entsprungen war. Er konnte also ihrer Stimme lauschen, ohne ihre Anweisungen befolgen zu müssen.

"Riechst du das?", fragte Birkentatze, ihr Ausdruck plötzlich fest. Die Kätzin schaute sich hastig um, hob die Nase und öffnete leicht das Maul, um die Luft erneut zu prüfen.

"Was ist das?", miaute Kupferglut leise. Er hatte die Witterung ebenfalls aufgenommen, doch er konnte sie nicht einordnen - sowas hatte er noch nie zuvor gerochen. Es war ein schwerer, morastiger Duft, in den sich der Geruch von feuchter Erde und nassem Moos gemischt hatte.

"Ich weiß es nicht", antwortete die Kätzin andächtig, ihr Körper vollkommen still, als habe sie Angst, etwas könnte auf sie stürzen, sobald sie ihr Gewicht auch nur auf eine andere Pfote lagerte. Sie waren mittlerweile beide stehen geblieben, Rücken an Rücken, die Umgebung mit ihren Augen absuchend. Kupferglut spürte jeden einzelnen seiner Muskel, das Fell gesträubt, die Krallen nervös im Boden dehnend. Kupferglut zuckte ein wenig zusammen, als er auf einmal die Geräusche von schweren, breiten Pfoten auf dem Waldboden vernahm. Hinzu kamen ein stockendes Atmen oder schnüffeln und das Rascheln von Laub. Die Schritte kamen immer näher. Beide Katzen starrten angsterfüllt in die Richtung, aus der sie kamen, ein dichtes Gestrüpp aus Reisig und Brombeerzweigen. Unter diesem Dickicht tauchte nun ein Tier auf. Es schob die Erde mit seiner langen Schnauze zur Seite, sein dicker Pelz schien die Haut vor den Dornen zu schützen. Das Tier war riesig. Es war zwar nicht so groß wie ein Fuchs, dafür erschien es aber viel kräftiger, mit seinem gedrungenen Körper, den kurzen, stämmigen Beinen, die in breiten Tatzen mit langen Klauen endeten. Es hatte kleine, schwarze Augen und Ohren, die beinahe nicht zu erkennen waren, weil zwei schwarze Streifen auf seinem weißen Gesicht verliefen, die erst im grau gestichelten Rest des Pelzes endeten. Kupferglut hatte ein solches Tier noch nie gesehen, doch ihm war bewusst, dass es gefährlich war. Keiner der drei, weder die beiden Katzen noch das graue Ungeheuer rührten ein Schnurrhaar.

Bis das Wesen ein tiefes Grummeln ausstieß und plötzlich auf sie zu sprang. Der Kater jaulte auf und stürmte in die entgegengesetzte Richtung, sein Herz schlug beinahe so laut, dass es das Trommeln seiner Pfoten auf dem harten Boden übertönte. Panisch warf Kupferglut einen Blick zurück, nur um dann über seine eigenen Läufe zu stolpern, weil er so schnell abgebremst hatte. Hinter ihm war Birkentatze in einen Kampf mit dem Ungeheuer verwickelt.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top