Kapitel vier
13 ½ Monde früher
Geschickt setzte die Kätzin eine Pfote vor die andere auf die von Algen und Moos bedeckten Trittsteine, die es den Clankatzen ermöglichten, die vielen Bäche zu überqueren. Sie musste sich nicht mehr konzentrieren, es gelang ihr scheinbar aufwandslos, ihr Gleichgewicht auf dem rutschigen Untergrund zu halten, auch mit dem Jungen, dass sie im Maul trug. Es dauerte nicht lang, bis sie den letzten der Bäche, und somit auch die Grenze des Territoriums, hinter sich gelassen hatte. Wehmütig hielt sie einen Moment inne, gestattete sich selbst einen letzten Blick auf das, was sie für immer hinter sich lassen musste, denn sie machte sich nichts vor; es würde ihr nicht möglich sein, jemals in ihre Heimat zurückzukehren. Ihre blassen Augen wanderten über das Sumpfgebiet. Das Gras, welches das ganze Jahr über borstig und braun war, bildete die dominierende Vegetation, abgesehen davon gab es nur einige wenige, kleinblättrige Bodenpflanzen, die die nie ganz aushärtende Erde bedeckten. Außerdem natürlich die hohen, kohlschwarzen Stämme der Bäume, die hier einst standen, aber im Feuer zerstört worden waren. Sie hoffte wirklich, dass das Land sich bald davon erholen würde, schließlich hatte sie immer noch viele Freunde und Wohlgesinnte in diesem Clan, die sie nun zwar zurücklassen musste, deshalb aber nicht weniger gernhatte.
Das Feuer hatte ihnen das Leben zusätzlich erschwert. Es hatte schon so genug Probleme gegeben, mit dem Zweibeinernest auf dem ehemaligen Territorium des HügelClans und der Epidemie von Hauskätzchen, die dies mit sich gebracht hatte. Natürlich stellte ein einzelnes, verweichlichtes Hauskätzchen keine Gefahr für einen Krieger dar, aber in diesen Mengen fingen sie viel zu viel Beute weg, die die Clankatzen, in Furcht vor einer immer näher rückenden gnadenlos harten Blattleere, gut gebrauchen konnten. Ein kleiner Teil von ihr hegte den Wunsch, hier zu bleiben; er schrie danach, nicht davon zu laufen, ihre Clangefährten nicht zu verraten, stattdessen den Weg der Krieger zu wählen und zu kämpfen - doch was sollte es schon. Die Kätzin wusste, dass dies nur ein verzweifelter Hilferuf ihres alten selbst war, der jungen Kriegerin, die sich auf ein Angebot des Anführers eingelassen hatte, das sie nie hätte annehmen sollen. Sie war nun eine andere, klüger und erfahrener, obwohl es erst einen Mond her war. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Ein wenig traurig schaute sie auf das Junge herab, dass sie auf ihre Vorderpfoten gelegt hatte. Es wusste nichts von all dem, es hatte ja noch nicht einmal die Augen geöffnet. Worüber sie sich ebenfalls sorgte, schließlich war es schon einen halben Mond alt, es hätte sie mittlerweile öffnen sollen.
Ein letztes mal blickte sie auf den Sumpf, dann packte sie das orangefarbene Junge erneut am Nackenfell und trug es behutsam weiter weg, immer weiter fort von ihrer, und auch seiner, wahren Heimat.
***
Der Mond hatte sich unbemerkt bis auf den höchsten Punkt des Nachthimmels geschlichen, doch die schmale Sichel schien kaum heller als das Silbervlies, erleuchtete der Kätzin ihren Weg nur äußerst spärlich. Sie war schon die ganze Nacht gelaufen, hatte zu große Angst vor dem, was hinter ihr in der Dunkelheit lauern mochte, um zu ruhen.
Das Junge war bisher still geblieben, was jedoch nicht verwunderlich war, da es sowieso noch nie einen Laut von sich gegeben hatte. Noch etwas, was mit dem kleinen Wesen nicht stimmte. Die anderen Königinnen hatten sie beruhigt, dass Jungen sich unterschiedlich schnell entwickeln, und sie sich keine Sorgen machen solle, doch wie konnte die Kätzin das schon vermeiden? Es war ihr erster Wurf und sie hatte keine Mutter mehr, an die sie sich für Hilfe wenden konnte. Ihr zweites Junges, welches diesem hier stark ähnelte, hatte seine Augen bereits geöffnet gehabt, als sie es bei einer anderen Kätzin zurückgelassen hatte. Nicht das sie eine Wahl gehabt hätte, da es von Anfang an ausgemacht gewesen war, dass sie eins der Jungen abgeben müssen werde, doch niemand hatte sie darauf vorbereitet, wie schwer es sein würde. Doch so war es nun einmal gekommen und so war es auch besser; sie hätte sowieso keine zwei Jungen mitnehmen können und das andere war bei seinem Vater in guter Obhut. Hoffte sie.
Mit ihrem stillen Begleiter trabte sie durch die ihr immer fremder werdende Umgebung, zuckte jedes Mal zusammen, wenn ein Vogel schrie oder ein Ast unter ihren schmalen Pfoten brach. Der Teil in ihr, der den Clan nicht hatte verlassen wollen, wurde mit jedem Schritt, den sie tat, lauter. Es wurde immer schwerer, ihm zu widerstehen, sich selbst immer wieder zu verraten, zu erklären, dass es dort nicht mehr sicher sei, dass sie zu schwerwiegende Fehler begangen und sich zu große Feinde gemacht hatte, dass ihr Glück nicht mehr zwischen den TauClan-Katzen, sondern im Ungewissen lag. Sie hatte sich dies zwar nicht ausgesucht, war aber trotzdem davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war. So machte sie sich vor, dass sie gar nicht auf der Flucht war, dass sie das alles hier gewählt hatte, ignorierte, dass sie es selbst besser wusste und sich nur belog.
Langsam zog sich der Nebel der Nacht zurück. Er machte Platz für den Tau, den der Sonnenaufgang mit sich brachte, für das Licht, das alles in einen goldenen Glanz einhüllte und das Fell der Kätzin wärmte. Darauf hatte sie gewartet. Endlich gestattete sie es sich selbst, Erschöpfung zu verspüren, die langsam von ihren kalten Pfoten zu ihren steifgewordenen Läufen hochkroch, wie das Gegenstück zur aufgehenden Sonne. Müde trottete sie zu einer kleinen, von Moos bewachsenen Kuhle, in die sie sich zusammenrollen konnte. Vorsichtig legte sie das Junge an ihren Bauch, schützte und wärmte es mit ihrem Körper. Sie verspürte kurzzeitig den Impuls, ihren Schweif über ihre Pfoten zu legen, was sie zum ersten mal seit ihrem Aufbruch zu belustigen vermochte - sie hatte ihren Schweif in einem Kampf verloren, er war nun zu kurz, um ihn über die Pfoten, oder irgendetwas anderes, wirklich, zu legen. Während die Sonne also langsam höher stieg, auch die Mooskuhle vom Schatten befreite, putzte Bussardkehle das kleine, seltsame Junge, das nun hungrig ihren Bauch mit seinen kleinen, krallenlosen Pfoten bearbeitete. Mit ihrer rauen Zunge fuhr sie immer wieder über das leuchtend orangene Fell, welches ihm seinen Namen, Rostjunges, eingebracht hatte, bis - es plötzlich, ganz langsam, die Augen öffnete. Erfreut schnurrte die Kätzin, und blickte in die Augen des Kleinen. Eines von warmem grün und Eines wie von Wolken verhangen.
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